22. November 2008

Im Winter ein Jahr

Vielleicht kann ja einer mal fragen wie’s mir geht.

Vor sieben Jahren lag ihr ganz Deutschlad zu Füßen, allerdings weit weniger euphorisch als Florian Henckel von Donnersmarck im vergangenen Jahr. Dabei war Caroline Link der Ruhm und Oscar für Nirgendwo in Afrika weitaus verdienter zugesprochen worden (größter Konkurrent war Zhang Yimous Hero) als es bei Donnersmarck gegenüber Guillermo del Toros brillantem El laberinto del fauno der Fall gewesen ist. Doch seither war es still um Link, die in den letzten sieben Jahren dem Filmgeschäft ferngeblieben war. Dieses Jahr feiert sie mit „Im Winter ein Jahr“ sozusagen ihr „Comeback“. Sie adaptierte den unbekannten (und kaum in der Originalsprache erhältlichen) Roman Aftermath von Scott Campbell und verlegte die Handlung nach Deutschland. Was bei Adaptionen wie Michel Houellebecqs Elementarteilchen gerne mal gehörig in die Hose geht, weiß Link durch ihr Talent mit Bravour zu meistern. Obschon in München platziert, merkt man dem Film seine geographische Zugehörigkeit nicht an, könnte er doch praktisch überall in Deutschland spielen. Abgesehen von einigen technischen Makeln beziehungsweise Fragwürdigkeiten zu Beginn und einem stark hinausgezögerten Ende vermag Link den wahrscheinlich besten deutschen Film der letzten Jahre abzuliefern. Ihr Familienportrait, in welchem Corinna Harfouch ausnahmsweise mal nicht negativ auffällt, besticht durch eine Stärke und Intensität wie man sie in deutschen Filmen oft vergeblich sucht. Getragen wird der Film dabei hauptsächlich von der intensiven Darstellung Karoline Herfurths, die kongenial von der Josef Bierbichlers ergänzt wird.

Zu sanften Klängen tanzt ein blonder junger Mann (Cyril Sjöström) mit seinem iPod im Schnee. Während ihn seine Schwester Lilli (Karoline Herfurth) von ihrem Zimmer aus beobachtet, befindet sich seine Mutter Eliane (Corinna Harfouch) mit einer Videokamera draußen bei ihm. Die Beziehung der beiden scheint herzlich, sie tollen gemeinsam im Schnee. Beim anschließenden Joggen wird Eliane von einem Schuss plötzlich aufgeschreckt. Die Ursache verrät sich erst allmählich, obschon sie absehbar ist. Nach einem Schnitt befinden wir uns im Atelier des Malers Max (Josef Bierbichler). Er wurde Eliane empfohlen, ist er doch nicht nur ein talentierter Künstler, sondern jemand, der Erfahrung damit hat Tote zu zeichnen. Eliane wünscht sich ein Familienportrait, ihre beiden Kinder sollen gemeinsam abgebildet werden. Was die Tochter denn so mache?, fragt Max. Lilli studiert an einer Kunstakademie Gesang, Schauspiel und Tanz. Momentan bereitet sie sich auf die Hauptrolle in einer Adaption von Lewis Carrolls Alice im Wunderland. „Und der Bub?“, fragt Max weiter. „Ja, das ist das Problem“, erwidert Eliane. Bei einem Jagdunfall sei er im Winter vor einem Jahr ums Leben gekommen. Für 20.000 Euro lässt sie sich nun ein Portrait ihrer Kinder anfertigen. Ein Portrait, mit dem sich die rebellische Lilli nicht so recht anfreunden will. Doch mit ihrem sturen Verhalten stößt sie bei Max auf Granit. Durch die gemeinsamen Gespräche beginnt sich die junge Studentin allmählich zu öffnen. Aber die Familie befindet sich in einem emotionalen Tief, und das Ausmaß von Lillis Depression drückt sich speziell in ihrer neuen Beziehung zum Bildhauer Aldo (Misel Maticevic) aus.

Gegebenfalls mag es an meinem Kino gelegen haben, doch nehme ich dies für diese Besprechung einfach einmal nicht an. Zu Beginn ihres Filmes spielt Link bewusst mit der Schärfe der Kamera. Besonders gut zu sehen bei Elianes ersten Besuch im Atelier. [Sollte dies doch an meinem Kino gelegen haben, entfällt selbstverständlich die Kritik]. Während die Objekte im Vordergrund unscharf erscheinen, sind es die Dinge, die sich dahinter abspielen, die Link in den Fokus rücken lässt. Für diesen Kniff findet sich sicherlich die Begründung, dass die Familie Richter, um die es im Film geht, selbst aus dem Fokus gerückt und somit gegenseitig als unscharf wahrgenommen wird. Sinnbildlich und gemeinsam mit dem Film rücken die Ereignisse somit Stück für Stück wieder in ihren Ursprung zurecht und werden für den Zuschauer dadurch scharf. Der psychologisch-philosophische Aspekt dieses Kniffes ist oder wäre durchaus erkennbar, ist dem Film selbst jedoch nur bedingt zuträglich. Wenn die Unschärfe von Link beabsichtigt war, ist sie als misslungen oder zumindest unnötig anzusehen. Denn dass die Richters nicht mehr das sind, was sie einst waren, erkennt man auch so. Genauso verstört zu Beginn die wackelnden Kamera, die Link scheinbar nicht für nötig befunden hat auf ein Stativ zu setzen. Ähnlich wie alle technischen „Mängel“ verschwindet jedoch auch dieser Aspekt im Laufe des Filmes. Als letzter Makel wären die aufdringlichen Nahaufnahmen der Darsteller zu benennen, die – Francis Ford Coppola hat es im Laufe der Jahre zurecht kritisiert – den Figuren unnötig auf die Pelle rücken. Eine einfache Totalaufnahme scheint Link zu Beginn des Filmes wohl zu profan gewesen zu sein.

Mit sehr viel Sorgfalt und Bedacht widmet sich Link der allmählichen Exposition ihrer Geschichte. Den Schwerpunkt legt sie dabei nicht auf Alex’ Tod und dessen Ursachen – vielmehr bleiben diese bis zum Schluss eher im Dunkeln und lassen sich nur mutmaßen -, sondern stattdessen auf seine Schwester Lilli und mit Abstrichen auch auf ihre Mutter. Obwohl ein Jahr vergangen ist, kämpfen sich beide noch durch die fünf Stadien der Trauer, wollen Alex’ Ableben nicht wirklich akzeptieren und werden auch von ihren Erinnerungen an ihn nicht losgelassen. Zuflucht suchen beide, speziell jedoch Lilli in ihrer rebellischen Abgeschottenheit. Bewusst und wahrscheinlich auch absichtlich vermisst Lilli ein ums andere Mal die Problem für „Alice“. Die logische Konsequenz ist ihr Rausschmiss aus dem Musical, der für die junge Studentin dann doch überraschend kommt. Es ist der Familienvater (Hanns Zischler), der die meisten emotionalen Fortschritte macht. Er will sein Landhaus hinter sich lassen und zurück in die Stadt ziehen. Bis zuletzt versucht er auch die Ehe mit Eliane zu retten, trotz seiner Affäre mit seiner Lektorin. Allerdings ist auch er es, den Alex’ Tod am wenigsten nahe geht. Stets musste der Sohn Ansprüchen des Vaters genügen, wie auch Lilli. Dass Alex als (erfolgreicher) dabei in der interfamiliären Gunst vorne lag, ergänzt hier nur noch das Bild. Die Richters sind somit eine dieser reichen Klischeefamilien, die zwar vor Geld nur so strotzen, einen Skibegabten Sohn auf einem Internat und eine künstlerisch begabte Tochter auf einer Medienschule haben, jedoch dennoch innerlich zerrüttet sind. Man darf es als Links Verdienst ansehen, dass Im Winter ein Jahr aber dennoch nicht in seinen Klischees ertrinkt, sondern sich sogar über diese zu stellen vermag. So ist Links Film weniger auf Verlust ausgerichtet, als auf „beschädigte Güter“, wie es Dominic Greene in Quantum of Solace so schön umschrieben hatte.

Besonders hervorgehoben wird hierbei die Beziehung zwischen Max und Lilli. Ganz bewusst versucht diese jegliche Verbindung zwischen den beiden zu unterminieren, den Maler vor den Kopf zu stoßen. Doch Max stellt sich mit seiner Lebenserfahrung dagegen und Stück für Stück entfaltet sich auch seine Geschichte, seine Verluste, die ihre Narben hinterlassen haben und die durch die Begegnung mit Lilli zu Heilen beginnen. Gerade jene Szenen zwischen Bierbichler und Herfurth machen die ungemeine Stärke von Links Film aus. Zu verdanken ist dies natürlich den beiden Darstellern. Während Bierbichler die stoische Ruhe des Max gekonnt runterspielt, ist es Karoline Herfurth, welcher der Film gehört und die ihn auch durchweg zu tragen vermag. Lediglich ein emotionaler Ausbruch zur Mitte hin lässt die junge Schauspielerin kurzzeitig ins Overacting abgleiten, was jedoch von ihrer ansonsten makellosen Leistung kaschiert wird. Zischler spielt seinen Part ebenso gekonnt wie Bierbichler, Corinna Harfouch schafft es die meiste Zeit hindurch ebenfalls, nicht in ihr sonst grottiges Spiel abzugleiten. Für Gastauftritte waren sich dann auch die Jungstars Paula Kallenberg und Franz Dinda nicht zu schade. Alles in allem ist Im Winter ein Jahr wahrscheinlich der beste deutsche Film des laufenden Kalenderjahres. Es wäre zu wünschen, dass man ihn dem unsäglichen Baader Meinhof Komplex als deutschen Oscarbeitrag vorzieht, die Chancen für Link erneut zu gewinnen wären sicherlich nicht gering. Abgesehen von den technischen Schwächen zu Beginn macht der Film dann lediglich am Ende noch mal einen Fehler, indem die Regisseurin den Schluss der Geschichte unnötig hinauszögert. Zwar ist die finale Einstellung eine schöne Analogie zum Anfang des Filmes, doch hätte man den Film auch an drei anderen Stellen zuvor gut abschließen können. Caroline Link jedenfalls beweist hiermit erneut, weshalb sie zu den besten deutschen Regisseuren der Gegenwart zählt.

8/10

2 Kommentare:

  1. Yeeha, auf DVD ist der Pflicht für mich. Danke für dein Review :)

    AntwortenLöschen
  2. Es wäre zu wünschen, dass man ihn dem unsäglichen Baader Meinhof Komplex als deutschen Oscarbeitrag vorzieht, die Chancen für Link erneut zu gewinnen wären sicherlich nicht gering.

    Das wäre übrigens schon zu spät, BMK ist schon vornominiert ;) Aber IWEJ kann im nächsten Jahr (also 2010) an den Oscars teilnehmen.

    AntwortenLöschen