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7. Oktober 2013

Prisoners

Pray for the best, but prepare for the worst.

Die Ohnmacht und Verzweiflung von Eltern, deren Kind verschwunden ist und womöglich entführt wurde, kann man sich vermutlich nicht mal vorstellen. Um das eigen Fleisch und Blut wieder in seinen Armen zu wissen, würden wahrscheinlich viele Menschen allerlei Dinge tun. Umso eher, je weniger erfolgversprechend die Ermittlungen der Polizei verlaufen. Diese Erfahrung muss auch Hugh Jackmans aufgerüttelter Familienvater Keller Dover in Denis Villeneuves Krimi-Thriller Prisoners machen, als seine junge Tochter sowie die seines Freundes und Nachbarn Franklin Birch (Terrence Howard) am Thanksgivingmittag verschwinden. Und obwohl sich auch schnell ein Hauptverdächtiger findet, gerät der Fall ins Stocken.

Zwar fährt Alex Jones (Paul Dano) ein Wohnmobil, das dem vermeintlichen Tatfahrzeug entspricht, dennoch lässt ihn der ermittelnde Kriminalbeamte Loki (Jake Gyllenhaal) wieder laufen. Jones habe den Verstand eines Zehnjährigen, so die Argumentation. Eine solche Person kann kein derartiges Verbrechen durchführen. Für Dover keine zufriedenstellende Antwort, speziell nicht, als Jones bei seiner Entlassung eine geflüsterte Andeutung an ihn macht. Während seine Frau (Mario Bello) ihren Kummer in Schlaf und Medikamenten ertränkt, nimmt Dover die Ermittlungen in seine eigenen Hände und entführt Jones zum Privatverhör. Unterdessen stößt Loki auf einen rätselhaften Todesfall und einen neuen Verdächtigen.

Relativ früh gibt Prisoners die Marschroute vor, möglichst viele Haken schlagen zu wollen, um das Publikum auf diese Weise bei der Stange zu halten. Dank Platzierung auf dem Poster darf sich dabei jeder gewiss sein, dass alles, was Villeneuve hier in zweieinhalb Stunden auf die Leinwand wirft, miteinander irgendwie zusammenhängt. Selbst wenn es zeitweilig von der Bildfläche verschwindet. In seinem Bestreben, mit etwaigen Twists für einen Wow-Faktor und abgebrochene Fingernägel in den Armlehnen zu sorgen, tut sich der Film jedoch gerade in seiner zweiten Hälfte keinen wirklichen Gefallen. Viel geschieht nur, um auf eine falsche Fährte zu locken und offenbart sich in der Nachbetrachtung als Ansatz zum Grübeln.

Da freut man sich dann schon, wenn Jackman ebenso erstaunt wie der Zuschauer nachfragt, wieso Danos geistig zurückgebliebener Charakter einen Wohnwagen fahren darf. “Well, he has a legal Pennsylvania license”, lautet Lokis lapidare Antwort. So viel dazu. Charakterdetails wie Dovers Tendenz zur Überpräparation – Vorräte und Gasmasken im Keller schützen vor allerlei Unheil außer Kindesentführung – werden für sekundenlange Spannungsmomente verwurstet und sorgen schließlich neben ellenlangen Folterszenen an Alex Jones dafür, dass sich der Film über zwei Stunden hinzieht. Vorteilhaft ist immerhin, dass man ihm diese Länge nur selten anmerkt, was sie im Umkehrschluss dennoch keineswegs rechtfertigt.

Die teilweise unnötigen Twists führen dann dazu, dass das Finale etwas konstruiert wirkt, wie es ohnehin nicht all das Bohai der zwei Stunden zuvor vollends rechtfertigen will. Immerhin ist das Schlussbild reichlich stimmig geraten und Prisoners lebt ohnehin weniger von seiner Handlung als vielmehr von seinen Darstellern. Die meisten von ihnen, allen voran Bello, aber auch Davis, Howard und Dano sind nicht sonderlich gefordert, sodass der Film ganz den auf dem Plakat namentlich geführten Herren Jackman und Gyllenhaal gehört. Letzterer irritiert allerdings bisweilen mit seinem Tick zum exorbitanten Blinzeln, was ein Drogenproblem der Figur vermuten lässt, welches diese dann aber doch nicht zu besitzen scheint.

Gerade Hugh Jackman spielt hier groß auf und liefert eine mitreißende Darbietung als seine Humanität verlierender Vater ab, die mit dafür verantwortlich ist, dass man als Zuschauer – mehr oder weniger – gebannt das Geschehen verfolgt. Dessen Mysterium um das Verschwinden der beiden Mädchen, ob Alex Jones in diesem unschuldig oder nicht ist und ob Keller Dover beziehungsweise Loki die Kinder retten können, ehe es zu spät ist – das alles macht Prisoners nicht zu einem der besten Filme oder Thriller dieses oder der letzten Jahre, sehenswert ist das Ergebnis aber durchaus. Und für Zuschauer, die den Film selbst als Elternteil schauen, ist das Spannungsmoment sicherlich nochmals eine ganze Spur intensiver.

6.5/10

14. Februar 2009

Kurz und Knackig: For Your Consideration?

The Visitor – Es gibt sie noch, die kleinen aber feinen, stets unscheinbaren, Dramen. Da zelebriert Thomas McCarthy in seinem zweiten Spielfilm einen gebrochenen College-Professor (Richard Jenkins), der durch ein unerwartetes Ereignis wieder lernt, das Leben zu schätzen. McCarthy nimmt sich all die Zeit, die er braucht, um die bizarre Freundschaft zwischen Vale, dem Professor, und Tarek (Haaz Sleiman), einem illegalen Einwanderer, zu erzählen. Als roter Faden dient hierbei die Musik (per se), die den Film ein-, wie ausleitet- und zugleich den Initiator für die Männerfreundschaft bildet. Äußerst gelungen vollzieht The Visitor dann die Kehrtwende zum Post-9/11-Drama. Als der Syrier Tarek ohne nachvollziehbare Gründe in der New Yorker U-Bahn verhaftet, interniert und letztlich abgeschoben wird. „You can’t treat people like that“, schreit Vale zu einem Zeitpunkt einen der Wärter und damit quasi das amerikanische System an. Ein System, dass schon lange nicht mehr richtig funktioniert. Somit fungiert McCarthys Film als Rückbesinnung, dass nicht alles (oder jeder) Fremde unbedingt schlecht sein muss und dass das Leben nicht verharrt, sondern stets weiter geht. Getragen wird das Ganze dann praktisch allein von Richard Jenkins, der eine formidable Leistung abliefert. Ein wenig mehr Tiefe in das Innenleben der Figuren hätte dem Drehbuch dann allerdings auch nicht geschadet. Dennoch ein guter Film: 7/10.
  Frozen River – Ein weiteres Indie-Werk entstammt der Feder von Courtney Hunt, die mit Frozen River ihr Drehbuch- und Regiedebüt gibt. Ihre Geschichte von einer White Trash Mutter, die aus Geldnöten gemeinsam mit einer Mohawk-Kriminellen illegale Einwanderer über einen gefrorenen Fluss schmuggelt. Hier prallen nicht nur zwei Kulturen aufeinander, sondern hier wird auf die Vielschichtigkeit der sozialen Zwiebel deutlich. Das Resultat ähnelt dann doch sehr McCarthys The Visitor, denn der Film wird fast ausschließlich von Hauptdarstellerin Melissa Leo getragen – die nebenbei bemerkt eine grandiose Leistung abliefert -, knabbert jedoch ebenfalls an seiner bisweilen fehlenden Tiefe. Die Umstände aller Figuren werden nicht immer deutlich, beziehungsweise hätten noch deutlicher gemacht werden können. Warum haut zum Beispiel der Ehemann ab und inwieweit ist die Familie jetzt von den Schulden geplagt? Misty Uphams Lila bleibt als Mohawk-Frau auch erschreckend unterrepräsentiert in ihrer Charakterausarbeitung. Hier wäre noch ein bisschen mehr drin gewesen. Für ein Debütprojekt ist der Film allerdings durchaus beachtlich. Weshalb Quentin Tarantino ihn als „Thriller“ klassifiziert, wird mir selbst zwar nicht klar, da ihm die meiste Zeit doch die Spannung abgeht und er diese auch nicht wirklich versucht zu erzeugen. Trotz allem ein recht nett photographierter Film mit mitreißender Handlung und einer exzellent aufspielenden Hauptdarstellerin: 7.5/10.
  Encounters at the End of the World – Ja mei, in der Antarktis leben schon echt interessante Menschen. Vom Flughafen holt einen ein Banker ab, in der Wissenschaftskolonie fährt ein Philosoph Bagger und im Restaurant wird die Eiscreme von einem Filmemacher zubereitet. Wie abgefahren! Findet Werner Herzog, wenn er aus dem Off mit seinem deutschen Akzent Sätze säuselt wie: „Antarctica is not the moon, although sometimes it feels like it”. Muss er ja wissen, der Werner, wie sich der Mond anfühlt. Warum er extra ans Ende der Welt für seine Begegnungen gefahren ist, bleibt unklar. An der Eckkneipe in Wanne-Eickel hätte man sicherlich auch tolle Geschichten hören können. Besonders enttäuscht ist man dann, wenn sich herausstellt, dass der Überlebenstrainer früher nicht schon Präsident von einem Schwellenland war, sondern tatsächlich als solcher ausgebildet wurde. Viele der menschlichen Begegnungen von Herzog sind dann ziemlich belanglos und uninteressant. Einfach Jedermann-Menschen, denen man auch in der Bahn begegnen kann, wenn man denn scharf drauf ist. Hin und wieder dürfen dann einige Experten zu Wort kommen, unter ihnen ein Gletscherspezialist. In diesen Momenten ist Encounters at the End of the World schließlich auch unterhaltsam. Wenn man den wissenschaftlichen Aspekt in den Vordergrund geschoben hätte, wäre dies dem Film zum Vorteil gereicht. Denn so rutscht er oftmals doch etwas ins Lächerliche ab, wenn ein Linguist (der übrigens als Botaniker arbeitet) ernsthaft behauptet in sechzig Jahren wären neunzig Prozent der Sprachen ausgestorben oder sich drei Forscher aufs Eis legen, um den Seehundgesängen zu lauschen. Die Szene wirkt, als hätte man die Blue Man Group ins Ewige Eis verfrachtet. Zu Beginn meint Herzog, er sei nicht in die Antarktis gekommen, um Pinguine zu filmen – vielmehr beschäftigen ihn Fragen wie „Warum reitet der Affe nicht auf einer Antilope in den Sonnenuntergang?“. In der Mitte des Filmes fängt der Deutsche dann aber doch Pinguine ein. Es ist die beste Szene des Filmes, denn als sich ein Clan von Pinguinen aufteilt, bleibt ein einzelner zurück und watschelt schließlich gen Gebirge. Dieses ist fünf Kilometer entfernt, der Pinguin wird mit Sicherheit sterben. Zwar fragt Herzog einen nebenstehenden Pinguinexperten, warum dieser so handelt (bzw. behauptet Herzog, dass er ihn gefragt hätte), doch eine Antwort erhält man nicht. Die einzigen wertvollen „Begegnungen“ sind daher die, welche Herzog mit der Natur macht. Neben dem Pinguin sind speziell die Unterwasseraufnahmen Gold wert (auch wenn die musikalische Untermalung einmal nahelegt, dass Herzog sich zu oft Ghost in the Shell angesehen hat). Davon hätte man ruhig mehr einfangen können. Und wenn am Ende eingeblendet wird, dass diese Dokumentation Filmkritiker Roger Ebert gewidmet sei, ergibt sich von selbst, wieso Ebert dem Ganzen dann die volle Punktzahl gegeben hat. Hätte er ihn lieber mal mir gewidmet: 5.5/10.
  Happy-Go-Lucky – En-ra-ha! Aber hallo. Letztes Jahr sorgte Mike Leighs Gute-Laune Film ja für ordenlich Zunder. Sally Hawkins gewann für ihre sympathische Darstellung der optimistischen Poppy sogar den Silbernen Bären auf der Berlinale. Und man muss zugeben, dass einen die erste halbe Stunde richtig aufheitert. Diese Poppy, mit ihrer freundlich-nervigen Art. So Menschen gibt es ja nicht oft, die fortweg strahlen, es wären sie Jokers Lachgas zum Opfer gefallen. Selbst der rassistische Fahrlehrer (herrlich: Eddie Marsan) kann da kein Wässerchen trüben. Dumm nur, dass das alles nach einer Stunde irgendwie beginnt auszuleiern und uninteressant zu werden. So nett und süß das auch ist, aber irgendwann geht’s einem dann leider am Arsch vorbei. Oder ist zuviel des Guten. Wie man es dreht oder wendet, das Resultat bleibt das Gleiche. Zudem ist die Botschaft auch etwas missglückt, denn obschon Poppy so herzensgut ist, reagiert ihre Umwelt doch sehr brüsk auf sie. Das ist man aus Hollywood irgendwie anders gewöhnt. Lache und die Welt lacht mit dir. So war das doch, dachte ich. Und eigentlich funktioniert das auch im echten Leben. Wenn man freundlich ist, wird man meist auch freundlich behandelt. Egal. Mein erster Film von Mike Leigh lässt mich jetzt zwar nicht begeistert in die Videothek stürmen, um den Rest seiner Filmographie zu studieren, aber ist im Grunde doch ganz nett. Durchaus. Ein Gute-Laune-Film, denn man am besten auch schaut, wenn man selbst welche hat. Sonst geht sie einem nur auf die Nerven, diese grinsende Trulla: 6.5/10.
 
Bolt – Hier muss ich Abbitte leisten … let’s put a pin there. Nach dem Trailer war ich damals nicht sonderlich angetan, aber wie es scheint muss man Disneys Animation Bolt in ihrem Kontext sehen. Die ersten zehn Minuten sind zum Totlachen, köstlich wie hier mit den Genreklischees gespielt wird. Dann denke ich mir: Hach, wenigstens das, bevor nachher das auf Homeward Bound-Getrimme alles kaputt macht. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Hier passt eigentlich fast alles, die Animation ist gelungen, die musikalische Untermalung sehr stimmig und John Travolta als Hund (look who’s talking, now) ein echter Gewinn - bitte nur noch Sprechrollen, Mr. Travolta. Die Story vom Filmhund, der in der realen Welt ohne seine Superkräfte (was er jedoch nicht weiß) versucht seine Besitzerin Penny zu retten, weiß zu unterhalten. Die vielen kleinen Referenzen zu X-Men, Finding Nemo, The Truman Show und Co. sind weniger Störfaktor als liebevolle Ergänzung zu einer ohnehin schon liebevollen Geschichte. Bedauerlich, dass der Film dennoch kaum eine Chance haben dürfte, bei den Academy Awards. Dafür scheint Wall•E ähnlich wie Heath Ledger schon viel zu sehr gebucht zu sein. Mit jener Arthouse-Mentalität des Pixar kann Byron Howards und Chris Williams’ Film zwar nicht mithalten – will er jedoch auch überhaupt nicht. Dafür ist der Unterhaltungsfaktor hier sehr viel höher als in Andrew Stantons redundantem (Wall•Eeeeee – Evaaaaa) Stück. Bisweilen jagt eine Pointe die nächste und auch die Sidekicks wie Rhino oder die Tauben (alle von ihnen) funktionieren prächtig. Für mich persönlich ist Bolt somit der amüsanteste der letztjährigen Animationsfilme, dem ich im Grunde auch den Sieg nächste Woche wünschen würde. Schon allein wegen solchen Dialogen: „What’s this red liquid coming from my paw?“ (Bolt) – „It’s called blood, hero!“ (Mittens) – „Do I need it?“ (Bolt). Einfach nur absolut ridonkulous: 8/10.
  The Duchess – Langsam wird’s echt mal Zeit, dass sich amnesty international einschaltet. So geht das doch nicht weiter, irgendwer muss Keira Knightley mal was zu essen geben. Wie hat es das EMPIRE Magazin in seiner Januar-Ausgabe so schön bezeichnet: Miss Knightley stand kurz davor, als Schrägstrich in Frost/Nixon besetzt zu werden. Hinzu kommt noch, dass sie unabhängig von ihrem Untergewicht (Knightley ist so dick wie einer der Arme von Herzogin Georgiana allein) gänzlich fehlbesetzt scheint und sah selten bubenhafter aus als in The Duchess. Dafür scheint sie einfach nicht geschaffen, in diesem Quasi-Remake von Sofia Coppolas Marie Antoinette – abzüglich der MTV-Elemente. Als Modeikone ihrer Zeit leidet sie unter der unerfüllten Ehe zu ihrem Gatten (einziger Lichtblick: Ralph Fiennes). Aus der unglücklichen Ehe entspinnt sich kurz darauf eine menage a trois, die sich schließlich zur Vierecksbeziehung wird (Haley Atwell und Dominic Cooper vervollständigen das Bild). Das ganze entspinnt sich um das klassische Streitthema der Primogenitur und der Affärenlandschaft im verruchten Mittelalter. Kennt man ja schon zur Genüge, weshalb einen Saul Dipps Film nicht wirklich zu fesseln weiß. Oder zu unterhalten. Ein Kostümfilm wie er im Buche steht, angereichert mit teilweise so dämlichen Szenen, dass man nicht umhin kann zu lachen und musikalischer Untermalung, die einen dazu anregt, sich zur Rettung Omas Stricknadeln in die Ohren zu rammen. Nee, nee, das war wohl nix, da schau ich doch lieber The Other Boleyn Girl, da ist wenigstens der Intrigenfaktor sehr viel höher und damit auch das Unterhaltungspotential. Und jetzt gebt doch der Keira bitte mal was zu Essen. Das ist ja nicht mit anzusehen: 2/10.

Entre les murs – Mit dem Cannes Festival ist es im Grunde wie mit jeder anderen Preisauszeichnungsveranstaltung auch: es gewinnt nicht immer der Film, der verdient hat zu gewinnen. Und manchmal tut er’s doch. Letztes Jahr ging die Palme d’Or an Laurent Cantets Entre les murs, die Verfilmung des gleichnamigen Romans des Literaten François Bégaudeau von 2006. Bégaudeau übernahm auch die Hauptrolle des liberalen Lehres Monsieur Marin, der jeden Tag in seine demoralisierte Klasse muss. Und auch die Schülerschaft in Frankreichs Beitrag für den Fremdsprachenoscar besteht aus Laiendarstellern, doch merkt man dem gesamten Ensemble seine Herkunft keineswegs an. Im Gegenteil, die darstellerischen Leistungen wirken sehr authentisch, wie ohnehin der gesamte Film von einer offensichtlichen Authentizität durchzogen ist. Dennoch ist Cantets Film irgendwie kein richtiger Film, sondern wirkt vielmehr wie eine wieder aufgefrischte Erinnerung an die eigene Schulzeit. Da gibt es Querulanten in der Klasse wie Esmeralda (Esmeralda Ouertani) oder Souleymane (Franck Keïta), bockige Arbeitsverweigerer wie Khoumba (Rachel Régulier) oder fleißige, allerdings sozial benachteiligte Schüler wie Wei (Wei Huang). Archetypen, wie sie jeder aus seiner eigenen Schulzeit kennt und während der Filmbetrachtung gleichermaßen im Kopf in Erinnerung ruft. Da die Thematik des Filmes so sehr aus dem Leben gegriffen ist, mutet dieser mitunter doch eher wie eine Art Dokumentarfilm an, denn ein ausgeklügeltes Drama. Innerhalb der Spanne eines Schuljahres versucht Bégaudeau die wenige vorhandene Bereitschaft der Jugendlichen sich am Unterricht zu beteiligen, aufzuzeigen. Da wissen Schüler nicht, was „Österreicherin“ heißt oder wie die erste Person Singular des Imperfekt Indikativ von „wachsen“ lautet. Erfreulicherweise ist Entre les murs frei von jeglichem amerikanischem anbiedernden Schulpathos a la Dangerous Minds oder Freedom Writers, wo die Lehrkraft überhöht dargestellt und als Retter der jungen Seelen verkauft wird. Exemplarisch hierfür die finale Szene des Filmes, wenn Marin die Klasse fragt, was sie dieses Jahr gelernt haben beziehungsweise was ihnen Spaß gemacht hat. Sein eigenes Fach, Französisch, wird nicht genannt. Eine Schülerin kommt nach dem Unterricht sogar auf ihn zu und gesteht betrübt, dass sie gar nichts gelernt hat. In diesem Sinne verfügt der Filme eigentlich über keine wirkliche Geschichte mit Anfang und Ende oder seine Hauptfigur über eine Katharsis. „Das ist mein viertes Jahr“, erläutert Marin zu Beginn bei der Vorstellung der neuen Lehrer. Er hat sich arrangiert mit der Schule und der Schülerschaft. Daher spiegelt der Film letztlich nur den Alltag wieder, der sich für Marin auch fortsetzen wird, wenn der Abspann für den Zuschauer schon läuft: 8/10.
 
Revanche – Tamara (Irina Potapenko) ist eine Prostituierte in Wien. Und sie ist hübsch. Sehr hübsch. Findet auch ihr Zuhälter, weswegen er Tamara in eine eigene kleine Wohnung stecken und zur Edel-Hure umfunktionieren will. Die Ukrainerin will darüber nachdenken, hat sich innerlich jedoch schon dagegen entschieden. Als einer ihrer Freier sie zusammenschlägt – nachdem er den Zuhälter für dieses Privileg bezahlt hat – schreitet Tamaras heimlicher Freund und Puff-Aushilfe Alex (Johannes Krisch) ein. Kurzerhand fliehen die beiden. Doch ihr schönes neues Leben auf Ibiza können sie erst wahr machen, wenn Alex’ Tamaras Schulden abbezahlt hat. Daher geht er auf eine Dorfbank, um Geld abzuheben. Allerdings nicht auf die gewöhnliche Art und Weise. Wie es der Zufall so will, macht der Streifenpolizist Robert (Andreas Lust) eine Routinekontrolle. Gerade bei Tamara, die im Fluchtwagen wartet. Als Alex kommt, muss schnell geflüchtet werden. Robert feuert einen Schuss auf die Reifen ab, trifft allerdings Tamara. Das Ereignis nimmt beide Männer mit. Als Alex, der bei seinem altersschwachen Großvater auf der Farm mithilft, erfährt, dass Robert die Straße weiter rauf lebt, beginnt er einen Plan zur Revanche zu schmieden. Götz Spielmann erzählt sein Drama über Liebe, Lust und Tod in stillen und größtenteils ruhigen Bildern. Selbst der Banküberfall geht praktisch friedlich von Statten und allein die Szene, in der Alex Tamara zu Hilfe kommt, weist eine eruptive Gewalt auf. Stattdessen alles schön gemach, nach alter österreichischer Tradition. Obschon sich die Handlung primär auf Alex konzentriert und mit Abstrichen noch auf Roberts Frau Susanne (Ursula Strauss), mit welcher Alex später eine Affäre eingeht, vernachlässigt Spielmann auch Roberts Innenleben nicht. In zwei, drei Einstellungen kehrt er dessen emotionalen Schmerz nach Außen, führt dem Publikum die Mitgenommenheit des Polizisten vor, der aufgrund seiner Labilität später sogar vom Dienst freigestellt wird. Damit klarkommen muss auch Susanne, die mit dem Kummer ihres Mannes nicht wirklich etwas anzufangen weiß. Dass sie sich schließlich Alex zuwendet hat einen Grund, der zum Ende hin auch erfüllt wird. Besonders stark ist die Szene, in der Susanne gegenüber der Frau eines Kollegen ihres Mannes, die schwanger ist, von ihrer eigenen Fehlgeburt erzählt. Wie Strauss kurz zusammenbricht, das Gesicht fallen lässt und sich doch sofort wieder fängt, das ist großartiges Schauspiel. Die Besetzung erweist sich als Geschenk, alle Figuren wurden punktgenau gecasted. In Verbindung mit der besonnen Regie, die sich oft voller Hingabe ihren Charakteren widmet, ist Revanche eine großartige Charakterstudie. Abseits von der etwas pathetischen Art eines Reservation Road gelingt es Spielmann die Geschichte auf ihre Essenz zu reduzieren. In dem Moment, als Alex erfährt dass Robert die Straße runter wohnt, rechnet der Zuschauer mit jener Eskalation, die im Genre den Sehgewohnheiten entspricht. Wie Spielmann mit dieser Situation umgeht und sie letztlich auflöst – sowohl im Großen wie im Kleinen – ist beeindruckend. Berücksichtigt man seine Konkurrenz, ist Revanche wahrscheinlich der stärkste Vertreter der diesjährigen Fremsprachenkategorie der Academy Awards. Dass er gewinnt – hinsichtlich der prätentiösen Heuchelei eines Waltz With Bashir und dem Vorjahresgewinn der Österreicher -, ist unwahrscheinlich. Aber auch losgelöst von dieser ohnehin nichtssagenden Preisverleihung, ist Spielmanns Film zu den gelungensten des Jahres zu zählen. Schon allein dank der Tatsache, dass ein österreichischer Film auf internationalem Niveau spielen kann. Ob es dem großen Bruder Deutschland gelingen wird, einen ähnlich starken Film dieses Jahr aufzubieten, ist zu bezweifeln: 8.5/10.
 
P.S.: W. – Oliver Stones Letzter spielt zwar keine Rolle für die Oscarverleihung dieses Jahr, aber den gibt’s einfach als Gratis-Geschenk oben drauf, weil ich sonst nicht wüsste wohin und mir das Ganze doch ein, zwei Zeilen wert ist. Amerikaner tougher Kritiker holt also zum Rundumschlag aus, jetzt, wo sich die Amtsperiode von George W. Bush dem Ende geneigt hat. Viele fragte sich: ist das jetzt Komödie, Satire, Drama oder einfach nur Scheiße? Ich selbst empfand den Film als Komödie. In den ersten Minuten. Da war er auch echt lustig, einfach weil er so authentisch war. Schließlich ist Bush so eine dämliche Person, dass man ihn nur lustig finden kann. Der Brüller – und die einzige Konstante in W. – ist aber sowieso Thandiwe Newton als Condoleezza Rice. Die Grimassen. Die Grimassen! Zum Totlachen, gerade weil Newtons Figur quasi für die Tonne ist, weil belanglos. Mein Favorit: Teufelchen Dick Cheney (Richard Dreyfuss) und Engelchen Colin Powell (toll: Jeffrey Wright) streiten darum, ob man grundlos den Irak angreifen soll. Condoleezza nickt brav und lächelt. Hätte nur noch gefehlt, dass Brolin sagt: „Honey, get us guys some beer, would ya?“. Aber back on track. Zumindest so halb. Nach einer Dreiviertelstunde wird W. dann etwas langweilig und ein Blick auf die Laufzeit (zwei Stunden!) zwingt mich zum Aufstöhnen. Irgendwie interessiert mich das Leben des Bush-Clans oder der Kampf zwischen Vater (James Cromwell) und Sohn nicht so richtig. Ohnehin liegt der Fokus des Films oft so, dass es wirkt, als wollte Stone Mitleid mit der Vollpflaume erzeugen. Not in my house. Seinen negativen Höhepunkt erhält dann das Engelchen und Teufelchen Szenario. Das erinnert mich grad an Fettes Brot: „Und während sich der Engel und der Teufel anschrein, entscheide ich mich für Ja, Nein, ich mein: Jein“. Das ist mir zu viel Beweihräucherung für Powell. Und der ganze Film ist mir zu wenig bissig, zu wenig demaskierend. Zu tolerant. Praktisch irgendwie Stones Antwort auf Helge Schneiders Mein Führer. Eine der böswilligsten Figuren der Zeitgeschichte als Loser dargestellt. Nee nee. Das Tragische ist, ich glaube mit Stone ist es allmählich echt vorbei. Pinkville geb ich ihm noch, aber danach mach ich langsam mal die Lichter aus: 4/10.

P.P.S.: Der Baader Meinhof Komplex – Dazu will ich keine großen Worte verlieren, alleine wegen der peinlichen Klausel zu den Pressevorführungen. Uli Edels und Bernd Eichingers Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung ist all das, was ich am deutschen Film verabscheue. Effekthascherei, überspielte Darsteller, punktlose Geschichten. Ein grauenhafter Film, wenn auch von technischer Seite bisweilen solide inszeniert. Allerdings letztlich nur ein zusammenhangloses Konglomerat aus historischen Photos, die Edel schick nachstellt mit seinem Who’s Who des deutschen Films. Da sind sich auch Jan Josef Liefers und Hannah Herzsprung (bei der hat mir echt das Herz geblutet, dass sie sich für so einen Rotz hergibt) sich nicht zu Schade Nebenrollen zu übernehmen. Schade, so muss man den grausigen Moritz Bleibtreu die meiste Zeit ertragen. Immerhin wird Alexandra Maria Lara relativ früh abgeknallt und was alle am Spiel der Gedeck fanden, erschließt sich mir auch nicht. Der größte Loser ist aber Bruno Ganz, dessen Figur dank Edels einseitiger Inszenierung (und teilweise Glorifizierung der Täter) im Grunde überflüssig da belanglos ist. Eine Schande, dass so was für den Oscar nominiert wird, selbst wenn da ohnehin dieses Jahr nicht grad berauschende Filme vertreten sind. Fehlt nur noch, dass er den Preis auch gewinnt. Dann lach ich mich ins Fäustchen: 3/10.