10. Februar 2008

There Will Be Blood

Doesn’t necessarily mean there’s anything underneath.

Wir schreiben das Ende der siebziger Jahre, genauer gesagt ist es das Jahr 1968 als einer der größten und zugleich meist kritisierten Regisseure seinen neuen Film herausbrachte. Vor allem die anfängliche Viertelstunde von Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey dürfte für den durchschnittlichen Kinogänger zu der damaligen Zeit ein Schlag ins Gesicht gewesen sein, fällt in dieser Zeitspanne doch kein einziger Dialog. Stattdessen beherrschten Kubricks epische Bilder, unterstützt von Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“ die Leinwand während man Zeuge der Entstehung des Menschen wurden. Von stetem Trommelwirbel untermalt und das alles in der Weite einer kargen Landschaft. Ein audiovisueller Sog in das Geschehen, etwas anderes, unkonventionelles – Kubrick eben. Der Mann lässt sich nicht hetzen und bereitet mit seinen Bildern stattdessen die Bühne für die Entwicklung, welche der Film im Begriff ist, innerhalb der nächsten zwei Stunden einzunehmen. Man wird große Bilder sehen und eine große Geschichte erzählen, die sich um eine einzige Figur drehen wird, den Protagonisten bzw. seinem Kampf mit dem Antagonisten. 2001 ist ein großer Film, ein ohne Frage streitbarer Film, den manche für ein Meisterwerk halten, das seinesgleichen sucht und andere wiederum als selbstverliebt und überschätzt erachten. Ähnlich verhält es sich auch mit Paul Thomas Anderson, bei dem sich ebenfalls die Geister scheiden. Gefeiert für seine Independent-Meisterwerke Boogie Nights, Magnolia und Punch-Drunk Love, von den Kritikern vergöttert, von anderen nicht sonderlich geschätzt. All das konnte Anderson dann noch mal toppen mit seinem letzten Film There Will Be Blood, der acht Oscarnominierungen erhielt und Anderson selbst den Silbernen Bären der Berlinale brachte.

Es ist das Jahr 1898 und in der kargen Landschaft Kaliforniens arbeitet ein bärtiger Mann in einem Untergrundstollen. Es handelt sich um Daniel Plainview (Daniel Day-Lewis) und nachdem er etwas geschürft hat, bringt er eine Stange Dynamit in dem Stollen an und sprengt das Gestein. Als er sein Werk begutachten will, bricht seine Leiter und er stürzt in den Stollen, am Bein verletzt. Doch er hat gefunden, was er gesucht hat, zieht sich mühevoll aus dem Stollen und schafft es in die Stadt. Dort kehrt er mit anderen Männern zurück und sie beginnen Öl zu fördern, einer der Männer versorgt dabei seinen neugeborenen Sohn. Eines Tages arbeiten Daniel und ebenjener Mann gemeinsam im Ölloch, doch durch einen Unfall wird sein Gegenüber tödlich verletzt. Fortan kümmert sich Plainview um das neugeborene und nennt den Jungen H.W. (Dillon Freasier), reist mit ihm als seinen Partner durch die Gegend und versucht durch sein Engelsgesicht die Farmer zum Verkauf ihrer Grundstücke zu bewegen. Plainview, der sehr erfolgreich Öl fördert und sich bereits ein ordentliches Vermögen erarbeitet hat, wird eines Tages von dem unsicheren Paul (Paul Dano) aufgesucht, der ihm versichert auf dem Land seiner Familie finde sich Öl. Unter falschen Vorsätzen besuchen Plainview und H.W. das Land der Sundays und stoßen tatsächlich auf Öl. Über einen Kompromiss kann sich Plainview mit dem Farmersohn Eli Sunday (Paul Dano) auf einen Verkauf des Landes einigen und mit Versprechungen für die Gemeinde beginnt Plainview den Aufkauf der umliegenden Länder und der Schöpfung des Öls. Dabei bleibt er vor Auseinandersetzungen mit H.W. und allen voran Eli nicht gefeit.

Wer Kubricks Einleitung zu 2001 kennt, der kommt nicht umhin Parallelen zu Andersons Einstieg in There Will Be Blood festzustellen. Die karge Landschaft, die Sprachlosigkeit im wahrsten Sinne des Wortes, das audiovisuelle Erlebnis mit einem Theme, welches nicht von ungefähr an Kubricks Meisterwerk erinnert. Die ersten zehn Minuten haben dieselbe Wirkung auf den Zuschauer, wie es einst bei Kubricks Film der Fall war. In ihrer bildhaften Simplizität erschaffen sie einen Sog, der den Zuschauer in seinen Bann zieht. Auch die nachfolgende Dreiviertelstunde steht noch ganz unter diesem Motto und es gelingt Anderson meisterhaft in die Atmosphäre des anfänglichen 20. Jahrhunderts einzutauchen. Diese erste Stunde gehört einzig und allein Daniel Day-Lewis, der sein Portrait des Daniel Plainview faszinierend spielt und dabei mit einem bloßen Blick seiner Augen oder einem einfachen Verziehen seiner Mundwinkel mehr auszudrücken vermag, als andere Schauspieler mit ganzen Monologen. Wer diese erste Stunde gesehen hat, wird nicht an der Entscheidung der Academy zweifeln, den Iren für eine Auszeichnung als Bester Hauptdarsteller nominiert zu haben – alles andere wäre Blasphemie gewesen. Anderson leugnet auch nicht die Figur des Daniel Plainview explizit mit Day-Lewis im Kopf geschrieben zu haben und so ist There Will Be Blood eigentlich auch sehr gut als „Die Daniel Day-Lewis-Show“ zu bezeichnen, neben dessen Leistung ein fabelhafter Johnny Depp in Sweeney Todd oder Viggo Mortensen in Eastern Promises wie Laiendarsteller zu wirken vermögen – der Oscar war ihm somit sicher.


Erdöl wurde bereits im 16. Jahrhundert in Amerika gefördert, damals noch von den Ureinwohnern, die das Öl mit anderen Substanzen vermischten und es dazu nutzen ihre Alltagsgegenstände wie Kanus wasserdicht zu machen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts stiegen mit der steigenden Industrialisierung auch der Bedarf und die Nachfrage nach dem Öl rapide, da man Brennstoffe und Schmiermittel bedurfte. Durch die Ölvorkommen im Westen brach zu dieser Zeit eine Art neuer „Goldrausch“ aus und der Reichtum schien unter der Erde zu finden sein. In Kalifornien wurde dabei erstmals 1892 von Edward Doheney auf Öl gestoßen und ebenjener Doheney wuchs auch zu einem der reichsten Bürger Amerikas. Eine andere illustre Gestalt, die dem Erdöl ihr Vermögen zu verdanken hat, war John Rockefeller. Es sollte das Blut der Erde fließen und zugleich das Blut seiner Schöpfer fordern, denn hunderte von Männern kamen bei ihren Arbeiten durch Einstürze der Bohrtürme oder Werkzeug zu Tode. So ergibt sich auch Andersons Titel, der diese Ambivalenz ausdrückt, denn es fließt Blut, sowohl das der Erde, aber auch das von Menschen, die mit diesem Geschäft zu tun haben. Inspirieren ließ sich Anderson von einem 1927 erschienenen Roman von Upton Sinclair, der unter dem Titel Oil! erschien und die Korruption und Ausbeutung der amerikanischen Ölindustrie anhand des Wirkens des Öltycoons J. Arnold Rose beschreibt. In diesem Zusammenhang gerät Rose in einen Konflikt mit einem Sohn einer Predigerfamilie. Die ersten 150 Seiten von Sinclairs Roman, genauso wie John Huston The Treasure of the Sierra Madre – den sich Anderson beim Schreiben des Drehbuchs jeden Abend vor dem Einschlafen angesehen haben soll – bilden dabei die Basis, aus der heraus Anderson seine eigene Geschichte kreierte, die schließlich für acht Academy Awards nominiert wurde.

Im Gegensatz zu seinen vorherigen Filmen nimmt sich Anderson diesmal keine verspielte Geschichte vor, sondern inszeniert ganz bewusst ein Epos bzw. versucht ein solches zu inszenieren. In elegischen Bildern wird das Amerika um die Jahrhundertwende dargestellt, noch trostlose Gegenden, die dürr weil ohne Wasserzufuhr sind. Durchbrochen wird dieses Bild von einem Inbegriff des amerikanischen Traums, wenn der Silberschürfer Plainview sein erstes Ölfeld anlegt. Wie das Gold verkörpert auch das Öl den Inbegriff des schnellen Reichtums und Plainview bildet hierfür das Forum. Er will mehr und mehr Geld verdienen, ohne sich dabei daran zu erfreuen, sodass er eine Art Dagobert Duck darstellt. Weder an Frauen noch an Luxus wird er sich ergötzen, auch an seinem Adoptivsohn findet er kaum Gefallen. Dennoch empfindet er Gefühle für den Jungen und als er bei einem Unfall verletzt wird kümmert er sich so gut es ihm wegen seines Charakters möglich ist um H.W. Das Problem Plainviews ist seine Misanthropie, sein Neid und Hass auf alles Menschliche, niemandem gönnt er etwas, niemandem vertraut er („I hate most people“). Auch nicht seinem engsten Mitarbeiter Fletcher (Cirián Hinds), denn immer hat Plainview lediglich H.W. um sich wenn es um Geschäfte geht. Später wird es sein Halbbruder Henry sein, der Daniel aufsucht, sodass er lediglich seine Familie um sich haben will und sich lediglich dieser gegenüber etwas öffnet. Plainview ist ein toter Mann, ohne Leben und ohne Liebe, mit einem kalten Herz, der zwar manchmal menschlich sein will – man denke an den Tod eines Arbeiters oder den Abend nach H.W.s Unfall – aber diese Rolle einfach nicht auszufüllen vermag.

Wie angesprochen, die erste Hälfte von Andersons Film ist ein Meisterwerk, schnörkellos gefilmt, in großartigen Bildern mit genialer Musik von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood. Sich ausgerechnet bei einem solchen Epos gegen einen Komponisten zu entscheiden und einen Musiker mit dem Soundtrack zu beauftragen, spricht für Andersons Charakter und geht in There Will Be Blood absolut auf. Die Musik ist das Herz des Filmes und zweifellos seine größte Stärke. Ins Stolpern gerät der Film nach der ersten Hälfte, wenn er sich stark mit der Figur des Wunderpredigers Eli Sunday beschäftigt und Plainview zwischenmenschlich im Kreis bewegen lässt. Andersons stolpert und kann sich nicht mehr fangen, fällt stattdessen brutal auf die Nase, das Ende spricht hierfür Bände und fasst noch mal all das zusammen, was in der zweiten Hälfte schief gelaufen ist. Das größte Problem ist die Figur von Eli Sunday, die schon für sich genommen schwer ertragbar ist und durch das overacting Paul Danos – der für die Rolle ursprünglich gar nicht vorgesehen war – noch verstärkt wird. Der Konflikt zwischen beiden Figuren dreht sich im Kreis, wie Anderson ohnehin keine wirkliche Richtung für seine Geschichte zu finden scheint. Unentwegt aufs Neue stellt er seine Titelfigur einem Konflikt gegenüber, sei es Eli, H.W. oder der vermeintliche Halbbruder Henry. Jener ist der Inbegriff der Redundanz in Andersons Film, vermittelt sein Auftreten doch keinerlei neue Informationen – weder für die Geschichte noch für das Verständnis der Figur. Dabei ist der Schlüssel zu Plainview nicht in seiner Beziehung zu Eli oder Henry zu finden, sondern in H.W. Jener ist von Beginn an das konträre Gegenstück zu seinem Vater. Sein Gewissen plagt ihn, er fragt nach der Beteiligung der Sunday-Familie und druckst später um das Thema herum, als ihn ein Familienmitglied darauf anspricht. Ein Ölmann mit Herz, all das was Plainview stets vorgaukelte zu sein. Jene Vater-Sohn-Beziehung vernachlässigt Anderson in seinem Versuch ein gezwungenes Meisterwerk zu inszenieren. Dabei lässt er sich von großen Bildern anderer Regisseure wie Kubrick oder Cimino anleiten, ohne jedoch seine Handlung wirklich stringent zu einem Ende bringen zu können. So ist There Will Be Blood ein gut gemachter Film, allerdings ohne Seele.

7.5/10 - erschienen bei Wicked-Vision

3 Kommentare:

  1. Größtenteils Zustimmtung, vorallem zu ersten Hälft, die wirklich grandios ist. Zu Eli denke ich, dass es mehr an der Figur als am Overacting liegt, denn dieser "Exorzismus" sieht wohl auch in der Realität so aus... Der Schluss hat immerhin einen Pluspunkt: "I drink your milkshake!" :D

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  2. Sind wir noch einmal runtergegangen mit der Wertung? ;)

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  3. Nein, die war noch nie höher als 7.5. Ich glaub ich hab sogar von 7 auf 7.5 erhöht nach der DVD-Zweitsichtung.

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