25. Juni 2010

The Imaginarium of Dr. Parnassus

So you’re probably not a betting man, are you?

Der klassische Wanderzirkus verdankt seinen Namen natürlich seiner Mobilität. Oft im Besitz einer Familie, zog der Wanderzirkus von Ort zu Ort, um sich seinen Unterhalt durch das namentlich passende Geschäft der Unterhaltung zu sichern. In Zeiten der fortschreitenden Technologisierung der Gesellschaft spielen Einrichtungen wie der Zoo oder der Zirkus - die hinsichtlich ihres tierunfreundlichen Aspekts nicht näher untersucht werden sollen - eine immer geringere Rolle. Vor allem in heutiger Zeit hat die Exotik ob fremder Tiere und Praktiken deutlich nachgelassen. Nichts, was man nicht im Fernsehen oder noch Nutzerfreundlicher auf YouTube finden könnte. Entsprechend schwer tut sich also auch das Imaginarium des wandernden Dr. Parnassus (Christopher Plummer) in Terry Gilliams dementsprechend benannten The Imaginarium of Dr. Parnassus.

Inzwischen hat Gilliams 11. Spielfilm mehr Ruhm als ihm unter normalen Umständen zu Teil geworden wäre. Der Tod von Hauptdarsteller Heath Ledger überschattete während der Dreharbeiten und auch zum Filmstart hin alles andere. Der Film selbst war kaum noch wichtig, viel bedeutender war die Funktion des Filmes als Requiem des australischen Schauspielers. Im Nachhinein muss man fast sagen, dass Ledgers Tod das Beste ist - so makaber es klingt - das dem Film passieren konnte. Nicht nur aus Vermarktungs- (der letzte Film eines frisch gekürten Oscarpreisträgers lockt sicherlich zusätzliche Besucher an), sondern auch aus qualitativen Gründen. Denn wo Ledger vor allem in Brokeback Mountain aber auch mit Abstrichen - speziell ans Genre - in The Dark Knight schauspielerisch auftrumpfen konnte, enttäuscht er hier.

Ledgers Spiel wirkt unsauber und vor allem beliebig. In manchen Szenen nuschelt er sich durch seine zum Teil improvisierten Dialoge, die oft durch den mehrfachen Einschub des Lückenfüllers „you know“ auskommen müssen. Allerdings sollte eingestanden werden, dass Terry Gilliams Filme selten durch ihre schauspielerische Leistung und narrative Qualität überzeugen. Das Niveau solcher Werke wie Brazil oder Twelve Monkeys konnte Gilliam im neuen Jahrtausend nicht mehr erreichen. Sieben Jahre vergingen zwischen seiner kongenialen Adaption von Hunter S. Thompsons Kultroman Fear and Loathing in Las Vegas und seinem (immerhin) visuell gefälligen The Brothers Grimm, der ihn mit Ledger zusammenführte und seine Semi-Rückkehr ins Filmgeschäft repräsentierte. Und letztlich ähneln sich Grimm und Parnassus dann doch sehr.

Die Geschichte ist eine simple und oftmals unübersichtliche. Grundlegend ist ein faustsches Element des Handels eines Doktors mit dem Teufel. Hier übernimmt Plummers Dr. Parnassus diese Rolle, die einst mit dem Teufel, hier Mr. Nick (Tom Waits) genannt, eine Wette abschloss, wer mehr menschliche Seelen für sich gewinnen könne. Parnassus propagierte die Vorstellungskraft, Mr. Nick die reine Begierde. Einige Jahrtausende später wetten die beiden Männer immer noch, inzwischen um die Seele von Parnassus’ Tochter Valentina (Lily Cole). Als Retter in der Not soll der mysteriöse Tony (Heath Ledger) fungieren, der angeblich an Amnesie leidet, das Unternehmen von Dr. Parnassus jedoch als Chance sieht, sich einerseits zu rehabilitieren und andererseits davon finanziell zu profitieren. Wie Gilliam im Audiokommentar bemerkt: es ist eine Geschichte über Entscheidungen.

Viele Aspekte von The Imaginarium of Dr. Parnassus lassen sich problemlos nachvollziehen. Zum Beispiel dass der für Valentina schwärmende Anton (Andrew Garfield) in Tony eine Bedrohung ausmacht. Oder dass Mr. Nick weniger um des Einsatz’ Willen wettet, als vielmehr weil ihm das Wetten in der Natur liegt. Andere Figuren wie Valentina oder Parnassus selbst sind da doch unausgereifter. Insbesondere - und insofern dramatischer - die Titelfigur des Tony. Im Tode Ledgers wandelte Gilliam die Figur so ab, dass sie im Imaginarium selbst ihr Gesicht wechselt und so von mehreren Schauspielern (in diesem Fall: Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell) dargestellt werden kann. Was jedoch nur bedingt dem Zuschauer dabei hilft, von Tony ein besseres oder im Entferntesten authentisches Bild gewinnen zu können.

Sowohl Depps als auch Laws Interpretation beschränkt sich auf wenige und wortkarge Minuten. Ist Depps Interpretation zwar noch an finanziellen Dingen interessiert, hat sie doch das Interesse von Parnassus im Sinn. Sehr viel idealer zeigt sich Laws Darstellung, die zwar wie Depps auf einem schauspielerischen Tiefpunkt stattfindet (und hier bisweilen sogar Ledgers eigene Portraitierung unterbietet), aber hilft, der Figur zusätzliche Sympathien zu bescheren. Der Bärenanteil dagegen wanderte zu Farrell, der Tony in seinem kathartischen Moment darstellt, ohne dass sich dieser wirklich nachvollziehen lässt. Plötzlich lässt Gilliam die bisher relativ sympathische Figur (zumindest ihren Bestrebungen nach) zum Antagonisten mutieren - und das ganz ohne Vorwarnung. Den Schlussmonolog „Does it come with a happy ending“ hätte der Regisseur daher wohl besser an den Anfang gestellt.

Denn letzten Endes ist - paradoxer Weise - Mr. Nick und damit der Teufel selbst die Figur, die aus den edelsten Motiven handelt, beziehungsweise weit weniger nervig daherkommt wie Anton, Valentina, Tony und Parnassus. Wie erwähnt ist Mr. Nick ein Verführer, dem es mehr um den Akt der Verführung geht als um deren Resultat. Dahingehend erklärt sich auch sein ständiges Pochen auf eine neue Wette, einen neuen Einsatz. Wo Gilliam in der von Waits köstlich portraitierten Figur Konsequenz zeigt, lässt er diese an anderen Stellen, gerade (leider) der Handlung (zu) oft vermissen. Sicherlich kann hier der dritte und finale Akt auch nur aufgrund Ledgers Verscheiden rasch abgespult sein, in seiner jetzigen Form entschuldigt dies jedoch nicht sein sehr unharmonisches Ende. Hier wissen auch die oft sehr ansehnlichen Spezialeffekte wie schon in The Brothers Grimm wenig zu retten.

Als Film, der mit Müh und Not aufgrund des überraschenden Todes des Hauptdarstellers zu Ende gedreht wurde, darf The Imaginarium of Dr. Parnassus immer noch als gelungen bezeichnet werden. Dennoch merkt man den Film an, weshalb er nicht überzeugend ausfällt. Zu unausgegoren sind die essentiellen Figuren, allen voran Tony, ausgearbeitet, zu planlos beginnt sich die Geschichte in ihrem dritten Akt in eine Richtung zu drehen, die der Prämisse des Filmes als Geschichte über Geschichten am Ende zuwider läuft. Ledgers unüberzeugendes Spiel kann zwar etwas durch den Dreifach-Einsatz von Depp, Law und Farrell kaschiert werden (wobei nur Farrell, und dies lediglich bedingt, gefällt), dennoch agiert das Ensemble, Waits und Troyer ausgenommen, letztlich so unglücklich, wie The Imaginarium of Dr. Parnassus als Ganzes ausfällt.

5.5/10 - erschienen bei Wicked-Vision

1 Kommentar:

  1. Gute Analyse, danke. "Eigentlich ist das ein unglaublich trauriger Film, weil ein alter Regisseur, der es verlernt hat, einen fesselnden Film zu zeigen, einen alten Geschichtenerzähler zeigt, der es verlernt hat, eine fesselnde Geschichte zu erzählen." Haben wir damals gesagt: http://schoener-denken.de/blog/index.php/parnassus-das-gruselkabinett-des-doktor-gilliam/

    AntwortenLöschen