14. Oktober 2008

Mein Freund aus Faro

Bin ich jetzt lesbisch?

Manchmal sitzt man im Kino und neben einem sitzt ein Pärchen und knutscht rum. Und manchmal sitzt ein lesbisches Pärchen neben einem im Kino und knutscht rum. Insbesondere dann, wenn man zu Gast beim 15. Queer Film Festival in Bremen ist. Da kommt man sich als Hetero in einem Kinosaal voller Homosexueller respektive Lesben doch etwas deplatziert vor. Zudem ist es auch etwas schade, dass ein Film wie Mein Freund aus Faro sowohl beim Queer Film Festival als auch regulär hier in Bremen im Cinemaxx in einer Lesben-Nacht gezeigt wird. Das gibt dem Werk ein derartiges Etikett, dass manch einer sich vielleicht vergrault fühlt. Gerade diejenigen, die etwas homophob sind. Als besonderes Schmankerl wussten die Bremer dann auch noch mit einer Interviewrunde mit Regisseurin und Autorin Nana Neul aufzuwarten, die zuvor beim Max-Ophüls-Preis in der Kategorie SR/ZDF-Drehbuchpreis ausgezeichnet wurde. Dass gerade die Authentizität des Drehbuches beim, selbstverständlich nicht nur, homosexuellen Publikum gut ankam, bekräftigt die Auszeichnung nochmals. Und in der Tat weiß Neul durchaus gelungen die gegenwärtige Jugend in ihrem Portrait in eine zeitlose Geschichte zu verpacken und dennoch ungemein authentisch zu wirken. Vorab sei jedoch gesagt, dass obschon die Geschichte laut Regisseurin auf einer wahren Geschichte basiert, sie nicht sonderlich innovativ ist. Dabei muss sie dies nicht zwingend sein, wirkt allerdings letztlich doch nur wie ein deutscher Abklatsch von Kimberly Peirces Boys Don’t Cry. Nichtsdestotrotz ist es für einen deutschen Film eine beachtliche Leistung und innerhalb des nationalen Wettbewerbs mit Schrott aus der Eichinger Schmiede und Co. ein kleines Juwel. Dafür dass es sich um das Spielfilmdebüt von Neul handelt, wirkt die Bewertung eventuell schlechter als der Film wirklich ist.

Neul wirft den Zuschauer direkt hinein in ihre Geschichte und hält sich auch nicht mit Erklärungen auf. Die 22-jährige Mel (Anjorka Strechel) trägt ihre Haare gerne kurz und kleidet sich recht maskulin. So hat sie auch schon längst ihren Gang den männlichen Bewegungen angepasst. Es wird also gleich klar, Mel ist eher der Kategorie der Butches zuzuordnen. Ihr Leben ist recht trostlos, der Job in ihrer Fabrik erfüllt sie genauso wenig wie ihr Privatleben. Und als sie zu Hause erfährt, dass ihr Bruder Knut (Florian Panzner) mit seiner Freundin zusammen ziehen will, verliert sie endgültig den Boden unter den Füßen. Scheinbar sind Mel und Knut richtig dicke Geschwister, zumindest lässt ein gemeinsames Tattoo und die Ungeniertheit vor dem Körper des Anderen dies vermuten. Die ersten Minuten lassen daher nicht erahnen, dass Knut nichts von Mels Homosexualität weiß. Auch ihr Vater (Tilo Prückner) hält seine Tochter für „normal“. Dabei würde man meinen, dass zumindest Knut bei Mels Kleidungs- und Bewegungsstil in unserer heutigen Zeit auf den Trichter gekommen wäre. Doch das Outing von Mel hat noch nicht stattgefunden. Die Beziehung zu Knut und was die Geschwister einst auseinander trieb, lässt Neul außen vor. Dass Mel keine Freunde zu haben scheint, hängt wohl mit ihrer eigenen Unsicherheit zusammen. „[Mel] weiß nicht wirklich wer sie ist“, erklärte Neul nach der Vorführung. Das Hin und Her gerissen sein kauft man der Figur aber nicht unbedingt ab, zumindest nicht als Hetero. Zu keinem Zeitpunkt wird deutlich, dass Mel zwischen den beiden sexuellen Gesinnungen schwankt. Vielmehr macht sie später sogar deutlich, dass Männer für sie keinerlei Reize bergen. Das Fehlen ihrer Mutter könnte böse Zungen dazu bringen zu behaupten, dass jenes Fehlen der femininen Seite im Haushalt der Tochter hier zuwider gelaufen scheint. Hier hätte Neul vielleicht eindeutiger Stellung zur Abwesenheit der Mutter ziehen sollen beziehungsweise zur Bedeutung, was dies für Mel zur Folge gehabt hatte in ihrer emotionalen Entwicklung gerade in Bezug auf das eher zerrüttete Familienbild zwischen Vater, Sohn und Tochter,

Es ist dann eine folgenreiche Nacht, welche die Ereignisse ins Rollen bringt. Die 14-jährige Jenny (Lucie Hollmann) will gemeinsam mit ihrer Freundin in eine Diskothek, findet jedoch keine Mitfahrgelegenheit. Der inszenierte Unfall führt schließlich Mel und Jenny zusammen. Durch ein Missverständnis nimmt Jenny an, dass es sich bei Mel um einen Portugiesen handelt, schließlich hat Mel das Handy von ihrem neuen Arbeitskollegen Nuno (Manuel Cortez) mitgenommen. Ohne sich wirklich Hoffnung zu machen spielt Mel das Spiel mit. Geistesblitzartig adoptiert sie den Namen Miguel und findet ihren Ursprung in Nunos Heimatstadt Faro in Portugal. Mit der Hilfe von Mel kommen die beiden Minderjährigen schließlich in die Disco und verleben einen gemeinsamen Abend. Es mag das dämmrige Licht sein, aber vor allem dürfte Mels Verhalten dazu führen, ihre Umwelt zu täuschen. Statt es bei dem einen Abend zu belassen, will Mel jedoch mehr und ehe sie sich versieht, muss sie die Fassade „Miguel“ auf beiden Seiten aufrecht erhalten. Einmal selbst als männlicher Interessent gegenüber Jenny und zum anderen als eigenen männlichen Interessenten in Form von Nuno. Laut Neul versucht Mel sich sowohl als Junge als auch als Mädchen, doch zeigt der Grillabend mit Nuno ein anderes Bild. Nur widerwillig zieht sie ein Kleid an und schminkt sich – bis der Abend am Ende noch eskaliert. Zu keinem Zeitpunkt erweckt Neuls Film daher die Option für Mel einen heterosexuellen Weg einzuschlagen. Somit kann auch nur schwerlich Neuls Aussage zugestimmt werden, dass die Figur am Ende „schließlich ihre Mitte findet“. Viel zu konträr sind die vorherigen Ereignisse, gerade jene im Finale. Die Wahlmöglichkeiten wirft Mein Freund aus Faro nie auf, alles wirkt vorherbestimmt und gezwungen, als gäbe es keinen Ausweg und nur die Entscheidungen, die letztlich gefällt werden. Dem Ganzen dann ein verzerrtes Happy End aufzusetzen schadet der ohnehin schlecht dargestellten Prämisse des Filmes.

Gerade bei der Charakterzeichnung seiner Hauptfigur scheitert Neuls Film dann, denn über Mel erfährt man weit weniger als beispielsweise Jenny. Ihre Ängste werden nicht kanalisiert, ihre Probleme nicht ausgeleuchtet. Wie sehr hadert sie mit ihrer Homosexualität oder hadert sie überhaupt? Bewirkte ihre Erkenntnis ein Einmauern und somit ein Freundloses Dasein und selbst wenn, wie haben ihre alten Freunde reagiert? Der Hintergrund von Mel bleibt unklar und blass. Gut möglich dass Neul so gegebenenfalls die Identifikation des Zuschauers mit der Figur leichter machen wollte. Abstrahiert von alle persönlichen Problemen könnte Mel eine Jugendliche sein wie jede andere – nur eben lesbisch. Hier hat es Lucia Puenzo mit ihrem diesjährigen Beitrag XXY sehr viel besser gemacht. Wo Puenzo ihre problembelastete Hauptfigur zur Genüge ausleuchtet, selbst durch kleine Details, wirkt Neuls Protagonistin eindimensional. Strechels Spiel ist zwar ordentlich, weiß aber dem Charakter auch nicht wirklich den Stempel aufzudrücken. Man merkt Strechel hier durchaus an, dass sie noch eine gewisse Unerfahrenheit mit sich bringt, sodass es der 14-jährigen Hollmann gelingt dank ihrer Die Wilden Hühner-Erfahrung mitunter die Aufmerksamkeit auf sich zu fokussieren. Allerdings hat Hollmann auch die dankbarere, da dreidimensionale Figur abbekommen. Das rebellische Verhalten als Ausdruck der mütterlichen Vernachlässigung. Man beachte auch hier wieder das Spiegelbild zwischen den beiden „Liebenden“. Wo Mel eine maskuline Richtung mit Vorliebe für Autos einschlägt und eine Mutter vermisst, ziert Jennys Zimmer ein Einhorn und Gestaltung in Pink bei Abwesenheit eines Vaters. Wie bereits angesprochen könnten sich hier falsche Rückschlüsse zulassen, die dem konservativen Lager in die Karten spielen würden. Die desaströse Konsequenz: Sexualität ist erziehbar. Hier hätte Neul ein besseres Händchen zeigen müssen, um hervorzuheben, dass jene Konsequenz zu keinem Zeitpunkt lang auch nur in Erwägung zu ziehen ist.

Die Ähnlichkeit zu Boys Don’t Cry ist zudem selten zu übersehen, da ändert auch Neuls Aussage nichts, dass der Film auf einer wahren Geschichte aus dem Bekanntenkreis basiert. Es gibt sicherlich jede Menge homosexueller Frauen, die aufgrund ihres selbst auferlegten Aussehens bisweilen die Identität eines Mannes annahmen, um Kontakt zu anderen Frauen zu knüpfen. Somit geht Mein Freund aus Faro etwas die Universalität ab. Trotzdem ist es lobenswert, dass auch von deutscher Seite hierzu ein Beitrag kommt – wobei es nicht der erste oder einzige ist. In ihrem Spielfilmdebüt macht Neul vieles richtig was manchen Fauxpas verzeihen lässt. Gerade die Komik als gelegentlicher comic relief ist überaus gelungen, subtil und vor allem simpel eingebaut. Hier können sich Amerikaner und Vertreter der deutschen Kabarettistenbranche (Schröder, Herbig, Pocher) mal eine Scheibe von abschneiden. Außerdem gelingt es dem Film sogar einen magic moment zu zaubern, wenn Mel und Jenny während eines Regengusses Unterschlupf in einer Einkaufswagenunterdachung finden. Auf so eine Location ist wohl noch niemand zuvor gekommen, dabei ist jene Szene eine der besonders gelungenen im Film. Aber all die guten Eigenschaften des Filmes wissen dann doch nicht die inhaltlichen und sozialkritischen Fehler auszumerzen. Als Debüt geht Neuls erster Kinofilm, der Ende des Monats regulär im startet, dennoch in Ordnung und lässt von der Kölner Absolventin noch einiges erhoffen. Für einen deutschen Film ist das jedenfalls mehr als ordentlich und kann sich ohne Frage sehen lassen.

6/10

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