12. Juni 2011

Hanna

I just missed your heart.

Bei all den Stärken, die man Christopher Nolans Inception zu Gute halten kann (er ist, man kann es drehen und wenden wie man will, ein solider Action-Film), funktioniert er wohl nur so richtig, wenn man seine offensichtlichen narrativen Schwächen auszublenden versteht. Wenn das, was man erzählt bekommt, nicht nur keinen Sinn macht, sondern sogar unsinnig ist, muss der style die substance (beziehungsweise deren Logiklöcher) aufwiegen. Ähnlich verhält sich dies auch in Joe Wrights jüngster Auftragsarbeit Hanna, die wohl (bisher) am ehesten der Inception des Filmjahres 2011 ist. Wenn man möchte, ein solider Action-Film (mit stark europäischem Einschlag), der jedoch nur so richtig funktioniert, wenn man seine ganzen narrativen Schwächen auszublenden versteht.

Es lebt also Hanna (Saoirse Ronan) als gentechnisch veränderter Teenie in den verschneiten Wäldern Finnlands, wo man Elche noch selber erlegt. Wenn Hanna einen solchen anschießt, ihn auf einen zugefrorenen See jagt, um ihm dort zu verkünden, dass sie sein Herz verfehlt habe, mutet das weniger wie eine entschuldigende Botschaft denn wie ein sadistischer Hinweis einer Person an, deren Physis zu Gunsten von Empathie verbessert wurde. Aus Gründen, die keiner kennt, wird die friedliche Abgeschiedenheit (die ohnehin selbst gewählt, statt aufgezwungen ist) von der Protagonistin unterbrochen. Gegen den Rat des Vaters (Eric Bana) sucht Hanna den Kontakt zu jener US-Geheimdienstagentin (Cate Blanchett), die für den Mord an ihrer Mutter verantwortlich ist.

Die Agentin Marissa Wiegler reagiert mehr genervt als erfreut, der Vorfall scheint vergessen, die folgende Hatz (für die in grotesker Weise ein blondierter Tom Hollander als Reeperbahn-Kingpin und seine Bande Martial Arts Neo-Nazis engagiert werden) eher das letzte Kapitel eines Buches, das man nie zu Ende gelesen und ganz hinten im Regal einsortiert hatte. Aus Gründen, die keiner kennt, trennen sich Hanna und ihr Vater, um sich aus Gründen, die keiner kennt, in Berlin wieder zu treffen. Über unterschiedliche Wege prügeln und morden sie sich durch Europa, Hanna dabei, zur humoristischen Auflockerung des Publikums, Banden mit einer britischen Familie knüpfend, die irgendwo zwischen narzisstischer Posh-Gegenwart und Alt-68er-Gebarden hängen geblieben zu sein scheint.

Wer nun bereit ist, „die Plausibilität der Ereignisse immer wieder der suggestiven Wirkung des Gezeigten“ unterzuordnen (David Kleingers auf SpOn) wird sicherlich zufriedengestellt und mit „Kunst“ oder „Ultrakunst“ (abhängig vom Rezipienten) belohnt. Ob in diesem Fall der style die fehlende substance rechtfertigt, ist dem Zuschauer selbst überlassen. Wenn sich Saoirse Ronan als Minderjährige durch Europa kloppt, zu Elektro-Gedudel der Chemical Brothers aus den Boxen, gewürzt mit schicken Schnitten und ungewöhnlichen Set-Locations, dann lässt sich das sicherlich als Mainstream-Arthouse deklarieren. Ob jede Form von Arthouse gleich „art“, sprich: Kunst, darstellt, ist eine andere Frage (die im Netz allerdings fast durchgehend mit „ja“ beantwortet wird).

Das lose Handlungsgerüst trägt Hanna jedenfalls nur in den seltensten Fällen und wird auch nicht von ihrem prätentiösen Märchenkonstrukt - in dem sich Cate Blanchett als rothaarige Hexe mit grausigem Deutsch und einem Zahnhygienefetisch inklusive einer klischeehaften „evil Germans“-Entourage anbiedert - entschuldigt. Vielmehr sind die meisten Szenen ungemein anstrengend, am meisten die Marokko-Sequenz mit der absurd-liberalen britischen Familie (Jason Flemyng, Olivia Williams), die damit kokettiert, Coming-of-Age-Elemente zu integrieren, obschon diese albinohafte, asoziale Protagonistin ebenso wenig als Identifikationsfigur funktionieren will, wie die gesamte Vortäuschung einer Geschichte, die den Antrieb für Wrights erste (und hoffentlich letzte) Auftragsarbeit darstellt.

Dabei sind die Bilder teils durchaus gefällig, speziell die Kalter-Kriegs-Optik im grau-biederen Berlin, wie auch der Soundtrack der Chemical Brothers eine willkommene Alternative ist, um dem desinteressierenden Sog der Handlung zu entkommen. Insofern ist das Audio-Visuelle in der Tat die einzig nennenswerte Stärke eines Films, der sich am Ende in seiner vermeintlichen inhaltlich-visuellen Klammer ein letztes Mal ad absurdum führt. Vielleicht ist die Moral dieser Geschichte, dass ein Märchen keine Geschichte haben muss, solange es gefällig (hier: audio-visuell) tradiert wird. Wenn dies jedoch nicht ausreicht, um die Schwächen zu überdecken, hilft auch alles style over substance nichts. Eventuell gilt im Fall von Hanna aber auch einfach: it just missed my heart.

2.5/10

Source Code

Tell me everything is gonna be okay.

Duncan Jones’ jüngstes Werk, Source Code, zählt sicherlich zu jenen Filmen, die am besten funktionieren, je weniger man über sie weiß (was unsere heutige Medienlandschaft zusehends erschwert). Mit (zu Recht) viel Vorschußlorbeeren ging Jones aus seinem Debütfilm Moon nach Hollywood, nur um sein Folgeprojekt - die Blade Runner-Hommage Mute - erstmal auf Eis wandern zu sehen. Stattdessen nahm er sich der Auftragsarbeit Source Code an, die sich über weite Strecken auch als solche anfühlt. Wie bei seinem Vorgänger ist dies zu einem Großteil munteres Zitier-Kino, dabei weniger Groundhog Day als ein unüberlegtes Mischmasch von Genrekollegen wie Twelve Monkeys und Retroactive.

Dementsprechend bietet es sich an, sein Publikum gemeinsam mit seinen Protagonisten direkt in die Handlung zu werfen. Wenn sich Army-Captain Colter Stevens (Jake Gyllenhaal) plötzlich in einem Personengüterzug Richtung Chicago befindet, ihm gegenüber die ihm fremde Lehrerin Christina (Michelle Monaghan) und im Spiegel das Konterfei eines anderen Mannes, offenbart sich ein gewisses mindfuck-Element. Die kurze Orientierungslosigkeit wird abgelöst von einer Explosion und dem Erwachen in einer zweiten, immer noch fremden Umgebung. Als Agent eines Regierungsprojektes arbeitet Stevens innerhalb des Source Codes, einer Erfindung des mysteriösen Doktors Rutledge (Jeffrey Wright).

Der Source Code ist dabei eine Erfindung, die den Déjà Vu-Fehler macht, sich selbst erklären zu wollen, anstatt ein reines Fluxkompensator-Gimmick zu sein. So kann Rutlegde scheinbar die Gedankenströme einer Person an den letzten acht Minuten eines Verstorbenen teilhaben lassen, was allerdings keine Zeitreise sei, sondern nur eine zeitliche Umstrukturierung. Stevens kann also, einem Avatar gleich, durch die letzten acht Minuten eines Mannes von ähnlicher Statur wandeln und soll nun einen Terrorakt auflösen, der sich am Vormittag ereignet hat. Ziel und Zweck: Den Täter des Bombenanschlags zu identifizieren, da dieser plant, im Laufe des Tages eine zweite Bombe in Chicago hochzujagen.

Indem Jones sein SF-Element zu erklären versucht, raubt er sich und Source Code selbst seiner Stärke, geht doch ein Großteil des ersten Aktes dadurch verloren, dass Vera Farmigas Colleen Goodwin dem perplexen Stevens (und zugleich dem Publikum) die Mechanismen von Rutledges Apparatur nahe bringt. So kommt es, dass dessen „Zeitreisen“ nach den ersten zwei-, dreimal als Kurzmontage verkauft werden, anstatt sich als Actionreiche Variante von Groundhog Day zu versuchen, die ihren Spaß aus den verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten ein und derselben Situation generiert. Wo der Film in die Tiefe gehen sollte, bleibt er folglich an der Oberfläche - und zeigt selbst für diese wenig Interesse.

Was in der ersten Hälfte noch halbwegs spaßig und spannend gerät, strengt nach einer Dreiviertelstunde vermehrt an. Alles muss eine Spur komplexer werden - nur eben nicht auf der Zeitebene des Zugattentats, wo die Aufmerksamkeit eigentlich hingehört. Immer wieder driftet die Handlung ab, zu Stevens Vergangenheit und pathetischem Militärgeplänkel zwischen ihm und Goodwin. Was dem Film auf Dauer Züge eines generell unterhaltsamen Videospiellevels verleiht, dessen nervige Zwischenszenen man nicht wegklicken kann und dessen Prämisse (Bombenattentäter finden ehe Zug explodiert) von einer so unnötigen wie unplausiblen Romanze zwischen Gyllenhaals und Monaghans Figuren torpediert wird.

Die Schlitterfahrt von Source Code endet schließlich in einem missratenen (und, ob der moralinsauren Figuren, fragwürdigen) Ende, den Hollywood-Konventionen folgend, denen sich Jones auch in seinem zweiten Spielfilm noch nicht versagen konnte. So macht der Film in seiner Summe viel zu wenig aus seinen grundsätzlich vorhandenen Möglichkeiten, die er speziell in seiner ersten Hälfte noch (bisweilen erfolgreich) austestet, um sie anschließend entweder zu ignorieren oder bei Seite zu legen. Angesichts seines Ersatzwerkcharakters für den ausgefallenen Mute lässt sich das in Jones’ Œuvre noch tolerieren, dennoch wünscht man sich selbst jemanden, der einem in dieser Situation zuflüstert: everything’s gonna be okay.

5.5/10

8. Juni 2011

Akmareul boatda

Die großen Rächer sieht man nur in Kinofilmen.

Asiaten sind kleine Menschen, heißt es immer. Vielleicht ein Grund, warum sie gerne Filme als Form der Mimikry nutzen. Zumindest präsentieren sie sich in diesen oft als Rächer oder Soziopathen. Besonders vor Südkorea muss einem Angst und Bange werden, betrachtet man Park Chan-wooks Beiträge wie die Rache-Trilogie oder Bakjwi. Aber auch Kim Ji-woons Akmareul boatda, im Westen als I Saw the Devil vertrieben, leistet der südkoreanischen Tourismusbranche nicht gerade große Dienste. Schließlich geben sich hier Vergewaltiger, Serienmörder und Kannibalen auf den Landstraßen die Klinke in die Hand. Schön schräg also, zugleich nicht zimperlich und letztlich durchaus innovativ und unterhaltend.

Auf einer dieser Landstraßen wird zu Beginn des Films Joo-yun (Oh San-ha) Opfer des soziopathischen Frauenmörders Kyung-chul (Choi Min-sik) als sie auf einen Abschleppdienst wartet. Als man ihren Kopf anschließend aus einem Fluss fischt, macht sich Joo-yuns Verlobter, der Geheimdienstagent Soo-hyun (Lee Byung-hun), auf die Suche nach dem Täter. Einige Verdächtige später ertappt er Kyung-chul dann auf frischer Tat, lässt ihn jedoch nach ihrer gewaltsamen Auseinandersetzung nicht nur am Leben, sondern stattet ihn sogar mit Geld aus. Kyung-chul selbst glaubt, per Zufall selbst Opfer eines Soziopathen geworden zu sein, stellt jedoch alsbald fest, dass Soo-hyung ganz andere Pläne für sie beide hat.

Mit viel Vorschusslorbeeren ausgestattet, wird Akmareul boatda seinem guten Ruf weitestgehend gerecht. Einerseits präsentiert Kim einen straighten und keineswegs unblutigen Selbstjustiz-Thriller, andererseits ist sein Film auch durchzogen von schwarzem Humor. Diesen vorweg zu nehmen, würde das Vergnügen trüben, aber mit der oben beschriebenen Ansammlung von Psychopathen und Gestörten - inwieweit Soon-hyun mit der Zeit durch seinen Wahn selbst dazugehört, steht zur Diskussion - und der Tatsache, dass Kim zuletzt einen Film mit dem Titel The Good, the Bad, the Weird gedreht hat, dürfte sich ein generelles Bild einstellen. Zumindest lässt sich bei all den Blutfontänen auch gelegentlich schmunzeln.

Da verzeiht man es dem Film auch, dass er nicht immer sonderlich logisch ist. So erhält Soon-hyun von Joo-yuns Vater, zugleich der Polizeipräsident, eine Liste mit vier Tatverdächtigen, die der Schwiegersohn in spe daraufhin abklappert. Wieso dies nicht die Polizei übernimmt, bleibt ebenso fragwürdig, wie ein späteres, dem Zufall geschuldetes, Wiedersehen von Kyung-chul und einem Soziopathen-Bekannten aus alten Tagen. Das die Prämisse bildende Jagen und Zappeln lassen des Täters, der hierdurch zum Opfer wird, mutet nach wiederholtem Auftreten innerhalb von Akmareul boatda dann etwas redundant an, weshalb die Laufzeit von über zwei Stunden dem Film diesbezüglich nicht unbedingt zum Vorteil gereicht.

Was über allem steht ist jedoch mal wieder das fast schon manisch anmutende Spiel von Choi Min-sik, der sich bereits mit Parks Oldeuboi und Chinjeolhan geumjassi auszeichnete, und hier den Film als durchgeknallter Kyung-chul alleine schultert. Akmareul boatda lotet hierbei bisweilen gekonnt die Grenzen der Selbstjustiz aus, welche Opfer man zur eigenen Gefühlsbefriedigung akzeptiert und ob dies am Ende nicht mehr Schaden verursacht als Heil. Hätte Kim das als 100-Minüter angelegt, um einige Redundanzen und Längen aus dem Weg zu gehen, wäre sein jüngster Film eine noch rundere Sache geworden. Aber auch so überlegt man es sich zwei Mal, mit wem man auf Südkoreas Landstraßen seine Zeit verbringt.

7.5/10

6. Juni 2011

X-Men: First Class

Go fuck yourself.

Im Kontext der Geschichte war 1962 das Jahr der Kuba-Krise, die die Welt an den Rand des Abgrunds brachte und kurz hinunter schielen ließ. Aber auch das Jahr der US-Bürgerrechte, wurde James Meredith doch am 1. Oktober der erste schwarze Student im Bundesstaat Mississippi, was dort zu Ausschreitungen und zwei Toten führte. Welche Periode als die Sechziger eignete sich also besser in ihrer Zweideutigkeit, um als Bühne für die X-Men-Reihe zu dienen? Schließlich standen die in der Gesellschaft diskriminierten Mutanten dort nicht nur aber auch für die Jahrhunderte lang unterdrückte Minderheit der Afroamerikaner. Umso überraschender daher, dass Matthew Vaughns X-Men: First Class die Bürgerrechtsfrage vollständig negiert.

Stattdessen versucht sich der Film als Charakterexposition für zwei seiner profiliertesten Figuren: Professor X (James McAvoy) und Magneto (Michael Fassbender). Die Freunde und späteren Gegner aus der X-Men-Trilogie werden hier zusammengeführt, aber ohne deswegen gleich zum Kanon zu gehören. Was nicht bedeutet, dass man sich nicht bei diesem bedienen kann. So übernimmt Vaughn das Intro aus X-Men, um seinem eigentlichen Hauptdarsteller seine spätere Motivation zu verleihen. Als Opfer emotionaler Folter trifft der junge Erik Lehnsherr auf einen maliziösen Kevin Bacon, der versucht Deutsch zu sprechen, ohne sich zu verschlucken. Es fallen Schüsse, es sterben Menschen und die Welt ist um einen Größenwahnsinnigen reicher.

Dies führt zum späteren Antrieb von Magneto: Rache und Vergeltung. Über die Schweiz und Argentinien foltert er sich nach Florida, wo er auf die anderen Figuren trifft. Zum Beispiel Moira MacTaggert (Rose Byrne), die von einer schottischen Genetikerin zur Strapse tragenden CIA-Agentin mutiert (nicht buchstäblich). Aber auch Charles Xavier, ein saufender Schürzenjäger, der von Klein auf mit Mystique (Jennifer Lawrence) aufgewachsen ist. Die beiden streben nun danach, den Sebastian Shaws (Kevin Bacon) Hellfire Club aufzuhalten. Was das eigentlich ist, warum Professor X und Mystique zusammen aufwuchsen und wieso CIA-Agentinnen auf Missionen ein kleines Schwarzes drunter tragen, hat das Publikum nicht zu interessieren.

Oder anders gesagt: der Film interessiert sich nicht dafür. Weder für die kleinen Details seiner arg konstruierten Handlung (der Hellfire Club plant den nuklearen Holocaust, weil dann alle Menschen sterben und nur die Mutanten überleben), noch für deren Struktur oder für seine Figuren. Über Professor X erfährt man abgesehen von der Sandkasten-Freundschaft zu Mystique lediglich, dass er stinkreich ist und ihm seine Mama früher keinen Kakao gemacht hat. Des Weiteren ist er für den restlichen Filmverlauf eine gehende Version der Patrick-Stewart-Figur und erhält zwar mehr Leinwandzeit, aber deswegen nicht mehr Charaktertiefe als die übrigen Figuren wie Mystique, Beast, Havok, Banshee, Angel, Riptide, Emma Frost und Konsorten.

Sie alle sind austauschbare Gesichter, deren Auswahl durch Xavier und Lehnsherr man nicht wirklich nachvollzieht. Ein willkürliches Ensemble, da sie für die Erzählung der Geschichte unerheblich sind. Ihre Kräfte sind dabei unterschiedlich von Belang, von geht so (Beast) bis gar nicht (Mystique). Speziell die von Jennifer Lawrence porträtierte Gestaltwandlerin geht völlig unter, was umso bedauerlicher ist, da sie abgesehen von Jason Flemyngs Azazel die einzige (!) Figur repräsentiert, deren Mutation für das bloße Auge sichtbar ist. Und selbst dieses wahre Äußere wird die meiste Zeit über unterdrückt, was sicher auch mit der Maske zu tun hat und allein deswegen dankbar ist, da diese im Vergleich zur Trilogie unfassbar hässlich gerät.

Ein nicht minder großes Ärgernis ist die ADHS-Handlung, die während der ersten 90 Minuten keine fünf am Stück an ein und demselben Ort mit ein und denselben Charakteren verbringen kann. Man fragt sich, warum Vaughn nicht die exorbitante Zahl der langweiligen Figuren reduziert und sich auf zwei bis drei eindringlicher konzentriert hat. Statt dem lahmen Alex Summers (Lucas Till) zum Beispiel dessen Bruder Scott a.k.a. Cyclops (beide verfügen ohnehin über dieselbe Kraft), dazu eine junge Jean Grey und notfalls noch Beast. Man hätte mehr Zeit für weniger Figuren und könnte seine Handlung für 10, 15 Minuten an einem Ort entfalten, ohne dauernd von London nach Argentinien nach Moskau und Las Vegas zu hopsen.

Selbst die zum Ziel gesetzte Entfaltung der Freundschaft von Charles und Erik misslingt, da Vaughn sich ihr mit derselben Aufmerksamkeit widmet wie den übrigen Mutanten. Warum hier eine Freundschaft entsteht, die auch noch in 60 Jahren existiert – berücksichtigt man den semi-kanon-artigen Charakter von X-Men: First Class mit der X-Men-Trilogie – bleibt unklar, hat die Freundschaft doch kaum Raum zur Entfaltung. Letztlich gelang Vaughn ein Film über irgendwie nichts, taugt die Geschichte doch weder über eine divergierende Freundschaft, noch über gesellschaftlichen Rassismus und Diskriminierung. Allenfalls als Analogie auf den Kalten Krieg mit Mutanten als kleinsten gemeinsamen Nenner für Kapitalisten und Kommunisten.

Hinzu kommt ein leicht missratener Look, speziell in der Gestaltung der Mutanten. Dass es die 68 Personen aus dem Make-Up-Department nicht schafften, insbesondere Mystique, aber auch Azazel und Beast ansehnlich umzusetzen, ist erstaunlich und bedauerlich. Auch die visuellen Effekte variieren, von peinlich berührend in der ersten Zurschaustellung der Kräfte von Erik bis solide (mit Abstrichen das Finale). Erfreulich ist dagegen, dass das Endprodukt nicht mit nutzlosem und fehlerhaftem 3D-Effekt in den Kinos startet, wie es heutzutage gang und gäbe ist. Dies könnte jedoch auch damit zusammenhängen, dass es zeitlich einfach nicht mehr für eine Konvertierung gereicht hat. Was bei den unumgänglichen Fortsetzungen anders sein dürfte.

Doch was ist gut an X-Men: First Class oder zumindest besser als an X-Men: The Last Stand und/oder X-Men Origins: Wolverine? Zum einen gibt Kevin Bacon – vom Finale abgesehen – einen gelungenen, charismatischen Antagonisten, der in gewisser Weise tatsächlich eine Bedrohung für die Mutanten und die normale Bevölkerung darstellt. Zum anderen trumpft der Film gelegentlich mit charmanten Ideen auf, seien es Cameos von Figuren und Darstellern aus früheren X-Men-Abenteuern oder etwaige Einbindungen der Mutantenkräfte, die besonders gut in Fassbenders ersten Szenen zum Tragen kommen. Auch das Ensemble schlägt sich wacker, von Bacon über Fassbender bis hin zu den Jungdarstellern der blassen Nebenrollen.

Am Ende reicht das nicht, um die wenig inspirierte und ausgearbeitete Geschichte im Slideshow-Format inklusive unbeachteter Figuren zu überdecken. Dass dann im Abspann Musik von Take That runtergedudelt wird, ist der negative Höhepunkt. Somit setzt Matthew Vaughn, der einst den Trilogie-Abschluss inszenieren sollte (was er sich dann aber nicht zutraute), seine abfallende Karriere seit dem starken Layer Cake bis hin zum mauen Kick-Ass fort. Ein Schicksal, das Bryan Singer, der seiner Zeit Superman Returns den Vorzug gab und hier als ausführender Produzent zurückkehrte, ebenso blüht, wie der gesamten Reihe. Denn auf X-Men: First Class lässt sich ein Zitat aus dem Film münzen: Es ist schlimmer als wir dachten.

4.5/10

4. Juni 2011

Beginners

Eine von Hollywoods goldenen Regeln lautet: Hunde ziehen immer. Süß und knuffig - des Menschen bester Freund eben. Weshalb Mike Mills’ Jack Russell Terrier in dessen Film Beginners punkten dürfte. Ohnehin ist der ganze Film so knuffig und herzerwärmend, ohne dass er deswegen gleich ein Meisterwerk wäre oder lange im Gedächtnis bleibt. Wenn aber zum Hund Frankreichs zarteste Versuchung, Mélanie Laurent, sowie der allzeit sympathische Ewan McGregor und Christopher Plummer als 75-Jähriger, der sein Coming Out erlebt, kommen, kann man dem Film aufgrund seiner charmanten Art nicht böse sein. Die ganze Kritik gibt’s beim Manifest.

7/10