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21. Oktober 2010

On the Waterfront


This ain’t your night.

Die McCarthy-Ära war keine gute Zeit für Hollywood. 1947 beschäftigte sich das Komitee für unamerikanische Umtriebe neun Tage lang mit möglicher kommunistischer Propaganda in Hollywood-Filmen. Es folgte die Liste der „Hollywood Ten“ und einige andere Diskreditierungen, darunter auch von Charlie Chaplin. Die meisten Kreativen, die unter den Verdacht eines kommunistischen Einflusses fielen, erholten sich nicht mehr von diesem. Umso schwerer musste die Bürde auf denen lasten, die vor das Komitee zitiert wurden, um auszusagen. So wie Regisseur Elia Kazan, der Mitte der 1930er für anderthalb Jahre der Kommunistischen Partei angehörte und 1952, 16 Jahre später, dazu aufgefordert wurde, Namen anderer Mitglieder aus der Branche zu benennen. “No matter which way you choose, you lose something“, macht Jeff Young, Kazans Biograf, im Audiokommentar zu dessen On the Waterfront das Dilemma deutlich.

Der Film entstand zwei Jahre nachdem Kazan vor dem Komitee aussagte und die Namen von acht ehemaligen Mitgliedern preisgab, die dem Komitee jedoch bereits bekannt gewesen waren. Im Grunde war dies wohl der einfachste Weg für Kazan, benannte er doch auf diese Weise Personen, ohne zugleich welche zu verraten. Dennoch wurde ihm seine Entscheidung hinterher von manchem Kollegen vorgehalten. Vielleicht entstand deswegen On the Waterfront - ein Film, in dem es um “knowing right from wrong“ geht, wie es Young ausdrückt. Ein Film über den Druck, das Richtige zu tun und dennoch falsch zu handeln. Young zu Folge wollte Kazan schon seit langem eine Geschichte über die “shenanigans on the waterfront“ drehen. Sechs Jahre zuvor war eine Artikelserie von Malcolm Johnson in der New York Sun über die Verbrechen auf den Docks erschienen und hatte 1949 sogar den Pulitzer Preis gewonnen.

Gemeinsam mit dem ehemaligen Hafenarbeiter Anthony DiVincenzo, der vor der Waterfront Commission ausgesagt hatte, war die Vorlage für Kazans Film gefunden. Mit der Hauptfigur Terry Malloy (Marlon Brando) installierte der Regisseur letztlich nicht nur ein filmisches Pendant zu DiVicenzo, sondern auch zu sich selbst. Dabei ist Terry keine besondere Figur, vielmehr ein ganz normaler Typ, wenn nicht sogar weniger. “I’d always figured I’d live a little bit longer without [ambition]“, gesteht der Ex-Boxer Terry. In den Augen des mafiösen Gewerkschaftsboss Johnny (Lee J. Cobb) gilt er zudem als “pigeon-drunk“, verbringt er seine Zeit doch gerne auf dem Hausdach, wo er Tauben züchtet. Dasselbe Hobby wie es Hafenarbeiter Joey hatte, der vor der Waterfront Commission aussagen wollte und mit Hilfe von Terry umgebracht wird. Dabei hätte Terrys Leben ganz anders aussehen können, hätte er einen Boxkampf nicht verloren.

“I coulda had class. I coulda been a contender. I coulda been somebody, instead of a bum, which is what I am”, gesteht Terry gegenüber seinem älteren Bruder Charley (Rod Steiger). Dieser hatte Terry einst dazu genötigt, einen Kampf zu schieben (“This ain’t your night“) - und damit die Zukunft seines Bruders für immer verändert. Widerstrebend ist Terry nun ein Botenjunge von Johnny, der in einer Mischung aus Sympathie und Loyalität einen Narren an ihm gefressen zu haben scheint. Zumindest so lange, wie Terry den Regeln der Waterfront folgt. Und dass die eine harte Welt ist, das wissen auch die Hafenarbeiter. “The waterfront is tougher [..] like it ain’t part of America“, sagt Dugan (Pat Henning) zu Beginn. Demenstprechend erklärt sich auch Terrys Lebensphilosophie: “Do it to him before he does it to you“. Auf den Docks ist sich eben jeder selbst der Nächste -  von diesem Problem weiß auch Father Barry (Karl Malden).

Die Arbeitsbedingungen sind hart. Weil die Mafia alles kontrolliert. Und um der Mafia Einhalt zu gebieten, darf man sie nicht mit Mord davonkommen lassen. Eine einfache Rechnung von Barry. “The Romans found out what a handful could do if it’s the right handful“, versucht er die Hafenarbeiter anzuspornen. Aber erst im Finale des Filmes, wenn sich Terry als messianische Figur Johnny gegenüber stellt und seine persönliche Passion erleidet, werden die Arbeiter aktiv. Und auch dann nur sporadisch und zäh. Die Gruppe ist nur so stark wie ihr stärkstes Glied, zeigt uns On the Waterfront hier. Denn die Docks sind “tougher“, als wären sie nicht Teil von Amerika. Wo Lebensphilosophien lauten: Eh du mir, so ich dir. Wo man ohne Ehrgeiz im Leben länger lebt. “Everybody loved Joey“, beklagt dessen Schwester Edie (Eva Marie Saint) nach seinem Mord zwar. Aber auf den Docks ist man “D and D“, erklärt Dugan. Deaf and dumb. Taubstumm.

“Doing the right thing is doing whatever you need to do to get to the top of that world“, beschreibt Young die Logik der Geschichte. Kazan erzählt von einer großen Welt, die in der Hand einer kleinen Gruppe ist. Wo jemand wie Charley the Gent zum Handlanger eines Gewerkschaftsbosses unter Mafiaeinfluss verkommt - und seinem Bruder die Zukunft raubt. Und ihn unweigerlich in dieser Welt festhält. “This ain’t your night“ verkommt so vielmehr zu einem: “This ain’t your life“. Und Youngs Satz “No matter which way you choose, you lose something” bewahrheitet sich für die meisten Figuren in On the Waterfront. Joey und Dugan bezahlen ihr Rückgrat ebenso mit dem Leben wie Charley, der sich nicht gegen Terry stellt. “Am I on my feet?“, fragt dieser im Finale des Filmes. Ein Satz, der sich jenseits seiner körperlichen Verfassung lesen lässt. Es sind Terrys Handlungen zum Schluss, die ihn wieder zu dem Mann machen, der er war.

So hat er am Ende wieder “class“, ist er wieder ein “contender“ und wird auf diese Weise zum “somebody“. Die Katharsis besorgt natürlich eine Frau. Ganz besonders delikat: Joeys Schwester. Als diese ihn an einer Stelle fragt, auf welcher Seite er steht, antwortet Terry entsprechend: “I’m with me, Terry“. Über ihre christliche Erziehung, dass sich jeder um den anderen kümmern müsse, kann er natürlich nur lachen (“Boy, what a fruitcake you are!“). Edie, die außerhalb der Stadt auf ein katholisches Mädcheninternat geht, kann nicht wissen, dass die Docks “tougher“ sind als der Rest von Amerika und Dinge bereithalten, die Terry als “ain’t fit for the eyes of a decent girl“ erachtet. Zur Läuterung kommt er durch die Liebe einer christlichen Frau und eines Gottesmannes. Im Finale selbst gibt er dann die messianische Figur, die sich für die Sünden aller opfert (“on the docks we’re D and D“) und dies fast mit dem Leben bezahlt.

Getragen wird On the Waterfront von Marlon Brando, der hier seinen ersten Academy Award abstaubte, der wiederum Bestandteil von insgesamt acht Auszeichnungen für Kazans Film war. Auch die übrigen vier Darsteller beeindrucken und wurden dementsprechend ebenfalls in ihren Kategorien nominiert (wobei nur Eva Marie Saint für ihre Debütrolle ausgezeichnet wurde). Für Kazan selbst dürfte der Film eine Genugtuung gewesen sein, bekam er doch zwei Jahre nach seiner Aussage vor dem HUAC den Preis für die beste Regie, während zugleich noch das Drehbuch von Budd Schulberg und der Film selbst prämiert wurden. Dass der Film seine HUAC-Aussage für einige Kollegen jedoch auch über Jahrzehnte hinweg nicht entschuldigte, sah man bei der Verleihung seines Ehrenoscars 1999, dessen Applaudierung Schauspieler wie Nick Nolte und Ed Harris boykottierten. “No matter which way you choose, you lose something”.

8.5/10

24. März 2009

Charlie don’t surf! – Apocalypse Now (Redux), eine cause célèbre

Inhaltsverzeichnis

1. When it was over, I’d never want another – Eine Einleitung
2. Going to the worst place in the world – Der Anfang der Mission
.... 2.1. Who’s in charge here? – Willard, der Antiheld
.... 2.2. Of flying cowboys and neocolonialism – Das Herz des Films
3. Penetrating deeper and deeper into the heart of darkness – Conradsche Elemente
4. He broke from them. And then he broke from himself – Der Blick in den Abgrund
.... 4.1. Turning into Kurtz – Wenn Film zur Realität wird
.... 4.2. I don’t see any method at all – Marlon Brando und das Finale
5. There are two of you, don't you see? – Die unterschiedlichen Filmfassungen
6. A fifth-grader in a third-grade world – Ein Fazit


1. When it was over, I’d never want another – Eine Einleitung
Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts überschatte ein Name ganz Hollywood: Francis Ford Coppola. Mit seinen beiden The Godfather-Filmen war der Italo-Amerikaner zu Ruhm, Reichtum und Anerkennung gelangt. „In the eyes of the world Coppola was more than a genius; he was an auteur“, blicken Goodman und Wise auf jene Zeit zurück (Goodman/Wise, S. 211). Coppola war ohne Zweifel der König der Welt, versehen mit vier Oscarauszeichnungen innerhalb von drei Jahren. Von dem jungen, unerfahrenen Regisseur, der wenige Jahre zuvor quasi schon seines Amtes bei The Godfather enthoben worden war, fand sich nun nichts mehr. Der Name Coppola stand für die Studiobosse stattdessen als Synonym für Erfolg und bescherte dem Regisseur „eine für Hollywood seltene kreative Autonomie“ (Weyand, S. 103). Was Coppola jedoch nicht ahnte, war, dass die nächsten Jahre eine Tortur und Achterbahnfahrt der Gefühle darstellen und ihn als veränderten Mann zurücklassen würden.

Zu Beginn des Jahrzehntes hatte sich Coppola mit seiner und George Lucas’ Produktionsfirma American Zoetrope ein Drehbuch von John Milius gesichert. Es war vorgesehen, dass George Lucas jenes Drehbuch unter dem Titel Apocalypse Now als zweiten Spielfilm nach THX-1138 umsetzen sollte. Nach den finanziellen Streitigkeiten mit Warner Seven versandete das Projekt und Lucas fokussierte sich zuerst auf American Graffiti und schließlich auf Star Wars. Es war Coppola, der sich letztlich erneut des Drehbuches annahm und begann es umzuschreiben. Was der Regisseur als locker leichtes Projekt im Pazifik erachtete, würde ihn drei zehrende Jahre seines Lebens kosten und beinahe in den Konkurs treiben. Nach 238 Drehtagen und 15 Monaten im philippinischen Dschungel sollte sich nicht nur das Budget des Filmes von geplanten 12 auf 30 Millionen Dollar aufblähen, sondern auch der Hauptdarsteller beinahe an einem Herzinfarkt sterben (vgl. Weyand, S. 104). Für die heimatlichen Medien stellte Apocalypse Now somit noch vor dem Filmstart ein gefundenes Fressen dar, tituliert als „legend even before its lifetime“ (Adair, S. 143) und „cause celebre“ (Virgin Film Guide, S. 34).

2. Going to the worst place in the world – Der Anfang der Mission
Am 1. März 1976 brach Francis Ford Coppola zu den Philippinen auf, ohne über ein fertiges Drehbuch zu verfügen oder seine Hauptdarsteller gefunden zu haben. Die erste Zeit verbrachte er stattdessen damit, Spezialeffekte und Schlachten zu filmen. Essentiell für seinen Film war das militärische Ausstattungsmaterial, welches er von der amerikanischen Armee beziehen wollte. Als dieser Milius’ Skript vorgelegt wurde, empfand sie es als „a series of some of the worst things, real and imagined, that happened or could have happened during the Vietnam War“ (Suid, S. 310). Das Verteidigungsministerium lehnte somit die Mitarbeit ab, da es jegliche Unterstützung des Projektes als Zustimmung oder Anerkennung der Philosophie des Filmes verstanden hätte (vgl. Suid, S. 311). Später sollte Coppola nochmals ein Telegramm direkt an den damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter schicken, um erneut Hubschrauber und Material der Armee anzufragen (vgl. Suid, S. 313). Nicht nur bei den Amerikanern blitzte Coppola ab, auch die australische Regierung wollte „not a film-extra-agency“ darstellen und lehnte die Bitte des Regisseurs nach 10,000 Soldaten und 400 Hubschraubern brüsk an (vgl. Suid, S. 311).

Fündig sollte Coppola schließlich bei der philippinischen Regierung von Ferdinand Marcos werden. Gegen eine hohe Summe wurden der Filmcrew amerikanische Hubschrauber, Panzer und anderes Material zur Verfügung gestellt. Nur gelegentlich wurden die Hubschrauber wieder abgezogen, weil Marcos mit ihnen einige Rebellen in anderen Teilen des Landes bekämpfen musste (vgl. Weyand, S. 118). Nichtsdestotrotz war die Anzahl an Statisten, Hubschraubern und Booten von Seiten der Regierung enorm. „There were three or four countries in the world we could have taken easily“, scherzte Dick White, der Flugberater des Filmes (Goodman/Wise, S. 213). Inzwischen hatte Coppola auch seine beiden wichtigsten Darsteller gefunden. Nach einigen Querelen mit Steve McQueen wandte sich der Regisseur erneut an seinen Vertrauten, Marlon Brando, um die Rolle von Colonel Kurtz zu verkörpern. Für 3 Millionen Dollar Gage sicherte der Star zu, vier Wochen in die Philippinen zu fliegen. Die Hauptfigur des Captain Willard sollte der aufstrebende Harvey Keitel spielen. Keitel, ein Stadtjunge, hatte große Probleme mit den Dreharbeiten im Dschungel (vgl. Goodman/Wise, S. 214). Nach den ersten Wochen Drehzeit bemerkte auch Coppola, dass Keitels Präsenz im Film nicht wirklich funktionieren wollte. Infolgedessen wurde Keitel als Hauptdarsteller gefeuert, wie genau dies geschah, ist umstritten. Ob Keitel seine Entlassung tatsächlich über seinen Agenten erhalten hat, nachdem ihm niemand direkt die Entscheidung mitteilen wollte, sei dahingestellt. Unbestritten ist jedoch, dass der New Yorker froh war, dass er zurück in die Staaten durfte.

Ersatz war schnell gefunden. Bei einem Aufenthalt in Amerika traf sich Coppola kurz in einer Flughafenlounge mit Martin Sheen. Sheen, der bereits für die Rolle des Michael Corleone in The Godfather vorgesprochen hatte, war aus zeitlichen Gründen gezwungen sein Engagement zuzusagen, ohne einen Blick in das Drehbuch werfen zu können. Zu diesem Zeitpunkt konnte Sheen noch nicht ahnen, worauf er sich genau eingelassen hatte. Nicht nur erwartete ihn beinahe der Tod, sondern die Dämonen des Projektes sollten ihn die nächsten Jahre hindurch in den Alkoholismus treiben. Mitverantwortlich dafür war mit Abstrichen auch Coppola selbst. Wie schon bei Keitel der Fall, so war der Regisseur auch mit Sheens Portraitierung unzufrieden. Um dem Schauspieler seine Rolle zu vergegenwärtigen, sperrte er ihn in ein Hotelzimmer ein und ließ ihn sich stundenlang betrinken. Dass diese Szene gefilmt wurde, hatte allein den Zweck, dass Sheen sich hinterher mit seiner Leistung auseinandersetzen konnte. Die finale Einbindung in den Film war ebenso wie einige andere Szenen eher von spontaner Natur. Wie so vieles bleibt auch die Hotelszene recht schwammig. Während Goodman und Wise berichten, dass Sheen derartig betrunken war, dass er unabsichtlich den Spiegel zerschlug und sich selbst verletzte (vgl. Goodman/Wise, S. 225), variieren die Berichte von einem geplanten Zerschlagen und einem unabsichtlichen aber bewussten Zerschlagen.

2.1. Who’s in charge here? – Willard, der Antiheld

Die ersten Minuten von Apocalypse Now verdanken sich dem Zufall. Bereits die Einleitung des Filmes entstammt sprichwörtlich dem Mülleimer, als Coppola in der Nachbearbeitung Überflussmaterial des Napalmangriffs entdeckte. Unterlegt mit „The End“ von The Doors (mit deren Sänger Jim Morrison Coppola übrigens zusammen zur Filmschule gegangen war), der Überlappung der Hubschrauberrotoren und des Deckenventilator und mit dem Sheen-Material entstand eine ungewollte aber dennoch – oder gerade deswegen – eindringliche Anfangssequenz, welche Gabriele Weyand sogar als „beste des Regisseurs überhaupt“ lobt (Weyand, S. 105). Hier inthronisiert Coppola seine Titelfigur: einen desillusionierten und inhaltsleeren Willard (Martin Sheen), der in seinem Saigoner Hotelzimmer vor sich hin vegetiert und seine Bestimmungslosigkeit in Alkohol ertränkt. Eine Figur, die sich nur noch durch den Krieg definiert. „I wanted a mission. And for my sins they gave me one“, erklärt Willard zu Beginn, um als Erzähler seiner eigenen Geschichte gleich vorweg zu nehmen: „When it was over, I’d never want another“. Die Einführung der Figur sieht Hellman sogar „through the specific conventions of the hard-boiled detective formula“ (Hellman, S. 57). Der Ermittler, engagiert um eine Person ausfindig zu machen, sich dabei immer mehr sowohl im Fall an sich als auch in der zu findenden Person verlierend.

Was für ein Mensch Willard ist, wird früh klar. Und es ist nicht unbedingt ein guter Mensch. Als ihn zwei MP zu einem Briefing abholen kommen, ist seine erste Reaktion nach seiner Anklage zu fragen. Später gesteht Willard dem Publikum, dass er mindestens sechs Menschen umgebracht hat, nachdem ihn Colonel Lucas (Harrison Ford) beim Briefing zuvor quasi als militärischen Auftragskiller geoutet hat. Eine Bezeichnung, die Willard selbst so nicht unbedingt akzeptiert, korrigiert er Kurtz bei ihrer ersten Begegnung mit den Worten: „I’m a soldier“. Letztlich trifft Kurtz’ Definition durchaus die Wahrheit. Willard als Laufbursche soll eine Rechnung eintreiben. Coppola zeichnet Willard als ruhigen Menschen, der über seinen Auftrag meditiert und mit seiner Umwelt kaum korrespondiert. Die meiste Zeit des Filmes über sieht man Willard folglich alleine auf dem Patrouillenboot in das Militärdossier über Kurtz vertieft. Mit den anderen Mitgliedern seiner Einheit spricht Willard nur selten und nur dann wenn es nötig ist. Exemplarisch hierfür auch die Playmate-Szene in Hau Phat, wo Willard während der Show alleine und abseits seiner Männer steht. Sein wahres Gesicht zeigt er schließlich nochmals in der Sampan-Szene, wenn er nach der durch Cleans (Larry Fishburne) Überreaktion missglückten Kontrolle die vietnamesische Frau erschießt, um den Fortgang der Mission nicht zu gefährden. Seine Äußerung gegenüber Chief (Albert Hall), dass, hätte dieser nicht extra gestoppt, das Massaker nicht passiert wäre, spricht für Willards Loyalität und Linientreue gegenüber seinem Auftrag.

Essentiell für die Entwicklung der Figur sind dann das Briefing zu Beginn und das Dossier über Kurtz. Hier greift General Corman (G.D. Spradlin) bereits die Analogie der Geschichte vorweg, wenn er Willard erklärt, dass in jedem Herzen eine gute, rationale und eine böse, dunkle, irrationale Seite herrschen. „Every man has a breaking point“, lautet sein Fazit und letztlich sein Resümee bezüglich Kurtz’ Verhalten. Als trivialer Aspekt sei die Hommage an Coppolas Regiekollegen und Freunde George Lucas und Roger Corman angesprochen, nach denen die beiden Offiziere in der Briefing-Szene benannt wurden. In jenem Dossier erhält das Publikum gleichermaßen mit Willard die ersten Eindrücke von Kurtz. Ein Paradebeispiel eines guten Soldaten, in höchsten Ehren gehalten. „The more I read and began to understand the more I admired him“, offenbart Willard im Laufe des Filmes. Ein schmaler Grat für ihn und im Kern eine Gefährdung seiner Mission. Wie er erst später erfahren wird, wurde bereits vor sechs Monaten mit Captain Colby (Scott Glenn) ein anderer Soldat losgeschickt, um Kurtz zur Rechenschaft zu ziehen. Coppola impliziert sogar, dass es Chief war, der Colby damals den Fluss hochgefahren hat.

Für Willard wird die Identifizierung mit Kurtz – beide waren in Westpoint, beide unternahmen mehrere Touren in Vietnam, beide hassen nichts mehr als Lügen – zu einem gefährlichen Spiel. Nicht ohne Grund sah Milius’ ursprüngliches Skript vor, dass Willard am Ende des Filmes, wie schon Colby zuvor, Kurtz unterstützen würde. Kurtz ist die Konstante im Film, das scheinbar einzig greifbar Reale in diesem Fluss von Surrealität, dem Willard sich ausgesetzt sieht. „The thing I felt the most … much stronger than fear, was the desire to confront him“, bestärkt Willard immer wieder sein Begehren. Einer der Aspekte von Apocalypse Now, der sehr stark an Joseph Conrads Novelle Heart of Darkness angelehnt ist. Es ist nachvollziehbar, weshalb Lucas und Corman sich Willard für ihre Mission ausgesucht haben. Nachdem der Green Beret Colby gescheitert ist, wahrscheinlich aufgrund der Ähnlichkeiten gegenüber Kurtz, ist es naheliegend, einen prädestinierten Killer wie Willard - den mal losschickt, um die Drecksarbeit zu erledigen - auf Kurtz anzusetzen. Weshalb Willard letztlich an dieser Aufgabe scheitern muss oder zumindest scheitern wird, hebt der Redux-Cut des Filmes von 2001 sehr ausführlich hervor. Eine These, die jedoch unter dem fünften Punkt, welcher sich eingehender mit den Unterschieden zwischen beiden Fassungen beschäftigt, genauer erörtert werden soll.

2.2. Of flying cowboys and neocolonialism – Das Herz des Films

Entgegen einer ausführlichen Vorstellung der Boots-Besatzung (ohnehin misslungen, wie in einer geschnittenen Szene zu sehen), schenkt Coppola den vier Männern zuerst lediglich eine kurze Einführung. Peu a peu wird Willard dem Zuschauer die Männer näher bringen, selbst wenn die erste Einstellung bereits nahezu ausreichend ist. Bezeichnend für die Charakterisierung ist eine singuläre Einstellung des Regisseurs. Beginnend mit Chef (Frederic Forrest), der ein Buch liest, schwenkt Coppola zu Mr. Clean, dem Teenager, ein Comic lesend, während sich der kalifornische Star-Surfer Lance (Sam Bottoms) aufs Sonnen beschränkt und Chief als Vater der Truppe das Boot lenkt. Nach der kurzen Vorstellung der Männer beginnt die eigentliche Mission, die kurz darauf zumindest im filmischen Sinne ihren Höhepunkt erreichen wird. Die schillerndste und in gewissem Sinne surrealste und doch beispielhafteste Figur, nicht nur für den Vietnamkrieg sondern auch für die Produktion von Apocalypse Now, wird die Szenerie betreten und die nächsten 24 Minuten dominieren. Bei einem Angriff erwartet Willard und seine Truppe die Begegnung mit Lt. Colonel Kilgore (Robert Duvall) und mit ihm quasi der Wahnsinn dieses Krieges. Die gesamte Sequenz dient Coppola, der aufgrund der Verhinderung einiger Schauspieler selbst einen Kurzauftritt als Fernsehregisseur hat, für eine Anprangerung an die eigene Zivilisation. Weyand sieht Kilgore hierbei als „wandelndes Zitat der amerikanischen Kultur“ (Weyand, S. 116).

Kilgore ist ein wahres Geschenk und die Ambivalenz in Person. Eingeführt wird er von seinem Hubschrauber aus, der die bezeichnende Aufschrift „Death From Above“ trägt. Mit Stetson-Hut verkörpert er damit in der Tat einen „flying cowboy“ (Norris, S. 499). Nachdem er gelandet ist, stößt er auf die Unmenschlichkeit seiner Soldaten. Ein sterbender Vietcong verlangt nach Wasser. Kilgore brüskiert sich, wird beinahe handgreiflich und will dem niedergerungenen Feind aus seiner eigenen Flasche zu trinken geben. Die Szene verkehrt sich ins Absurde, wenn er abrupt abbricht – sogar das Wasser verschüttet -, nachdem er erfährt, dass Lance anwesend ist. Hatte er Willard zuvor noch hinsichtlich seiner Mission abgewiesen, ist er nun wieder ganz Ohr. Wie Lance stammt Kilgore aus Kalifornien und surft. Ein glücklicher Zufall oder Vorherbestimmung. Das abendliche Lagerfeuer verkommt dann zur doppelten Allegorie. Für seine Männer war es sich Kilgore nicht zu teuer, Bier und Barbecue einfliegen zu lassen. Eine Widerspiegelung der neokolonialistischen Thematik des ganzen Krieges: „The colonialist (or neocolonialist) never truely leaves home, he takes home with him, duplicating its values and artefacts whereever he settles“ (Adair, S. 155).

Ein sich wiederholendes Schema im Film, beispielsweise wenn Lance Wasserski fährt, während Clean “Satisfaction” von den Rolling Stones im Radio hört, während die vietnamesischen Bauern von der Bugwelle des Bootes ins Wasser geworfen werden. Aber auch ein sich wiederholendes Schema für die Filmproduktion selbst, wenn Coppola sich zu seinem Geburtstag eine Torte aus den Vereinigten Staaten einfliegen ließ (vgl. Goodman/Wise, S. 215) oder Kameramann Vittorio Storaro und andere italienische Crewmitglieder Essen aus Rom importieren ließen (ebd.). Für Kilgore stellt es lediglich eine Versorgung seiner militärischen „Familie“ dar. Als Willard zurück auf seine Mission zu sprechen kommt, erklärt ihm Kilgore, dass der ausgewählte Landeplatz haarig sei. Diesen Fakt lässt er sich von einem seiner Männer sogar bestätigen, der nicht müde wird, dies zu betonen. Es sei so haarig, dass man neulich sogar einen Mann dort verloren hätte. Zufällig wird erwähnt, dass die Wellen an jenem Landeplatz jedoch sechs Fuß hoch seien. Logischerweise wird Kilgore sofort hellhörig, auch da Lance anwesend ist. Warum man ihm dies nicht früher gesagt hätte, will er wissen und bekommt sein eigenes Mantra entgegengeschmettert. Es sei haarig. Doch Kilgores Entscheidung ist gefallen und mündet in einem der gelungensten Filmzitate aller Zeiten: „Charlie don’t surf!“. Hier ist er wieder, der Neokolonialismus.

Was folgt ist jene Szene, für die Apocalypse Now im Gedächtnis geblieben ist und in die Filmgeschichte einging. Natürlich eingeleitet vom Kavallerie-Horn, die Surfbretter an die Hubschrauber neben die Maschinengewehre platziert, hebt das Geschwader des „fliegenden Cowboys“ ab. Die 14-minütige Walküre-Szene beanspruchte siebeneinhalb Wochen Drehzeit, resultierte in unglaublichen 130.000 Fuß Filmmaterial und beinhaltet „168 Einstellungen in 10,5 Minuten“ (Darmstädter, S. 41). Eine mehr als imposante Szene, virtuos inszeniert und photographiert, ihren Ausgang in dem überwältigenden Napalmangriff findend. Wenn man den Cuttern um Walter Murch glauben darf, wurde derartig viel in die Luft gesprengt, dass man daraus einen eigenen Film hätte schneiden können. Doch erneut bildet die Szenerie nur den Auftakt für die beeindruckende Leistung von Robert Duvall. Nochmals portraitiert Coppola dessen unwahrscheinliche Ambivalenz. Nachdem er einer vietnamesischen Mutter mit ihrem Kind einen Platz in seinem Hubschrauber sichert, zwingt er zwei seiner Soldaten quasi dazu, noch während des Gefechtes ins Wasser zu steigen und zu surfen. Es ist lediglich der Napalmangriff, der Lance vor demselben Schicksal bewahrt. Zugleich bietet die Szene noch den Auftakt für Duvalls vielleicht größte Szene in seiner Karriere. „I love the smell of napalm in the morning“, schwadroniert er und ergänzt, „it smells like victory“. Hier findet das Thema des hoch technologisierten Krieges ein kurzes aber prägnantes Echo.

3. Penetrating deeper and deeper into the heart of darkness – Conradsche Elemente
Joseph Conrads Novelle Heart of Darkness von 1899 bildete die Basis für Apocalypse Now, selbst wenn Conrad im Abspann keine Anerkennung erfährt. Basierend auf seinen eigenen Erlebnissen im Kongo erzählt Conrad von dem Seemann Marlowe, der im afrikanischen Dschungel auf die Suche nach dem Elfenbeinhändler Kurtz ging. Der gebürtige Pole behandelte zwei Themen in seiner Novelle. Auf der einen Seite, wie man sich denken kann, den Kolonialismus der europäischen Großmächte – in diesem Fall Großbritannien. Auf der anderen Seite impliziert seine Geschichte „a universal darkness in man“ (Hellman, S. 70). Die äußerliche Ähnlichkeit zu Coppolas bzw. Milius’ Werk ist gering, die innere dafür umso größer. Marlowe wird nicht geschickt, um Kurtz zu töten und letzterer stirbt schließlich auch durch die Hand eines Dritten. Zudem ist die Surrealität der Geschichte eher von rationaler Natur – ein Engländer zum ersten Mal in Afrika -, als dass ihr surreale Elemente wie in Coppolas Film inne wohnen. Identisch ist jedoch die Faszination der Titelfigur an Kurtz und dessen Korruption durch seine eigenen Dämonen.

Einige Elemente des Buches finden sich in Apocalypse Now sogar direkt wieder, zum Beispiel jener Aspekt, dass Marlowe Kurtz zuerst lediglich über das Hören kennenlernt. Es sind die positiven Stimmen, die Marlowe ein Bild dieses Mannes geben. „[Kurtz] was just a word for me. I did not see the man in the name any more than you do“, schreibt Conrad auf Seite 27 und später dann: „I made the strange discovery that I had never imagined him as doing, you know, but as discoursing. (…) The man presented himself as a voice” (Conrad, S. 47). Demgegenüber steht dann die grandios geschrieben Erzählstimme von Michael Herr für Willard, wenn dieser Sätze äußert wie: „I couldn’t connect up this voice with this man“. Hinsichtlich des Verlaufs von Apocalypse Now beginnt sich das Rad der Geschichte zurück zu drehen. Mit jeder neuen Station verlässt das Patrouillenboot mehr und mehr die Zivilisation und reist praktisch, noch deutlicher im Redux-Cut, in die Vergangenheit (vgl. Weyand, S. 108). „Going up that river was like travelling back to the earliest beginnings of the world“ (Conrad, S. 33). Genauso wie der Film spielt auch Conrad mit dem Bild, das er von Kurtz evoziert. Während Marlon Brando lediglich im letzten Sechstel des Filmes auftaucht, begegnen sich auch Marlowe und Kurtz erst, als bereits Dreiviertel der Geschichte erzählt wurden.

Was somit beide Geschichten eint, ist speziell der Wandel, den die Figur von Kurtz als Surrogat für die gesamte westliche Zivilisation erfährt. „He broke from them. And then he broke from himself“, lautet Willards Erklärung für das Verhalten des Abtrünnigen. Letztlich verkörpert Kurtz jenes westliche Ideal (sei es das Britische oder das Amerikanische), welches durch den Krieg und (Neo-)Kolonialismus korrumpiert wurde. „Kurtz (..) sees his own perversity as the interiorization of the perversity of the war“ (Norris, S. 498). Wenn man so will, stehen Willard, Kilgore und Kurtz exemplarisch für den Verlauf der USA während bzw. durch den Vietnam Krieg. Willard wie Marlowe verkörpern die alten Ideale, eine Idee des sauberen und gerechten Amerika. Durch das Bleiben auf dem (moralischen) Pfad, sichert man sich seine innerliche Ehrlichkeit. Dieses altruistische Bild der Demokratieverfechter des Zweiten Weltkriegs ist de facto nicht mehr präsent. An diese Stelle ist nunmehr Kilgore getreten, der Repräsentant des gegenwärtigen Amerika. Er verkörpert den Yankee, den Cowboy, der mit Stetson-Hut und Surfbrett Barbecue-Grills und Bier importiert. Kurtz hingegen stellt die Bedrohung des baldigen Amerika dar. Eine in der eigenen Dunkelheit verlorene Seele. „I think [the darkness] had whispered to him things about himself which he did not know, things of which he had no conception till he took counsel with great solitude – and the whisper had proved irresistibly fascinating“, fasst Conrad Kurtz’ Wandel in einem Satz zusammen (Conrad, S. 57).

4. He broke from them. And then he broke from himself – Der Blick in den Abgrund
Nach der Kilgore-Episode erwartet das Patroiullenboot ein Zwischenstopp auf der Basis Hau Phat. Das umfangreiche Set wusste seine eigene Geschichte zu erzählen und war unter anderem mitverantwortlich für die Explosion des Budgets, als es nach dem Einfall des Hurrikans „Olga“ im Grunde vollständig zerstört und wieder aufgebaut wurde (vgl. Weyand, S. 103f.). Coppola nutzte die Zeit, um sechs Wochen in die USA zu fliegen, um dort ein Ende für seinen Film zu finden. Zu diesem Zeitpunkt war der Regisseur bereits derart fertig mit den Nerven, sodass er sogar vom Tod sprach. Drehbuchautor John Milius wies er an, dass wenn er, Coppola, sterbe, Milius selbst die Regie für den Film übernehmen müsste. Sollte auch Milius sterben, würde die Regie an George Lucas fallen (vgl. Goodman/Wise, S. 223). Welch bittere Ironie, dass im Verlauf der Dreharbeiten beinahe tatsächlich jemand gestorben wäre. Eines Tages erlitt Martin Sheen während des Joggens einen Herzinfarkt (vgl. Weyand, S. 103f., sowie Goodman/Wise, S. 232). Er schleppte sich in einen Bus und konnte schließlich von Produktionsdesigner Dean Tavoularis gefunden werden. Um den Gesundheitszustand von Sheen soll es so schlecht gestanden sein, dass ihm ein herbeigeholter Priester bereits die Absolution erteilt hatte (vgl. Cowie, S. 200).

„Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein“, schrieb Friedrich Nietzsche in Jenseits von Gut und Böse. Ein Aphorismus, der begann Apocalypse Now zu überwältigen, sowohl im Film, als auch auf dem Set. Als Mitte des Filmes fungiert die Szene an der Do Lung Brücke – praktisch dem Rubikon von Vietnam. Jede Nacht bauen die amerikanischen Soldaten diese Brücke auf, bevor sie um 8 Uhr Morgens vom Vietcong wieder zerbombt wird. Diese Sysyphus-Arbeit dient dem alleinigen Zweck, behaupten zu können, dass der Weg nach Kambodscha frei sei. Dabei ist es lediglich der Vietcong, der sich der Brücke überhaupt bedient. Für Coppola selbst stellte jene Sequenz eine Allegorie auf Dantes Inferno dar. Das Dunkel der Nacht wird lediglich von gelegentlichen Scheinwerfern, Explosionen, Feuern oder einer Lichterkette durchbrochen. Von allen Seiten ertönen Schreie und als sich das Patrouillenboot der Brücke nähert, stürmen amerikanische Soldaten mit gepackten Koffern aus dem Ufer ins Wasser, um mitgenommen zu werden. „You’re in the asshole of the world, Captain“, ruft Willard ein Offizier zu, nachdem er ihm eine Erweiterung des Dossiers zukommen ließ und im Dickicht verschwand. Gemeinsam mit Lance, vollgedröhnt mit LSD und seinem Hundewelpen in der Brusttasche, macht sich Willard auf, um den Befehlshabenden Offizier ausfindig zu machen. Wieso wird nicht klar und der Sinn und Zweck der Szene ist auch vielmehr der sinnlose Wahnsinn zweier ungeordneter Parteien, sie sich unentwegt beschießen. Als Willard einen Soldaten schließlich fragt, wer nun der Befehlshabende Offizier sei, erhält er die bezeichnende Gegenfrage: „Nicht Sie?“.

Wie in den anderen Szenen stellt auch die Do Lung-Sequenz nur ein Spiegelbild der amerikanischen Bestrebungen in Vietnam dar. „The river journey (…) takes the detective and viewer, not through Vietnam as a separate culture, but through Vietnam as the resisting object of a hallucinatory self-projection of the American culture“ (Hellman, S. 70). Hier wird der Vietnamkrieg als ein sinnloses Gefecht dargestellt, welches auf Kosten des eigenen Verstandes ausgefochten wird. Auch die folgende Szene beinhaltet einen weiteren Kritikpunkt und zwar der des jungen Soldaten. In der geschnittenen Szene der Besatzungsvorstellunug erklärt Chief gegenüber Willard, dass Mr. Clean heißt wie er heißt, weil er sehr sauber und ordentlich sei. Passender ist jedoch die Interpretation von Greiff: „Clean (…) is in truth only a child, innocent as his name implies and not yet old enough (…) for valid moral choice“ (Greiff, S. 489). Mit der Situation eines Krieges kann der 17-Jährige (noch) nicht entsprechend umgehen. Dies äußert sich in seiner überhasteten Erschießung der Sampan-Besatzung und letztlich auch in seinem eigenen Tod. „Clean’s special role in the film, is as every war’s victimized infant – victimized in his pathetic death and even victimized in his pathetic killing of others.“ (Greiff, S. 489). Wenn Coppola den Tod des Teenagers schließlich simultan zu den Anweisungen seiner Mutter (im Übrigen ist hier Fishburnes eigene Mutter zu hören), sich vor den Kugeln in Acht zu nehmen und gesund nach Hause zu kommen, abspielen lässt, bedarf es für die Figuren keiner trauernden oder anklagenden Worte mehr.

4.1. Turning into Kurtz – Wenn Film zur Realität wird
Während der Film unweigerlich auf sein Finale zusteuerte – in einer weiteren direkten Conrad-Referenz scheidet auch Chief noch aus dem Leben -, hatte Coppola mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Nicht nur befand er sich bereits viel zu lange im philippinischen Dschungel, sondern sein Budget wuchs auf fast schon astronomische Ausmaße an. Aus den eingeplanten zwölf Millionen Dollar wurden dreißig und ein Großteil stammte aus Coppolas eigener Tasche. Apocalypse Now wurde im Laufe der Jahre zum heißen Eisen, an dem sich niemand die Finger verbrennen wollte. Die Verzögerungen bei den Dreharbeiten sorgten dafür, dass man in der Heimat bereits zynisch von Apocalypse Never scherzte. Für die enormen Kosten war Coppola jedoch selbst verantwortlich. Nicht nur bezahlte er der philippinischen Regierung Unsummen für deren Militärapparat, sondern mit Geld wurde allgemein nicht sonderlich gegeizt. Ähnlich wie Kilgore ließ es sich der Oscarpreisträger nicht nehmen, Steaks, Wein und Klimaanlagen aus Amerika einfliegen zu lassen, um den Aufenthalt im Dschungel so angenehm wie möglich zu gestalten. Es wurde bereits erwähnt, dass er sich zu seinem Geburtstag eigens eine Torte importieren ließ und auch die Bestellungen von Vittorio Storaro und den anderen Italienern am Set wurden angesprochen. Letzterer Fall ist exemplarisch für die Ausuferung des Budgets, denn jene Würste und andere Lebensmittel, die Storaro und Co. für $700 aus Rom orderten, kosteten im Nachhinein mit Versand und Zollgebühren ganze $8,000 (vgl. Goodman/Wise, S. 215).

Identifizierte sich Coppola zu Beginn noch mit Willard, wandelte sich dies im Laufe der Drehzeit. „He was turning into Kurtz“, hielt Coppolas Ehefrau Eleanor in ihrem Tagebuch fest (vgl. Weyand, S. 118). Der Italo-Amerikaner verlor sich inzwischen immer mehr in seinem Projekt. „My film is not (…) about Vietnam. It is Vietnam“, erklärte er (Weyand, S. 119; Herv. d. Verf.). Die Surrealität des Filmes nahm überhand. In einigen Szenen verwendete man echte Leichen, denn diese waren „less costly than dummies“ (vgl. Goodman/Wise, S. 216). Erinnerungen an den Pferdekopf in The Godfather werden wach. Immer wieder improvisierte Coppola während der Dreharbeiten, hielt sich schon lange nicht mehr primär ans Drehbuch, sondern filmte was ihm gerade einfiel. So erklärt sich die vielfache Verwendung der Rauchbomben, an deren Farben sich Coppola, Storaro und Tavoularis immer wieder ergötzten oder die Einbindung von Lance, der mit einem Pfeil im Kopf Chief zu Grabe trägt. Alles stets unter der Prämisse, dass der Regisseur keine Ahnung hatte, wie oder wann der Film enden sollte. Dies führte zur nur halb im Scherz geäußerten Bemerkung an Frederic Forrest, dass dieser nie wieder nach Hause kommen würde. Teilweise verbrachte Coppola seine Abende jammernd und den Tränen nahe, schier verzweifelnd an dem Projekt, dass er als seinen persönlichen Niedergang sah. Lediglich eine Affäre, die er auch nach den Dreharbeiten noch aufrecht erhielt, wusste seine Laune kurzzeitig zu bessern. Was Coppola inzwischen in Apocalypse Now betrieb, war filming by doing.

4.2. I don’t see any method at all – Marlon Brando und das Finale

Die Aussichten des Filmes wurden nicht besser. Marlon Brando kündigte sich an, um innerhalb von vier Wochen für drei Millionen Dollar seine Rolle als Kurtz zu spielen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Coppola immer noch keine Vorstellung davon, wie das Ende des Filmes aussehen würde, geschweige denn die Szenen mit Brando. Als dieser eintraf, verschlimmerten sich Coppolas Befürchtungen. Seit der Regisseur den Star das letzte Mal gesehen hatte, war dieser noch dicker geworden. Brando war von einer derartigen Fettleibigkeit gezeichnet, dass es dem Hollywood-Star schon selbst peinlich war. Während der ersten Tage war an Drehen nicht zu denken, da Brando sich weigerte, den Ideen von Coppola Folge zu leisten. Stattdessen verbrachten die beiden Männer die Tage damit, über Termiten zu diskutieren, während die Produktion stillstand. Erst als Brando Heart of Darkness gelesen hatte, konnte das Drehen weitergehen. Infolge seiner Fettleibigkeit wurde der Star größtenteils nur bis zu seinem Schultern gefilmt, während für die anderen Szenen ein Körperdouble einsprang. An ein Drehbuch war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu denken, es war praktisch nicht mehr existent. Stattdessen improvisierte Brando seinen Text die meiste Zeit, so stammt im Grunde sein kompletter erster Dialog mit Willard vollkommen von ihm selbst.

Das zeitliche Problem mit Brando war zugleich ein finanzielles. Sollte man seine Szenen nicht in den vertraglich vorgeschriebenen vier Wochen abgedreht haben, müsste man für jede zusätzliche Woche nochmals Millionenbeträge ausgeben. Teilweise wurde stundenlang von Brando improvisiert, woraus in der Post-Produktion halbwegs zusammenhänge Monologe geschnitten werden mussten. Grundsätzlich ist die Besetzung des übergroßen Kurtz mit dem übergroßen Brando sichtlich gelungen. Die Eigenheiten des enfant terrible verzeiht man ihm, wenn man zu Schätzen lernt, was er hier erschaffen hat. Auch die improvisierten Dialoge des Schauspielers sind von einer pointierten Präzision, die sich ganz in den Dienst der Surrealität des Filmes stellt. Lediglich die Conradsche Übernahme der finalen Worte („The horror. The horror.“) will im Film selbst nicht so recht passen, da der Kontext von Kurtz hier etwas differenzierter ist als in Heart of Darkness. Dennoch verkommt Colonel Kurtz zu einer von Brandos imposantesten Figuren, die sich vor Vito Corleone oder Terry Malloy nicht zu verstecken braucht. Für die Brando-Szenen gilt ebenso wie für einige andere Einstellung speziell, jedoch ohnehin für den Film allgemein, dass Storaro hier eine grandiose und beeindruckende Leistung abgeliefert hat. Sein Licht- und Schatteneinsatz stellen sich ganz in den Dienst der Handlung.

Erst kurz vor knapp fand Apocalypse Now sein heutiges Ende. Nach eigenen Angaben hatte Coppola um die 500 Entwürfe im Laufe der Zeit skizziert und alle verworfen. Letztlich verdankte der Film sein Finale Dennis Jakob, sowie der Dokumentation von Eleanor Coppola. Jakob, ein Kommilitone und Freund Coppolas von der Filmhochschule, hatte einst an einem Kurzfilm über James George Frazers The Golden Bough gearbeitet und den Film als Lektüre für Kurtz im Film nahegelegt. Jenes mythische Buch, in dem ein König getötet wird, damit dessen Nachfolger als neuer König für einen Neuanfang stehen kann, inspirierte Coppola letztlich zu den finalen Minuten, die für Kurtz und Willard ein Ende und zugleich einen Neuanfang darstellen sollten. Als Coppolas Frau Eleanor mit Aufzeichnungen von der rituellen Opferung eines Wasserbüffels durch das eingeborene Volk der Ifugao heimkehrte, offenbarte sich dem Regisseur jene Verbindung zwischen Zeremonie und Mord, die sich auch in anderen Werken (z.B. Cotton Club) finden würde. Das Ende war gefunden, der Film abgeschlossen. Anstatt Willard zum neuen König verkommen oder Kurtz’ Lager in die Luft sprengen zu lassen, begnügte Coppola sich mit einem relativ friedlichen Schluss und der Rückkehr von Willard und Lance in die Zivilisation. Doch das Ende der Dreharbeiten bedeutete noch lange nicht das Ende des Filmes. Die Nachproduktion sollte ebenfalls zu einem länger währenden Prozess werden, in welchem das, was man als „Film“ bezeichnen konnte, sich noch herauskristallisieren musste.

5. There are two of you, don't you see? – Die unterschiedlichen Filmfassungen
Schon bald nachdem man Apocalypse Now abgedreht hatte, verschob man den Starttermin. Zu diesem Zeitpunkt war der Film bereits ein Jahr überfällig und es wurde begonnen Immobilien von Coppola aufgrund seiner Verschuldung zu pfänden (vgl. Goodman/Wise, S. 257). Als Walter Murch 1977 zum Schnitt des Filmes dazu stieß, gestand er: „there was only a 20 per cent chance [I] could pull off the film“ (Cowie, S. 100). Coppola hatte einfach drauf los gefilmt, viele Szenen ergaben keinen Sinn, erklärten ihren Kontext nicht. Murch empfahl eine Erzählstimme einzubauen, die sogar im ursprünglichen Skript von Milius vorgesehen war. Im selben Jahr holte man Michael Herr an Bord, der mit seiner Aufsatz-Sammlung Dispatches über den Vietnam-Krieg zuvor für Aufsehen gesorgt hat (vgl. Cowie, S. 105). Schließlich sind es zu einem Großteil Herrs brillante Monologe, die den fertigen Film zu dem machen, was er letztlich geworden ist. Nichtsdestotrotz empfand Coppola sein Werk als zu lang für die Zuschauer. Im Zuge seiner Anmeldung beim Filmfest in Cannes – wo Apocalypse Now infolgedessen gemeinsam mit Die Blechtrommel die Palm d’Or gewann – wurde der Film stringenter geschnitten und existierte anschließend für gut zwanzig Jahre in seiner Kinofassung.

Ende der neunziger Jahre stolperte Coppola bei einer Fernsehausstrahlung über sein Werk und war überrascht. „[Apocalypse Now] looked like a regular movie”, bemerkte der Regisseur. Was folgte war die Wiederherstellung einer Schnittfassung, die mehr den Wünschen und den Ideen des Regisseurs entsprach. Die 2001er Version des Filmes, Apocalypse Now Redux getauft, sollte die Handlung bereichern und einiges verständlicher machen, während man die Stringenz des Originals durchbrach. Hierbei handelt es sich oft um Erweiterungen für Willards Entwicklung. Darunter fallen die „Flucht“ vor Kilgore und der Diebstahl seines Surfbretts. Für sich genommen wirkt der Diebstahl genauso wie Kilgores Reaktion auf diesen recht kindisch, zumindest aber nicht typisch für Willards Charakter. Es sollte jedoch bedacht werden, mit welchem Unglauben Willard auf die Begegnung mit Kilgore reagiert. Das Unverständnis, was man gegen Kurtz haben kann, wenn man Leute wie Kilgore an der langen Leine lässt. Jemand, der das Leben seiner Soldaten gefährdet, um zu Surfen. Gemeinsam mit der Playmates-Sequenz steht der Raub des Surfbrettes für die „Vermenschlichung“ des Armee-Killers. Willard, der Einzelgänger, ist nun Teil einer Einheit. Etwas, das für ihn ungewohnt ist, von dem er sich teilweise anstecken lässt (Surfbrettdiebstahl), aber dann auch gleich wieder distanziert (Marihuana-Konsum). Kilgores Bittstellung an Lance – der ursprünglich im Skript als Dieb vorgesehen war – reflektiert anschließend nur nochmals seine ganze Position zum Surfer und Neokolonialismus an sich.

Die nächste Erweiterung ist das verregnete Lager und die dort gestrandeten Playmates. Dass Willard hier als Zuhälter auftritt, der seiner Crew eine, um es euphemistisch auszudrücken, „Erleichterung“ zuteil werden lässt, resultiert aus den Anspannungen innerhalb der Truppe (die auch zugleich während Willards Abwesenheit erkenntlich werden). Die Sequenz an sich ist somit zum einen als Dienst an der Truppe zu verstehen und ein weiteres Indiz für Willards „Vermenschlichung“ und zum anderen weiteres Exempel für den Wahnsinn des Krieges (selbst ohne Feindkontakt), welcher selbst vor, wenn man sie so nennen will, „Unterhaltungsmedien“ nicht Halt macht. Es ist dieser offenere, umgänglichere Willard, der schließlich im Finale nicht der Versuchung erliegt, sondern der Verheißung des „Königreiches“ den Rücken zukehrt. Der stärkste Einschnitt geschieht jedoch sicherlich durch die 23-minütige Sequenz auf der französischen Plantage. Hier widmet sich Coppola allein in einer neunminütigen Tischszene (großartig ausgeleuchtet von Storaro) der Thematik des Vietnamkrieges. „You Americans are fighting for the biggest nothing in history“, urteilt Hubert de Marais (Christian Marquand) über die Bestrebungen der Amerikaner. Dass die amerikanische Regierung dieselben Fehler wie die Franzosen zwei Jahrzehnte zuvor begehen, das geschichtliche Thema des „geerbten Krieges“, kulminiert in der Klimax der Szene, wenn de Marais schließlich sein Verweilen in Vietnam dem Wohle der Familie unterordnet, die inzwischen, sich über die politische Lage brüskierend, vom Tisch entfernt hat.

Des Weiteren sorgen die Playmate- und Plantageszenen dafür, dass Apocalypse Now Redux sich von der gewöhnlichen Stringenz des Vorgängers entfernt. Es entstehen Pausen, Stimmungs- und Farbwechsel, sodass die Handlungspunkte (Sampan-Massaker, Do Lung Brücke, Mr. Cleans und Chiefs Tod) nicht Schlag auf Schlag geschehen, sondern in ruhigeren und durch ihre Einbindung in surrealere Szenen eingebettet werden. Zusätzlich erklärt die Plantagensequenz auch, was mit Cleans Leichnam passiert ist und fördert außerdem nochmals die Vermenschlichung von Willard. Wenn Roxanne (Aurore Clément) ihn nach einer Opiumpfeife (deren richtige Stopfung von einem extra von der philippinischen Regierung geschickten Gefängnisinsassen angeleitet wurde) seinen Charakterbruch („There are two of you, don’t you see? One that kills … and one that loves“) vergegenwärtigt, spielt auch dies wieder in die Entwicklung von Willard und seine finale Entscheidung den Militärdienst zu quittieren mit hinein. Währenddessen bezieht sich die ergänzte Kurtz-Szene mit den TIME Magazine Artikeln erneut auf den politischen Aspekt des Krieges. Wenn man so will, ist Apocalypse Now Redux durchaus ein Anti-Kriegsfilm, während dieser Aspekt in der Kinofassung weniger zu Tage tritt (vgl. Darmstädter, S. 40). Grundsätzlich ist die Geschichte jedoch eine „Frage nach der Grenze zwischen Gut und Böse“ (ebd.), in der Willard am Ende „by his own inner honesty“ (Cowie, S. 172) gerettet wird.

6. A fifth-grader in a third-grade world – Ein Fazit
Im Nachhinein kam Apocalypse Now obschon der Auszeichnung in Cannes bei den Kritikern nicht sonderlich gut an. Nach einigen Testvorführungen, vor denen Coppola darum gebeten hatte, anschließend keine Kritik zu verfassen, da es sich noch um einen Film im Arbeitsprozess handeln würde, war das Urteil teilweise vernichtend. Coppola glaubt sich im Audiokommentar zu entsinnen, dass das TIME Magazin den Film damals als das Schlechteste bezeichnete, was das Kino in den letzten vierzig Jahren hervorgebracht habe (was Coppola bedrückt zurück und sich fragen ließ, ob es nicht wenigstens nur der drittschlechteste Film sei). Auch andere Rezensenten blickten verachtend auf jenes Werk, das geschlagene drei Jahre auf sich warten ließ (Tookey spricht von einen prätentiösen Ende und einer hoffnungslosen, selbstverliebten Darstellung Brandos, vgl. Tookey, S. 32). Coppola, der inzwischen nicht nur sein Herzblut, sondern auch sein Vermögen in das Projekt gesteckt hatte, fühlte sich nicht entsprechend gewürdigt. „I feel like a fifth-grader living in a third-grade world“, schmollte der korpulente Regisseur (vgl. Goodman/Wise, S. 271).

Retrospektiv betrachtet zählt Apocalypse Now inzwischen zu den geschätzten Meisterwerken des vergangenen Jahrhunderts. Der Virgin Film Guide nennt das Werk „(…) one of the most complex and unforgettable war movies ever made“ (Virgin Film Guide, S. 34) und das britische Empire Magazin führt ihn auf Platz Sieben der 500 Besten Filme aller Zeiten. Kim Newman befindet den Redux-Schnitt als „einen langsameren Film, mit Geist und Gedanken“ (Newman, Internet), will sich jedoch nicht festlegen, welche der beiden Versionen die Bessere ist. Den Ausführungen im vorangegangenen Kapitel tendiert der Autor selbst dazu, die neue Schnittfassung der alten vorzuziehen. Es entsteht eine stimmigere Version mit mehr charakterlicher Tiefe, speziell wie angesprochen in Bezug auf Willard. Die endgültige Entscheidung, welcher der beiden Filme dem anderen überlegen ist, muss dennoch jeder Zuschauer und jede Zuschauerin für sich selbst treffen. Die Hochphase des fünffachen Oscarpreisträgers war nach Apocalypse Now jedenfalls vorbei, der Ruhm und die Anerkennung hatten gelitten, selbst wenn Coppolas Name weiterhin zahlreiche Stars zu seinen Projekten lockte.

Wie in der Einleitung angesprochen wurde, war Coppola bei der Rückkehr von den Philippinen nicht mehr derselbe Mann, der The Godfather gedreht hatte. Dieser Mann sei, so der Regisseur selbst, im Dschungel gestorben. „I think that I’m a more interesting person and I’m going to do more interesting films“, prognostizierte Coppola, der in den folgenden neun Jahren seinen zweiten Vornamen „Ford“ ablegen sollte (vgl. Goodman/Wise, S. 272). Es folgte mit den Achtzigern das Jahrzehnt seiner schwächsten schöpferischen Phase, in welcher Coppola sich vom Blockbuster-Denken zu lösen und in die lang ersehnte Arthouse-Richtung vorzustoßen versuchte. Es sollte noch Jahre dauern, ehe Apocalypse Now seine Kosten wieder einspielte und Coppola selbst hatte sich bereits ein neues, nicht minder kostspieligeres „Hobby“ zugelegt. Ein eigenes Gelände für sein ins Leben gerufenes Zoetrope Studio. Für über zwanzig Millionen Dollar würde Coppola hier Straßenzüge der Glitzerstadt Las Vegas nachbauen lassen und auf neue, technologische Innovationen für sein kommendes Projekt One from the Heart setzen. Doch keines seiner kommenden Projekte sollte je wieder an die Stärke seiner Schaffensphase der Siebziger anschließen können. Nichtsdestotrotz bleibt Francis Ford Coppola wahrscheinlich der dominierende Regisseur dieses Jahrzehnts schlechthin.


Apocalypse Now: 8.5/10
Apocalypse Now Redux: 9/10


Quellen und Literatur:
• Adair, Gilbert: Hollywood’s Vietnam. From THE GREEN BERETS to APOCALYPSE NOW, London/New York 1981.
• Audiokommentar von Francis Ford Coppola, Apocalypse Now Redux, Apocalypse Now Collector’s Edition, Miramax, 2006.
• Conrad, Joseph: Heart of Darkness. Authorative text backgrounds and contexts criticism, Paul B. Armstrong (Hrg.), New York/London 2006.
• Cowie, Peter: The Apocalypse Now Book, London 2000.
• Darmstädter, Tim: Artikel „Apocalypse Now“, in: Töteberg, Michael (Hrg.): Metzler Film Lexikon, Stuttgart/Weimar ²2005, S. 39-41.
• Goodwin, Michael/Wise, Naomi: On the Edge. The Life and Times of Francis Coppola, New York 1989.
• Greiff, Lois K.: Conrad’s Ethics and the Margins of Apocalypse Now. In: Conrad, Joseph: Heart of Darkness. Authorative text backgrounds and contexts criticism, Paul B. Armstrong (Hrg.), New York/London 2006, S. 484-491.
• Hellman, John: Vietnam and the Hollywood Genre Film. Inversions of American Mythology in The Deer Hunter and Apocalypse Now. In: Anderegg, Michael (Hrg.): Inventing Vietnam. The War in Film and Television, Philadelphia 1991, S. 56-81.
• Newman, Kim: Apocalypse Now Redux (1979/2000). In: Empireonline.com, o.J., http://www.empireonline.com/reviews/reviewcomplete.asp?FID=15049 <22 .03.2009="">
• Norris, Margot: Modernism and Vietnam. In: Conrad, Joseph: Heart of Darkness. Authorative text backgrounds and contexts criticism, Paul B. Armstrong (Hrg.), New York/London 2006, S. 491-499.
• o.A.: Artikel “Apocalypse Now”, in: The Eighth Virgin Film Guide, London 1999, S. 34.
• Suid, Lawrence H.: Guts & Glory. Great American War Movies, London u.a. 1978.
• Tookey, Christopher: The Critic’s Film Guide, London 1994.
• Weyand, Gabriele: Der Visionär. Francis Ford Coppola und seine Filme, St. Augustin 2000.

erschienen bei Wicked-Vision

9. November 2008

The Godfather. A Genesis

Times are changing for the worse.

New York City - Vier der einflussreichsten Mafiosi des Bundesstaates New York wurden erschossen aufgefunden. Die Ermordung der als „Dons“ bezeichneten Männer fand scheinbar durch unbekannte Attentäter simultan an verschiedenen Orten statt. Gemeinsam mit seinen Bodyguards wurde Anthony Stracci in einem Fahrstuhl erschossen. Auf Ottilio Cuneo wurden zwei tödliche Schüsse beim Verlassen eines Hotels abgegeben – er war in der Drehtür stecken geblieben. Während man Phillip Tattaglia mit einer nicht identifizierten Geliebten in einem Ferienhaus fand, wurde Emilio Barzini auf offener Straße vor dem Gerichtsgebäude hingerichtet. Zusätzlich meldete ein Massagesalon den Mord an Moe Greene. Greene, Casinobesitzer aus Las Vegas, wurde bereits mehrfach mit Barzini und anderen der oben angeführten Opfer in Verbindung gebracht. Die Polizei schließt eine „Säuberung“ innerhalb der Mafia somit nicht aus. Kenner der Szene wollen in Michael Corleone (35) den Anstifter des Anschlages ausgemacht haben. Corleone hatte ein Jahr zuvor die Leitung von Genco Imports übernommen, deren Präsident zuvor sein Vater, Vito Corleone, war. Vito Corleone selbst galt jahrelang als eines der fünf Familienmitglieder der New Yorker Mafia. Vor zehn Jahren war vor seinem Firmengebäude ein Attentat auf ihn verübt worden. Ausgegangen sei dieses, so hieß es damals auf der Straße, von dem Heroinhändler Virgil Sollozzo, genannt „der Türke“.

Sollozzo stand in engem Kontakt mit Phillip Tattaglia und wurde ein Jahr später gemeinsam mit Polizeihauptkommissar Mark McCluskey erschossen in einem italienischen Familienrestaurant aufgefunden. Ermittlungen zufolge hatte sich McCluskey anschließend als korrupt erwiesen. Michael Corleone selbst lehnt jedoch jegliche Verantwortung für den New Yorker Fünffachmord ab. Zudem wehrt er sich gegen Anschuldigungen, er sei ein Mafiosi. “That’s my family. That’s not me”, erklärte Corleone. Doch etliches spricht dagegen. Nicht nur dass Corleone sich zwischen 1947 (kurz nach dem Mord an Sollozzo und McCluskey) und 1950 nicht in New York aufgehalten hat, sein älterer Bruder Santino Corleone wurde im Frühjahr 1948 von dutzenden Kugeln erschossen bei der Zollstation nach New Jersey entdeckt. Auch Corleones Schwager, Carlo Rizzi, wurde vor einigen Tagen tot aufgefunden. Eine Beteiligung von Corleone an den Morden lässt sich allerdings bisher nicht nachweisen. “The kid’s clean, he’s a war hero!”, befindet Detective Phillips von der New Yorker Polizei. Es ist somit davon auszugehen, dass die Ermittlungen bis auf weiteres eingestellt werden. Die Familie Corleone selbst, so verkündete ihr Anwalt Tom Hagen, zieht in Kürze nach Lake Tahoe, Nevada.

So oder zumindest so ähnlich hätte eine Zeitungsnachricht aus dem Jahr 1955 aussehen können- wenn es sich bei Francis Ford Coppolas The Godfather nicht lediglich um einen Film handeln würde. Doch was steckt hinter diesem Film, den Christopher Tookey als „Meilenstein des siebziger Jahre Kinos“ beschreibt (Tookey, S. 305)? Eine turbulente Produktionsgeschichte geht der Adaption von Mario Puzos Bestseller voraus. Doch The Godfather entstand nicht 1971, als Coppola ihn dreht, und auch nicht 1967, als Puzo begann ihn zu schreiben. “Great movies aren’t usually planned a such; they happen through an unusual confluence of talents and qualities” (Virgin Film Guide, S. 291). Die eigentlichen Ursprünge von Coppolas Meisterwerk finden sich somit bereits 1948, gute zwanzig Jahre bevor Puzo seinen Roman verfassen sollte. Francis Ford Coppola, geboren am 7. April 1939 als zweites Kind von Carmine und Italia Coppola, hatte es in seiner eigenen Familie nicht leicht. Stets stand er im Schatten seines älteren und beliebteren Bruders August und erkrankte mit neun Jahren sogar an Polio. Ein ganzes Jahr lang war Francis ans Bett gefesselt und vertrieb sich seine Zeit hauptsächlich durch Fernsehsendungen. Kurz darauf begann er mit einer 8mm Kamera und einem Kassettenrekorder seine eigenen Sendungen aufzunehmen. Eine Leidenschaft entbrannte, die zwei Jahrzehnte später in seinem eigenen Filmproduktionsstudio American Zoetrope münden sollte.

“I am sure that from those shows came the idea of my own studio”, würde Coppola später behaupten (vgl. Goodwin/Wise, S. 20). Das Interesse an der Unterhaltungsbranche war geweckt und fand auf dem College seine Fortsetzung. Gleich in seinem ersten Semester gründete Francis einen Kino Workshop und arbeitete unter anderem mit seinem Freund und Kommilitonen James Caan an Theaterstücken mit. Obschon ungewöhnlich für einen Studenten inszenierte Francis mit einer Adaption von Eugene O’Neills The Rope sogar ein eigenes Bühnenstück. Die Produktion war desolat, alle Beteiligten am Set hielten Coppola für inkompetent. Doch entgegen der Erwartungen verlief am Premierenabend alles reibungslos. Der Vorsitzende der Theaterabteilung „considered The Rope the best student-directed show he had ever seen“ (Goodwin/Wise, S. 27). Kurz darauf war Francis der “campus superstar”. Es verwunderte nicht, dass er schließlich einen Platz an der UCLA Filmhochschule erhielt.

Hier sollte Coppola innerhalb der nächsten Jahre sein technisches Wissen erlangen – allerdings weniger durch den Unterricht selbst, als auf anderen Pfaden. Coppola war unzufrieden mit den Methoden der Schule, die seinem Empfinden nach zu wenig praxisorientiert waren. Obschon er mit Leichtigkeit Drehbuchpreise in Höhe von zweitausend Dollar gewann – sehr zum Neid seiner Kommilitonen - war Coppola chronisch pleite. Inspiration fand er durch die Arbeit von Russ Meyer. Dessen Nackedei-Filmchen deckten einen Markt ab, der auch für Coppola reizbar war. Immerhin konnte er so die Komponenten „Geld“ und „Filme machen“ miteinander verbinden. Für dreitausend Dollar drehte er schließlich The Peeper, die Geschichte von einem Spanner, der versucht von zu Hause aus ein Pin-Up-Shooting zu verfolgen. Doch der Erfolg blieb aus. The Peeper was a little to arty for the nudie marketplace” (Goodwin/Wise, S. 36). Zu kunstvoll - eine Bezeichnung, die sich Coppola stets für seine seriösen Projekte gewünscht, jedoch nie erhalten hatte. Insgesamt drei so genannte „nudies“ drehte Coppola. Seine Meinung bei den anderen Studenten wurde dadurch nicht wirklich gehoben.

Dafür sollte Francis einen anderen Freund gewinnen: B-Movie-Legende Roger Corman. Corman, der dafür bekannt war Kinofilme gerne mal in zehn Tagen für fünfzigtausend Dollar zu drehen, engagierte Coppola aufgrund seines Resümees fließend Russisch zu können. Seine Aufgabe sollte es sein, russische Filme zu übersetzen und neu zu synchronisieren. Dumm nur, dass Coppola entgegen seiner Angabe kein Wort Russisch konnte. Doch Corman störte sich nicht daran, war vielmehr von der schnellen Auffassungsgabe und Kreativität des Filmstudenten Coppola angetan. Im Ansehen seiner Mitschüler war Francis nunmehr vollends auf einen Tiefpunkt gesunken, die Zusammenarbeit mit Corman dagegen würde seine nächsten Jahre bestimmen. Dass diese sich ausgezahlt hat, wusste Coppola auch später noch zu bestätigen. “It was really an intensive course in the mechanics of putting a film together”, erklärte er. Dank Corman und den „nudies“ war Francis im Stande für verhältnismäßig wenig Geld Filme in kurzer Zeit auf die Leinwand zu bannen. Zu diesem Zeitpunkt war Coppola kaum mehr an der Filmhochschule anzutreffen, vielmehr begann er – obwohl er noch seinen Abschlussfilm schuldig geblieben war – als fester Drehbuchautor für das Produktionsstudio Seven Arts zu arbeiten.

In Hollywood kursierte ein Projekt namens Patton. Die Produzenten suchten für die Adaption der Biographie des amerikanischen Kriegshelden einen Drehbuchautor mit Militärvergangenheit. Als Jugendlicher war Francis einst von seinem Vater auf die Militärakademie geschickt worden. Was ihm damals als Fluch erschien, sollte sich in einigen Jahren als Segen herausstellen, der seine ganze Karriere retten würde. Obschon Coppola keine Ahnung vom US-Militär hatte - er war lediglich Teil des Orchesters auf der Militärschule gewesen – erhielt er den Vorzug. Zum Vorteil gereichte ihm auch seine Name unter Paris brûle-t-il?, was ihn in Augen von 20th Century Fox zum Experten für den Zweiten Weltkrieg machte. Sein ambivalentes Portrait von General Patton würde Coppola schließlich bei der Oscarverleihung 1971 den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch einbringen - und zugleich seinen Job bei The Godfather retten.

Auf Anfrage seines Verlages konzentrierte er sich auf das Thema „Mafia“, zuvorderst da man ihm einen Vorschuss gewährt hatte und Puzo selbst mit 20.000 Dollar in der Kreide stand. Drei Jahre lang recherchierte und schrieb Puzo an seinem Buch, das 1969 als The Godfather erscheinen sollte. Paramount sicherte sich die Rechte an dem Roman und engagierte Puzo für das Drehbuch. Doch als The Brotherhood, ein weiterer Mafiafilm des Studios an den Kinokassen floppte, stellte man The Godfather ein. Erst als der Roman zum Bestseller wurde, erhielt das Projekt erneut grünes Licht. Da der Roman jedoch für Kontroversen unter der italo-amerikanischen Bevölkerung sorgte – da man das Gefühl hatte, Italiener würden mit Mafiosi in einen Topf geschmissen - suchte das Studio nach einem Regisseur, den sie zugleich lenken konnten, der aber auch den Mob beruhigen würde. Am besten einen jungen Regisseur mit italienischen Wurzeln.

Schließlich wurde sein Budget auf zweieinhalb Millionen Dollar begrenzt, für den Film selbst gab man ihm 53 Drehtage. Coppola selbst hatte achtzig eingefordert, am Ende drehte man 62 Tage, die Kosten beliefen sich auf sechseinhalb Millionen Dollar. Weit problematischer waren dagegen Coppolas Besetzungsentscheidungen. Sowohl Puzo als auch er selbst hatten Marlon Brando in der Rolle von Familienoberhaupt Vito Corleone im Auge. Doch Brando war zum einen zwanzig Jahre jünger als seine Filmrolle und zum anderen bei den Studiobossen von Paramount verhasst. Erst ein Screentest – in welchen Coppola die Schauspiellegende trickste - überzeugte Paramount vom Gegenteil. Auch gegen die Besetzung des damals unbekannten Theaterschauspielers Al Pacino in der Rolle von Michael Corleone wehrten sie sich. Pacino wäre zu klein und sähe zu italienisch (!) aus, so die Begründung. Viel lieber hätte Paramount Robert Redford oder Ryan O’Neill in der Rolle gesehen. Dass Coppola die Charaktere von Sonny und Tom Hagen mit seinen Freunden James Caan und Robert Duvall besetzte, sah man ebenso wenig gern. Die Streitigkeiten zogen sich sogar bis hin zum Engagement von Nino Rota als Komponist. Doch Coppola gelang es sich in allen Fragen durchzusetzen.

Die erste Drehwoche begann und obwohl Coppola ein gutes Gefühl hatte, schien er der einzige zu sein. “The crew thought Godfather [Herv. d. Autoren] was going to be the biggest disaster of all time” (Goodwin/Wise, S. 129). Auch Paramount wollte – und verhehlte dies auch hinterher nicht - Coppola in den ersten drei Drehwochen durchgehend feuern. Mal war man mit Brandos Darstellung unzufrieden, dann wieder mit der von Pacino. Puzos Roman begann nun immer erfolgreicher zu werden, Coppola selbst hatte das Gefühl, “(…) the book was getting bigger than I was” (Johnson, S. 99). Paramount begann zu Hinterfragen, ob sie nicht einen größeren Regisseur engagieren sollten. “I was very unhappy during the The Godfather [Herv. d. Verf.]. (…) I didn’t have a hell of a lot confidence”, erklärte Coppola später. Doch Coppola, der dieses Szenario bereits von seinem College-Theaterstück The Rope kannte, ließ sich nicht unterkriegen.

Um seine Position zu stabilisieren entließ er kurzerhand einige seiner Mitarbeiter, von denen er das Gefühl hatte, sie würden gegen ihn konspirieren. Paramount war verunsichert und ließ Coppola gewähren. Innerhalb der ersten drei Wochen drehte der Regisseur jenen berühmten Mord an Sollozzo und McCluskey. Es war zum einen jene Szene, welche die Studiobosse endgültig zur Ruhe brachte und Coppola fortan gewähren ließ. Zum anderen gewann Coppola zu dieser Zeit auch seinen Oscar für Patton, was sein Ansehen innerhalb Paramounts selbstverständlich steigerte. Daher störte es auch nicht, als Coppola begann jede Woche einen Tag hinter den Produktionsplan zurück zu fallen oder für zusätzliche Millionen Außendrehs in Sizilien forderte. Paramount war sich sicher, einen erfolgreichen Film in Petto zu haben - und hatte dennoch keine Ahnung, auf was für einem Erfolg. In seinem ersten Monat sollte The Godfather jeden Tag mehr als eine Million Dollar einspielen. Die Nachfrage war so groß, dass man Vorführungen bereits um neun Uhr morgens ansetzte und diese bis Mitternacht laufen ließ. Sie alle waren ausverkauft. “The country was Godfather-crazy [Herv. d. Autoren]” (Goodwin/Wise, S. 139).

Da Bonasera von der amerikanischen Justiz keine Gerechtigkeit erwarten kann, hat er Vito Corleone (Marlon Brando) aufgesucht. Corleone fungiert für seine italienischen Mitbürger als „Pate“, doch ist die deutsche Übersetzung hier etymologisch unzureichend. God deutet auf die dogmatische Herrschaft des Don hin, father auf die Rolle als fürsorgliches Familienoberhaupt – der religiöse und der familiäre Aspekt vereinen sich“, beschrieb es Gabriele Weyand sehr treffend (Weyand, S. 66; Herv. d. Aut.). Denn die Rolle des Familienoberhauptes begrenzt sich für Corleone nicht nur auf sein Fleisch und Blut, sondern auf jeden, der sich unter seine Fittiche begibt. Etwas, das Bonasera vernachlässigt hat, was jedoch jetzt wieder aufgenommen wird. Eines Tages wird Bonasera dafür den Preis zahlen müssen. Das weiß er und er schluckt. Coppola präsentiert hier in einem abgedunkelten Büro quasi das Ganze seines Filmes in seinem Einzelnen. Eine in sich geschlossene Gesellschaft, durchtränkt von Ritualen und Traditionen, die sich nicht lenken lassen, sondern ihre Beteiligten lenken: “No Sicilian can ever refuse a request on his daughter's wedding day.”

In Armeekleidung betritt Michael Corleone (Al Pacino) die Bühne, für seine Freundin Kay Adams (Diane Keaton) ist dies eine fremde und neue Welt. Und es ist Kay, die stellvertretend für den Zuschauer fungiert, Fragen stellt. Ein dicklicher Mann sitzt unter der Veranda und brabbelt Dankessätze vor sich hin. Die Frage, um wen es sich hier handelt, stellt Kay sowohl für sich als auch das Publikum. Es ist Luca Brasi (Lenny Montana), ein Angestellter von Michaels Vater. Und es obliegt Michael auch die letzten Zweifel auszuräumen. Sein Vater ist ein „Don“, ein Mafiaboss und Brasi sein Auftragskiller. Eine Offenbarung für Kay. Doch die Versicherung folgt sogleich: Michael ist kein Teil dieses Familiengeschäftes. Der Anfang der Katharsis des Filmes. Nachdem die beiden entscheidenden Figuren, Vito und Michael Corleone, eingeführt wurden, beginnt Coppola die eigentliche Geschichte des Filmes zu erzählen.

Ein Erlebnis, das auch ihn nachträglich prägen wird. Was folgt ist der Kampf der Corleones gegen die vier Familien des Staates New York, wobei „(…) die Corleones (..) im Grunde als die Guten im Kampf gegen das Böse dargestellt [werden]“ (Weyand, S. 61). Um die Sympathien des Publikums auf eine Fraktion zu vereinen, wird diese Fraktion von der Realität abstrahiert dargestellt. In Folge dessen agieren die Corleones nicht wie normale Mafiosi, pflegen andere Werte als normale Mafioso und wirken für den Zuschauer greifbarer und persönlicher. Genährt wird dies speziell von der Darstellung des Vito Corleone, den „man nie ein Verbrechen begehen [sieht]“ (Weyand, S. 68). Corleone lehnt den Drogenhandel ab, sucht nach Frieden mit den anderen Familien, will seinen Sohn aus dem Exil zurück haben und stirbt spielend mit seinem Enkelsohn. Sonny hingegen stirbt einzig aus dem Grund, weil er seine Schwester vor ihrem gewalttätigen Mann Carlo (Gianni Russo) beschützen wollte. Wenn Michael Sollozzo und den korrupten Polizeichef McCluskey (Sterling Hayden) erschießt, fühlt auch das Publikum innerlich eine gewisse Befriedigung für jenen hinterhältigen Anschlag auf Don Vito kurz vor Weihnachten.

Doch auch hier nahm Coppolas Karriere nicht die erhoffte Wendung. Die Mehrheit seiner verfassten Drehbücher wurde von Seven Arts nicht verfilmt, die Versicherung ihn bei einem eigenen Film Regie führen zu lassen stets hinausgeschoben. Dem Jungregisseur wurde es allmählich zu bunt, sein Ausstieg stand kurz bevor. Zuvor flog er jedoch von Seitens Seven Arts noch nach Paris, wo er als Script Supervisor für René Clements Paris brûle-t-il? fungieren sollte. Dass sein Name letztlich als Drehbuchautor auftaucht, verdankt sich nicht Coppolas aktivem Mitwirken am Film selbst, sondern der Tatsache dass keiner der französischen Autoren Mitglied er Gewerkschaft gewesen war. Doch seine Entscheidung nach Paris zu fliegen würde sich für Coppola noch auszahlen.

Zwar eiste sich Coppola von Seven Arts los, war aber immer noch aufgrund eines seiner Drehbücher, You’re a Big Boy Now an seinen Arbeitgeber gebunden. Immerhin konnte er dieses Mal auch als Regisseur agieren und hatte den notwendigen Schritt vom Drehbuchautor zum Regisseur zurück getan. Sein Engagement wurde fortgesetzt, Coppola als Regisseur für The Rain People und Finian’s Rainbow engagiert. Seven Arts war inzwischen von Warner Bros. aufgekauft, die vorherige Abteilung in Warner Seven (W-7) umgetauft worden. Es war jenes Set von Finian’s Rainbow, das die nächste Überraschung für Francis bereithalten sollte. Durch einen Kurzfilm hatte sich ein Filmstudent der USC in San Diego in Filmkreisen einen Namen gemacht. Warner Bros. war so beeindruckt, dass man ihm ein sechsmonatiges Stipendium anbot. Er dürfe frei an jedem Projekt auf dem Studiogelände mitwirken. Allerdings gab es zu jener Zeit nur ein Projekt auf dem Studiogelände: Finian’s Rainbow. Der zwanzigjährige Filmstudent, der eines Morgens bei Coppola auf der Matte stand war George Lucas. Sein ausgezeichneter Kurzfilm THX-1138: 4EB. Coppola und Lucas freundeten sich sofort an.

Doch aus beiden sollte innerhalb weniger Jahre weit mehr werden als Freunde. Gemeinsam gründeten sie das von Coppola lange angestrebte Studio American Zoetrope. Die Finanzierung für das Studio stammte jedoch von Warner Seven. „All I want from Hollywood is their money“, hatte Coppola einst gesagt und hätte sich beinahe verpokert. Dreieinhalb Millionen Dollar sollte Francis dafür erhalten, dass er W-7 sieben Filmideen zukommen ließ. Darunter befanden sich The Conversation (für dessen Hauptrolle Marlon Brando angedacht war, der jedoch absagte), sowie die Kinoadaption von Lucas’ THX-1138 und ein zweites Projekt namens Apocalypse Now, welches George Lucas nach THX drehen wollte. Warners Geld floss in Zoetrope und Coppolas Träume schienen endlich wahr zu werden. „In San Francisco movie makers have total control and total freedom“, umschrieb er einst das Konzept von Zoetrope. In einem alten Lagerhaus in San Francisco hatte er das Studio platziert, welches von jungen Filmemachern dafür genutzt werden konnte, Filme ohne Druck der großen Studios zu drehen. Laut Coppola hatten bereits Orson Welles, Stanley Kubrick, Mike Nichols und John Schlesinger Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet. Doch es kam alles anders.

Während Lucas für 800.000 Dollar seine Adaption THX-1138 drehte, floppten Coppolas zwei Spielfilme The Rain People (mit James Caan und Robert Duvall) und Finian’s Rainbow grandios an den Kinokassen. Coppola wurde zu W-7 bestellt und mitgeteilt, dass man auch mit der Fassung von THX-1138 nicht zufrieden sei. Das Studio zog die dreieinhalb Millionen Dollar zurück, die sie Coppola als Leihgabe offeriert hatten. “The day Coppola returned to Zoetrope came to be known as the ‚Black Thursday’” (Goodwin/Wise, S. 106). Für Warner Seven stand inzwischen fest, dass Zoetrope nichts weiter war als ein Lagerhaus voller Hippies. Coppola selbst war schlagartig am Rande des Ruins und mit 500.000 Dollar hoch verschuldet. Welles, Kubrick und Co. sprangen von ihrer Zusammenarbeit ab, die Karrieren von Coppola und Lucas standen auf der Kippe. Zu jenem Zeitpunkt arbeitete Schriftsteller Mario Puzo an seinem dritten Roman.

Dabei war Coppola eigentlich nur dritte Wahl von Paramount, die zuvor erfolglos bei Peter Yates (Bullitt) und Costa-Gavras (Z) angefragt hatten. Auch von Coppola holten sie sich mehrfach eine Absage ein – doch das war vor dem „Schwarzen Donnerstag“. Was folgt ist eine Szene, die inzwischen ihren Weg in die Filmannalen gefunden hat. Im Büro von Zoetrope klingelte das Telefon, Coppola nahm an und erhielt erneut das Angebot Regie bei The Godfather zu führen. Mit ihm Büro befand sich Coppolas Freund Lucas. Francis nahm den Hörer vom Ohr, legte seine Hand auf die Sprechmuschel und fragte: “George, what should I do? Should I make this gangster movie or shouldn’t I?” Lucas antwortete: “Francis, we need the money. And what have you got to lose?” (vgl. Goodwin/Wise, S. 110). Es war letztlich ein Angebot, das Coppola nicht ablehnen konnte. Doch der größte Ärger sollte erst noch folgen. Paramount wollte einen Low-Budget-Film drehen, Coppola sollte die Kosten so nah bei einer Million Dollar halten wie möglich.

Das Bild ist schwarz, da ertönt eine Stimme. Eine Stimme, in der Stolz und zugleich eine gewisse Verletztheit mitschwingt. “I believe in America”, erklärt diese Stimme, die zu diesem Zeitpunkt noch kein Gesicht hat. Es ist die Stimme von Amerigo Bonasera (Salvatore Corsitto), einem eingewanderten Leichenbestatter. Bonasera glaubt an Amerika, für ihn ist das Land der Gerechtigkeit, der Gesetze. Als sein Gesicht ins Bild kommt kann der Zuschauer diesen Stolz und seine verletzte Würde sehen. Die Tochter von Bonasera wurde sexuell genötigt. Es kam zwar zu keinem Übergriff, aber die beiden Männer haben sie anschließend zusammengeschlagen. Vor Gericht kamen sie jedoch frei, das amerikanische Rechtssystem hat versagt. Während Bonasera die Geschichte seiner Tochter erzählt, fährt die Kamera von Gordon Willis langsam zurück. Eine ungewöhnliche Einstellung für die damalige Zeit, eine Einstellung, die der erfahrene Kameramann stets missbilligend betrachtet hat. Doch jener out-zoom ist eine der großen Stärken zu Beginn des Filmes. Stück für Stück fährt die Kamera zurück und enthüllt allmählich Bonaseras gegenüber. Erst eine Hand, dann der Rücken. Es verleiht seinem Gesprächspartner etwas majestätisches, wie ein König, der einem Bittsteller seine Zeit schenkt.

Nachdem Coppola nunmehr (s)eine Atmosphäre geschaffen hat, schneidet er zum eigentlichen Anfang seines Filmes, so wie er ursprünglich im Drehbuch stand. Von der dunklen, abgeschotteten Welt des Büros von Vito geht es hinaus in das helle Tageslicht einer Hochzeitsgesellschaft. Dem klassischen Erzählkino folgend führt Coppola hier alle seine Charaktere nacheinander ein. Von Connie Corleone (Talia Shire), deren Hochzeitsfeier man beiwohnt, bis hin zu Peter Clemenza (Richard S. Castellano) und Sal Tessio (Abe Vigoda), den beiden caporegime von Corleone. Es bräuchte wohl keine Musik, um festzustellen, dass es sich um eine italo-amerikanische Gruppe handelt. Es fließt viel Wein, wird viel gesungen und viel getanzt. Als Kontrastprogramm wirkt da ein hinzu stoßender Besucher mit seiner hellhäutigen WASP-Begleiterin.

Der Heroinhandel beginnt zu blühen. Andere Familien wie die von Phillip Tattaglia (Victor Rendina) steigen ein, dessen Handlanger und Drogenhändler Virgil “the Turk“ Sollozzo (Al Lettieri) offeriert das neue Geschäft Don Vito. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein freundschaftliches Teilen, sondern wie es sich gehört regiert der Eigensinn. Tattaglia will sich die guten politischen und juristischen Kontakte der Corleones sichern, diesen somit quasi mit in seinem Boot haben. Doch Don Vito lehnt ab, der Drogenhandel sei ein schmutziges Geschäft, das seine legitimen Partner nicht gutheißen würden. Zu diesem (frühen) Zeitpunkt verlassen Coppola und Puzo bereits die authentischen Pfade ihrer Geschichte. Denn The Godfather ist im eigentlichen Sinne kein Film über die Mafia, erst recht keiner, der ein reales Bild abzugeben gedenkt. Coppolas Film ist „eine Familiensaga“ (Darmstädter, S. 258), kein Portrait der Mafia. Es ist Vitos ältester Sohn Santino (James Caan), genannt Sonny, der seine Familie ins Unglück stürzt. Eine unbedachte Bemerkung reicht Sollozzo auf Vito einen Mordanschlag zu verüben, damit der Weg frei für Sonny und somit für das gemeinsame Geschäft. Jener flapsige Ausbruch wird das Leben aller Beteiligten für immer verändern. Zwei Tage vor Weihnachten wird auf Don Vito geschossen, sein zweitältester Sohn Fredo (John Cazale) kann das Attentat nicht verhindern.

“I don’t like violence. I’m a business man”, erklärt Sollozzo gegenüber Tom Hagen (Robert Duvall) und manifestiert damit die Quintessenz des Filmes. Jenes ruhige Kalkül fehlt Sonny, der Dinge allgemein zu persönlich nimmt. Die Grenzen zwischen der Person und dem Geschäft vermischen sich jedoch in Puzos Welt. “Although the Corleones think of themselves as a family, they are better described as a family-run business, and it’s the survival of the business, not the family, that is of paramount importance” (Leitch, S. 121). Es stimmt also folglich nicht ganz, wenn Michael erklärt es sei eine geschäftliche und keine persönliche Frage Sollozzo und McCluskey auszuschalten. Als Michael realisiert, dass die Sicherheit seiner Familie gefährdet wird, beginnt er sich für seine Familie und somit „geschäftlich“ zu engagieren. Im Grunde unterteilt sich The Godfather in zwei Filme von jeweils knapp neunzig Minuten Lauflänge. Bezeichnenderweise wurden die beiden Hälften von unterschiedlichen Cuttern bearbeitet. Die erste Hälfte bis zu Sonnys Ermordung schnitt William Reynolds, die zweite Hälfte von Michaels Exil bis hin zu seiner Inthronisierung als „Don“ bearbeitete Peter Zinner. Die Handlung selbst folgt einer stringenten Reihenfolge, obschon die Chronologie –- der Plot erstreckt sich über ein Jahrzehnt – für den Zuschauer nicht wirklich greifbar ist. So können zwischen zwei Szenen auch mal zwei Jahre vergehen, ohne dass das Publikum dies anhand des Inhalts nachvollziehen könnte.

Dass dies so gut gelingt ist sicherlich der Verdienst der Zusammenarbeit von Puzo und Coppola. “Depending on your point of view, Puzo’s book is either high-class junk or low-grade literature”, befinden Goodwin und Wise (vgl. Goodwin/Wise, S. 117). In seinem Roman verliert Puzo sich in vielen Nebenhandlungen, wie der Liebesgeschichte von Sonnys Geliebter mit ihrem Arzt im Krankenhaus. “[Coppola] must be praised in particular for the material he chose not [Herv. d. Autor] to present on the screen. He deleted many, many things that were in the book. And he was right right every time” (Johnson, S. 117). Dass Coppolas Stärke eher bei seinen Charakteren und Dialogen liegt, zeigen auch andere seiner Filme wie The Rain People oder The Conversation. Durch die Arbeit mit Puzo erhielt Coppola nun ein Grundgerüst einer Handlung, die er nach seinen Wünschen modellieren konnte. Herauskam eine in sich geschlossene Handlung, die auf beeindruckende Art und Weise den Fall eines einzelnen Mannes (Michael Corleone) erläutert und dessen Katharsis nachvollziehbar und greifbar macht.

Die Klimax des Filmes ist dabei das würdige Ende nicht nur jener Katharsis sondern des ganzen Werkes. Die Parallelmontage der Taufszene, in welcher Michael dem Teufel abschwört und letztlich seine letzten christlichen Prinzipien zu Grabe trägt ist nicht nur aufgrund ihrer Gewaltdarstellung eindringlich. “Michael has ensured his family’s survival and success, but only at the price of dishonouring [sic] his religious faith, his father’s moral principles, his sister’s happiness, and his wife’s trust” (Leitch, S. 124). Zu diesem Zeitpunkt ist die Geschichte von Puzo im Grunde zu Ende erzählt, der beiden Fortsetzungen hätte es nicht mehr bedurft. Wenn Michael die Tür vor Kay verschließen lässt, ist die bereits eine Abzeichnung der Ereignisse, die Coppola in seinen beiden Fortsetzungen präsentieren sollte. An die Klasse von The Godfather sollten sie jedoch nicht mehr heranreichen. Dass einige Figuren wie Fredo oder auch Don Vito statisch bleiben, stört hierbei nicht. Zwar schenkt Coppola in dem zwei Jahre später folgenden Sequel Don Vitos Katharsis viel Aufmerksamkeit, für das Verständnis der Figur im ersten Teil ist dessen Vergangenheit jedoch unerheblich.

Stanley Kubrick empfand The Godfather als den wahrscheinlich besten Film aller Zeiten, mit Sicherheit jedoch als den bestbesetzten Film aller Zeiten. In der Tat macht sich Coppolas Entscheidung Familie und Freunde zu engagieren bezahlt. Über allem schwebt natürlich die Darstellung von Marlon Brando, dessen Leistung exemplarisch für exzellentes Schauspiel gelten könnte. Allein die Szene in Bonaseras Bestattungsunternehmen, wenn er sich über Sonnys Leiche beugt ist ganz großes Kino. Doch auch Duvall und Pacino können überzeugen, während Cazale und Keaton an ihrer geringen Leinwandpräsenz zu knabbern haben. Spezielles Lob gebührt auch den italo-amerikanischen Darstellern wie Lettieri oder Corsitto. Unterstützt wird das Ambiente von Nino Rotas Score, der mit Kompositionen von Carmine Coppola, Francis’ Vater gewürzt ist. Neben seinem Vater waren auch seine Mutter und Schwester Talia mit am Film beteiligt. “The Godfather-films [Herv. d. Verf.] are really…I always felt they were films about a film made by a family”, erklärte Coppola später.

Den Vorwurf des Nepotismus sollte sich bei Coppola gerade bei The Godfather: Part III nochmals erhärten. Es ist diskutabel, ob man der Interpretation des Filmes von Coppola und Brando folgen will. Beide sehen die Mafia im Film als Analogie zu den USA (daher auch Bonaseras Eingangssatz). “I feel the Mafia is an incredible metaphor for this country”, betonte Coppola (vgl. Johnson, S. 114). Seine Begründung wirkt jedoch wenig glaubwürdig. Dass sowohl die USA als auch die Mafia beide aus Europa stamen, sich für gut gemeinte Organisationen halten und durch die Durchsetzung ihrer Werte Blut an den Händen haben ist kaum ausreichend um eine Analogie anzustreben. So verwundert es auch nicht, dass für viele Zuschauer die Darstellung der Mafia im Film sehr authentisch war. Jenes Bild konnte nur positiv sein, da wir bereits angesprochen die Corleones speziell sympathisch gewichtet werden.

Jene Filme, welche die Massen dazu bewegten beim Anstehen die Häuserblocks zu „sprengen“, führten zur Kommerzialisierung der Hollywood-Filme. Zu jenen Ur-Filmen zählt auch The Godfather, dessen Vorstellungen im ersten Monat ausverkauft waren und dessen Merchandising großflächig war. Der Film wurde ein weltweiter Erfolg, spielte dreihundert Millionen Dollar ein und war (die Inflation nicht berücksichtigt) der bis dato erfolgreichste Film aller Zeiten. Unter anderem durch The Godfather „(…) wurden einzelnen Filmen immer mehr Wichtigkeit beigemessen“. Es begann eine Phase, in der ein einzelner Film über den Bankrott eines ganzen Studios entscheiden konnte (wie später im Fall von Heaven’s Gate fast eingetreten). Bei der folgenden Academy Award Verleihung wurde der Film mit drei Oscars ausgezeichnet, darunter für den besten Film, den besten Hauptdarsteller (Brando) und das beste adaptierte Drehbuch (Coppola, Puzo). Zudem war der Film in acht weiteren Kategorien nominiert, hierunter allen dreimal (Pacino, Duvall, Caan) für den besten Nebendarsteller. Coppolas Karriere war gerettet, sein Konkurs abgewendet und sein Name international bekannt. Als Ausgleich erhielt die Filmwelt eines der besten Werke aller Zeiten.

Bestes Beispiel hierfür ist erneut Don Vito, der sich gegenüber jedem loyal verhält, der auch ihm gegenüber loyal ist. “In reality, the Mafia Dons and their henchman by no means embodied pure loyalty. They double-crossed each other repeatedly”, erläutert Johnson (vgl. Johnson, S. 110). Das Bild der Mafia war damals so positive durch Puzos Roman, dass das Gerücht umging, sie hätte dem Autor eine Million Dollar bezahlt, um The Godfather zu verfassen. “I treasure the compliment”, entgegnete Puzo damals (vgl. Johnson, S. 96). Tatsächlich kam Coppolas Film bei der amerikanischen Mafia so gut an, dass alte Bräuche wie das Küssen der Hand einer einflussreichen Person in den eigenen Organisationen wieder aufgenommen wurden. Nichtsdestotrotz ist The Godfather, wie Tookey es beschrieb, ein Meilenstein des amerikanischen Kinos. Insbesondere wenn man die durch diese Arbeit erläuterten Umstände des Filmes bedenkt und Coppolas immenses Durchsetzungsvermögen entgegen aller Steine die sich in seinen Weg legten. Mit seinem Film begründete Coppola die Existenz jener Filme, die heutzutage „blockbuster“ genannt werden.

10/10 – in anderer Form erschienen bei Wicked-Vision

Quellen und Literatur:

• Audiokommentar von Francis Ford Coppola, The Godfather – The Coppola Restoration, Paramount Pictures 2008.
• Darmstädter, Tim: Artikel „The Godfather“, in: Töteberg, Michael (Hrg.): Metzler Film Lexikon, Stuttgart/Weimar ²2005, S. 258-260.
• Goodwin, Michael/Wise, Naomi: On the Edge. The Life and Times of Francis Coppola, New York 1989.
• Johnson, Robert K.: Francis Ford Coppola, Boston 1977.
• Leitch, Thomas: Crime Films, Cambridge 2002.
• o. A.: Artikel “The Godfather, in: The Eighth Virgin Film Guide, London 1999, S. 291.
• Tookey, Christopher: The Critic’s Film Guide, London 1994.
• Weyand, Gabriele: Der Visionär. Francis Ford Coppola und seine Filme, St. Augustin 2000.