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30. November 2020

Swallow

Fake it til you make it.


Es gibt sie noch, bemerkenswerte Filme – primär, aber nicht singulär, weil sie sich offen zur Interpretation lassen. Und damit dem Zuschauer die Option geben, individuelle Dinge aus ihnen herauszulesen. Viel kann, nichts muss. Lorcan Finnegans Vivarium war dieses Jahr bereits ein solcher Film, Carlo Mirabella-Davis’ Swallow ist ein weiterer. Erzählt wird darin von einer jungen Frau, Hunter (Haley Bennett), die an der Spitze angekommen scheint, weg vom Sanitär-Einzelhandel und eingeheiratet in eine reiche Familie. Statt der Spitze stellt sich ihr neues Leben jedoch vielmehr als Tiefpunkt heraus, kanalisiert in der Entwicklung eines Pica-Syndroms, das – je nach Zuschauer-Sicht – als Metapher auf Hunters Situation gelesen werden darf.

Der Film beginnt dabei bereits mit einer solchen, wenn wir ein in die Enge getriebenes Lamm sehen, dass anschließend filetiert und für ein Mahl der Familie Conrad zubereitet wird. Lammfromm und unschuldig wirkt auch Hunter inmitten dieser Familie, die mit dem Zuwachs später ähnlich kompromisslos umgehen wollen wie dem Tier zuvor. Hunters Mann Richie (Austin Stowell) ist gerade zum jüngsten Geschäftsleiter in der Firma seines Vaters (David Rasche) ernannt worden. Das frisch vermählte Paar lebt dabei in einem luxuriösen Haus, dass Richies Eltern bezahlt haben. Deren Sohn übt wohl das aus, was David Graeber als “bullshit job” konnotiert hat. Zumindest ist er beschäftigt, was Hunter nicht von sich behaupten kann.

Sie schlägt die Zeit daheim mit Fernsehen und Mobile Games tot, ehe sie sich für die Rückkehr ihres Mannes schick macht und ebenso drapiertes Essen auftischt. “I feel so lucky”, seufzt sie, wird von ihrem Gatten aber gar nicht wahrgenommen. Ein wiederkehrendes Merkmal, in den Szene mit den Conrads ist Hunter dabei, aber nie mittendrin. “Push yourself to try new things” lautet der Rat in einem Selbsthilfebuch, das Hunter in ihrer Freizeit liest – und kürt den Satz fortan zu ihrem Mantra. Schluckt immer wieder neue Gegenstände, von Murmeln über Büroklammern und Batterien, um sie durch ihren Verdauungstrakt zu jagen und nach erfolgreichem Ausscheiden danach wie kleine Trophäen in einem Schauglas auszustellen.

Für Hunter ist ihr Pica-Syndrom ein Mittel, um mit ihrem Alltag fertig zu werden. Um all das zu verdauen, was ihr Richie und seine Eltern servieren. Als sie bei einem Abendessen eine Geschichte erzählen soll, dann aber von Richies Vater abgewürgt wird, sehen wir sie das erste Mal einen Eiswürfel in den Mund stecken. Nachdem ihre Schwiegermutter (Elizabeth Marvel) ihre kurzen Haaren kritisiert (“You should grow it out. Richie likes girls with long, beautiful hair”), folgt schließlich mit einer Murmel ein festes Objekt. Und repräsentiert damit die Empörung, die mit der Aussage der Schwiegermutter einherging. Wenn Hunter anschließend die Murmel wieder ausscheidet, hat sie nicht nur das Objekt, sondern auch die Beleidigung zugleich verdaut.

Immer wieder sehen wir, wie die Conrads Hunter in ihre Schranken verweisen. Und wie sich die Objekte auf ihrem Schauglas vermehren. Das Schlucken der Objekte, die immer gefährlicher werden, sorgt darüber hinaus auch für etwas Aufregung in einem sonst frustrierend banalen Alltag. Das Schlucken “made me feel in control”, gesteht Hunter später einer Psychotherapeutin, zu der sie ihr Schwiegervater schickt, nachdem ihr Pica-Syndrom auffliegt. “I’m not telling you how to do your job, but I’m paying for this. Results – I want results”, macht er der Psychotherapeutin klar. Und betont das Selbstverständnis, dass jedes Subjekt letztlich irgendwie nur ein Objekt ist, solange es von dem Geld anderer Leute abhängig gemacht wird.

Auch Richie entgegnet an einer Stelle gegenüber Hunter, er bezahle für alles, während sie nur rumsitze. Dabei scheint dieses Szenario gewollt, wirkt Hunter für die Conrads eher wie ein Inkubationsprojekt, entsprechend die Freude, als diese tatsächlich im Verlauf schwanger wird. Passend dazu ist ihr Haus mit bodentiefen Fenstern ausgestattet, auch die Patio von einem Glaszaun umrahmt. Hunters Welt wirkt so offen und weitläufig, in Wahrheit ist sie jedoch in ihren eigenen vier Wänden gefangen. Geradezu zynisch wirkt es dann, als Richie später mit dem syrischen Kriegsüberlenden Luay (Laith Nakli) eine „Haushaltshilfe“ für Hunter einstellt, die der jungen Frau beim Nichtstun unter die Arme greifen soll und vielmehr als Aufpasser dient.

Es gibt Dinge, die man im Leben schlucken muss. Die es zu verdauen gilt. Und Dinge, an denen man sich verschluckt. Mirabella-Davis inszeniert dies buchstäblich in Swallow, das sich im Schlussakt zur Emanzipationsgeschichte entwickelt. Nicht nur von Hunters Lebens Leben in der Gegenwart, sondern auch von dem Traumata ihrer Vergangenheit, denen sie sich letzten Endes stellen muss. Haley Bennett ragt dabei aus einem solide spielenden Ensemble heraus, spielt ihre Rolle verletzlich und naiv, gleichzeitig aber auch selbstbestimmt. Stowell, Rasche und Marvel fallen demgegenüber etwas ab, was der Tatsache geschuldet sein mag, dass ihrer Figuren weniger ausgearbeitet sind, sondern hauptsächlich durch ihre Position personifiziert.

“Fake it til you make it”, lautet das Mantra von Hunters Schwiegermutter, das sie ihr mit auf den Weg gibt. Und das wiederum im Grunde auch den Prozess beschreibt, den Hunter im Verlauf von Swallow durchschreitet. “I just wanna make sure I’m not doing anything wrong”, sagte sie noch im ersten Akt. Wandelt jedoch den Ansatz, nicht das Falsche machen zu wollen, schließlich zu dem, das Richtige zu tun. Carlo Mirabella-Davis beschränkt sich in Swallow auf das Essentielle, spielt geschickt mit Motiven und Metaphern, und kann sich auf eine starke Hauptdarstellerin verlassen. Endend auf einer Entscheidung und einem Schlussbild, die nicht für jeden einfach zu verdauen sind. Die das Publikum aber dennoch zu Schlucken hat.

7.5/10

27. Oktober 2017

The Meyerowitz Stories (New and Selected)

Was that a spot?

Künstler sind oft exzentrisch – von Vincent van Gogh bis hin zu Salvador Dali. Hierin liegt wohl auch mit ein Faktor für die Faszination mit jenen Künstlern. Der Bildhauer Harold Meyerowitz (Dustin Hoffman) ist ebenfalls leicht exzentrisch, wenn er im Trenchcoat Sohn Danny (Adam Sandler) und Enkelin Eliza (Grace Van Patten) daheim empfängt. Die Faszination der Kunstwelt mit ihm hält sich inzwischen jedoch in Grenzen. Auch deswegen organisieren Danny und seine Schwester Jean (Elizabeth Marvel) eine Retrospektive für den Vater, der aktuell plant, sein Haus sowie Kunstbestand aufzulösen. Noah Baumbach erzählt in seinem neuen Film The Meyerowitz Stories (New and Selected) in Auszügen aus dem Leben dieser Familie.

Zu ihr gehört auch Matthew (Ben Stiller), der jüngste Sohn Harolds, der aus der Ehe mit seiner zweiten Frau stammt. Er ist der Gegenentwurf zu seinem Halbbruder: Beruflich erfolgreich als Finanzberater genießt er die Zuneigung seines Vaters, auch wenn er diesen in seiner Heimat New York als Angelito eher selten besucht. Danny hingegen hat nur eine gescheiterte Karriere als Pianist vorzuweisen, seit Elizas Geburt hat er gar nicht gearbeitet, sondern war Hausmann. Da die Tochter nun selbst ein Filmstudium beginnt, können auch die Eltern endlich ihre gescheiterte Ehe offiziell machen. Was Danny wiederum obdachlos macht, weshalb er vorerst bei Harold und dessen vierter Ehefrau und Alt-Hippie Maureen (Emma Thompson) unterkommt.

Weitestgehend erinnert The Meyerowitz Stories dabei an eine Mischung aus Woody Allen und Wes Anderson, der Humor ist subtil und nuanciert. Baumbachs Film dreht sich im Kern um die Beziehung von Eltern zu ihren Kindern. So hat Danny zwar weder eine Arbeit noch eine Bleibe, dafür aber ein sehr inniges Verhältnis zu seiner jugendlichen Tochter, die er bereitwillig bei ihren pornografischen Avantgarde-Kurzfilmen unterstützt. Die Beziehung von Danny und Eliza kontrastiert dabei die von Danny zum eigenen Vater. Von Harold wurde Danny meist außen vor gelassen, was mit dadurch begünstigt war, dass Letzterer zumeist bei seiner Mutter und getrennt vom Vater lebte. Der wiederum konzentriert sein Interesse auf Matthew.

Zwar ist Matthew selbst kein Künstler, kommt aber ganz nach dem Vater. Der Kontakt zu Harold ist ähnlich eingeschränkt wie der zum eigenen Sohn, der bei der Ex-Frau lebt. Per Facetime kommuniziert Matthew zwischendurch, ist aber mehr unterwegs als im Leben des Sohnes präsent. Missgunst von Danny und Jean ist dennoch kaum vorhanden, auch wenn Matthew später vom großen (Halb-)Bruder vorgeworfen wird: “You make me feel real bad about myself.” Noch weniger leicht hatte es Jean, die den Brüdern bei einem offenen Austausch gesteht, sie würden nie nachvollziehen können “what it means to be me in the family”. Obschon weniger geliebt als Matthew sind es trotzdem gerade Danny und Jean, die sich mehr um Harold kümmern.

Der weiß dies wenig zu schätzen, selbst als er im Verlauf stürzt und Zeit im Krankenhaus verbringt. Baumbach nutzt diesen Umstand, um die drei Geschwister, speziell die Brüder, wieder einander näher zu bringen. Dabei steht Adam Sandler im Zentrum, der eine seiner seltenen ernsthaften Rollen spielt und dabei wie jeher überzeugt. Das gefällige Ensemble, zu dem auch Judd Hirsch als Harolds erfolgreicherer Kunstkollege L.J. Shapiro gehört, trägt den Film die meiste Zeit insgesamt sehr gut. Garniert mit kurzweiligen Gast-Auftritten von Sigourney Weaver, Candice Bergen und Adam Driver. Nur wenn The Meyerowitz Stories gegen Ende zeitweilig eine emotionale Richtung einschlägt, fällt speziell Ben Stiller leicht aus dem Rahmen.

Ob es für die Beziehung von Harold zu seinen Kindern zu spät ist, bleibt dabei offen. Zumindest die der Geschwister untereinander wirkt jedoch zum Schluss der Geschichte(n) gestärkt. “It’s always been the same, same old story”, sang Cat Stevens in seinem Evergreen “Father and Son” über das schwierige Verhältnis eines Vaters zu seinem Sohn. Noah Baumbach inszeniert seine Version dieser Beziehung mit seiner gewohnten unernsten Ernsthaftigkeit, der im Vergleich zu seinen letzten Filmen Frances Ha und Mistress America – mit Muse und Freundin Greta Gerwig – etwas die Leichtigkeit fehlt. Exzentrisch genug ist The Meyerowitz Stories aber allemal. Womit ihm eine gewisse Faszination nicht abgesprochen werden kann.

6.5/10