3. Dezember 2009

Schön und mutig

Dann ist man Mitte Dreißig. Dann hat man wieder ein Problem.

Kinder sind etwas Schönes. Aber die meisten von uns haben trotzdem keine. Das stellte Stefanie Gartmann, 28 Jahre alt und inzwischen selbst Mutter, vor einiger Zeit fest. Aufgewachsen in einem behüteten Elternhaus, war sie wie einige ihrer Freundinnen nun Mitte Zwanzig. Und damit in einem Alter, in dem sie sich alle vorgestellt hatten, allmählich an die Familiengründung zu denken. Doch viele von Gartmanns Freunden waren noch kinderlos, weshalb sich die Dortmunder Studentin für ihren Abschlussfilm Schön und mutig die „Angst“ vor der Schwangerschaft zum Thema auserkor. Ein Jahr begleitete sie fünf ihrer Freunde und befragte sie über ihre Kinderplanung, ihr Liebesleben und ihre Zukunftsaussichten. Die Antworten sind ehrlich, authentisch und auf gewisse Art und Weise repräsentativ. Zugleich offenbaren sie den schmalen Grad zwischen Wunsch und Realität, zwischen Freiheit und gefühlter Einengung.

Eine von Gartmanns Freundinnen ist die Flugbegleiterin Tanja. Sie kann sich zwar generell durchaus Kinder vorstellen, aber wüsste nicht, wie sie diese jetzt sofort unterkriegen soll. Schließlich will sie eine beschützende Mutter sein, die immer für ihre Kinder da ist. Was als Flugbegleiterin, die mitunter zwei Mal am Tag nach London fliegt, schwer sein dürfte. Zudem hat Thorsten, ihr momentaner Freund, bereits ein Kind und sich erst vor etwa einem Jahr von seiner Frau für sie getrennt. Dabei ist Tanja bereits über Dreißig und weiß sehr gut, dass im fortgeschrittenen Alter das Kinderkriegen schwer werden kann. Sagt man sich mit 28 Jahren, man wartet noch ein paar Jahre, ist man plötzlich Mitte Dreißig. „Dann hat man wieder ein Problem“, konstatiert sie. Ähnlich sieht es Gabi, die 27 Jahre alt ist. Sie ist beruflich eng eingebunden und ihr Freund Stefan mit 22 ganze fünf Jahre jünger als sie. Kinder passen also gerade nicht in ihre Karriereplanung, selbst wenn sie früher immer gedacht hat, mit 28 Jahren wäre man im richtigen Alter. Hätte schon einiges erlebt, wäre aber noch jung genug zum gebären.

Etwas, von dem Barbara ein Lied singen kann. Sie lernte ihren Ehemann Jörn auf einer Abschlussfahrt kennen. Und weil Barbara früher magersüchtig war, wollte sie so früh wie möglich, so viele Kinder wie möglich kriegen. Immerhin hat sie seit Jahren ihre Periode nicht mehr bekommen und es wohl auch einigen Hormonbehandlungen zu verdanken, dass sie jetzt überhaupt das eine Kind haben, das sie haben. So will es das Schicksal auch, dass an Jörns bestandener Diplomprüfung Barbara erfährt, dass die letzte Hormonbehandlung nicht angeschlagen hat. Was nicht halb so schlimm wäre, wie das Wissen, dass sie durch ihre Magersucht selbst dafür verantwortlich ist. Dem Leben als einzige Eltern in Gartmanns Dokumentation blicken sie eher gelassen entgegen. Oder besser gesagt: realistisch und erstaunlich erwachsen. Man büßt die Freiheit ein spontan zu sein. „Oh Gott, jetzt ist mein Leben vorbei“, meint Jörn scherzhaft und negiert zugleich diesen Gedankengang. Man kann eben nicht mehr flexibel tun und lassen was man möchte. Sondern muss sich Gedanken machen, was in der Zwischenzeit mit dem eigenen Kind geschieht.

Ein Merkmal, dass auch die anderen beschäftigt. „Möchte man das auch? Möchte man auf so viel verzichten?“, fragt Gabi, die zwar Kinder will, aber nicht jetzt. In ein paar Jahren vielleicht. Aber dann ist sie Mitte Dreißig. Dann hat sie wieder ein Problem, wie es Tanja auf den Punkt gebracht hat. Auch Sonja, die gerade ihr Diplom als Photographin gemacht hat, kann sich Kinder momentan gar nicht vorstellen. „Ich möchte irgendwie beweglich sein“, meint sie, während sie zugleich von Felix, ihrem neuen Freund schwärmt. Die Bereitschaft, ein Kind zu kriegen, verlangt heutzutage eben durchaus Mut. Wenn man keinen Festvertrag hat, der einem Mutterschutz gewährt, erinnert Barbara, kann es gleich ganz anders aussehen. Und wenn die Ausbildung beziehungsweise das Studium dauert, bis man Mitte Zwanzig ist, wer will dann gleich zwei, drei Jahre später schon sesshaft werden und Kinder bekommen? Verständlich die Sorgen von Sonja und Gabi, nachvollziehbar aber auch Barbaras Entscheidung, jetzt Kinder zu kriegen, wo ihr Körper dazu noch (mehr) Potential hat.

Gartmanns Auswahl ist hier sehr gelungen, sowohl von der Charakterwahl ihrer Freunde als auch deren Alter her. So ist Tanja „schon“ 35, Sonja wiederum 31, Gabi 27 und Barbara wohl nochmals ein paar Jahre jünger, um die 24 herum. Abgesehen von Barbara zeichnet sich hier ein Bild einer immer älter werdenden (deutschen) Mutter ab. Mitte/Ende Dreißig könnte sich das erste Kind einstellen. Ob man dann direkt das Zweite danach haben will, steht offen. Insofern ist Schön und mutig wohl eine Dokumentation, die der ehemaligen Familienministerin die Haare zu Berge hätte stehen lassen. Und auch bei Frau Köhler dürften derartige Einstellungen bei Geburtenrückgang keine Jubelstürme auslösen. Aber lassen sich Familien ernähren, wenn nur ein Elternteil arbeitet? Und kann man jungen Frauen vorschreiben, bereits kurz nach dem Studium ihre Freiheit aufzugeben, um ihr Leben der Erziehung eines neuen Lebens zu widmen? Kinder sind etwas Schönes, ja. Das streitet niemand ab, auch keine von Gartmanns Freundinnen. Ihr Film fängt sehr gekonnt die Ängste und Sorgen potentieller Mütter ein. Aber zugleich auch ihre Wünsche und Planungen.

8/10

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