6. Dezember 2012

Beasts of the Southern Wild

Once there was a Hushpuppy and she lived with her daddy in The Bathtub.

Das Kino hatte wohl spätestens mit dem Kurzfilm L’arrivée d’un train en gare de La Ciotat der Gebrüder Lumière den Status etwas „Magischen“ inne. Ein Erlebnis, in dem Realität und Fiktion zu verschwimmen schienen, vermutlich weniger dem Film als solchen denn dem frühen Filmerlebnis per se geschuldet. Mit der Zeit und mit den Jahrzehnten wurden die magischen Filmmomente immer rarer und seltener. Je mehr Filme produziert werden, desto mehr Einheitsbrei ist darunter und desto seltener werden kleine, magische Werke. Dass “movie magic” noch nicht ausgestorben ist, beweist Benh Zeitlin mit seinem Indie-Märchen Beasts of the Southern Wild.

Die darin erzählte Geschichte ist unterm Strich relativ simpel, handelt es sich doch um ein Coming of Age-Drama. Gemeinsam mit ihrem Vater Wink (Dwight Henry) und einigen anderen Aussiedlern wohnt die 6-jährige Hushpuppy (Quvenzhané Wallis) in der Inselsiedlung The Bathtub vor der Küste von Louisiana. Als sich dann plötzlich Winks gesundheitlicher Zustand verschlechtert und ein hereinbrechender Sturm The Bathtub unter Wasser setzt, muss Hushpuppy, die sich für die beiden Situationen verantwortlich fühlt, schnell lernen, ihre Kindlichkeit abzulegen und zudem ihren rechtmäßigen Platz als “king of The Bathtub” einzunehmen.

In semi-Selbstständigkeit erzogen, Hushpuppy wohnt in einem eigenen Trailer, beginnt die Handlung, als Wink für kurze Zeit verschwindet. Mit seinem Gesundheitszustand beschäftigt, gerät der alleinerziehende Vater bei seiner Rückkehr mit seiner Tochter schließlich aneinander und erleidet dabei just in dem Moment einen Anfall, als sich ein Sturm ankündigt, vor dem die Kinder des Bathtub seit jeher gewarnt wurden. Hushpuppy sieht sich als Auslöser für beide Vorfälle – und viel mehr. “The whole universe depends on everything fitting together just right”, sinniert sie. “If one piece busts, even the smallest piece…the whole universe will get busted.”

Fortan vermischen sich bisweilen die Ebenen zwischen Realität und Fiktion, wenn das kleine Mädchen versucht, mit der Umwälzung ihrer Lebenswelt klarzukommen und dies in Einklang mit dem bringen will, was ihr von ihrer Lehrerin Miss Bathsheba (Gina Montana) beigebracht wurde. “Sometimes you can break something so bad”, meint Hushpuppy, “that it can’t get put back together”. Eben das versucht Beasts of the Southern Wild jedoch zu schaffen: alles wieder so zusammenzufügen, wie es vorher war. Für Hushpuppy bedeutet dies, dass Wink als einziges Familienmitglied im Bild bleibt. Für Wink bedeutet es, seiner Tochter eine Zukunft zu ermöglichen.

Von zentraler Bedeutung ist dabei die gemeinschaftliche Kommune des Bathtub, einer eigenen kleinen Welt, die sich an der zivilisatorischen Basis bewegt. Den Kindern wird hier beigebracht, zu überleben, während sie gleichzeitig für jenen Sturm präpariert werden, der irgendwann kommen muss. Somit ist The Bathtub auch im Verständnis seiner Bewohner nur ein Ort auf Zeit – ein Paradies, das irgendwann verloren wird. Zumindest solange niemand bereit ist, dafür zu kämpfen. Obschon keine Hierarchie zu erkennen ist, nimmt Wink doch eine Vorreiterrolle ein. Zumindest unter jenen Mitgliedern, die sich vom Sturm nicht haben vertreiben lassen.

Somit erzählt Benh Zeitlin, der mit diesem Film ein beeindruckendes Debüt abliefert, prinzipiell vom Überleben einer Gemeinschaft, sowohl als kleine Familie zwischen Wink und Hushpuppy als auch als große Familie mit den übrigen Mitgliedern der Kommune. Zugleich dreht sich die Handlung um das Loslassen und Festhalten von Objekten, Personen und Werten. Für die Sechsjährige hält Beasts of the Southern Wild zudem in gewisser Weise eine Odyssee bereit, in der sie sich später ihrer eigenen Vergangenheit stellen muss, um sich auf ihre Zukunft einlassen zu können. “I see that I’m a little piece of a big, big universe”, realisiert Hushpuppy am Ende.

Dabei ist Zeitlins Film letztlich nur so gut, wie seine beiden Darsteller, die diesen tragen. Das Ergebnis ist umso beachtlicher, da es sich um Laien handelt. So balanciert Bäcker Dwight Henry gekonnt zwischen den resignierenden Momenten seiner Figur und jenen Augenblicken, in denen er um die Zukunft seiner Tochter kämpft. Henry verleiht Wink Optimismus und Charme, was ihn auch in seinen wenigen Szenen sympathisch werden lässt. Das Highlight ist aber die Leistung von Quvenzhané Wallis: Sich stark und zugleich verletztlich gebend, ist es ihre Hushpuppy, die den Film weitestgehend alleine schultert und dies gekonnt über die gesamte Dauer.

Ebenfalls erwähnenswert ist die Kameraarbeit von Ben Richardson und insbesondere die musikalische Untermalung von Zeitlin und Dan Romer. Ihr Bläser- und Streicherorchester inszeniert ländlich-folkloristische Musik von jener lebensbejahenden Kraft, von der auch der Film erzählt. Und spätestens, wenn das Orchester zum großen Finale ausholt und Hushpuppy dann in einer starken Schlusseinstellung am Ende ihres Reifeprozesses angelangt ist, spürt man als Zuschauer, was auch zuvor während Beasts of the Southern Wild des Öfteren aufgeblitzt ist: Eine cineastische Gänsehaut und das Wissen, dass “movie magic” doch noch nicht ausgestorben ist.

9/10

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