25. Januar 2008

Le scaphandre et le papillon

Pas panique.

Ein Mann mit gutem Aussehen, mit Witz und Charme, der viele Freunde hat, beliebt und respektiert wird, gutes Essen schätzt und auch zu seinem Vater ein warmes Verhältnis pflegt. Chefredakteur eines der besten, wenn nicht gar des besten Modemagazins Frankreichs (Elle), der es sich leisten kann nicht nur seine drei Kinder zu versorgen, sondern auch mit seinen Geliebten wegzufahren. Ein Mann der eigentlich alles hat, was man sich von einem erfolgreichen und glücklichen Leben versprechen kann – so ein Mann war Jean-Dominique Bauby, von seinen Freunden nur Jean-Do gerufen. Doch es war nicht Jean-Dos Leben, welches die Menschen beeindruckt und Kathleen Kennedy sowie Jon Kilik dazu bewogen hat einen Film über ihn zu machen. Vielmehr war es der schlimmste Schicksalsschlag im Leben von Jean-Do, der die Ausgangsbasis für Julian Schnabels dritten Kinofilm bildet, der am 27. März 2008 in den deutschen Kinos anlaufen wird. Schnabel, einst Kollege und Freund von solchen New Yorker Künstlern wie Andy Warhol und Jean Michel Basquiat, führte zum ersten Mal seit seinem Film Before Night Falls aus dem Jahr 2000 wieder Regie bei einem Film und gewann nicht nur bei den Filmfestspielen von Cannes den Preis für die beste Regie, sondern erhielt diesen auch bei den diesjährigen Golden Globes, zusammen mit der Auszeichnung für den besten fremdsprachigen Film. Bei der demnächst anstehenden Oscarverleihung ist Le scaphandre et le papillon in vier Kategorien nominiert, darunter erneut für die beste Regie, sowie für das adaptierte Drehbuch von Ronald Harwood, den Schnitt von Juliette Welfing und die Kameraarbeit des Spielberg-Spezis Janusz Kaminski.

Zwei Personen stehen in einem Zimmer, das Bild ist unscharf, die Stimmen geschwächt. Da widmen sich die beiden Personen der Kamera, die den Platz des Protagonisten eingenommen hat. Zu Beginn von Le scaphandre et le papillon nimmt der Zuschauer die Position von Jean-Dominique Bauby ein, sieht und hört alles wie es Bauby tut. Man teilt ihm mit, dass man nach dreiwöchigem Koma aufgewacht sei und bitte ihn seinen eigenen Namen zu sprechen, was Bauby tut. Als der behandelnde Arzt eintrifft erhält Bauby dann die erste Schreckensnachricht: er kann nicht mehr sprechen, seine Äußerungen sind bloße Echos in seinem Gehirn. Kurz darauf sucht ihn der Neurologe Dr. Lepage auf und erklärt Bauby dass er einen Schlaganfall erlitten habe, die Ursachen dafür seien nicht bekannt. Bedauerlicherweise gehöre Bauby zu einer seltenen Gruppe von Menschen, die unter dem Locked-in-Syndrom leiden, was bedeutet dass Bauby lediglich sein linkes Auge und seinen Kopf ein wenig bewegen kann, der Rest seines Körpers ist gelähmt. Jean-Dominique Bauby (Matthieu Amalric) muss sich nunmehr damit abfinden in seinem eigenen Körper gefangen zu sein und sich nicht ausdrücken zu können. Aus diesem Grund erhält er die Logopädin Henriette (Marie-Josée Croze) zugeteilt, die für ihn ein spezielles Alphabet ausrichtet, mit dem sich Bauby verständigen soll. Während man ihm dieses Alphabet vorliest, soll er immer bei dem Buchstaben blinzeln, denn er für seinen Wortbau verwenden will – so entsehen aus Buchstaben Wörter und aus Wörtern Sätze. Bauby beginnt sein Leben aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und entschließt sich seine Autobiographie zu schreiben. Hierfür wird ihm von seinem Verlag die Lektorin Claude Medibil (Anne Consigny) geschickt, die in geduldiger Kleinsarbeit Baubys Worte und Gedanken zu Papier bringt.

Jean-Dominique Bauby wurde am 23. April 1952 in Paris geboren und er starb am 9. März 1997 in Garchese, nur wenige Tage nach Erscheinen seines Buches Le scaphandre et le papillon. Bauby hatte die achtundzwanzig Kapitel des Buches über vierzehn Monate hinweg Claude Mendibil diktiert und wie er es in seiner Widmung richtigerweise schrieb, kann man sich das Ausmaß von Medibils Arbeit – ebenso wie der von Bauby selbst – nicht vergegenwärtigen, wenn man nicht das Buch liest oder besser noch den Film sieht. Bauby wachte jeden Morgen um 5 Uhr auf und begann sich die Absätze für sein Buch zu überlegen und schließlich auswendig zu lernen, damit er sie später Buchstabe für Buchstabe Stundenlang diktieren konnte. Am Ende sprangen nach fünfstündiger Arbeit etwas mehr wie eine Seite niedergeschriebenes Material heraus, aber was wie eine Sisyphus-Arbeit anmutet war vielmehr der Überlebenskampf eines menschlichen Geistes. An einer Stelle des Filmes wird Bauby ein Gespräch mit einem Mann führen, bzw. dieser ein Gespräch mit ihm, über einen zufälligen Vorfall vor einigen Jahren, der dennoch das Leben der beiden Männer grundlegend verändern sollte. Bauby überließ diesem Mann seinen Platz in einem Flugzeug, nichtahnend dass ebenjenes Flugzeug anschließend nach Beirut entführt werden sollte, wo der Mann dem Bauby seinen Platz überlassen hatte, vier Jahre lang als Geisel gehalten wurde. Das einzige was ihn davor gerettet hatte den Verstand zu verlieren, sei die Aufzählung von verschiedenen Weinsorten gewesen, Hauptsache das Gehirn ist beschäftigt.

Vor drei Jahren gewann Alejandro Amenábar mit seinem Film Mar adentro den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Amenábars Handlung behandelte die wahre Geschichte von Ramón Sampedro, der vom Hals abwärts gelähmt war und dreißig Jahre lang um die Chance auf Euthanasie gekämpft hatte. Und so ähnlich sich die beiden Filme oberflächlich gesehen sein mögen, sind sie doch grundverschieden. Sampedro, ein Mann der reden, der lachen, seine Wünsche und Hoffnungen mitteilen konnte, im Grund jedoch nichts anderes als sterben wollte, depressiv und sich als Last fühlend. Ihm gegenüber steht Bauby, gefangen in seinem Körper, als befände er sich am Grund des Meeres in einer Taucherglocke, in der er nichts hört, außer seine eigenen Gedanken und nichts sieht als die trübe Sicht vor ihm. Auch Bauby will zu Beginn nichts anderes als sterben, ist seines Lebens als Last überdrüssig, sieht aber bald darauf die Chance, die sich ihm weiterhin eröffnet und kämpft. Sicherlich hätte Jean-Do Bauby noch länger gelebt, wenn man ihm selbst die Wahl überlassen hätte, doch es war ihm nicht vergönnt. Das soll nicht heißen, dass Amenábars Mar adentro die Geschichte eines Menschen sei, der das Geschenken des Lebens nicht zu schätzen wisse, doch gerade dieser Vergleich hebt den schweren Kampf Baubys noch mehr hervor. Gegebenfalls stundenlang ein Störsignal im Fernsehen anblicken zu müssen, da man niemand herbeirufen kann um um-, bzw. abzuschalten, in eine Ecke geschoben oder behandelt zu werden, als würde man nicht existieren...ein überaus furchtbares Schicksal, wenn man selbst sich seiner Umwelt doch bestens bewusst ist und alles mitbekommt, sich selbst jedoch nicht mitteilen kann.

Besonders die erste Viertelstunde von Le scaphandre et le papillon ist von einer unglaublich eindringlichen und bisher in der Geschichte des Filmes unerreichten Intensität, wenn man das Geschehen aus den Augen von Bauby wahrnimmt. Der Zuschauer sieht und hört exakt das, was Bauby sieht und hört, einschließlich unscharfen Bildern, Farbpixeln oder etwaiger akustischer Störungen. Man ist weniger Zuschauer als vielmehr selbst Bauby und das ist in der Tat beängstigend und verstörend. Was außerhalb des Fokus ist, nimmt man nicht wahr und selbst das was sich innerhalb des Fokus befindet, zumeist nur verschwommen. Höhepunkt dieses Gefühls ist der Moment, in welchem Bauby sein rechtes, nicht mehr durchblutetes Auge (mit welchem er jedoch in jenem Augenblick noch zu sehen im Stande ist) von einem Chirurgen zugenäht wird und sich langsam die Lieder neigen und von einem Faden verschlossen werden – hier ist Gänsehaut garantiert! Zudem markiert diese Szene den ersten Kamerawechsel von der Ego-Perspektive Baubys in die des Zuschauers, jetzt erst erhält man einen Blick auf Matthieu Almaric, der insgesamt eine grandiose schauspielerische Leistung abliefert und wahrscheinlich nicht zu Unrecht im nächsten Bond-Abenteuer den Bösewicht mimen darf. Schwer vorstellbar, dass ursprünglich Schnabel-Freund Johnny Depp in die Rolle Baubys schlüpfen sollte, dann aber durch Pirates of the Caribbean davon abgehalten wurde. Almarics Darstellung ist so intensiv, sowohl in den Szenen im Berck-sur-Mer, als auch in seinen Phantasieszenen und Rückblenden, dass ihm, wie auch den anderen Darstellern und Darstellerinnen zuzuschauen ein wahres Vergnügen ist. Dabei ist alleine Max von Sydows Schauspielkunst, wenn er als Baubys Vater Papinou seinen Sohn im Krankenhaus anruft, allemal das Eintrittsgeld wert.

Bauby ist in seinem Körper gefangen wie ein Taucher am Meeresgrund in einer Taucherglocke (scaphandre). Dieses Bild wird man im Verlaufe von Le scaphandre et le papillon mehrmals auf der Leinwand sehen. Doch Bauby stellt fest, dass nicht nur sein linkes Auge ungelähmt geblieben ist, sondern auch seine Phantasie und sein Gedächtnis. Fortan beginnt er von seinem linken Auge als Schmetterling (papillon) zu sprechen, da er mit diesem aus seinem Gefängnis ausbrechen und am Leben teilnehmen kann. Jean-Do beginnt sein Leben aus einem anderen Blickwinkel heraus zu betrachten und durchschreitet dadurch eine Selbstfindung seines eigenen Charakters, lässt seine Seele über seinen Körper triumphieren. Den ursprünglich für eine moderne und weibliche Version von Dumas’ Der Graf von Monte Christo ausgearbeitete Vertrag mit dem Verlag wird nun von Jean-Do als Basis seiner Autobiographie wahrgenommen, als Forum des Ausdrucks seiner Gefühle, Phantasien und Gedanken. Selbst in seiner Krankheit bewahrt sich Bauby (s)einen Sinn für Humor und ein Gespür für Ironie, er kann über sich selber lachen, als zwei Techniker einen Witz darüber reißen, dass ihm ein Telefon mit Lautsprecher ins Zimmer gelegt wird und amüsiert sich selbst darüber, als ihm seine Physiotherapeutin eine Zungenübung zur Wiedererlernung des Schluckreflexes vormacht. Zu einem Zeitpunkt gelingt es Jean-Do sogar seinem Körper mehr Leben einzuhauchen, er kann brummen und den Kopf besser bewegen, beginnt Hoffnung zu schöpfen und der Welt mit vermehrten positiven Gedanken zu begegnen. Auch wenn es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein bleiben sollte.

Neben die tollen Darstellungen von Amalric und von Sydow reihen sich auch die ausnahmslos attraktiven Schauspielerinnen mit ihren Leistungen ein. Neben einer fabelhaft gealterten und frisch aufspielenden Emmanuelle Seigner wissen auch Anne Consigny und Marie-Josée Croze zu überzeugen. Besonders die Szenen mit Croze sind äußerst schön geraten, sodass man sich glatt selbst in Henriette verlieben möchte. In Nebenrollen dürfen zudem französische Stars wie Emma de Caunes und einige César-Gewinner wie Patrick Chesnais, Niels Arestrup, Marina Hands und Isaach De Bankolé glänzen. Überboten werden die Darsteller und der Soundtrack lediglich noch vom Kameraspiel Janusz Kaminskis. Der Stamm-Kameramann von Steven Spielberg wurde scheinbar von Spielberg-Produzentin Kathleen Kennedy ins Boot geholt, jedenfalls zaubert er atemberaubende Bilder und Kamerafahrten zu Stande, die kongenial von Juliette Welfings Schnitt abgerundet werden. Das Zusammenspiel zwischen den Bildern und der Musik funktioniert dabei perfekt und besonders das Theme von Paul Cantelon – welches an Yann Tiersen erinnert – erzeugt ein wunderbar melancholisches Gefühl bei der Betrachtung des Gezeigten.

Ein Jahr und zwei Monate hatte Jean-Dominique Bauby im Zimmer 119 des Berck Maritime Hospital in Berck-sur-Mer zugebracht, demselben Hospital in dem Julian Schnabel auch die Verfilmung von Baubys Le scaphandre et le papillon inszenieren würde. Schnabels Film handelt von Liebe und Leben, sowie der Liebe zum Leben. Der Liebe von Vätern zu Söhnen und umgekehrt, der Liebe eines Mannes zu seiner Familie und gleichzeitig zu seiner Geliebten, die es nicht fertig bringt ihn im Krankenhaus zu besuchen und später anrufen wird, während die Mutter von Jean-Dos Kindern, Céline, anwesend ist. Es geht um Hoffnung und den Glauben an sich selbst, an sein eigenes Leben, behandelt die Kraft von Gedanken und die Stärke der menschlichen Seele. Selten hat ein Film sein Publikum so sehr an der Handlung teilhaben lassen, wie in der ersten Viertelstunde und man merkt bereits während dem Sehen, dass man Zeuge von etwas besonderen und einzigartigem geworden ist. Schnabel gelingt es sein persönliches Meisterwerk abzuliefern, mit einem Film dessen Darsteller, dessen Bilder und dessen Musik es schaffen nicht nur das einzufangen was ein Mann einmal gewesen war, sondern was er auch ist, eine großartige Geschichte über einen Schmetterling, der einer Taucherglocke entfliehen kann und zurecht mit all seinen Preisen und Nominierungen bedacht. Le scaphandre et le papillon ist Pflicht für das Filmjahr 2007 und jeden Cineasten.

10/10 - erschienen bei Wicked-Vision

4 Kommentare:

  1. Danke für dieses tolle Review. Der wird auf alle Fälle geschaut, vor allem da ich mich auch vermehrt mit Filmen aus Frankreich beschäftigen möchte. Man will ja seine Muttersprache nicht vernachlässigen.

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  2. Ich habe mit Absicht noch nicht gelesen, weil ich den ja selbst noch gucken werde und mich da nie vorher beeinflussen lassen möchte.

    Aber: Warum bist du eigentlich immer so unentschlossen mit den Wertungen, das hast du dir wohl von cleric angeeignet, dieses 1-2/10, 8-9/10, 4-5/10 etc. ;)

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  3. Ist keine Unentschlossenheit, entspricht deinen 95% Wertungen, die sind ja auch nicht immer 70% oder 80%, sondern mal dazwischen. Etwas hat gefehlt, damit er die volle Punktzahl bekommt, aber er war nah dran - daher die 9-10/10 ;)

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  4. Das stimmt, für mich ist bspw. 4-5 eine 4.5, ganz einfach. ;-)

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