(No Country for Old Men, p. 234)
Was soll man groß zu einem Film schreiben, den die halbe Bloggersphäre bereits rezensiert hat und dessen grober Inhalt bzw. Terror seiner Figur Anton Chigurh auch den meisten schon bekannt sind? Braucht man zu einem solchen Film überhaupt noch eine weitere Kritik? Und wenn ja, wie fängt man diese an? Vielleicht mit einem Satz, wie er paradoxer nicht sein könnte: „Hübsch ist Javier Bardem gewiss nicht“. Was ein Satz, optimal um mit jemanden in ein Gespräch zu geraten, am besten noch zu No Country For Old Men, dem aktuellen Film mit Bardem. Javier Bardem ist nicht hübsch, findet zumindest Stern-Redakteurin Christine Kruttschnitt, wie sich in der aktuellen zehnten Ausgabe des Magazins nachlesen lässt. Hübsch ist Javier Bardem gewiss nicht, allein sein „Zinken“, wie die gute Frau Kruttschnitt Bardems Riechorgan tituliert. Trotzdem verdammt sie ihn zum „Sexsymbol“, wohl weil er Spanier und daher Latino ist – Latinos müssen Sexsymbole sein, auch wenn sie nicht hübsch sind. Nicht nur Bardem bekommt sein Fett weg in Kruttschnitts Bericht, auch Johnny Depp wird von ihr charakterisiert als Mann der „drollige Irre spielt“. Da hat scheinbar jemand Pirates of the Caribbean gesehen, jemand der bei Daniel Day-Lewis sieht, dass dieser in seinen Rollen seine „Seele“ offen legt, wie man in seinen soziopathischen Figuren in Gangs of New York und There Will Be Blood sehen kann. Bardem ist nicht hübsch – Kruttschnitt wiederholt dies selbst mehrfach in ihrem Artikel, man möge mir meine Redundanz also verzeihen – und die Autorin wird nicht müde zu verraten, wer denn nun eigentlich ihrer Meinung nach hübsch sei. Kruttschnitt blickt ihren eigenen Worten nach sehnsuchtsvoll nach Australien und stößt ein „Russell!“ (Crowe, Anm. d. Red) aus, während ich mich allmählich frage, wie so jemand Redakteurin werden konnte, wie so jemand überhaupt in Printmedien schreiben darf.
Wer noch nichts über den Inhalt des Filmes weiß, dem sei nunmehr folgende Einleitung gegeben: der pensionierte Vietnamkriegsveteran und leidenschaftliche Jäger Llewelyn Moss (Josh Brolin) findet in der texanischen Einöde mehrere leerstehende Pickups und dazugehörige Leichen. Nebst einer Menge mexikanischen Heroins stößt er auch auf einen Handkoffer voller Millionen von Dollar. Sein Schicksal kommen sehend, steckt er das Geld dennoch ein und muss alsbald um sein Leben fürchten und seine Frau Carla Jean (Kelly MacDonald) zu ihrer Mutter nach Odessa schicken. Einer der vielen Männer die hinter Llewelyn her sind ist Anton Chigurh (Javier Bardem – im übrigen nicht sonderlich hübsch, hab ich gelesen), ein psychopathischer Auftragskiller. Auf der Spur von Chigurh befindet sich der zuständige Sheriff Ed Tom Bell (Tommy Lee Jones), der hinter dessen Leichen aufräumen darf, während mit Carson Wells (Woody Harrelson) ein weiterer Auftragskiller angeheuert wird, der Chirgurh ausschalten soll. Während Moss mit nach einem blutigen Aufeinandertreffen mit Chigurh nach Mexiko flieht, versucht Bell bei Carla Jean auf Informationen zu stoßen, die ihm helfen könnten Llewelyn vor seinem unausweichlichen Schicksal zu retten, während Chigurh die Schlinge um alle Beteiligten etwas enger zieht. Immer dabei sein Bolzenschussgerät und seine Münzen, dies alles in einem Land, das wahrlich kein Land mehr ist für alte Männer, ein Land voller Gewalt und Drogen.
Zurück zu Frau Kruttschnitt, die, nachdem sie eine halbe Seite lang über Bardems Aussehen geurteilt hat, schließlich noch in zwei Sätzen ihre Meinung zu No Country for Old Men kundtut, dabei in dem Satz kulminiert, dass „die halsbrecherische Flucht vor einem Hund“ schon alleine „das Eintrittsgeld lohnt“ und dem Film dann doch nur vier von fünf Sternen vergibt. Ob Brolins Flucht vor einem Hund – welche an sich nicht einmal eine solche ist, da er vielmehr vor den Mexikanern mit den Schrottflinten flieht – tatsächlich das Eintrittsgeld wert ist, das sei den Mann-flieht-vor-Hund-Filmfetischisten überlassen. Es finden sich jedoch auch sonst kaum schlechte Worte, über das neueste Werk von Joel Coen und seinem Bruder Ethan Coen, die vergangene Woche mit drei Oscars (bzw. eigentlich sechs) ausgezeichnet wurden. Manch ein Blogger beschreibt den Film, als „das sehnlich erhoffte Meisterwerk“, ein anderer hingegen meint er „ist schlichtweg perfekt“ und „hebt sich (…) bisweilen meilenweit von seinen Kollegen ab“. Förmlich überschlagen sich die Lobpreisungen für die Adaption von Pulitzerpreisträger Cormac McCarthys 2005 erschienenem Western-Thriller des gleichen Namens, auch wenn mancher einer der begeisterten Blogger eine „recht lose Verfilmung“ gesehen haben will. Dabei haben sich die Coens ziemlich exakt an McCarthys Vorlage gehalten, neben ganzen Dialogen auch die Chronologie des Romans übernommen, dabei gut zweieinhalb Seiten pro Minute auf Zelluloid gebannt.
Erstaunlich, dass der in Rhode Island geborene US-Autor sein Werk im typischen texanischen Slang geschrieben hat, dabei ein überaus dialoglastiges und mitunter nichtssagendes Werk erschaffend, welches doch versucht ein Statement abzugeben über ein Land, eine Generation, eine Zeit. Kein Land für alte Männer, geschrieben von einem solchen alten Mann, hierbei einen anderen alten Mann, Sheriff Ed Tom Bell, als Erzähler inthronisierend. Seine Sätze wirken oft ärmlich konstruiert, durch die unglaubliche vielfache Verwendung des Bindegliedes „und“ zusammengehalten. Dabei gelingt es McCarthy eine starke, umklammernde Atmosphäre zu schaffen, Llewelyn auf seiner Flucht und Chirgurh auf seiner Jagd begleitend. Jedes Kapitel wird eingeführt durch die Gedankenspielereien von Sheriff Bell, die sich meist überhaupt nicht mit dem Fall Moss/Chigurh beschäftigen, sondern mit dem Verfall der Sitten und Bells Privatleben. Seine Geschichte lebt vor allem von dem trockenen Humor von Llewelyn Moss (“The point is there aint no point.“, p. 227) und der Kaltblütigkeit von Chigurh, Bell selbst spielt kaum eine bis gar keine Rolle, ist lediglich der alte Mann im falschen Land, die persona rationalis der Geschichte mit der sich der Zuschauer verbunden fühlen kann. In einer Szene, im Film wie im Buch, referiert Bell einen Zeitungsartikel über ein Pärchen, dass Rentner umbrachte und erst überführt werden konnte, als eines der Opfer mit Hundehalsband vom Grundstück floh. Aus reiner Ungläubigkeit muss Bell hier lachen, wie wohl die meisten rationalen Menschen verzweifelt mit dem Kopf schütteln mögen und sich fragen, wo das mit unserer Gesellschaft eigentlich noch hinführen soll.
Sein lediglich 306 Seiten langer Roman – ohnehin mit sehr großzügigem Zeilenabstand und Schriftgröße gedruckt – bricht dann schließlich in seinen letzten vierzig Seiten ein, als McCarthy seine eigentliche Geschichte erzählt hat und nur noch vor sich hin schwadroniert. Man entfernt sich von der Handlung und Bell fokussiert die Geschichte auf sich selbst, ein zusammenhangloses Geheimnis seiner Vergangenheit entlüftend. Ein überdurchschnittlicher Roman wird hier von seinem Autor gegen die Wand gefahren und gerade diese Facette, die der Vorlage das Genick bricht, wird von den Coens glücklicherweise ausgelassen. Bells philosophische Auswüchse werden auf ein Minimum reduziert, seine Vergangenheit und sein Privatleben bleiben im Grunde unangetastet. Der Fehler den die beiden Brüder allerdings begehen, ist die Dialogen der Geschichte zu kürzen. Die Geschichte, die eigentlich von ihren Dialogen lebt (Herzstück ist dabei der Dialog zwischen Llewelyn und einem weiblichen Tramper, deren Figur im Film ganz fehlt), wird hier im Grunde massakriert. Die großartigen Gespräche von Llewelyn mit seiner Frau, Carson Wells und dem weiblichen Tramper, zwischen Ed Tom Bell und seinem Deputy oder zwischen ihm und Carla Jean, all diese wunderbaren Dialoge – die im Endeffekt keinen Inhalt haben und doch durch ihre Inhaltslosigkeit einen solchen versprühen – sind im Film auf ein Mindestmaß, auf ihre Essenz komprimiert. Die Coens begrenzen die Dialoge auf den Inhalt, den sie eigentlich erfüllen und schreiten zur nächsten Szene fort.
Dies führt dazu, dass das, was in der Vorlage das Herz der Geschichte war (auch wenn es mit der Geschichte selbst nichts zu tun hatte, diese jedoch zusammenhielt), dem Film völlig abgeht. Was die Coens erschaffen haben, ist ein technisch perfekt gemachter Film, um wieder auf ein Zitat eines Bloggerkollegen zurückzugreifen, No Country for Old Men ist „wie zwei Stunden in einem Filmwissenschaftsseminar zu sitzen“. Licht, Kamera, die Einstellungen, Ausleuchtung, alles stimmt, man könnte nicht wirklich etwas kritisieren – auch das Fehlen jeglicher Musik bemerkt man nicht wirklich, da sie eigentlich nicht notwendig ist. Was dem Film schließlich fehlt, ist eine Seele und dies liegt nicht an Anton Chigurh oder der Brutalität der Geschichte, sondern daran, dass man die Geschichte des Filmes leblos erzählt, ohne Emotion, ohne Hingabe. Viel wichtiger scheint dem Regisseur-Autoren-Produzenten-Brüderpaar die visuelle Umsetzung gewesen zu sein, die reine Formalität von McCarthys Geschichte adaptierend und ebenjene essenziellen Dialoge auslassend. Da jene wie angesprochen das Herz der Geschichte sind, fehlt dem Film der Coens eben dieses Herz. Er ist kalt, leb- und lieblos, berührt einen nicht und wird einem nach einer gewissen Zeit schnurzegal. Die Figuren erhalten keine Tiefe, so wie man Carson Wells einbaut, braucht man ihn eigentlich auch gar nicht einbauen, seine Charakterisierung, die sich vor allem im finalen Dialog mit Chigurh findet, wird hier von den Coens umgeändert, ähnlich wie es später in der Szene mit Carla Jean der Fall sein wird. Durch das Umschreiben beider Figuren geht auch ein wichtiger Hinweis zum Verständnis von Chigurhs Person verloren.
Vergleicht man No Country for Old Men mit den früheren Filmen der Coens, so fällt einem merkbar auf, dass ihnen bei ihrem letzten Werk die Liebe gefehlt zu haben scheint, zu dem, was sie da erschaffen haben. Dagegen ist gerade Fargo eine Liebeserklärung an seine Figuren und seine Geschichte, wie es auch bei Barton Fink, The Big Lebowski oder selbst dem grausigen Ladykillers-Remake der Fall war. No Country for Old Men ist einfach nur ein Film, nicht mehr und nicht weniger, es gelingt zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche Beziehung zu seinen Charakteren aufzubauen. Die Oscarverleihung der letzte Woche reflektierend lässt sich sagen, dass es eigentlich nur einen Oscargewinner als Besten Film geben konnte und das war der Film der Coens. Schließlich wählt die Academy seit Jahren traditionell den überbewertesten Film zum Preisträger, sodass in der Tat nur There Will Be Blood noch ernsthafte Konkurrenz war. Wie es im Jahr zuvor der Fall war, durften die Coens ihren lang verdienten Oscar als beste Regisseure für einen durchschnittlichen Film entgegennehmen und die Ironie setzt sich auch bei der Auszeichnung für das beste adaptierte Drehbuch fort, welches wie selbstverständlich nicht an die gelungeneren Atonement oder Le scaphandre et le papillon ging. Hübsch ist Javier Bardem gewiss nicht, eine Aussage, die wirklich falscher nicht sein könnte. Bardem ist ohne Frage hübsch und er ist ohne Frage ein guter und überzeugender Schauspieler, reflektiert man seine Leistung in No Country for Old Men, ist es ein kleiner Skandal, dass der überzeugendere Casey Affleck für seine Leistung in The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford übergangen wurde. Aber was ist man von der Academy schon anderes gewohnt? Und mit den Lieblingsworten von Sheriff Ed Tom Bell aus McCarthys Roman endend: “That’s that to that“.
6.5/10
Wer noch nichts über den Inhalt des Filmes weiß, dem sei nunmehr folgende Einleitung gegeben: der pensionierte Vietnamkriegsveteran und leidenschaftliche Jäger Llewelyn Moss (Josh Brolin) findet in der texanischen Einöde mehrere leerstehende Pickups und dazugehörige Leichen. Nebst einer Menge mexikanischen Heroins stößt er auch auf einen Handkoffer voller Millionen von Dollar. Sein Schicksal kommen sehend, steckt er das Geld dennoch ein und muss alsbald um sein Leben fürchten und seine Frau Carla Jean (Kelly MacDonald) zu ihrer Mutter nach Odessa schicken. Einer der vielen Männer die hinter Llewelyn her sind ist Anton Chigurh (Javier Bardem – im übrigen nicht sonderlich hübsch, hab ich gelesen), ein psychopathischer Auftragskiller. Auf der Spur von Chigurh befindet sich der zuständige Sheriff Ed Tom Bell (Tommy Lee Jones), der hinter dessen Leichen aufräumen darf, während mit Carson Wells (Woody Harrelson) ein weiterer Auftragskiller angeheuert wird, der Chirgurh ausschalten soll. Während Moss mit nach einem blutigen Aufeinandertreffen mit Chigurh nach Mexiko flieht, versucht Bell bei Carla Jean auf Informationen zu stoßen, die ihm helfen könnten Llewelyn vor seinem unausweichlichen Schicksal zu retten, während Chigurh die Schlinge um alle Beteiligten etwas enger zieht. Immer dabei sein Bolzenschussgerät und seine Münzen, dies alles in einem Land, das wahrlich kein Land mehr ist für alte Männer, ein Land voller Gewalt und Drogen.
Zurück zu Frau Kruttschnitt, die, nachdem sie eine halbe Seite lang über Bardems Aussehen geurteilt hat, schließlich noch in zwei Sätzen ihre Meinung zu No Country for Old Men kundtut, dabei in dem Satz kulminiert, dass „die halsbrecherische Flucht vor einem Hund“ schon alleine „das Eintrittsgeld lohnt“ und dem Film dann doch nur vier von fünf Sternen vergibt. Ob Brolins Flucht vor einem Hund – welche an sich nicht einmal eine solche ist, da er vielmehr vor den Mexikanern mit den Schrottflinten flieht – tatsächlich das Eintrittsgeld wert ist, das sei den Mann-flieht-vor-Hund-Filmfetischisten überlassen. Es finden sich jedoch auch sonst kaum schlechte Worte, über das neueste Werk von Joel Coen und seinem Bruder Ethan Coen, die vergangene Woche mit drei Oscars (bzw. eigentlich sechs) ausgezeichnet wurden. Manch ein Blogger beschreibt den Film, als „das sehnlich erhoffte Meisterwerk“, ein anderer hingegen meint er „ist schlichtweg perfekt“ und „hebt sich (…) bisweilen meilenweit von seinen Kollegen ab“. Förmlich überschlagen sich die Lobpreisungen für die Adaption von Pulitzerpreisträger Cormac McCarthys 2005 erschienenem Western-Thriller des gleichen Namens, auch wenn mancher einer der begeisterten Blogger eine „recht lose Verfilmung“ gesehen haben will. Dabei haben sich die Coens ziemlich exakt an McCarthys Vorlage gehalten, neben ganzen Dialogen auch die Chronologie des Romans übernommen, dabei gut zweieinhalb Seiten pro Minute auf Zelluloid gebannt.
Erstaunlich, dass der in Rhode Island geborene US-Autor sein Werk im typischen texanischen Slang geschrieben hat, dabei ein überaus dialoglastiges und mitunter nichtssagendes Werk erschaffend, welches doch versucht ein Statement abzugeben über ein Land, eine Generation, eine Zeit. Kein Land für alte Männer, geschrieben von einem solchen alten Mann, hierbei einen anderen alten Mann, Sheriff Ed Tom Bell, als Erzähler inthronisierend. Seine Sätze wirken oft ärmlich konstruiert, durch die unglaubliche vielfache Verwendung des Bindegliedes „und“ zusammengehalten. Dabei gelingt es McCarthy eine starke, umklammernde Atmosphäre zu schaffen, Llewelyn auf seiner Flucht und Chirgurh auf seiner Jagd begleitend. Jedes Kapitel wird eingeführt durch die Gedankenspielereien von Sheriff Bell, die sich meist überhaupt nicht mit dem Fall Moss/Chigurh beschäftigen, sondern mit dem Verfall der Sitten und Bells Privatleben. Seine Geschichte lebt vor allem von dem trockenen Humor von Llewelyn Moss (“The point is there aint no point.“, p. 227) und der Kaltblütigkeit von Chigurh, Bell selbst spielt kaum eine bis gar keine Rolle, ist lediglich der alte Mann im falschen Land, die persona rationalis der Geschichte mit der sich der Zuschauer verbunden fühlen kann. In einer Szene, im Film wie im Buch, referiert Bell einen Zeitungsartikel über ein Pärchen, dass Rentner umbrachte und erst überführt werden konnte, als eines der Opfer mit Hundehalsband vom Grundstück floh. Aus reiner Ungläubigkeit muss Bell hier lachen, wie wohl die meisten rationalen Menschen verzweifelt mit dem Kopf schütteln mögen und sich fragen, wo das mit unserer Gesellschaft eigentlich noch hinführen soll.
Sein lediglich 306 Seiten langer Roman – ohnehin mit sehr großzügigem Zeilenabstand und Schriftgröße gedruckt – bricht dann schließlich in seinen letzten vierzig Seiten ein, als McCarthy seine eigentliche Geschichte erzählt hat und nur noch vor sich hin schwadroniert. Man entfernt sich von der Handlung und Bell fokussiert die Geschichte auf sich selbst, ein zusammenhangloses Geheimnis seiner Vergangenheit entlüftend. Ein überdurchschnittlicher Roman wird hier von seinem Autor gegen die Wand gefahren und gerade diese Facette, die der Vorlage das Genick bricht, wird von den Coens glücklicherweise ausgelassen. Bells philosophische Auswüchse werden auf ein Minimum reduziert, seine Vergangenheit und sein Privatleben bleiben im Grunde unangetastet. Der Fehler den die beiden Brüder allerdings begehen, ist die Dialogen der Geschichte zu kürzen. Die Geschichte, die eigentlich von ihren Dialogen lebt (Herzstück ist dabei der Dialog zwischen Llewelyn und einem weiblichen Tramper, deren Figur im Film ganz fehlt), wird hier im Grunde massakriert. Die großartigen Gespräche von Llewelyn mit seiner Frau, Carson Wells und dem weiblichen Tramper, zwischen Ed Tom Bell und seinem Deputy oder zwischen ihm und Carla Jean, all diese wunderbaren Dialoge – die im Endeffekt keinen Inhalt haben und doch durch ihre Inhaltslosigkeit einen solchen versprühen – sind im Film auf ein Mindestmaß, auf ihre Essenz komprimiert. Die Coens begrenzen die Dialoge auf den Inhalt, den sie eigentlich erfüllen und schreiten zur nächsten Szene fort.
Dies führt dazu, dass das, was in der Vorlage das Herz der Geschichte war (auch wenn es mit der Geschichte selbst nichts zu tun hatte, diese jedoch zusammenhielt), dem Film völlig abgeht. Was die Coens erschaffen haben, ist ein technisch perfekt gemachter Film, um wieder auf ein Zitat eines Bloggerkollegen zurückzugreifen, No Country for Old Men ist „wie zwei Stunden in einem Filmwissenschaftsseminar zu sitzen“. Licht, Kamera, die Einstellungen, Ausleuchtung, alles stimmt, man könnte nicht wirklich etwas kritisieren – auch das Fehlen jeglicher Musik bemerkt man nicht wirklich, da sie eigentlich nicht notwendig ist. Was dem Film schließlich fehlt, ist eine Seele und dies liegt nicht an Anton Chigurh oder der Brutalität der Geschichte, sondern daran, dass man die Geschichte des Filmes leblos erzählt, ohne Emotion, ohne Hingabe. Viel wichtiger scheint dem Regisseur-Autoren-Produzenten-Brüderpaar die visuelle Umsetzung gewesen zu sein, die reine Formalität von McCarthys Geschichte adaptierend und ebenjene essenziellen Dialoge auslassend. Da jene wie angesprochen das Herz der Geschichte sind, fehlt dem Film der Coens eben dieses Herz. Er ist kalt, leb- und lieblos, berührt einen nicht und wird einem nach einer gewissen Zeit schnurzegal. Die Figuren erhalten keine Tiefe, so wie man Carson Wells einbaut, braucht man ihn eigentlich auch gar nicht einbauen, seine Charakterisierung, die sich vor allem im finalen Dialog mit Chigurh findet, wird hier von den Coens umgeändert, ähnlich wie es später in der Szene mit Carla Jean der Fall sein wird. Durch das Umschreiben beider Figuren geht auch ein wichtiger Hinweis zum Verständnis von Chigurhs Person verloren.
Vergleicht man No Country for Old Men mit den früheren Filmen der Coens, so fällt einem merkbar auf, dass ihnen bei ihrem letzten Werk die Liebe gefehlt zu haben scheint, zu dem, was sie da erschaffen haben. Dagegen ist gerade Fargo eine Liebeserklärung an seine Figuren und seine Geschichte, wie es auch bei Barton Fink, The Big Lebowski oder selbst dem grausigen Ladykillers-Remake der Fall war. No Country for Old Men ist einfach nur ein Film, nicht mehr und nicht weniger, es gelingt zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche Beziehung zu seinen Charakteren aufzubauen. Die Oscarverleihung der letzte Woche reflektierend lässt sich sagen, dass es eigentlich nur einen Oscargewinner als Besten Film geben konnte und das war der Film der Coens. Schließlich wählt die Academy seit Jahren traditionell den überbewertesten Film zum Preisträger, sodass in der Tat nur There Will Be Blood noch ernsthafte Konkurrenz war. Wie es im Jahr zuvor der Fall war, durften die Coens ihren lang verdienten Oscar als beste Regisseure für einen durchschnittlichen Film entgegennehmen und die Ironie setzt sich auch bei der Auszeichnung für das beste adaptierte Drehbuch fort, welches wie selbstverständlich nicht an die gelungeneren Atonement oder Le scaphandre et le papillon ging. Hübsch ist Javier Bardem gewiss nicht, eine Aussage, die wirklich falscher nicht sein könnte. Bardem ist ohne Frage hübsch und er ist ohne Frage ein guter und überzeugender Schauspieler, reflektiert man seine Leistung in No Country for Old Men, ist es ein kleiner Skandal, dass der überzeugendere Casey Affleck für seine Leistung in The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford übergangen wurde. Aber was ist man von der Academy schon anderes gewohnt? Und mit den Lieblingsworten von Sheriff Ed Tom Bell aus McCarthys Roman endend: “That’s that to that“.
6.5/10
Also da kommen wir auf keinen gemeinsamen Nenner, ich sehe schon. Mag sein, dass "No Country For Old Men" nicht besonders viel Seele und Herz hat, dass einem die Charaktere schwer verständlich bleiben; aber dann ist das doch auf der anderen Seite auch gerade wieder das, was den Film so gut macht: ein auf der Kinoleinwand entstehender riesiger schwarzer Abgrund, in den sich Menschen selber schmeissen oder hineingeschmissen werden und der letztlich auch den Zuschauer erreicht. Mich hat er zumindest erreicht, dieser Abgrund. Mich hat er letzlich wirklich sprachlos zurückgelassen.
AntwortenLöschenDa ist mir doch die Romanvorlage egal. Da ist mir doch egal, was die Academy normalerweise tut. Da ist mir doch egal, wie leicht auch ich mit dem Vorwurf der Überbewertung angeklagt werden könnte. Weil ich doch weiß, dass diese Anklage falsch ist. Und warum? Weil ich da war (hast du ja auch bereits gelesen), in diesem Abgrund.
Und er hatte ein Herz. Es war kalt.
Schade, dass dich das nicht erreichen konnte.
Deine Kritik ist trotzdem gut geschrieben.
Oha! TheRudi, auf dessen Wort ich mich in der Vergangenheit immer verlassen konnte, stützt im Nachhinein meine gestrige Entscheidung an der Kinokasse mich für There will be Blood zu entscheiden und No Country for Old Men ersteinmal auf die nächste Woche zu verschieben.
AntwortenLöschenMich hat er letzlich wirklich sprachlos zurückgelassen.
AntwortenLöschenMich auch, Knurru, aber aus anderen Gründen ;) Danke für das Lob am Schreibstil, deine Kritik zum Film zeigt ja nur die natürliche, unterschiedliche Rezeption von Filmen, an der nichts falsch ist/sein muss.
@tumulder: Naja, den Anderson fand ich ja auch nicht so prickelnd ;)
@TheRudi
AntwortenLöschenIm Gegensatz zu American Gangster habe ich nicht das Gefühl gehabt mir den Hintern umsonst platt gesessen zu haben.
Im großen und ganzen empfand ich das von dir kritisierte Overacting nicht so dramatisch. Irgendwie paßte die Darstellung in die Epoche. Vielleicht eine Hommage Andersons an die Zeit als die Bilder laufen lernten. Ich kann Deine Kritik jedoch nachvollziehen. 8/10 Punkte werde ich ihm geben.
Rudi, ähm: NÖ! Da scheinst Du ein Problem gehabt zu haben, die Vorlage vom Film zu trennen. Falls der Film der Vorlage nicht gerecht wird, kann ich Deinen Frust natürlich verstehen. Man hat es als Buchkenner nicht immer einfach mit den Filmen. Ich schließe mich aber den Worten Knurrus an. Deinen kleinen Rundumschlag zu lesen, war allerdings sehr amüsant ;-)
AntwortenLöschenUnabhängig davon, dass ich den Film auch nicht so hoch einschätze wie alle, muss ich meinem Vorredner zustimmen: Für mich abstrahierst du oft zu wenig von der Vorlage zur Adaption. Das zieht sich wie ein roter Faden durch alle Besprechungen dieses Blogs.
AntwortenLöschenDas mit der Vorlage ist wohl wahr, für mich funktioniert der Film aber erst recht nicht, wenn man die Vorlage nicht kennt oder berücksichtigt, dadurch werden die Figuren und die Handlung sogar noch lebloser.
AntwortenLöschen@MVV: So macher rote Faden findet sich allerdings auch in deinem Blog ;)
Nachtrag: Wenn ich behauptet haben sollte, der Film wird dem Buch nicht gerecht, dann nehme ich das zurück, ich finde der Film wird dem Buch sogar sehr gut gerecht. Was ich kritisierte war, dass die halbwegs gute Geschichte des Buches von den Dialogen zusammengehalten wurde und durch die starke Kürzung dieser bricht der Film auseinander. Das hat - zumindest in meinen Augen - nichts damit zu tun, dass ich den Film an dem Buch messe.
AntwortenLöschenIch konnte der meiner Neugierde nicht widerstehen und komme gerade aus dem Kino.
AntwortenLöschenRudi, obwohl ich Deinem Review zustimmen möchte hast Du einen ganz wichtigen Aspekt vergessen. Der Film ist technisch hervorragend, man kann sich gar nicht satt sehen an den perfekten Bildern. Dem perfekten Ton, den nahezu perfekten Darstellern. Wirklich, der Film scheint nahezu perfekt. Jede Szene für sich ein Gedicht. Doch er hat einen entscheidenden Fehler, den ich leider in noch keinem Review nachlesen konnte. Er ist im ganzen gesehen fürchterlich laaaaaaaaaangweeiiiilig!
@tumulder: Das technische hatte ich in dem Satz Licht, Kamera, die Einstellungen, Ausleuchtung, alles stimmt, man könnte nicht wirklich etwas kritisieren – auch das Fehlen jeglicher Musik bemerkt man nicht wirklich, da sie eigentlich nicht notwendig ist. kulminieren lassen - nach deinen Worten fällt mir auf, dass es aber nicht wirklich klar wird. Im stimme jedenfalls Rajko zu, dass der Film technisch perfekt ist, aber eben inhaltliche Schwächen aufweist.
AntwortenLöschenDa hast Du mich jetzt falsch verstanden. Ich wollte Dir eigentlich zustimmen, daß er ein technisch perfekter Film sei. Ich finde auch jede Szene für sich gesehen einfach nur hervorragend. Kann sogar einen Kontext zu Once Upon a Time herstellen. Nur fand ich alles zusammen gesehen ziemlich langweilig. Die letzte halbe Stunde mußte ich mit Sekundenschlaf kämpfen;) Das passiert mir nicht oft. No Country ist irgendwie ganz schwer zu bewerten. Jetzt gerade kommen mir wieder die Bilder ins Gedächtnis und ich merke wie angetan ich doch eigentlich im Nachhinein bin. Nur während des Filmes dachte ich auch des öfteren, jetzt übertreiben es die Coens aber mit der Zurückhaltung.
AntwortenLöschenVielleicht passt es hierher: Ich habe den Film nicht ganz so ausführlich, aber ähnlich lebhaft bemängelt. Am Abend vor der Oscar-Verleihung, weil ich schon geahnt habe, was da am Sonntag passieren würde. (http://american-arena.blogspot.com/
AntwortenLöschen2008/02/vor-der-oscar-verleihung-zwei-mcs-im.html - bitte Link zusammensetzen und auch die Kommentare lesen)
Zwei Dinge würde ich gerne noch hinzufügen: Bei mir kann man den extrem pressescheuen McCarthy im Interview erleben. Und ich habe sehr viel an der oft so gerühmten technischen Ausführung des Films auszusetzen. Natürlich hat das Werk seine Stärken, die sehr vieles überspielen. Aber wenn man genauer hinschaut, entdeckt man unrhythmische, unsinnige Schnitte, seltsame Kameraeinstellungen, die allenfalls leere Zeit-Punkte füllen, aber bildsprachlich absolut nichts bieten und nichts riskieren. Das ist ein durchschnittlicher Film, der weder Quentin Tarantino erreicht, wenn es um die ausgelebten Gewaltphantasien geht, noch die älteren Arbeiten der Coens (das wurde ja hier bereits unterstrichen und gut dargelegt). Wer den Film nur in der deutschen Fassung kennt, kennt ihn übrigens überhaupt nicht.
Rudi, nun habe ich den Film endlich auf der großen Leinwand gesehen und erlaube mir auch ein Urteil: NCFOM ist zwar der unpersönlichste Film der Gebrüder Coen aber dennoch einer ihrer besten. Die Zweifel, die ich nach dem ersten Sehen hatte, zerschlugen sich. Die Stimmung, das Tempo, der Schnitt, die Geräuschkulisse, die Garderobe, die Schauspieler, die Dialoge, die Kamera - alles großartig. Die Coens nehmen sich hier bewusst zurück. Hätte ich nicht gewusst, dass der Film von ihnen ist, ich bin mir nicht sicher, ob ich es erkannt hätte (etwas, dass ich von all ihren anderen Filmen frech behaupten würde!). Sie ordnen sich McCarthys Vorlage unter, filmen die erste Hälfte fast sklavisch ab, entfernen sich anschließend immer mehr von dem Roman, ohne jedoch dessen grundlegende Aussagen zu verraten.
AntwortenLöschenDeine Besprechung habe ich mir eben noch einmal gründlich durchgelesen. Deshalb muss ich jetzt leider noch den Oberlehrer raushängen lassen und etwas korrigieren, was du in deiner Rezension behauptest: Sheriff Ed Tom Bell ist keineswegs der Erzähler im Roman. Seine Gedanken leiten die Kapitel lediglich ein und sind deshalb kursiv hervorgehoben. Der Erzähler der Geschichte ist er aber nicht. Das ergäbe auch handlungsstrukturell überhaupt keinen Sinn.
Dass du das Werk für "überaus dialoglastiges und mitunter nichtssagend" hältst, sei dir freigestellt. Ich sehe das allerdings komplett anders. Doch es würde den Rahmen sprengen, ginge ich an dieser Stelle näher darauf ein. Ich stimme dir jedoch zu, dass einige der vielleicht besten Dialoge des Romans im Film ausgespart wurden. Doch das stört nicht, denn der Film funktioniert auch so. Und ein zwanghafter Werkvergleich ist meines Erachtens keine zulässige Methode für die Bewertung eines Films.
Vergleicht man No Country For Old Men mit den früheren Filmen der Coens, so fällt einem merkbar auf, dass ihnen bei ihrem letzten Werk die Liebe gefehlt zu haben scheint, zu dem, was sie da erschaffen haben.
Das könnte man auf den ersten Blick meinen. Nach der ersten Sichtung ging es mir ähnlich. Aber ich bin jetzt der festen Überzeugung, dass man so die Coens missversteht. Denn es ist nicht der Mangel an Liebe zu den Figuren, es ist die Kälte der Welt, die die Coens beschreiben wollen und die sich konsequenterweise in den Figuren spiegelt. Diese Kälte hält den Zuschauer auf Distanz, lädt ihn nicht dazu ein, die Charaktere umgehend ins Herz zu schließen. Es ist gewissermaßen der Kern der Geschichte, der Höhepunkt und das Ende: Die lebenserschütternde Verunsicherung eines alten Mannes, dessen Weltbild auf seine alten Tage noch einmal komplett aus den Fugen gerät. Ganz groß, wie Tommy Lee Jones in der letzten Szene, bei und nach der Schilderung seiner zwei Träume, eine solch gewaltige Angst in sein faltiges Gesicht meißelt. Diese Verunsicherung muss sich auf den Zuschauer übertragen - damit übertreffen die Coens sogar McCarthys Vorlage, denn dies hat er (zumindest bei mir) zu keinem Zeitpunkt auszulösen vermocht. Eine Beziehung zu den Figuren wird hier also anders aufgebaut: Weniger durch pure, hollyoodübliche emotionale Identifikation, sondern vielmehr im brechtschen Sinne durch eine überwiegend rationale Auseinandersetzung mit ihnen. Darauf muss man sich aber einlassen und den Film vielleicht auch ein zweites Mal sehen.