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30. Januar 2017

Christine

Yes, but...

Gleich zwei Filme befassten sich vergangenes Jahr mit dem Fernseh-Suizid der Reporterin Christine Chubbuck aus dem Jahr 1974. Während Robert Greene mit Kate Plays Christine eine avantgardistische Mockumentary-Annäherung wählte, folgt Antonio Campos’ Spielfilm-Drama Christine der klassischen Herangehensweise. Letztendlich versagen beide Werke jedoch darin, dem Mysterium hinter Chubbucks Selbsttötung während einer Live-Fernsehübertragung ein paar Antworten zu entlocken. Was genau die damals 29-jährige Journalistin aus Sarasota bewegte und in den Tod trieb, vermag Christine in seiner zweistündigen Laufzeit nicht wirklich auszuarbeiten. Dafür bewegt sich Campos’ Film die meiste Zeit viel zu sehr an der Oberfläche.

Christine Chubbuck soll von enormen Selbstzweifeln geplagt gewesen sein, sie war depressiv und hatte Probleme, sich sozial zu integrieren. Ihre Depressionen und Suizidgedanken kamen nicht von heute auf morgen, sondern waren ihrer Mutter bekannt, wie auch Chubbuck selbst seit jungen Jahren in psychotherapeutischer Behandlung war. Aspekte, für die sich Christine nicht allzu sehr interessiert, vielmehr manövriert sich Campos’ Film teils gefährlich in ein Fahrwasser, das versucht, den Suizid von Chubbuck mit dem verstärkten Sensationalismus im Fernsehjournalismus zu erklären. Was den Hintergründen für die tragische Entscheidung Chubbucks nicht nur nicht gerecht wird, sondern sie im Prinzip ohne gebührenden Respekt behandelt.

So sehen wir Christine Chubbuck (Rebecca Hall) zu Beginn als Reporterin, die von einem Interview mit Präsident Nixon träumt. Stattdessen schickt sie ihr Chef (Tracy Letts) zu einem Unfall, getreu dem Motto “if it bleeds, it leads”. Das eigene Nachrichtenprogramm kämpfe mit den Quoten, “we gotta lighten things up around here”. Christine dagegen will jedoch “issue orientated, character based pieces” produzieren – ihre Kollegen haben dies so oft gehört, sie sprechen es unisono mit ihr mit. Im Lauf der Wochen fügt sich Christine schließlich den neuen Wünschen ihres Sendeleiters. Auch, weil der Besitzer des Lokalsenders eine neue Nachrichtensendung in Baltimore plant und hierfür Moderatoren aus dem Sarasota-Sender sucht.

Christine lauscht nun nachts dem Polizeifunk, filmt Brandopfer und opfert ihre “positive think pieces” für “darker, juicier stories”. Alles für die Quote, alles für die Beförderung. Als dies alles nichts hilft, folgt dann eben der Ausweg zum Live-übertragenen Selbstmord. “In living color, you are going to see another first”, wie es Chubbuck 1974 selbst formulierte, ehe sie den Abzug drückte. Die Sensationsgier der Zuschauer, die “juicier stories” wollen und mit ihren Einschaltquoten Einfluss auf die journalistische Arbeit nehmen, wird so zum stillen Komplizen für Chubbucks Selbsttötung. Dass die 29-Jährige suizidal war, Wochen vorher bereits Selbstmordmethoden recherchierte, wird in Christine nicht thematisiert – und so letztlich negiert.

Was nicht heißt, es gibt keinen sozialen Einblick. Wir sehen Christines Besuche und Puppenspiele für Krankenhauskinder, wir erfahren von ihrer Schwärmerei für den Moderatoren-Kollegen George Peter Ryan (Michael C. Hall). Können uns ihren stillen Wunsch nach einer Beziehung denken und den Frust und Ärger verstehen, wenn ihre Mutter (J. Smith-Cameron), mit der sie zusammen lebt, einen Mann kennenlernt – während sie selbst Single ist. Aber selbst wenn George Peter Ryan mal Interesse an ihr zeigt, reagiert Christine abweisend-brüsk, ohne dass wir erfahren, wieso. Die Beziehung zu ihrer Umwelt und Kollegen (Maria Dizzia, Timothy Simons) bleibt unklar, noch sehr viel unklarer bleibt die Beziehung der Figur jedoch zu sich selbst.

Hinzu kommt, dass das Sensationalismus-Element selbst nicht wirklich fokussiert wird. Inwiefern das Programm boulevardesker gerät, welche Bestrebungen im Sinne der Quotenerhöhung erfolgen – der Film lässt den Zuschauer im Dunkeln. Bis auf Christines Bemühungen scheint sogar alles seinen bisherigen Verlauf zu nehmen, was es umso unverständlicher macht, wieso Campos dem Film eine derartige Richtung für Christines mögliche Motivation gibt. Ratsamer wäre es gewesen, die Depressionen Chubbucks mehr hervorzuheben, ihre Geschichte und ihr Ausmaß zum Beispiel mit ein, zwei Szenen bei ihrem Psychiater zu beleuchten. Genauso wie die zum Ende hin fortschreitenden Planungen für den bevorstehenden Selbstmord.

Über all diese Kritik erhaben ist Rebecca Hall, die eine starke Leistung abliefert, selbst wenn sie nur unmerklich mehr physikalische Ähnlichkeit mit Chubbuck besitzt als Kate Plays Christine’s Kate Lyn Scheil. Halls hingebungsvolles Spiel hält die Aufmerksamkeit hoch und ist letzten Endes das Haupt- wenn nicht sogar das einzige Kriterium für eine Sichtung von Antonio Campos’ Christine. Dass der als intensive Depressionsstudie weniger zugänglich für ein Massenpublikum wäre, ist klar, aber dieser subtile Ansatz einer Medienkritik à a Nightcrawler funktioniert irgendwie noch weniger. Somit sind die Zuschauer auch nach zwei Filmen und fast vier Stunden nicht schlauer, wer Christine Chubbuck war. Das Mysterium bleibt bestehen.

6/10

24. Juli 2015

While We’re Young [Gefühlt Mitte Zwanzig]

Are you filming this?!

Man muss nicht zwingend in seinen Vierzigern sein, um sich mit Noah Baumbachs jüngstem Werk While We’re Young – bei uns als Gefühlt Mitte Zwanzig vertrieben – identifizieren zu können. Ich selbst bin zwar gefühlt Mitte 30 und auch nicht mit Naomi Watts verheiratet, dennoch kann ich gut nachempfinden, was Baumbach hier seinen Figuren – wie bereits in Frances Ha – auf den Leib geschrieben hat. Ben Stiller und Naomi Watts spielen in While We’re Young die Eheleute Josh und Cornelia, sie Anfang, er quasi Mitte Vierzig. Alle ihre Freunde schieben inzwischen Kinderwägen durch New York und besuchen verquere Kita-Musik-Sessions. Nicht so Josh und Cornelia, die in der Vergangenheit bereits zwei Fehlgeburten zu bewältigen hatten.

Beide versuchen das Beste draus zu machen. “I like our life”, meint Josh. Wenn sie wollten, könnten sie morgen spontan nach Europa, hebt Cornelia hervor. Gut, man müsste wohl doch eher einen Monat vorplanen, räumt Josh ein. “A month is still in the realm of spontaneity”, resümiert die Gattin. Eine neue Dynamik gewinnt ihr Leben, als Dokumentarfilmer Josh in einer seiner Hochschulklassen das junge hippe Twen-Ehepaar Jamie (Adam Driver) und Darby (Amanda Seyfried) kennenlernt. Die nehmen Josh und Cornelia bald mit auf Spaziergänge durch U-Bahn-Tunnel, zu Hip-Hop-Tanzkursen oder Partys mit Halluzinogenen, Kotzkübeln und dem Blade Runner-Soundtrack. In Gesellschaft des jungen Paars fühlen sie sich nun selbst wieder jung.

Zugegebenermaßen betreibt Baumbach diesen Kontrast der Paare etwas mit der Holzhammer-Methode. Wo Cornelia ein eBook liest, blättert Darby durch ein echtes, Jamie schaut VHS-Kassetten, Josh die “Daily Show” auf seinem Smartphone, das alte Ehepaar spielt auf dem iPad, die Jungen derweil mit Brettspielen. Als den Vier ein Wort nicht einfällt, will es Josh per Handy googeln. “No, that’s too easy”, meint Darby. “Let’s try and remember it.” Vielleicht nicht zwingend ein Hipster, besticht Jamie doch neben VHS-Tapes mit einer riesigen Vinyl-Sammlung und schreibt auf einer Schreibmaschine. “It’s like their apartment is full of everything we once threw out, but it looks so good the way they have it”, bemerkt Cornelia später an einer Stelle.

Josh bewundert, wie das junge Paar im Moment lebt, weniger an Erfolg orientiert wie er selbst. Seit acht Jahren arbeitet er an seinem zweiten Dokumentarfilm, der viel zu komplex und kompliziert gerät. Entsprechend harsch fällt die Kritik seines Schwiegervaters (Charles Grodin) aus, selbst ein renommierter Dokumentarfilmer. Joshs bisherige Schnittfassung sei “a 6½ hour film that feels 7 hours too long”. Hinzu kommt, dass jene Doku-Idee, die Jamie entwickelt, sich wider Erwarten Erfolg versprechend entwickelt. Josh kämpft derweil mit Weitsichtigkeit und Arthritis. “It’s weird, you know? I’m at the age where the things you think were only going to happen when you’re older are actually happening.” Der Kinderwunsch erwacht von neuem.

Insofern ist While We’re Young gewissermaßen ein Coming-to-Age-Film, ein Abfinden mit dem eigenen Alter und dem Leben, dass dieses mit sich bringt. “You’re an old man with a hat”, wirft Josh einer seiner Freunde dessen Jugendwahn vor. Und wie sich zeigt, ist die Freundschaft der beiden Paare unterschiedlicher Generation für keines der zwei wirklich gesund, entwickelt sich doch speziell im dritten Akt des Films eine neue Dynamik zwischen den Figuren, die von Diskussionen rund um Waiting for Superman und anderen Dokumentationen inspiriert scheint. Dies wirkt jedoch etwas gezwungen und bringt nicht vollends harmonisch das zu einem Abschluss, was Baumbach in der Stunde zuvor mit viel Charme überzeugend auf die Leinwand bannte.

Etwas zwiespältig gerät da auch der Schluss, so nachvollziehbar er wohl die Katharsis der Figuren begleiten soll. Generell ist While We’re Young aber eine gelungene Komödie über das Älter sein geworden und die Zweifel, die damit einhergehen. Eine konsequente Fortführung von Baumbachs bisherigen Arbeiten wie Kicking and Screaming, Greenberg oder Frances Ha. Vermutlich dürften Zuschauer wie ich, deren Altersgenossen gerade Familien gründen und/oder Häuser bauen sich am meisten in While We’re Young und seinen Hauptfiguren wiederfinden. Aber auch „Erwachsene“ dürften an diesem jovial-juvenilen Selbstfindungstrip ihren Spaß haben, wenn sie sich noch mal wie Mitte Zwanzig fühlen wollen, selbst wenn sie bereits etwas älter sind.

7/10