30. Januar 2015

The Look of Silence

If you drink blood, you can do anything.

„Nimm ein Butterfly Messer mit“, sagt die Mutter zu dem Sohn. Ein gut gemeinter Ratschlag, wenn in der Nachbarschaft die Mörder des eigenen Bruder leben. In The Look of Silence widmet sich Regisseur Joshua Oppenheimer nochmals den Massakern von 1965/66, als in Indonesien die Diktatur den Massenmord von Mitgliedern und Sympathisanten der Kommunistischen Partei veranlasste, nachdem er in The Act of Killing die Täter von damals ihre Verbrechen hatte nachstellen lassen. „Surreal und pietätlos“, beschrieb ich das damals. „Den Überlebenden jener Massaker sowie den Nachkommen der Getöteten wird die Dokumentation allerdings so nicht gerecht.“ Dies versucht Oppenheimer nun mit seinem Nachfolgefilm.

Zwei Jahre bevor er gezeugt wurde, verloren die Eltern von Adi ihren Sohn Ramli in jenem Massaker. „Kommunisten sind grausam“, lernt Adis Sohn in der Schule. „Es sind alles Lügen“, klärt Adi den Sohn auf. Und macht sich selbst daran, die Wahrheit aus dem Mund der Lügner zu hören. Immer wieder sehen wir Adi, wie er sich auf einem Fernseher Szenen aus The Act of Killing ansieht, in denen die Täter ihren Mord an Ramli beschreiben. Im Verlauf des Films besucht Adi jene Orte, an denen der Bruder, den er nie gekannt hat, sein Martyrium erlitt. Darunter teils mit einem Überlebenden der Massaker. „Ich will mich nicht erinnern“, sagt dieser. „Das würde nur Ärger heraufbeschwören.“ Schließlich leben die Täter weiter unter ihnen.

Wenn sie Ramlis Mördern im Dorf begegnet, sprechen sie nicht miteinander, erzählt Adis Mutter Rohani. Es mache keinen Sinn sich jetzt aufzuregen, zugleich betet sie aber, dass auch „die Kinder und Enkel der Täter büßen werden“ – selbst wenn die mit dem Massaker von damals nichts zu tun haben. Adi wird im letzten Akt der Dokumentation einigen Nachfahren des Mörders seines Bruders gegenübersitzen. Die wiederum wollen nicht mit den Taten ihrer Väter konfrontiert werden. „Das Vergangene ist vergangen“, hört Adi immer wieder. Von den Tätern, ihren Verwandten, aber auch den eigenen. Wie seinem Onkel, der als Gefängniswärter über die Kommunisten wachte, vom Massenmord an diesen jedoch nichts geahnt haben will.

Ähnliches kennst man hinsichtlich deutscher Erlebnisse aus der NS-Zeit. Mitbekommen hat niemand etwas und die, die es taten, hatten keine Wahl. „Keiner fühlt sich verantwortlich“, merkt Adi im Gespräch mit den Tätern, die auf die Regierung oder Befehlskette verweisen. „Einige haben so viele Menschen getötet, dass sie wahnsinnig wurden“, weiß einer der Mörder. Das Einzige was half, war, das Blut der Opfer zu trinken. Salzig und süß sei es gewesen, sinniert der Täter, während Adi ihm konsterniert zuhört. Der titelgebende Blick des Schweigens findet sich unterdessen nicht nur bei Adi – und dem Zuschauer –, sondern auch bei seinen Gesprächspartnern, wenn er ihnen Fragen zu ihren Motiven und Gefühlen bezüglich ihrer Taten stellt.

Das kommt bei den wenigsten gut an. Einer der Mörder echauffiert sich, dass Adi „weitaus tiefgründigere Fragen“ stelle „als Joshua [Oppenheimer] es je getan hat“. Und in der Tat stellt Adi den Tätern all jene Fragen, die sich Oppenheimer in The Act of Killing sparte. Was damals noch irritierte, kriegt nun womöglich eine Erklärung, sieht man, wie Adis Gegenüber immer wieder seine Fragen abblocken. Vielleicht ließ Oppenheimer die Mörder deshalb zuvor einfach drauflos labern, um die ungeschminkte Wahrheit auf Band zu haben, mit der Adi als Basis für die „Fortsetzung“ arbeiten kann. Allerdings haben die Täter wenig Probleme, einem Familienmitglied direkt zu berichten, wie man dessen Verwandten seinerzeit verunstaltet und malträtiert hat.

Insofern macht der Film den Vorgänger fast obsolet, der als Referenz besser funktioniert als für sich betrachtet. The Look of Silence ist das beste zweier Welten: die Berichte der Täter kombiniert mit der Reaktion der Opfer. Entsprechend muss man The Act of Killing nicht gesehen haben, um dieser Dokumentation folgen zu können. So erschütternd das Gezeigte auch ist, weiß Oppenheimer die Stimmung aufzulockern, indem er Adi mit seiner unbeschwerten Tochter zeigt. Sie weiß, ähnlich wie die erwachsene Tochter eines Täters später, scheinbar nichts von den mörderischen Umständen von 1965/66. Doch wenn The Look of Silence uns etwas zeigt, dann, dass das Vergangene nicht vergangen ist – zumindest nicht für die Opfer.

7.5/10

25. Januar 2015

Art and Craft

I always knew they’d find out. Sooner or later.

Die etwas Älteren werden sich noch an den Namen Konrad Kujau erinnern, der 1983 dem Magazin Stern vermeintliche Tagebücher von Adolf Hitler überließ. Diese waren allerdings von Kujau im großen Stil gefälscht worden, was nicht nur den Rücktritt der Stern-Chefredaktion nach sich zog, sondern auch einen Makel für das Magazin als solche. Niemand sitzt gerne einer Fälschung auf, das gilt für journalistische Medien ebenso wie für Museen. Und dennoch schaffte es in den USA ein Mann über drei Jahrzehnte hinweg, 46 Museen in 20 Bundesstaaten gefälschte Bilder unterzujubeln. Nachdem Mark A. Landis vor einigen Jahren damit aufflog, wird er nun für Sam Cullman und Jennifer Grausman zum Objekt ihres Films Art and Craft.

Dass Landis trotz seiner Kunstfälschungen straffrei ausging, verdankte sich der Tatsache, dass er keinen Profit daraus zog. “He’s not in it for the money”, bestätigt Matt Leininger, ein ehemaliger Kurator, der Landis auf den Leim ging. “He likes to see this stuff on display.” Leininger (Bild unten links) ist quasi die zweite Hauptfigur in dieser Dokumentation, derart obsessiv von Landis besessen, dass selbst seine kleine Tochter den Fälscher inzwischen identifizieren kann. In gewisser Weise erinnert Leininger an Robert Graysmith aus David Finchers Zodiac – ein Mann, dessen Leben an einer Obsession zu scheitern droht. Für Leininger zählt nur, Landis’ Handlungen ein Ende zu setzen und andere Museen vor weiterem Schaden zu bewahren.

Mark Landis selbst präsentiert sich in Art and Craft als ziemlich schrulliger Charakter. Im Alter von drei Jahren habe er angefangen, Bilder aus Museumskatalogen in seinem Hotelzimmer nachzumalen, während seine Eltern abends ausgingen. Große Teile seiner Biografie, darunter dass Landis sich mit 17 nach dem Tod seines Vaters wegen Schizophrenie behandeln ließ oder er Kunstkurse besuchte, erwähnen Cullman und Grausman wiederum nicht. Genauso wie sie sich nur oberflächlich dafür interessieren, wie Landis seine Fälschungen vornimmt. Zwar sehen wir ihn, wie er mit gewöhnlichen Buntstiften ein Kruzifix-Bild malt und es anschließend einer Bibliothek als Nachlass einer fiktiven Schwester vermacht, aber tiefer geht der Film nicht.

Dabei wäre es sicherlich interessant zu wissen und zu sehen, inwiefern es Unterschiede macht, ob Landis nun ein Bild von Paul Signac oder René Magritte fälscht und was es ausmacht, einen Brief von Thomas Jefferson nachzumachen. Stattdessen schwenken die Regisseure immer wieder zu Leininger, der praktisch zu Landis’ Nemesis hochstilisiert wird. “That guy is a skilled artist”, erkennt Leininger dabei das Talent von Landis durchaus an. Man merkt, dass es ihm weniger darum geht, Landis aus dem Verkehr zu ziehen als vielmehr sich selbst in gewisser Weise zu rehabilitieren. Etwas weiter ist da Aaron Cowan (Bild unten rechts), ein Galerist aus Cincinnati, der dem Werk und der Person Mark A. Landis mehr mit Interesse begegnet.

Cowan ist es, der für die Filmemacher im Gespräch mit Landis mehr biografischen Hintergrund aus ihm kitzelt. Und der für den dritten Akt der Dokumentation eine Ausstellung mit Landis’ Fälschungen in einer Galerie organisiert. Dort darf dann auch Leininger erneut auftreten, sodass es zur Begegnung zwischen den beiden Personen kommt. Keine wirklich spannende Entwicklung und auch wenn sich Art and Craft thematisch als Double Bill mit Tim’s Vermeer eignet, ist Letzterer der weitaus gelungenere Film, da er Einblicke in die Motivation seines Protagonisten gibt und zugleich aufzeigt, wie dieser in seiner Arbeit vorgeht. Er verfolgt in seinem Film keine banal-gewöhnliche Narration wie es Cullman und Grausman hier versuchen.

Angesichts der Persönlichkeit von Mark Landis und seinem unverkennbaren Talent ist es schade, dass Art and Craft sein Potential nicht vollends ausschöpft. Interessant ist der Film zwar allemal, zusammengehalten von der Schrulligkeit der Hauptfigur, die sich bisweilen auch als Priester verkleidete, um ihre Werke an die Wand zu bringen. Landis’ Bilder-Spenden erachtet ein FBI-Agent als “ego satisfaction” – jenes Ego wäre wichtiger gewesen, in den Vordergrund zu stellen. So ist diese Dokumentation letztlich weniger gelungen als die Werke seiner Hauptfigur. Als Folge werden auch die Älteren wohl in 30 Jahren mit dem Namen Mark A. Landis wenig anzufangen wissen. Ausgenommen vermutlich die Nachfahren von Matt Leininger.

5.5/10

17. Januar 2015

Return to Paradise vs. Brokedown Palace

Für viele Rucksack-Touristen ist Asien der Hotspot schlechthin. Das Leben ist für westliche Verhältnisse nicht sonderlich teuer und zugleich dank Sonne, Strand und Meer paradiesisch. Allerdings liegen in den träumerischen Ländern Fernosts Paradies und Hölle bisweilen nah beieinander. Denn wenn es um Drogen geht, versteht das asiatische Justizsystem meist keinen Spaß. Fälle von Backpackern, die wegen Drogen im Gepäck zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt werden, sind keine Seltenheit. Auch in Hollywood war das Thema Ende der 90er Jahre aktuell, zuerst in Joseph Rubens Return to Paradise (dt. Für das Leben eines Freundes) von 1998, ein Jahr später dann in Jonathan Kaplans Brokedown Palace. Beide Filme liefen wenig erfolgreich.

Im Gegensatz zu A Bug’s Life/Antz oder Snow White & the Huntsman/Mirror, Mirror handelt es sich allerdings nicht um Schwesternfilme. Zwar ähneln sich die Werke von Ruben und Kaplan darin, dass ihre US-amerikanischen Figuren aus Spaßzwecken nach Asien kamen, ehe sie wegen des Besitzes von Drogen ins Gefängnis wandern, dennoch geraten sie in ihrer Struktur unterschiedlich. Während Brokedown Palace seine Figuren als Opfer zeichnet, denen Unrecht getan wurde, gelingt es Return to Paradise, über weite Strecken ein interessantes moralisches Dilemma zu zeichnen, das der Zuschauer auf sich selbst übertragen kann. Aufgrund des ähnlichen Themas sollen beide Filme an dieser Stelle  etwas genauer betrachtet werden.

Return to Paradise [Für das Leben eines Freundes]

It’s like God’s own bathtub.

Manchmal kann eine unbedachte Handlung ein ganzes Leben verändern. “So, the plan was to party till we ran out of cash in Malaysia”, berichtet Vince Vaughns Figur Sheriff zu Beginn von Return to Paradise. “It was a paradise of rum, girls and cheap hash.” Gemeinsam mit seinem Kumpel Tony (David Conrad) lernt Sheriff vor Ort den „Öko“ Lewis (Joaquin Phoenix) kennen. Das Trio verbringt fortan seinen Urlaub gemeinsam, mit Alkohol und Haschisch. Leiht ein Fahrrad und entsorgt es dann einfach im Dschungel, als es nach einem Unfall nicht mehr fahrtauglich ist. Am nächsten Tag verabschieden sich Sheriff und Tony zurück nach New York. Dort erhalten sie zwei Jahre später Besuch von Anwältin Beth (Anne Heche), die um Lewis’ Leben kämpft.

Denn als der Fahrradbesitzer mit der Polizei vorstellig wurde, fanden sie das verbliebene Haschisch der Jungs in Lewis’ Besitz. Vier Gramm über der Toleranzgrenze gilt Lewis nun als Schmuggler. Worauf in Malaysia die Todesstrafe steht. Nachdem alle Einsprüche abgeschmettert wurden, bleibt ihm nur noch eine Woche Zeit. Wenn sich Sheriff und Tony bereit erklären, für jeweils drei Jahre ins Gefängnis zu gehen oder alternativ einer der beiden für sechs Jahre, wird die Todesstrafe für Lewis ausgesetzt. Ein moralisches Dilemma, dem sich die beiden Männern in den Folgetagen stellen müssen. Sind sie bereit, für das Leben eines Freundes das eigene hintenanzustellen und es womöglich sogar im Gefängnis eines fremden Landes zu gefährden?

Es ist diese zentrale Frage, die im Grunde die Handlung von Return to Paradise darstellt. Und auch, wenn der Film bisweilen Tonys Abwägung berücksichtigt, steht Sheriff doch im Mittelpunkt. Im Gegensatz zu Tony, der einen respektableren Job und eine Verlobte (Vera Farmiga) hat, blickt Sheriff auf ein eher nutzloses Leben zurück. Die Wohnung macht wenig her, tagsüber verdingt er sich als Limousinenfahrer. Entsprechend hebt auch sein Vater hervor, dass es eigentlich die sinnigere Entscheidung sei, zurückzugehen. Auch wenn ihm natürlich klar ist, dass Sheriffs Persönlichkeit dies nicht hergibt. “Who’s kiddin’ who?”, meint dessen alter Herr süffisant. Und auch Sheriff betont immer wieder die Schwäche in seinem Charakter.

“It isn’t in me”, gesteht er da an einer Stelle Beth, wie auch vor Jahren bereits ihrem Bruder. In Malaysia hatte Lewis Sheriff gefragt, ob er mit ihm in Borneo Orang-Utans retten wolle. “I don’t have that kind of stuff in me”, lehnte Sheriff den Vorschlag dankend ab. Erst in der Erkenntnis, dass sein Leben in der jetzigen Form kein lebenswertes ist – schon gar nicht, wenn Lewis hierfür sein eigens Leben lassen muss –, setzt bei Sheriff allmählich ein Umdenken ein. Dabei reitet Ruben gar nicht mal so sehr auf der Tatsache herum, dass es Sheriff war, der einerseits das Fahrrad weggeworfen und andererseits Lewis das Haschisch überlassen hat. Von der Schuldfrage her sollte Sheriffs Rückkehr als Hauptverursacher kaum Überwindung kosten.

Zugleich postuliert Return to Paradise die Frage, die sich Sheriff und Tony stellen müssen, auch an sein Publikum. Wie würde der Zuschauer selbst reagieren, wenn das Leben eines Freundes von seiner Entscheidung abhinge? Hier macht es sich der Film im Grunde sogar so leicht, dass Lewis weniger Freund als Urlaubsbekanntschaft ist. Dennoch wird seine Persönlichkeit zumindest für die übrigen Figuren derart etabliert, dass diese ihn als guten Menschen beschreiben. Womöglich als einen besseren als sie selbst es sind. Dass Sheriff und Tony dabei voneinander abhängig sind, ob sie „nur“ drei oder doch sechs Jahre ins malaysische Gefängnis müssen, führt bei der jeweiligen Entscheidungsfindung der beiden zu weiteren Spannungen.

Dennoch winkt der Film teils etwas arg mit dem Zaunpfahl, beispielsweise wenn Sheriff in New York an einem Werbeplakat für Malaysia vorbeiläuft. Auch der Subplot mit Jada Pinkett-Smiths egoistischer und destruktiver Klatschreporterin sowie die etwas unnötig in die Handlung geschriebene Romanze zwischen Sheriff und Beth (die sich obendrein als Lewis’ Schwester entpuppt) ziehen einen von seiner Intention ausgesprochen starken Film etwas herunter. Gerade, da das eigentliche Thema die Wandlung von Sheriff darstellt. “I knew you was coming back”, sagt Lewis da zum Schluss. “Even if you didn’t.” Das hätte trotz der Ereignisse in aller Tragik als „Happy“ End gereicht. Schade, dass der Film dennoch die Abfahrt nach Hollywood nimmt.

6.5/10

Brokedown Palace

No matter how I look at this, you didn’t deserve this.

Der Habitus, nach dem Schulabschluss erstmal um die Welt zu reisen, ist inzwischen Gang und Gäbe. So entschließen sich auch die Freundinnen Alice (Claire Danes) und Darlene (Kate Beckinsale) in Brokedown Palace dazu, nach dem High-School-Abschluss einen kurzen Trip zu unternehmen. Statt nach Hawaii, wie ursprünglich geplant, geht es heimlich doch lieber nach Thailand. “It hat to be amazing”, sagt Alice später. “Memorable.” In Thailand ist das Leben billiger und aufregender, zwischen alten Tempeln und gefälschten Souvenirs. Als sich die Mädchen in ein Luxushotel schleichen und dabei erwischt werden, Cocktails auf Kosten anderer Gäste zu trinken, springt ihnen der nette Australier Nick (Daniel Lapaine) rettend zur Seite.

Wo Return to Paradise das Beziehungsdrama bis zum Schlussakt aufspart, präsentiert es Jonathan Kaplan im ersten Akt. Sowohl Alice als auch Darlene finden Gefallen an Nick, der beide Mädchen zu einem kostenlosen Flug nach Hong Kong einlädt. Beim Einchecken taucht jedoch plötzlich die Polizei auf und findet bei den Amerikanerinnen Heroin im Gepäck. In ihrer Naivität unterschreibt Darlene unwissentlich ein in Thai verfasstes Geständnis, vor Gericht werden sie und Alice daraufhin zu je 33 Jahren Gefängnis verurteilt. Lag ihnen soeben noch ihre ganze Zukunft offen, scheint ihr Leben nunmehr dahin. Die Frage, ob eine von ihnen dabei für Nick die Drogen schmuggelte, stellt Kaplan gar nicht, etabliert lieber die Unschuld der zwei Mädchen.

Seinerzeit schlug Brokedown Palace Wellen, weil sich Hauptdarstellerin Claire Danes negativ über die Philippinen äußerte, wo der Film wegen seiner kritischen Darstellung des thailändischen Justizsystems gedreht wurde. Anschließend wurde sie dort zur Persona non grata ernannt – nicht gerade die beste Werbung. Ein Problemkind ist auch ihre Figur, wie Darlenes Vater später etabliert. Nicht zuletzt war es Alices Idee, statt nach Hawaii gen Asien zu reisen. Wenn also eine der beiden das Heroin in die Tasche gepackt hätte, wäre es wohl unweigerlich Alice gewesen. Insofern ist die Entscheidung, beide als Opfer der Umstände zu zeichnen, nachvollziehbar. “They don’t give a shit in this third world country”, echauffiert sich Alice entsprechend.

Insofern geht Kaplan in seinem Film einen anderen Weg als Kollege Ruben, auch wenn Brokedown Palace am Ende mit Alices Entschluss, beide Haftstrafen abzusitzen und somit ihre Freundin seit Kindestagen in die Freiheit zu entlassen einen ähnlichen Verlauf nimmt. Der wiederum ist selbst jedoch nicht Thema, obschon Alices Entscheidung, statt 33 Jahren 66 Jahre – und damit den Rest ihres Lebens – in dem thailändischen Gefängnis zu verbringen, weitaus dramatischer ist, als Sheriffs Akzeptanz von sechs Jahren (die schlussendlich ohnehin zu sechs Monaten verkürzt werden). Dass den Zuschauer dennoch Sheriffs Entschluss mehr berührt, obschon die Tragweite für Alice größer ist, zeugt vom Scheitern von Brokedown Palace.

Vielmehr ist Kaplans Beitrag ein Drogen-Drama mit Kritik am Justizsystem von Thailand im Speziellen wie Asien im Allgemeinen. Berücksichtigt man beide Filme, erscheinen die Strafen in der Tat übertrieben hart, angesichts dessen, wie leicht und billig die Drogen in den Ländern erhältlich sind. Auch derartige Haftstrafen scheinen sie nicht wirklich von der Straße zu halten. Im Gegensatz zu Return to Paradise (wo vier läppische Gramm den Unterschied zwischen Konsum und Handel ausmachten) ist der Drogenfund bei Alice und Darlene alles andere als ein Kavaliersdelikt, dem man fehlendes Fingerspitzengefühl nachsagen kann. Und das trotzdem wie bei Sheriff, Lewis und Tony am Ende schlicht auf westliche Naivität zurückzuführen ist.

In seiner zweiten Hälfte driftet der Film dann durch die Integration des in Thailand tätigen Anwalts “Yankee” Hank Green (Bill Pullman), der die Verteidigung von Alice und Darlene übernimmt, etwas mehr in Justizdrama-Gefilde, was aber nicht allzu spannend gerät. Auch, weil Nachforschungen zu Nick, die nicht so schwierig sein sollten, im Sand verlaufen. Dass Kaplan den Film von Anfang bis Ende mit Pop-Gedudel der Marke PJ Harvey unterlegt, sollte ihn wohl der MTV-Generation nahebringen, lässt ihn jedoch eher fiktionaler erscheinen, als seine Geschichte eigentlich ist. Wo sich Return to Paradise letztlich also trotz seiner guten Prämisse zu sehr Hollywood-Klischees bedient, ist Brokedown Palace nicht mehr als ein ebensolches.

4.5/10

12. Januar 2015

Saga – Volume Four

Are you lady folk?

Eigentlich sollte es in heutigen Zeiten kein Problem sein, mit mehrmonatigen Pausen in Unterhaltungsmedien klarzukommen. Da liegen zwischen den Finals und Starts von Serienstaffelfn vier bis fünf Monate und zwischen Teil X und Y von Hunger Games bis Hobbitses in der Regel gar ein Jahr. Irgendwo dazwischen lag mit neun Monaten die Wartezeit für Volume Four von Brian K. Vaughans und Fiona Staples Geniestreich Saga. Klar, einzelne Ausgaben gab es dazwischen, aber das macht das Warten auch nicht leichter. Und die neuesten Entwicklungen im Leben von Vaughans und Staples Figuren in einem Rutsch zu verfolgen, ist doch gleich viel intensiver und befriedigender. Erneut halten die Macher für die Leser einige Überraschungen bereit.

Wie der erste Band beginnt auch der vierte mit einer Geburt – in diesem Fall der des Sohns von Prince Robot IV. Der wird immer noch von der königlichen Familie vermisst, verlustiert sich derweil unter einer Amnesie leidend auf Sextillion. Alana, Marko und Hazel haben nun wiederum Unterschlupf auf Gardenia gefunden, einem entfernt ihre Heimatplaneten Landfall und Wreath umkreisenden Trabanten. Während Marko sich um die Erziehung seiner inzwischen sehr vitalen Tochter kümmert, schlägt sich Alana mehr schlecht als recht als Soap-Darstellerin im Piratensender Open Circuit durch. Und versucht die Monotonie ihres Schaffens bald mit Drogen zu betäuben. Ein Umstand, der zu Spannungen zwischen ihr und ihrem Ehemann führt.

Bereits zum Ende des 19. Kapitels – also des ersten des vierten Bands – hält Vaughan einen der für Saga nicht ungewöhnlichen unerwarteten Schläge in die Magengrube bereit. Wenn auch einer, der sich vier Kapitel später als etwas anders darstellt wie erwartet. Aber auch später beweist Vaughan, dass er seine kompromisslose Linie, die schon im ersten Band für überraschende Wendungen sorgte, durchaus gewillt ist, beizubehalten. Von einer heilen Welt ist in Saga keine Spur und auch wenn die Situation für unsere Familie auf Gardenia alltäglich erscheint, ist sie dies – spätestens zum Ende des Bandes – alles andere als das. Vielmehr werden die Karten neu gemischt, nachdem ein weiterer, unberechenbarer Spieler zum Deck gestoßen ist.

Dieses Mal verbringen die Leser weniger Zeit mit Gwendolyn, Sophie und Lying Cat und auch das homosexuelle Reporter-Duo Upsher und Doff bleibt meist außen vor, dafür gibt es einen tieferen Einblick in das Königreich der Roboter. War in den vorherigen Bänden nicht ganz klar, wieso die TV-Hybridwesen sich an dem Konflikt zwischen Landfall und Wreath beteiligen, erhalten wir nun das Motiv – wenn auch aus dritter Hand –, dass Landfall dem Königreich Schutz vor Wreath versprach. Was etwas seltsam anmutet, wenn man die tragende Rolle der königlichen Mitglieder im Krieg betrachtet. Zumindest wissen wir nun, dass auch im Roboterreich der Schein trügen kann. Und die schlimmsten Feinde in den eigenen Reihen sitzen können.

Eine Umkehr der bisherigen Ereignisse droht dort, ähnlich wie sie Hazels Existenz für Landfall und Wreath darstellen könnte. Gleichzeitig verknüpft Saga aber auch hier das unterschwellige Thema einer sich anbahnenden Revolution mit dem über-Thema Elternschaft und Erziehung. Genauer gesagt, mit Vätern. So ist die Beziehung zwischen Prince Robot IV zu seinem Sohn ähnlich vorbelastet wie die zu seinem eigenen Vater, dem König. Und auch der neueste Antagonist kommt aus zerrütteten Familienumständen. Für Marko wiederum ist weniger sein Elterndasein ein Problem, als die verstärkte Entfremdung zu seiner Frau. Kündigte er zuvor noch an, sich nicht daran zu stören, für Hazel daheim zu bleiben, scheint sich das gewandelt zu haben.

Nun ist Marko froh, wenn das Töchterchen sich tagsüber so verausgabt, dass sie nachts hoffentlich mal durchschläft. Und hofft, mehr von seiner Frau zu sehen als zuletzt. “She’s been putting in crazy hours all month“, klagt er da einer Einheimischen, die sich als Tanzlehrerin für Hazel anbietet. Und in den wenigen Momenten, wo sich Alana und Marko im vierten Band sehen, kommt es oft zum Streit. “We’re going to be okay, right?“, äußert Alana da zwar. Doch letztlich wird die Realität etwas anders aussehen. Izabel und Klara rücken ebenso in den Hintergrund wie die übrigen Figuren, Letztere sich der übrigen Werke des verstorbenen Autors D. Oswald Heist hingebend. Dafür lernen wir neue Charaktere kennen – darunter Heists zweite Ex-Frau Yuma.

Die arbeitet als Set-Designerin im Open Circuit und weiß als einzige Person um Alanas und Markos Hintergrund. Was sie nicht nur zu einer Verbündeten, sondern zugleich zu einer Gefahr macht. Während das Familiendrama in Volume Four überwiegt, nutzt Vaughan den Open Circuit aber auch subtil als Medienkritik. Ironischerweise spiegelt eine der Szenen von Alanas Figur in ihrem kitschigen Melodrama da sogar einen späteren in der Realität stattfindenden Moment wider. Beziehungsdramen dominieren die Produktion des Senders, von Product Placement abgesehen. Da macht es gleichzeitig Sinn und Unsinn als der aktuelle Antagonist zum Schluss dann das Netzwerk für seine Botschaft der Revolution an die Massen missbrauchen will.

“Once you start ranting about politics, ninety percent of your audience is just going to change the channel“, macht ihm Yuma klar. “If you want people to pay attention to you, you have to talk about sex.“ Eine Botschaft, die in der heutigen Medienwelt keine Unbekannte ist. Sex sells – passender Weise auch in Saga, selbst wenn Vaughan und Staples das Obszöne dieses Mal etwas zurückfahren im Vergleich zu den bisherigen Bänden. Die wirkten wiederum in ihrer Summe runder als Volume IV. Dem merkt man an, dass es eher eine Verschnaufpause darstellt, zwischen der Ereignisse auf Quietus zum Schluss des dritten Bandes und dem, was nun folgt. Zudem vermochten die neuen Figuren wie Yuma und Ginny nicht an die bisherigen heranzureichen.

Da verwundert es nicht, dass Vaughan Platz findet, um auch The Stalk und The Will kurz zu integrieren. Vielleicht tat er sich keinen Gefallen, beide früh aus dem Geschehen zu nehmen. Unerwartet – und umso erfreulicher – gibt es auch ein Wiedersehen mit Ghüs und einen neuerlichen amüsanten Dialog zwischen ihm und einem fremden Besucher. In diesem Fall The Brand. Auch sie muss noch zeigen, dass sie sich im Dienste von Saga entwickeln kann. Gefällig ist der vierte Band des Weltraumepos’ aber allemal geraten, wenn auch nicht ganz so stark wie die bisherigen Bände. Die konnte ich damals in einem Rutsch lesen, was seine ganz eigenen Vorteile hat. Jetzt heißt es dagegen auf Volume Five zu warten. Es handelt sich ja nur um Monate.

8/10

6. Januar 2015

Filmtagebuch: Dezember 2014

20,000 DAYS ON EARTH
(UK 2014, Iain Forsyth/Jane Pollard)
3/10

E AGORA? LEMBRA-ME [WHAT NOW? REMIND ME]
(P 2013, Joaquim Pinto)

5/10

ALL THIS MAYHEM
(UK/AUS 2014, Eddie Martin)
6.5/10

BLENDED [URLAUBSREIF]
(USA 2014, Frank Coraci)
8/10

BOOMERANG
(USA 1992, Reginald Hudlin)
6.5/10

THE CASE AGAINST 8
(USA 2014, Ben Cotner/Rob Reiner/Ryan White)
5.5/10

CITIZENFOUR
(USA/D 2014, Laura Poitras)
7.5/10

CLOUDS OF SILS MARIA [DIE WOLKEN VON SILS MARIA]
(F/CH/D 2014, Olivier Assayas)

6.5/10

THE CRASH REEL
(USA 2013, Lucy Walker)
7/10

EL CUERPO [THE BODY – DIE LEICHE]
(E 2012, Oriol Paulo)

5/10

LE DERNIER DES INJUSTES [DER LETZTE DER UNGERECHTEN]
(F/A 2013, Claude Lanzmann)

4/10

THE EXPENDABLES 3 [DIRECTOR’S CUT]
(USA/F 2014, Patrick Hughes)

3/10

FRIENDS – SEASON 4
(USA 1997/98, Peter Bonerz u.a.)
8/10

FRIENDS – SEASON 5
(USA 1998/99, Gary Halvorson/Kevin S. Bright u.a.)
7.5/10

THE GRAND SEDUCTION [DIE GROSSE VERSUCHUNG]
(CDN 2013, Don McKellar)

6/10

GUARDIANS OF THE GALAXY
(USA 2014, James Gunn)
6.5/10

THE GUEST
(USA 2014, Adam Wingard)
7.5/10

HOME ALONE [KEVIN – ALLEIN ZU HAUS]
(USA 1990, Chris Columbus)

10/10

HOME ALONE 2: LOST IN NEW YORK [KEVIN – ALLEIN IN NEW YORK]
(USA 1992, Chris Columbus)

7.5/10

HOW TO TRAIN YOUR DRAGON 2 (3D)
[DRACHENZÄHMEN LEICHT GEMACHT 2]
(USA 2014, Dean DeBlois)

6.5/10

HROSS Í OSS [OF HORSES AND MEN]
(IS/D/N 2013, Benedikt Erlingsson)

5/10

IL ÉTAIT UNE FORÊT [DAS GEHEIMNIS DER BÄUME]
(F 2013, Luc Jacquet)

5.5/10

JODOROWSKY’S DUNE
(USA/F 2013, Frank Pavich)
8.5/10

K2: SIREN OF THE HIMALAYAS
(USA 2012, Dave Ohlson)
6/10

KAGUYAHIME NO MONOGATARI [DIE LEGENDE DER PRINZESSIN KAGUYA]
(J 2013, Takahata Isao)

6.5/10

KILL ZONE USA
(D 2014, Helmar Büchel)
5.5/10

KIŞ UYKUSU [WINTERSCHLAF]
(TR/F/D 2014, Nuri Bilge Ceylan)

5.5/10

KREUZWEG
(D 2014, Dietrich Brüggemann)
6/10

LET’S BE COPS
(USA 2014, Luke Greenfield)
4/10

LISTEN UP PHILIP
(USA 2014, Alex Ross Perry)
4.5/10

LOCKE [NO TURNING BACK]
(UK/USA 2013, Steven Knight)

0/10

MAGIC IN THE MOONLIGHT
(USA/UK 2014, Woody Allen)
3/10

MR. TURNER
(UK/F/D 2014, Mike Leigh)
7/10

NEXT GOAL WINS
(UK 2014, Mike Brett/Steve Jamison)
6/10

NIGHTCRAWLER
(USA 2014, Dan Gilroy)
8.5/10

THE NORMAL HEART
(USA 2014, Ryan Murphy)
7/10

NYMPH()MANIAC [DIRECTOR’S CUT]
(DK/D/B/UK/F 2013, Lars von Trier)

6/10

THE RAID: BERANDAL
(RI/USA 2014, Gareth Evans)
2.5/10

THE RETURN TO HOMS
(SYR/D 2013, Talal Derki)
5/10

RICH HILL
(USA 2014, Andrew Droz Palermo/Tracy Droz Tragos)
7.5/10

SACRO GRA
(I/F 2013, Gianfranco Rosi)
6/10

SONS OF ANARCHY – SEASON 7
(USA 2014, Paris Barclay u.a.)
7/10

SOUTH PARK – SEASON 18
(USA 2014, Trey Parker)
7/10

A SPELL TO WARD OFF THE DARKNESS
(F/EST/D 2013, Ben Rivers/Ben Russell)
4/10

THE THEORY OF EVERYTHING [DIE ENTDECKUNG DER UNENDLICHKEIT]
(UK 2014, James Marsh)

7/10

TIMBUKTU
(F/RIM 2014, Abderrahmane Sissako)
7/10

TRACKS [SPUREN]
(AUS 2013, John Curran)

6/10

TURIST [HÖHERE GEWALT]
(S/F/N 2014, Ruben Östlund)

7/10

ZULU
(F/ZA 2013, Jérôme Salle)
4/10