Bei all den Stärken, die man Christopher Nolans Inception zu Gute halten kann (er ist, man kann es drehen und wenden wie man will, ein solider Action-Film), funktioniert er wohl nur so richtig, wenn man seine offensichtlichen narrativen Schwächen auszublenden versteht. Wenn das, was man erzählt bekommt, nicht nur keinen Sinn macht, sondern sogar unsinnig ist, muss der style die substance (beziehungsweise deren Logiklöcher) aufwiegen. Ähnlich verhält sich dies auch in Joe Wrights jüngster Auftragsarbeit Hanna, die wohl (bisher) am ehesten der Inception des Filmjahres 2011 ist. Wenn man möchte, ein solider Action-Film (mit stark europäischem Einschlag), der jedoch nur so richtig funktioniert, wenn man seine ganzen narrativen Schwächen auszublenden versteht.
Es lebt also Hanna (Saoirse Ronan) als gentechnisch veränderter Teenie in den verschneiten Wäldern Finnlands, wo man Elche noch selber erlegt. Wenn Hanna einen solchen anschießt, ihn auf einen zugefrorenen See jagt, um ihm dort zu verkünden, dass sie sein Herz verfehlt habe, mutet das weniger wie eine entschuldigende Botschaft denn wie ein sadistischer Hinweis einer Person an, deren Physis zu Gunsten von Empathie verbessert wurde. Aus Gründen, die keiner kennt, wird die friedliche Abgeschiedenheit (die ohnehin selbst gewählt, statt aufgezwungen ist) von der Protagonistin unterbrochen. Gegen den Rat des Vaters (Eric Bana) sucht Hanna den Kontakt zu jener US-Geheimdienstagentin (Cate Blanchett), die für den Mord an ihrer Mutter verantwortlich ist.
Die Agentin Marissa Wiegler reagiert mehr genervt als erfreut, der Vorfall scheint vergessen, die folgende Hatz (für die in grotesker Weise ein blondierter Tom Hollander als Reeperbahn-Kingpin und seine Bande Martial Arts Neo-Nazis engagiert werden) eher das letzte Kapitel eines Buches, das man nie zu Ende gelesen und ganz hinten im Regal einsortiert hatte. Aus Gründen, die keiner kennt, trennen sich Hanna und ihr Vater, um sich aus Gründen, die keiner kennt, in Berlin wieder zu treffen. Über unterschiedliche Wege prügeln und morden sie sich durch Europa, Hanna dabei, zur humoristischen Auflockerung des Publikums, Banden mit einer britischen Familie knüpfend, die irgendwo zwischen narzisstischer Posh-Gegenwart und Alt-68er-Gebarden hängen geblieben zu sein scheint.
Wer nun bereit ist, „die Plausibilität der Ereignisse immer wieder der suggestiven Wirkung des Gezeigten“ unterzuordnen (David Kleingers auf SpOn) wird sicherlich zufriedengestellt und mit „Kunst“ oder „Ultrakunst“ (abhängig vom Rezipienten) belohnt. Ob in diesem Fall der style die fehlende substance rechtfertigt, ist dem Zuschauer selbst überlassen. Wenn sich Saoirse Ronan als Minderjährige durch Europa kloppt, zu Elektro-Gedudel der Chemical Brothers aus den Boxen, gewürzt mit schicken Schnitten und ungewöhnlichen Set-Locations, dann lässt sich das sicherlich als Mainstream-Arthouse deklarieren. Ob jede Form von Arthouse gleich „art“, sprich: Kunst, darstellt, ist eine andere Frage (die im Netz allerdings fast durchgehend mit „ja“ beantwortet wird).
Das lose Handlungsgerüst trägt Hanna jedenfalls nur in den seltensten Fällen und wird auch nicht von ihrem prätentiösen Märchenkonstrukt - in dem sich Cate Blanchett als rothaarige Hexe mit grausigem Deutsch und einem Zahnhygienefetisch inklusive einer klischeehaften „evil Germans“-Entourage anbiedert - entschuldigt. Vielmehr sind die meisten Szenen ungemein anstrengend, am meisten die Marokko-Sequenz mit der absurd-liberalen britischen Familie (Jason Flemyng, Olivia Williams), die damit kokettiert, Coming-of-Age-Elemente zu integrieren, obschon diese albinohafte, asoziale Protagonistin ebenso wenig als Identifikationsfigur funktionieren will, wie die gesamte Vortäuschung einer Geschichte, die den Antrieb für Wrights erste (und hoffentlich letzte) Auftragsarbeit darstellt.
Dabei sind die Bilder teils durchaus gefällig, speziell die Kalter-Kriegs-Optik im grau-biederen Berlin, wie auch der Soundtrack der Chemical Brothers eine willkommene Alternative ist, um dem desinteressierenden Sog der Handlung zu entkommen. Insofern ist das Audio-Visuelle in der Tat die einzig nennenswerte Stärke eines Films, der sich am Ende in seiner vermeintlichen inhaltlich-visuellen Klammer ein letztes Mal ad absurdum führt. Vielleicht ist die Moral dieser Geschichte, dass ein Märchen keine Geschichte haben muss, solange es gefällig (hier: audio-visuell) tradiert wird. Wenn dies jedoch nicht ausreicht, um die Schwächen zu überdecken, hilft auch alles style over substance nichts. Eventuell gilt im Fall von Hanna aber auch einfach: it just missed my heart.
2.5/10