4. Dezember 2009

Shotgun Stories

It’s not gambling. It’s a system.

Manchmal gewährt das Leben zweite Chancen. Und manchmal muss man diese zweiten Chancen forcieren. So wie Cleaman Hayes, ein Säufer und keineswegs ein Christ. Seine drei Söhne waren ihm stets egal, was man schon an ihrer simplen Namensgebung (Son, Boy, Kid) merkt. Den Rücken der Familie zugewendet findet Cleaman dann sein neues Glück. Erst den Weg zu Gott und weg vom Alkohol, dann in die Arme einer neuen Frau mit der er vier weitere Kinder hat. Diese kriegen dann richtige Namen. Der erstgeborene heißt Cleaman Jr., die weiteren Kinder erhalten biblische Namen. Klar, dass das gerade bei der verlassenen Frau und nun alleinerziehenden Mutter nicht besonders gut ankommt. “You made us hate those boys”, wirft Son (Michael Shannon) seiner Mutter vor, ist es doch ihr Hass auf den Ex-Mann und dessen neue Familie, den sie auf ihre drei Söhne projiziert. Aktiv wie passiv. Jeder lebt sein eigenes Leben, ironischerweise jedoch allesamt im verschlafenen England, Arkansas.

Dabei fällt der Apfel wohl nicht weit vom Stamm. Sons Spielsucht, die für diesen zwar keine ist (s. Zitat), führt zum Auszug seiner Freundin Annie (Glenda Pannell) und des gemeinsamen Sohnes aus seinem Haus. Sein kleiner Bruder Kid (Barlow Jacobs) schläft in einem Zelt im Garten, blickt einer Gehaltserhöhung von der Fischfarm entgegen, damit er seiner Freundin einen Verlobungsring kaufen kann. Boy (Douglas Ligon) wiederum lebt in seinem Van und trainiert gelegentlich drei Jugendliche auf einem verwahrlosten Basketballfeld. Kontakt pflegen die Brüder eigentlich nur zu sich selbst, gelten sie nach außen hin trotz des kleinen Städtchens als Mysterium. So trägt Son auf seinem Rücken Narben eines Schrottflintschusses, was seine Mitarbeiter zu Wetten anregt, wie er diesen Schuss abbekommen hat. Jeff Nichols setzt seine Shotgun Stories nun in Handlung, wenn Mutter Hayes eines Abends vor dem Haus von Son auftaucht, um den Söhnen mitzuteilen, dass ihr Vater gestorben sei. Wann die Beerdigung sei, fragt Son. Schau in die Zeitung, erwidert seine Mutter. “You going?”, will er wissen, offensichtlich unsicher, was die entsprechende Reaktion sein soll. Die Mutter verneint und entschwindet ins Dunkel.

Son, Boy und Kid entschließen sich zur Beerdigung zu gehen und es fallen harte, ehrliche Worte von Son. Bei ihren Halbbrüdern, allen voran Mark Hayes (Travis Smith), kommt das verständlicherweise nicht gut an. Die Situation schaukelt sich hoch, auch wenn Cleaman Jr. (Michael Abbott, Jr.) vorab versucht zu beschwichtigen. Son müsse aufpassen, erklärt er diesem durchaus freundschaftlich gesonnen, dass bei einem Zwist keinem seiner Brüder etwas passiere. Son kriegt dies jedoch in den falschen Hals und verkündet, sich Cleamans gesamter Familie anzunehmen, wenn einem seiner Brüder etwas geschehe. Mit zwei Sturköpfen auf beiden Seiten wie Son und Mark ist Ärger dann natürlich vorprogrammiert. Man spürt nun als Zuschauer, wie sich der Konflikt Stück für Stück erhitzt. Wenn die einen Hayes-Jungs agieren, folgt unabdingbar die Reaktion der anderen Hayes-Jungs. Dass das ganze jedoch nie gehetzt oder effekthascherisch wirkt – ähnlich wie zuletzt bei Revanche erwähnt -, zeichnet Shotgun Stories gegenüber anderen, gerade größeren Produktionen aus. Nichols präsentiert mit simpelsten Mitteln, wie man eine Spannungsschraube mehr und mehr andrehen kann. Dass man in diesem Konflikt ausschließlich an der Seite von Son, Boy und Kid wandelt, verdankt sich der Tatsache, dass Nichols dem Publikum einen größeren Blick auf Mark und Co. erspart.

Somit ist Nichols Film ein Werk der stillen Worte, in dem jedes Wort aber durchaus Gewicht besitzt. Das Ende wirkt gegenüber der restlichen Handlung jedoch etwas unerwartet und plötzlich, will dementsprechend nicht unbedingt gefallen, selbst wenn es irgendwie plausibel erscheint (im Kontext des Filmes). Getragen wird Shotgun Stories dabei eigentlich ausschließlich von Michael Shannon, dem Nichols die Rolle des Son auf den Leib geschrieben hat. Seine Figur führt zum Verständnis des Filmes und wahrscheinlich auch des Endes. Bezeichnend für Son beziehungsweise Shannons Spiel ist es, dass er nie die Stimme erheben muss, stets – wenn man so will – die Contenance behält und die meisten Emotionen durch seine Augen transferiert. Letztlich ist es bedauerlich, dass Nichols Film sowohl in den USA wie auch außerhalb relativ wenig Aufmerksamkeit erhalten hat. Ein intensiveres Drama hat man 2009 kaum gesehen.

8/10

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