Denkt man an Norwegen, so schießt dem Boulevard-lastigen Leser wohl zuerst Kronprinz Haakon und seine Gattin Mette-Marit in den Kopf. Die Gedanken des treuen Kicker-Abonnenten wandern dagegen sofort zu Rosenborg Trondheim, dem fußballerischen Rekordmeister. Und dann wird es auch schon schwierig. Fjorde gibt es auch noch sehr schöne in Norwegen und neben Japan gilt das skandinavische Land als bekannteste Walfang-Nation. Bemüht man einen Blick in den deutschen Wikipedia-Eintrag, stößt man noch auf den Maler Edvard Munch und Schriftsteller Henrik Ibsen. Eigentlich relativ wenig, was man so als Ottonormalbürger über Norwegen und seine Bevölkerung weiß. Viel verpasst scheint man auch nicht zu haben, schaut man sich Rune Denstad Langlos Nord an. Dieser zeichnet seine Landsleute als wortkarge Einsiedler, denen es zuvorderst erst einmal um ihren Schnaps geht. Zumindest mehr oder weniger.
Rune Denstad Langlo hatte sich zuvor als Regisseur zweier Dokumentationen ausgezeichnet und wagte sich nun mit Nord an seinen ersten Spielfilm. Drehbuchautor Erlend Loe scheint sich dabei nicht gerade mit kreativem Ruhm bekleckert zu haben, stößt man doch kaum auf einen Beitrag zum Film, in dem kein Verweis auf David Lynchs The Straight Story stattfindet. Sogar das Presseheft bemüht diesen Vergleich, der einem erstaunlicherweise nicht von selbst bei Sichtung des Filmes in den Kopf kommen will. Was auch damit zusammenhängen kann, dass Lynchs offensichtliche Vorlage nach der Sichtung nicht lange in Erinnerung geblieben ist. Und obschon Nord nun eine Art Remake ist oder zumindest Kind derselben Idee, macht sich Loe nicht die Mühe, seine Geschichte mit einer glaubwürdigen Exposition zu versehen oder einem überzeugenden Mittelteil. Da helfen auch die Glanzlichter in der Handlung nicht viel.
Erzählt wird von Jomar Henriksen (Anders Baasmo Christiansen), einem übergewichtigen und depressiven Skilift-Arbeiter. Er trinkt seinen Schnaps, raucht und liegt lethargisch auf dem Sofa. Ohnehin würde er viel lieber zurück in seine Psychiatrie, deren Ärztin ihn allerdings nicht wieder aufnehmen will. Den Grund für Jomars Verhalten bekommt der Zuschauer durch die Ankunft eines alten Freundes. Dieser hatte Jomar einst die Freundin ausgespannt, woraufhin dieser seine Passion des Skifahrens aufgab und zu jenem depressiven Häufchen Elend wurde. Doch die Beziehung von Jomars Ex und seinem Kumpel ist nun vorbei. Ein Grund mehr, für Jomar wieder in Aktion zu treten, schließlich hat er einen vierjährigen Sohn, von dem er bisher nichts wusste. Und als seine Skihütte versehentlich abbrennt, hat sich auch Jomars berufliche Verpflichtung erledigt. Mit nicht mal einer Gallone Schnaps steigt er auf sein Schneemobil und düst Richtung Norden zu seiner Ex-Freundin und dem gemeinsamen Sohn.
Wenn Denstad Langlo seinen bärtigen Anti-Helden zu Banjo- und Violinenklängen auf dem Schneemobil in den Sonnenaufgang fahren lässt, dann hat das durchaus etwas von einem voll geschneiten norwegischen Western. Bis es dazu kommt, muss man jedoch zuerst Loes planlose Exposition über sich ergehen lassen, wird dann aber vermeintlich mit dem Beginn der eigentlichen Geschichte erlöst. Die lange Fahrt ohne Ski- oder Sonnenbrille führt bei Jomar zur Schneeblindheit. Glücklicherweise stößt er auf die jugendliche Lotte (Marte Aunemo), die ihn mit nach Hause nimmt. Gegen den Willen ihrer Großmutter wird Jomar dort in einen Wandschrank einquartiert, während Lotte und er sich zögerlich anfreunden. Eine Reise in die weiße Leere der Berge muss konsequenterweise von den zwischenmenschlichen Beziehungen leben. Doch diese sind rar gesät in Nord beziehungsweise treten nur in 50 Prozent der Fälle auf.
Loe baut drei Begegnungen ein, die eher störend wirken. In zwei von ihnen bestiehlt Jomar seine Landsleute, in einer anderen Szene fackelt er erneut durch Unachtsamkeit eine Hütte ab. Es sind Augenblicke, die wie Bremsen in Denstad Langlos Roadmovie wirken. Dabei zeigen die Szenen mit Lotte oder später auch Ulrik, dass das Potential des Drehbuchs in eben diesen Momenten zu finden ist, wenn Jomar mit anderen Menschen tatsächlich interagiert. Dass sich all diese Figuren grundsätzlich wenig voneinander unterscheiden, ist dabei prinzipiell nicht störend. Sie alle sind Einsiedler dort draußen im Schnee. Scheinbar abgeschieden von der Außenwelt und sich folglich primär um sich selbst kümmernd. Lotte hat ein Freundschaftsbuch wie man es aus der eigenen Jugend kennt. Eine der bitter-süßesten Momente von Nord ist jene Szene, in der Lotte ihr Freundschaftsbuch aufschlägt und es nur einen Eintrag vorweist – vermutlich ihr eigener oder der ihrer Großmutter – und sie daraufhin Jomar beginnt Fragen zu stellen.
Insgesamt ist Nord jedoch etwas enttäuschend und mag es nur deshalb sein, weil einem diese norwegische Kultur so unzugänglich erscheint. Denstad Langlo verleiht den Figuren zu wenig Tiefe, als dass einem ihr Schicksal wirklich etwas bedeuten würde. Da wird zwar impliziert, dass der schwulenfeindliche Ulrik selbst homosexuell ist oder sein könnte und der alte Ailo (Lars Olsen) inzwischen des Lebens überdrüssig ist. Nur haben all diese Begegnungen keine Auswirkung(en) auf Jomar, sind bloße Stationen, an denen dieser Zug namens Nord vorüberrauscht. Zwar kulminiert Jomars Reise in einer sehr schönen Schlusseinstellung – derer man sich ruhig noch etwas länger als nur die eine Sekunde hätte widmen können -, doch tröstet dies wie auch die restlichen vereinzelten guten Szenen nicht darüber hinweg, dass Nord zum einen weit schneller aus dem Gedächtnis verschwindet als Lynchs Straight Story und der Film zum anderen nicht dazu beitragen dürfte, dass sich einem die Namen von Loe oder Denstad Langlo neben Mette-Marit, Munch und Ibsen einbläuen werden.
4.5/10
Lässt du die Punktangabe zukünftig weg?
AntwortenLöschenGut möglich, ja.
AntwortenLöschenNun gut, ich muss zugeben, dass ich den Film vor nunmehr fast einem Jahr auf der Berlinale sah. Mir blieb er aber etwas besser in Erinnerung. Mag auch daran liegen, dass ich mit diesem trockenen skandinavischem Humor mehr anfangen kann als du. Ich habe seinerzeit eine "richtige" Handlung im Mittelteil jdf. nicht vermisst . eben weil es ein Road-Movie ist. Oder würdest du das auch Lynchs Film vorwerfen?
AntwortenLöschenDen hab ich nur 1x gesehen (den Lynch, d.Red.) und das ich auch bereits eine Weile her. Ich wurde mit dem Film vermutlich einfach nur nicht warm ;)
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