Ein Taxi in London hat niemand geringeren als Astronaut Buzz Aldrin, den zweiten Mann auf dem Mond, auf der Rückbank sitzen. Als es vor der vom Fahrgast designierten Adresse Halt macht, fährt ein zweites Taxi heran. Der Kollege fragt nach einem Autogramm, also beugt sich der Fahrer zurück und leitet die Bitte an Buzz Aldrin weiter.
“No, I don’t want his autograph”, korrigierte ihn der Kollege,
“I want your
autograph”. Tony Walker lacht, als er Regisseur Michael Apted diese Geschichte in
56 Up erzählt.
“I couldn’t believe it”, sagt der 56-jährige Brite. Dabei ist es nicht das erste Mal, dass Tony davon berichtet, erkannt worden zu sein. Der lebensfrohe Taxifahrer ist seit jeher einer der Teilnehmer der britischen
Up-Sendereihe, die mit dem Programm die wenigsten Probleme haben.
Im Mai 2012 war wieder ein siebenjähriger Zyklus vorüber gegangen, an dessen Ende Apted immerhin 13 seiner 14 Protagonisten aus
Seven Up! wiedervereinen konnte – so viele wie seit
21 nicht mehr. Inzwischen nahe am Rentenalter und größtenteils mehrfache Großeltern, fokussiert sich die neue Ausstrahlung weniger auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten der jeweiligen Teilnehmer als vielmehr auf einen Blick ihres momentanen Status Quo. Dies hat zur Folge, dass
56 Up weitaus stärker als die vorherigen Ausstrahlungen den Charakter einer Wiedervereinigung hat, die mehr als alles andere ein bloßes Wiedersehen darstellt, ohne von allzu großer tieferer soziokultureller Bedeutung zu sein. Eine Tatsache, die jedoch auch dem fortgeschrittenen Alter der Personen geschuldet ist.
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Lynn Johnson genießt das Leben mit ihren Töchtern und Enkelsöhnen. |
Und doch ist der neuerliche Besuch von Apted etwas anders als die vorangegangenen. Das merkt man bereits daran, dass
56 Up nicht mit Tony startet, sondern mit Sue. Sie ist immer noch mit Glen zusammen, inzwischen bereits seit
42 Up. Ohnehin, und das ist in gewisser Weise ziemlich erfreulich, hat sich keines der Paare in den vergangenen sieben Jahren getrennt.
“Wether it’s through luck or determination, we worked through difficult times”, sagt Suzy über ihre Ehe zu Rupert – nahezu wortwörtlich wie bereits in
49 Up. Letztlich sind Jackie und Neil die einzigen Teilnehmer, die zum Zeitpunkt des Films keinen Partner haben. Konstanz in ihren Beziehungen zum Partner als auch zu ihren Kindern zeichnet somit auch diesen Teil von Granadas und Apteds Programmreihe aus.
“The kids are my life”, sagt Tony, der sich um seine Enkelin kümmert, da seine Tochter emotionale Probleme hat. Umso härter hat es den Londoner getroffen, als ihm seine Kinder jenes Untreuegeständnis aus
42 Up übel nahmen. Kaum ein anderer Teilnehmer der
Up-Reihe hat diese so offen an sich herangelassen wie er. Ohnehin wird die Teilnahme am Programm immer öfter zum Thema in diesem selbst.
“It’s not a matter I look forward to every seven years”, gesteht Andrew, der mit seiner Frau Sue jene alte Scheune aus
28 Up inzwischen zu einem ansehnlichen Ferienhaus umgewandelt hat.
“So, is it done?”, fragt Apted das Paar.
“It’s never done”, schmunzelt Sue und erinnert an das Unkrautproblem. Und auch Einzelgänger Neil hat kritische Worte für die Programmreihe übrig.
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Neil Hughes arbeitet inzwischen als Hilfsminister seiner Kirchengemeinde. |
Wie bereits Jackie in
49 Up oder auch Suzy zuvor, moniert Neil, dass viele Leute meinen würden, ihn zu kennen, nur weil sie ihn alle sieben Jahre in Apteds Dokumentation sehen. Auch Suzy und Nick sprechen an, dass die zehnminütigen Segmente nie repräsentativ widerspiegeln würden, wer sie wirklich seien.
“It’s not an absolute accurate picture of me”, sagt Nick, ergänzt jedoch:
“but it’s a picture of somebody – and that’s the value of it”. Bezieht man mit ein, dass fast die Hälfte der zehnminütigen Segmente – „Sorgenkind“ Neil kriegt jedoch meist fast 15 Minuten – nur aus Archivmaterial als ergänzender Kontext besteht, ist die Meinung der Teilnehmer durchaus nachvollziehbar. Allerdings haben bisher nur die Hälfte von ihnen ihren Unmut gegenüber Apted und der Kamera geäußert.
Und dennoch hat Neil immer bereitwillig und offen über sich und seine Probleme gesprochen, selbst hier, in diesem Teil tut er es wieder. Sein halbes Leben lang lebt er bereits am Existenzminimum, hat immerhin mit seiner liberaldemokratischen Arbeit einen Lebenssinn gefunden.
“It’s the only way I’ve been able to make any money”, erzählt er uns.
“I’ve been completely unsuccessful in trying to find a paid career in any kind.” Zudem ist Neil, der seit
35 Up ein wiedergeborener Christ ist, nun auch ein Hilfminister in seiner Kirchengemeinde. Was ihn aber wirklich erfüllen würde, wäre die Publikation seiner literarischen Arbeiten, die er sich durch die Aufmerksamkeit des Programms gewünscht hätte. Dazu kam es aber nie, im Gegensatz zur Medialisierung privater Anliegen anderer Teilnehmer.
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Peter Davies (mitte) promotet die Musik seiner Band The Good Intentions. |
So hatte John einst nach
21 die Reihe quittiert, um zurückzukehren, weil er sich wegen seiner Frau karikativ um benachteiligte Kinder in Bulgarien kümmerte. Auch Peter kehrt in
56 Up nach 28 Jahren zurück, weniger wegen des Programms selbst, sondern aus privaten Gründen.
“I want to promote the music and the band I’m in”, sagt der ehemalige Lehrer, der nun Jurist im öffentlichen Dienst ist. Wegen der harschen Reaktionen auf seine Regierungskritik in
28 Up war er dem Programm ferngeblieben, dabei zeigt sich in Kommentaren von Nick über die Bildungspolitik Anfang der 80er-Jahre, dass die damalige Kritik von Peter am Thatcherismus nicht ganz unbegründet war.
“I still believe they haven’t got a clue what they’re doing”, ist auch Lynn kein Freund der gegenwärtigen Regierung.
Die Cameron-Regierung hielt noch andere Überraschungen parat, wie eine verspätete Rente, sodass Lynns Mann weiter arbeiten muss. Auch Jackie, die seit 14 Jahren Invalidenrente kassiert, wurde vom Staat nun trotz ihrer Arthritis für arbeitstauglich eingestuft. Zugleich leidet ihre Schwiegermutter an Krebs im Endstadium, ihr zweitjüngster Sohn ist mit 19 Jahren Vater geworden und der Jüngste hat sich zur Armee gemeldet.
“I think my life’s gonna be good”, ist die alleinstehende Frau dennoch überzeugt. Weitaus besser ist die Lage bei den anderen Teilnehmern. Sue leitet inzwischen ihre Fakultät und probt sich in der Freizeit in einer Drama-Klasse, Symon ist weiterhin Pflegevater für benachteiligte Kinder.
“To be loved, to be wanted”, sagt er,
“if you can give that to them, everything else is second”.
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Suzy und Nick sind inzwischen miteinander befreundet und halten E-Mail-Kontakt. |
Ihre Kinder sind sicherlich inzwischen das zentrale Thema für alle 13. Paul, der nunmehr als Hausmeister in der von seiner Frau geleiteten Seniorenanlage arbeitet, hofft, alle seine Enkel auf die Universität schicken zu können.
“One thing you can’t take away from people is education”, sagt er, der stets einfache Berufe ausgeübt hat. Fast exakt dasselbe hatte Andrew einst in
21 bereits geäußert. Ihre Bildung haben auch Nick und Bruce geprägt, sodass Ersterer mit seiner zweiten Frau und Bruce mit seiner Familie nach Oxford zurückkehrten. Letzterer hofft lediglich, dass seine Söhne ihr Potential ausschöpfen. Mit der Ausschöpfung ihres eigenen Potentials scheinen die meisten der 56-Jährigen durchaus zufrieden zu sein – auch wenn für viele von ihnen, allen voran Neil, mehr möglich war.
Wie immer ist es schön zu sehen, dass alle noch munter und gesund sind, auch auf die engere Familie bezogen. Zwar weniger eindrucksvoll wie die vorangegangenen Ausgaben ausgefallen, ist
56 Up dennoch gerade für Fans der
Up-Reihe ein schönes Wiedersehen, dass allerdings noch eine Spur sentimentaler hätte ausfallen können.
“I suppose I have this ridiculous sense of loyalty to it, even though I hate it”, lacht Suzy.
“And that’s just such a contradiction, isn’t it?” Angesichts der dann nahenden Rente und des hohen Alters von Apted selbst, könnte
63 Up vermutlich die letzte Rückkehr darstellen. Denn er trägt wohl einen großen Teil dazu bei, dass die meisten immer mitmachen. Und wer weiß, vielleicht kehrt dann zum womöglich großen Finale 2019 auch Charles nach 42 Jahren zurück.
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