Justice will be served.
In der römischen Etymologie steht Iustitia für die Göttin der Gerechtigkeit und dementsprechend das Rechtswesen. Die meisten Darstellungen von Iustitia zeigen sie mit Richtschwert und Waage in der Hand, die Augen verbunden durch eine Binde. Sinn und Zweck sind einfach: Blind vor den Personen und somit unbeeinflusst durch deren Rang oder Ansehen soll sie mit der Waage die Sachlage abwägen und mit dem Richtschwert das Urteil vollstrecken. Dabei ist dies eine relativ junge Darstellung der Göttin, die erst seit dem 15. Jahrhundert gepflegt wird. Davor war Iustitia keineswegs blind, schließlich kam die Augenbinde erst als Spottbezeichnung hinzu, um die Blindheit von Iustitias Entscheidungen zu karikieren. Eine treffende Darstellung, gibt es schließlich im Rechtswesen keine Blindheit vor dem Ansehen der Person. “It’s not what you know. It’s what you can prove in court”, lautet einer der entscheidenden Sätze in F. Gary Grays Thriller Law Abiding Citizen. Ein Film, der zugleich mit dem (amerikanischen) Justizsystem abrechnet.
Selbstjustiz-Filme verkamen gerade im vergangenen Jahrzehnt wieder zu einem populären Genre. Werke wie Hard Candy, The Brave One oder Death Sentence konzentrierten sich in ihrer Erzählung darauf, den Niedergang des Täters durch sein Opfer darzustellen. In ihren Prologen ähneln sich daher die Meisten dieser Filme: das harmonische Familienleben wird durch den sprichwörtlichen Einbruch von Gewalt in seinem Mark erschüttert. Hier macht Law Abiding Citizen keine Ausnahme, wenn der tüftelnde Familienvater Clyde Shelton (Gerard Butler) die Bastelkunst seiner kleinen Tochter bewundert und nichtsahnend das Klingeln seiner Haustür beantwortet. Der als Prämisse dienende Gewaltakt als solcher ist dann auch hier wie bei seinen Genrekollegen sehr viel kurzgefasster, als seine im Verlauf des Films dargestellten Folgen. Zwei Männer dringen ein, der Rädelsführer sticht auf Clyde ein, attackiert dann seine Frau und wird in ihrer Vergewaltigung vom Eintreffen der Tochter gestört.
Rund 20.000 Gewaltverbrechen gab es die letzten beiden Jahre in Philadelphia, Pennsylvania, zusätzlich über 300 Morde jährlich und drei Mal so viele Vergewaltigungen. Lediglich Los Angeles, New York City und Houston wiesen ähnlich hohe Zahlen in diesen Rubriken auf, bedenkt man jedoch deren Einwohnerzahl, steht Philadelphia an der Spitze. Laut dem Philadelphia Inquirer verfügte die historische Stadt zugleich über die geringste Verurteilungsrate aller US-Großstädte. Und das alles in der Stadt, die zwölf Jahre lang die Hauptstadt der USA war, in der 1776 die Unabhängigkeitserklärung beschlossen und elf Jahre später die US-Verfassung verkündet wurde. Eine Stadt, die, wenn man so will, das Fundament der Vereinigten Staaten von Amerika darstellt oder zumindest repräsentiert. Und die doppelt so viel Verbrechen produziert, wie das in etwa gleichstark bevölkerte Phoenix. Insofern konnte F. Gary Gray keine treffendere Stadt zum Schauplatz seines siebten Filmes auserkiesen als ebenjenes Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania.
Nach dem ausgeblendeten Verbrechen springt Law Abiding Citizen direkt zur Strafverhandlung. Wir lernen Nick Rice (Jamie Foxx) kennen, einen afroamerikanischen Staatsanwalt, der sein Studium an der Abendschule gemacht hat. “Law school’s got nothing to do with law”, weiß der karrieregeile Nick, der mit Ablehnung zu seinem Vorgesetzten, einem Harvard-Alumnus, aufblickt. Nick ist ein aufstrebender Anwalt, mit einer Verurteilungsrate von 96 Prozent, was als Ausgangsbasis des Filmes dient. Denn vermutlich wegen dieser Rate vertraut ihm der leitende Staatsanwalt Jonas (Bruce McGill) den Shelton-Fall an – was bei Nick jedoch Vorsicht auf den Plan ruft. Anstatt vor Gericht zu gehen, will er lieber einen Deal mit dem Anwalt des Haupttäters eingehen. Als Jonas erwähnt, dass ein Kind getötet wurde, entgegnet Nick lediglich, dass es ein “unperfect system” sei. Den Hinweis seines Chefs, dass er den Fall gewinnen könne, lehnt der Staatsanwalt sofort ab. “Can’t take that chance”, meint er in Bezug auf seine nahezu makellose Verurteilungsrate.
“Some justice is better than no justice at all”, lautet seine Ausrede. Lieber einen von zwei Mördern verurteilen, als dass am Ende Beide auf freien Fuß kommen. Kurz darauf muss Nick im Gesprächszimmer Clyde erklären, dass er mit dem Haupttäter des Verbrechens einen Deal eingehen wird. “This is just how the justice system works”, ist das Resümee von Nick, der Clyde einprägen wird: “It’s not what you know. It’s what you can prove in court.” Nick ist Bestandteil eines korrumpierten Systems. Selbst verheiratet und in Kürze Vater einer Tochter weiß er sehr wohl um die Schuld des Haupttäters Darby (Christian Stolte). Ein späterer Zeitsprung von einem Jahrzehnt verrät schließlich, dass Nick seinen Job als oberste Priorität erachtet. Die Musikauftritte seiner Tochter – die ironischerweise Cello spielt, ein Instrument, dessen Beherrschung Foxx zuvor selbst für The Soloist lernte – versäumt er regelmäßig. Es kommt zu einer entscheidenden Szene vor dem Gerichtsgebäude, als Nick vor versammelter Presse von Darby zu einem Handschlag genötigt wird. Ein Handschlag, den Clyde ungläubig beobachtet und der alles verändern wird.
Im Gegensatz zu Genrekollegen wie The Brave One oder Death Sentence behandelt Law Abiding Citizen nicht Clydes Rache an Darby und dessen Mittäter. Oder nicht nur. Dieser Handlungsstrang wird mit dem ersten Akt abgeschlossen. Nach einem Jahrzehnt ist Nick nun an zweite Stelle aufgestiegen, Darby seit sieben Jahren wieder aus der Haft entlassen und sein Komplize blickt seiner Exekution entgegen. Gray inszeniert diese Hinrichtung visuell sehr gekonnt, indem er sie parallel zur Aufführung von Nicks Tochter präsentiert. Es öffnet sich der Vorhang zu einem Schauspiel, einer Show – nur wohnt Nick der falschen Show bei. Anstatt relativ schmerzfrei durch Todesspritzen umzukommen, hat Clyde die Behälter ausgetauscht. Der Täter stirbt qualvoll, anschließend lenkt er den Verdacht auf Darby, den er bei seiner Flucht vor der Polizei unterstützt. Ein durchgeplanter Racheakt, der in einem verlassenen Lagerhaus und in 25 Körperteilen Darbys endet. Wo andere enden, fangen F. Gary Gray und Drehbuchautor Kurt Wimmer erst an.
Clyde lässt sich ohne Widerstand verhaften, wird inhaftiert und anschließend von Nick aufgrund seiner Tat gelobt (“What you did…bravo”). Er weiß, dass die Täter schuldig waren, ihre seiner Ansicht nach gerechte Strafe erhielten sie aber erst durch Clydes Verhalten. Nick hat nichtsdestotrotz keine Skrupel, schnellstmöglich dessen Geständnis zu kassieren, ihm den Rücken zuzuwenden und wieder seiner Karriere zu frönen. Clydes Fall landet vor der Untersuchungsrichterin, jener Frau, die bereits den Mord seiner Familie verhandelte. Aufgrund fehlenden Beweismaterials gelingt es Clyde vor Gericht jedoch, eine Kaution für sich auszuhandeln, die dieser gleich darauf mit höhnischem Beifall quittiert. “How misguided are you?”, fragt er die Richterin, ehe er das eigentliche Problem des Filmes in den Saal brüllt. “Do you have any idea what justice is? Whatever happened to right and wrong? Whatever happened to the people? Whatever happened to justice?” Clydes Lehrstunde hat soeben ihren Anfang gefunden.
Die Beweisdecke ist dünn, das amerikanische Justizsystem eindeutig. Nick braucht ein Geständnis, Clyde bietet ihm eines an. Im Austausch für ein therapeutisches Bett. “You’re the one who makes deals with murderers“, entgegnet er dem Staatsanwalt lakonisch. Auf das Bett folgt der Wunsch nach einem Steak. Clyde spielt gekonnt die Partitur des bürokratischen Systems, macht Deal um Deal mit dem narzisstischen Staatsanwalt Nick. Darbys einstiger Anwalt verschwindet, Nicks hält den Deal nicht ein, ein weiteres Leben geht verloren. “Justice should be harsh. Especially to those who denied it to others.” Inzwischen hat Clyde seinen Zellennachbarn getötet, landet in Einzelhaft. Nick steckt in der Zwickmühle, sein Gegenspieler scheint ihm überlegen. Jonas lässt Kontakte spielen, organisiert ein geheimes Treffen mit einem Mittelsmann. “Someone who does some really nasty shit so we can live the American Dream.” Der Film nähert sich dem an, was Clyde eine halbe Stunde später als “broken thing” bezeichnet, das einst die USA waren.
Szene für Szene demaskiert der Film das korrupte Justizsystem. “You want me to violate this God given civil rights?”, fragt die Untersuchungsrichterin, als Nick und Jonas Einfluss auf Clydes Haftbedingungen nehmen wollen. Und beantwortet die rhetorische Frage selbst mit einem kurzen “OK”. Als Nick und Polizeiermittler Dunnigan (Colm Meaney) später auf eines von Clydes Privatgrundstücken stoßen, stehen sie vor einer ähnlichen Situation. “What about his civil rights?”, fragt Dunnigan, worauf Nick das Garagentor aufbricht und lapidar erklärt: “Fuck his civil rights.” Clyde wächst der Stadt über den Kopf, die Bürgermeisterin ruft den Notstand aus und erklärt in einer Versammlung: “I don’t care what laws we have to bend.” Es ist dies Clydes Verdienst, sein “war with this broken thing”, der das städtische Rechtsystem dazu führt, sich selbst zu negieren und als gescheitert an den Pranger zu stellen. Die obersten Instanzen, Bürgermeister, Richter, Staatsanwalt missachten ihren Ursprung.
Es ist das filmische Vorhalten eines Spiegels, der dem bürokratischen Apparat sein Scheitern vor Augen führt. Denn erst durch die Missachtung des Gesetzes gelingt es schließlich, Clyde zur Strecke zu bringen. Erst durch die Außerkraftsetzung der Verfassung, scheint Gerechtigkeit möglich. Und wenn am Ende Nick selbst zum Mörder werden muss, wie Clyde, um Gerechtigkeit zu erfahren, wie Clyde, dann schließt sich im Grunde der Kreis. Law Abiding Citizen ist nicht Clydes Geschichte, es ist Nicks Geschichte. Das Handeln eines aalglatten Staatsanwaltes, der den Mord an einer Familie hinter seine eigene Karriere zurückstellt und sich ein selbstgefälliges Grinsen auch dann nicht verkneifen kann, wenn sein Chef und sein Protege (Leslie Bibb) gestorben sind und er von der Bürgermeisterin befördert wird. Im Verlaufe des Filmes verrät Nick somit alles, was ihn zu Beginn ausgezeichnet hat. Am Ende hat er nicht nur die Verfassung gebrochen, sondern ist letztendlich selbst zum Mörder verkommen. “It’s an unperfect system.”
Im Grunde befasst sich Law Abiding Citizen also weniger mit Selbstjustiz, sondern mehr mit der Frage nach Gerechtigkeit. Eine Frage, die bereits Platon vor über 2.000 Jahren beschäftigte. In seiner Politeia widmet er beziehungsweise sein „Alter Ego“ Sokrates sich eindringlich der Frage, was genau Gerechtigkeit ist - nur um am Ende in einer Aporie zu landen. Einer von Sokrates’ Gesprächspartnern stellt eine Idee des Dichters Simonides zur Debatte. „Also Freunden gutes tun und Feinden böses sagt er sei Gerechtigkeit“ (332d3). Ein Verständnis, wie es in unserem heutigen Justizsystem auftaucht. Den Guten soll Gutes/Recht widerfahren, den Bösen dagegen Böses/Strafe. Im Shelton-Fall wäre dies nach amerikanischem Recht die Todesstrafe für Darby und seinen Komplizen Ames gewesen. Ihr Tod hätte bei Clyde zu Genugtuung geführt – eine „Auge um Auge, Zahn um Zahn“-Mentalität. Ein Prosa-Fall, wird doch nie erläutert, warum Darby und Ames überhaupt bei den Sheltons eingebrochen sind und die Frauen ermordet haben.
So einfach lässt Platon die Frage nach Gerechtigkeit aber nicht beantworten. Die Bestimmung von Freund und Feind und damit die Einteilung, wem man Gutes und wem Böses tun kann/darf/muss/soll ist nicht eindeutig bestimmt. Zudem kann es nicht die Sache beziehungsweise im Sinne der Gerechtigkeit sein, Anderen Schaden zuzufügen. Ein kompliziertes Thema, das kurz darauf zu einer weiteren These führt: „jedermann glaubt, daß ihm für sich die Ungerechtigkeit weit mehr nützt als die Gerechtigkeit“ (360d). Unabhängig von der Tatsache, dass sich Gerechtigkeit nicht bestimmen lässt (im Lexikon wird sie als „Idee“ definiert), wirkt es, als wohne diese These den Figuren aus Law Abiding Citizen inne. Nick Price nützt es aus beruflichen Gründen mehr, einen Deal vorzuschlagen und somit gegen Clyde Sheltons Gerechtigkeitsverständnis zu handeln. Dieser wiederum agiert später ebenfalls gegen das Recht gerichtet, um zu seiner Idee von Gerechtigkeit zu kommen (“Justice should be harsh”).
Über das Missverständnis von Justiz und Gerechtigkeit hatte Friedrich Dürrenmatt vor 25 Jahren seinen Roman Justiz verfasst, in welchem, ähnlich zu Grays Film, eine offensichtliche Tat aufgrund von juristischen Hindernissen keine „Gerechtigkeit“ erfährt (“It’s not what you know. It’s what you can prove in court”). Insofern ist Wimmer und Gray ein überaus gelungener konventioneller Hollywood-Thriller mit philosophischem Nährboden gelungen. Ein Film, der hinsichtlich Clydes Plan über weite Strecken durchaus spannend und packend inszeniert ist, und viele gelungene Fragen sowie Anregungen zur Hinterfragung stellt. Ist etwas Gerechtigkeit wirklich besser als gar keine Gerechtigkeit? Wäre es akzeptabler gewesen, wenn Darby hingerichtet worden wäre und Ames wenige Jahre verbüßt hätte? Sind Clydes Handlungen vertretbar und wenn ja, bis zu welchem Punkt (“What you did… bravo”)? Kann Gerechtigkeit letztlich nur erlangt werden, indem man unrechtmäßig handelt (“Fuck his civil rights”)? Am Ende fragt Law Abiding Citizen die Zuschauer selbst: “Do you have any idea what justice is?”
In der römischen Etymologie steht Iustitia für die Göttin der Gerechtigkeit und dementsprechend das Rechtswesen. Die meisten Darstellungen von Iustitia zeigen sie mit Richtschwert und Waage in der Hand, die Augen verbunden durch eine Binde. Sinn und Zweck sind einfach: Blind vor den Personen und somit unbeeinflusst durch deren Rang oder Ansehen soll sie mit der Waage die Sachlage abwägen und mit dem Richtschwert das Urteil vollstrecken. Dabei ist dies eine relativ junge Darstellung der Göttin, die erst seit dem 15. Jahrhundert gepflegt wird. Davor war Iustitia keineswegs blind, schließlich kam die Augenbinde erst als Spottbezeichnung hinzu, um die Blindheit von Iustitias Entscheidungen zu karikieren. Eine treffende Darstellung, gibt es schließlich im Rechtswesen keine Blindheit vor dem Ansehen der Person. “It’s not what you know. It’s what you can prove in court”, lautet einer der entscheidenden Sätze in F. Gary Grays Thriller Law Abiding Citizen. Ein Film, der zugleich mit dem (amerikanischen) Justizsystem abrechnet.
Selbstjustiz-Filme verkamen gerade im vergangenen Jahrzehnt wieder zu einem populären Genre. Werke wie Hard Candy, The Brave One oder Death Sentence konzentrierten sich in ihrer Erzählung darauf, den Niedergang des Täters durch sein Opfer darzustellen. In ihren Prologen ähneln sich daher die Meisten dieser Filme: das harmonische Familienleben wird durch den sprichwörtlichen Einbruch von Gewalt in seinem Mark erschüttert. Hier macht Law Abiding Citizen keine Ausnahme, wenn der tüftelnde Familienvater Clyde Shelton (Gerard Butler) die Bastelkunst seiner kleinen Tochter bewundert und nichtsahnend das Klingeln seiner Haustür beantwortet. Der als Prämisse dienende Gewaltakt als solcher ist dann auch hier wie bei seinen Genrekollegen sehr viel kurzgefasster, als seine im Verlauf des Films dargestellten Folgen. Zwei Männer dringen ein, der Rädelsführer sticht auf Clyde ein, attackiert dann seine Frau und wird in ihrer Vergewaltigung vom Eintreffen der Tochter gestört.
Rund 20.000 Gewaltverbrechen gab es die letzten beiden Jahre in Philadelphia, Pennsylvania, zusätzlich über 300 Morde jährlich und drei Mal so viele Vergewaltigungen. Lediglich Los Angeles, New York City und Houston wiesen ähnlich hohe Zahlen in diesen Rubriken auf, bedenkt man jedoch deren Einwohnerzahl, steht Philadelphia an der Spitze. Laut dem Philadelphia Inquirer verfügte die historische Stadt zugleich über die geringste Verurteilungsrate aller US-Großstädte. Und das alles in der Stadt, die zwölf Jahre lang die Hauptstadt der USA war, in der 1776 die Unabhängigkeitserklärung beschlossen und elf Jahre später die US-Verfassung verkündet wurde. Eine Stadt, die, wenn man so will, das Fundament der Vereinigten Staaten von Amerika darstellt oder zumindest repräsentiert. Und die doppelt so viel Verbrechen produziert, wie das in etwa gleichstark bevölkerte Phoenix. Insofern konnte F. Gary Gray keine treffendere Stadt zum Schauplatz seines siebten Filmes auserkiesen als ebenjenes Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania.
Nach dem ausgeblendeten Verbrechen springt Law Abiding Citizen direkt zur Strafverhandlung. Wir lernen Nick Rice (Jamie Foxx) kennen, einen afroamerikanischen Staatsanwalt, der sein Studium an der Abendschule gemacht hat. “Law school’s got nothing to do with law”, weiß der karrieregeile Nick, der mit Ablehnung zu seinem Vorgesetzten, einem Harvard-Alumnus, aufblickt. Nick ist ein aufstrebender Anwalt, mit einer Verurteilungsrate von 96 Prozent, was als Ausgangsbasis des Filmes dient. Denn vermutlich wegen dieser Rate vertraut ihm der leitende Staatsanwalt Jonas (Bruce McGill) den Shelton-Fall an – was bei Nick jedoch Vorsicht auf den Plan ruft. Anstatt vor Gericht zu gehen, will er lieber einen Deal mit dem Anwalt des Haupttäters eingehen. Als Jonas erwähnt, dass ein Kind getötet wurde, entgegnet Nick lediglich, dass es ein “unperfect system” sei. Den Hinweis seines Chefs, dass er den Fall gewinnen könne, lehnt der Staatsanwalt sofort ab. “Can’t take that chance”, meint er in Bezug auf seine nahezu makellose Verurteilungsrate.
“Some justice is better than no justice at all”, lautet seine Ausrede. Lieber einen von zwei Mördern verurteilen, als dass am Ende Beide auf freien Fuß kommen. Kurz darauf muss Nick im Gesprächszimmer Clyde erklären, dass er mit dem Haupttäter des Verbrechens einen Deal eingehen wird. “This is just how the justice system works”, ist das Resümee von Nick, der Clyde einprägen wird: “It’s not what you know. It’s what you can prove in court.” Nick ist Bestandteil eines korrumpierten Systems. Selbst verheiratet und in Kürze Vater einer Tochter weiß er sehr wohl um die Schuld des Haupttäters Darby (Christian Stolte). Ein späterer Zeitsprung von einem Jahrzehnt verrät schließlich, dass Nick seinen Job als oberste Priorität erachtet. Die Musikauftritte seiner Tochter – die ironischerweise Cello spielt, ein Instrument, dessen Beherrschung Foxx zuvor selbst für The Soloist lernte – versäumt er regelmäßig. Es kommt zu einer entscheidenden Szene vor dem Gerichtsgebäude, als Nick vor versammelter Presse von Darby zu einem Handschlag genötigt wird. Ein Handschlag, den Clyde ungläubig beobachtet und der alles verändern wird.
Im Gegensatz zu Genrekollegen wie The Brave One oder Death Sentence behandelt Law Abiding Citizen nicht Clydes Rache an Darby und dessen Mittäter. Oder nicht nur. Dieser Handlungsstrang wird mit dem ersten Akt abgeschlossen. Nach einem Jahrzehnt ist Nick nun an zweite Stelle aufgestiegen, Darby seit sieben Jahren wieder aus der Haft entlassen und sein Komplize blickt seiner Exekution entgegen. Gray inszeniert diese Hinrichtung visuell sehr gekonnt, indem er sie parallel zur Aufführung von Nicks Tochter präsentiert. Es öffnet sich der Vorhang zu einem Schauspiel, einer Show – nur wohnt Nick der falschen Show bei. Anstatt relativ schmerzfrei durch Todesspritzen umzukommen, hat Clyde die Behälter ausgetauscht. Der Täter stirbt qualvoll, anschließend lenkt er den Verdacht auf Darby, den er bei seiner Flucht vor der Polizei unterstützt. Ein durchgeplanter Racheakt, der in einem verlassenen Lagerhaus und in 25 Körperteilen Darbys endet. Wo andere enden, fangen F. Gary Gray und Drehbuchautor Kurt Wimmer erst an.
Clyde lässt sich ohne Widerstand verhaften, wird inhaftiert und anschließend von Nick aufgrund seiner Tat gelobt (“What you did…bravo”). Er weiß, dass die Täter schuldig waren, ihre seiner Ansicht nach gerechte Strafe erhielten sie aber erst durch Clydes Verhalten. Nick hat nichtsdestotrotz keine Skrupel, schnellstmöglich dessen Geständnis zu kassieren, ihm den Rücken zuzuwenden und wieder seiner Karriere zu frönen. Clydes Fall landet vor der Untersuchungsrichterin, jener Frau, die bereits den Mord seiner Familie verhandelte. Aufgrund fehlenden Beweismaterials gelingt es Clyde vor Gericht jedoch, eine Kaution für sich auszuhandeln, die dieser gleich darauf mit höhnischem Beifall quittiert. “How misguided are you?”, fragt er die Richterin, ehe er das eigentliche Problem des Filmes in den Saal brüllt. “Do you have any idea what justice is? Whatever happened to right and wrong? Whatever happened to the people? Whatever happened to justice?” Clydes Lehrstunde hat soeben ihren Anfang gefunden.
Die Beweisdecke ist dünn, das amerikanische Justizsystem eindeutig. Nick braucht ein Geständnis, Clyde bietet ihm eines an. Im Austausch für ein therapeutisches Bett. “You’re the one who makes deals with murderers“, entgegnet er dem Staatsanwalt lakonisch. Auf das Bett folgt der Wunsch nach einem Steak. Clyde spielt gekonnt die Partitur des bürokratischen Systems, macht Deal um Deal mit dem narzisstischen Staatsanwalt Nick. Darbys einstiger Anwalt verschwindet, Nicks hält den Deal nicht ein, ein weiteres Leben geht verloren. “Justice should be harsh. Especially to those who denied it to others.” Inzwischen hat Clyde seinen Zellennachbarn getötet, landet in Einzelhaft. Nick steckt in der Zwickmühle, sein Gegenspieler scheint ihm überlegen. Jonas lässt Kontakte spielen, organisiert ein geheimes Treffen mit einem Mittelsmann. “Someone who does some really nasty shit so we can live the American Dream.” Der Film nähert sich dem an, was Clyde eine halbe Stunde später als “broken thing” bezeichnet, das einst die USA waren.
Szene für Szene demaskiert der Film das korrupte Justizsystem. “You want me to violate this God given civil rights?”, fragt die Untersuchungsrichterin, als Nick und Jonas Einfluss auf Clydes Haftbedingungen nehmen wollen. Und beantwortet die rhetorische Frage selbst mit einem kurzen “OK”. Als Nick und Polizeiermittler Dunnigan (Colm Meaney) später auf eines von Clydes Privatgrundstücken stoßen, stehen sie vor einer ähnlichen Situation. “What about his civil rights?”, fragt Dunnigan, worauf Nick das Garagentor aufbricht und lapidar erklärt: “Fuck his civil rights.” Clyde wächst der Stadt über den Kopf, die Bürgermeisterin ruft den Notstand aus und erklärt in einer Versammlung: “I don’t care what laws we have to bend.” Es ist dies Clydes Verdienst, sein “war with this broken thing”, der das städtische Rechtsystem dazu führt, sich selbst zu negieren und als gescheitert an den Pranger zu stellen. Die obersten Instanzen, Bürgermeister, Richter, Staatsanwalt missachten ihren Ursprung.
Es ist das filmische Vorhalten eines Spiegels, der dem bürokratischen Apparat sein Scheitern vor Augen führt. Denn erst durch die Missachtung des Gesetzes gelingt es schließlich, Clyde zur Strecke zu bringen. Erst durch die Außerkraftsetzung der Verfassung, scheint Gerechtigkeit möglich. Und wenn am Ende Nick selbst zum Mörder werden muss, wie Clyde, um Gerechtigkeit zu erfahren, wie Clyde, dann schließt sich im Grunde der Kreis. Law Abiding Citizen ist nicht Clydes Geschichte, es ist Nicks Geschichte. Das Handeln eines aalglatten Staatsanwaltes, der den Mord an einer Familie hinter seine eigene Karriere zurückstellt und sich ein selbstgefälliges Grinsen auch dann nicht verkneifen kann, wenn sein Chef und sein Protege (Leslie Bibb) gestorben sind und er von der Bürgermeisterin befördert wird. Im Verlaufe des Filmes verrät Nick somit alles, was ihn zu Beginn ausgezeichnet hat. Am Ende hat er nicht nur die Verfassung gebrochen, sondern ist letztendlich selbst zum Mörder verkommen. “It’s an unperfect system.”
Im Grunde befasst sich Law Abiding Citizen also weniger mit Selbstjustiz, sondern mehr mit der Frage nach Gerechtigkeit. Eine Frage, die bereits Platon vor über 2.000 Jahren beschäftigte. In seiner Politeia widmet er beziehungsweise sein „Alter Ego“ Sokrates sich eindringlich der Frage, was genau Gerechtigkeit ist - nur um am Ende in einer Aporie zu landen. Einer von Sokrates’ Gesprächspartnern stellt eine Idee des Dichters Simonides zur Debatte. „Also Freunden gutes tun und Feinden böses sagt er sei Gerechtigkeit“ (332d3). Ein Verständnis, wie es in unserem heutigen Justizsystem auftaucht. Den Guten soll Gutes/Recht widerfahren, den Bösen dagegen Böses/Strafe. Im Shelton-Fall wäre dies nach amerikanischem Recht die Todesstrafe für Darby und seinen Komplizen Ames gewesen. Ihr Tod hätte bei Clyde zu Genugtuung geführt – eine „Auge um Auge, Zahn um Zahn“-Mentalität. Ein Prosa-Fall, wird doch nie erläutert, warum Darby und Ames überhaupt bei den Sheltons eingebrochen sind und die Frauen ermordet haben.
So einfach lässt Platon die Frage nach Gerechtigkeit aber nicht beantworten. Die Bestimmung von Freund und Feind und damit die Einteilung, wem man Gutes und wem Böses tun kann/darf/muss/soll ist nicht eindeutig bestimmt. Zudem kann es nicht die Sache beziehungsweise im Sinne der Gerechtigkeit sein, Anderen Schaden zuzufügen. Ein kompliziertes Thema, das kurz darauf zu einer weiteren These führt: „jedermann glaubt, daß ihm für sich die Ungerechtigkeit weit mehr nützt als die Gerechtigkeit“ (360d). Unabhängig von der Tatsache, dass sich Gerechtigkeit nicht bestimmen lässt (im Lexikon wird sie als „Idee“ definiert), wirkt es, als wohne diese These den Figuren aus Law Abiding Citizen inne. Nick Price nützt es aus beruflichen Gründen mehr, einen Deal vorzuschlagen und somit gegen Clyde Sheltons Gerechtigkeitsverständnis zu handeln. Dieser wiederum agiert später ebenfalls gegen das Recht gerichtet, um zu seiner Idee von Gerechtigkeit zu kommen (“Justice should be harsh”).
Über das Missverständnis von Justiz und Gerechtigkeit hatte Friedrich Dürrenmatt vor 25 Jahren seinen Roman Justiz verfasst, in welchem, ähnlich zu Grays Film, eine offensichtliche Tat aufgrund von juristischen Hindernissen keine „Gerechtigkeit“ erfährt (“It’s not what you know. It’s what you can prove in court”). Insofern ist Wimmer und Gray ein überaus gelungener konventioneller Hollywood-Thriller mit philosophischem Nährboden gelungen. Ein Film, der hinsichtlich Clydes Plan über weite Strecken durchaus spannend und packend inszeniert ist, und viele gelungene Fragen sowie Anregungen zur Hinterfragung stellt. Ist etwas Gerechtigkeit wirklich besser als gar keine Gerechtigkeit? Wäre es akzeptabler gewesen, wenn Darby hingerichtet worden wäre und Ames wenige Jahre verbüßt hätte? Sind Clydes Handlungen vertretbar und wenn ja, bis zu welchem Punkt (“What you did… bravo”)? Kann Gerechtigkeit letztlich nur erlangt werden, indem man unrechtmäßig handelt (“Fuck his civil rights”)? Am Ende fragt Law Abiding Citizen die Zuschauer selbst: “Do you have any idea what justice is?”
8.5/10
Zu Butlers darstellerischer Leistung fällt mir eigentlich nur eines ein: man hätte ihn weiß schminken, in einen lila Anzug stecken und den Film "The Joker Begins" nennen sollen.
AntwortenLöschenAnsonsten hatte ich bei diesem Film das Gefühl, als würden zwei entgegengesetzt verlaufende Geschichten im Skript um die Oberhand kämpfen. Als hätte man erst eine 08/15 Rache-Story verfasst und dann versucht sie zum kompletten Gegenteil zu verdrehen. Das lässt den Film manchmal sehr wirr und manchmal fürchterlich konstruiert wirken, aber insgesamt macht es ihn besser...er schafft es imerhin den Zuschauer ab und an zu überraschen.
Überragend ist er deswegen noch nicht, aber immerhin eine nette Abwechslung zum sonstigen Hollywood-Gleichklang.