Es sind zwei entscheidende Szenen in Revolutionary Road [Zeiten des Aufruhrs], die verhältnismäßig kurz aufeinander folgen: Wenn Frank Wheeler (Leonardo DiCaprio) morgens zur Arbeit geht, ist er am Bahnhof ein Schaf. Einer von Vielen. Sie stürmen die Gänge entlang. Männer im Anzug, mit Krawatte und Hut. Die Gesichtsausdrücke leer, die Motivation im Prinzip nicht vorhanden. Einige Szenen später sieht man erneut diese Herde von Männern. Mit dem Unterschied, dass Frank nunmehr lächelnd abseits steht. Ein kurzes Hoch in einem Film, der nur von Tiefpunkten berichtet. Kennen Sie die Wheelers in der Revolutionary Road? Ein Vorzeige-Paar, gefangen in seinem aufgezwungenen Klischeebild. Oder anders gesagt: die Vorstadthölle.
Das Time Magazin wählte Richard Yates’ Roman Revolutionary Road vor rund drei Jahren zu den 100 besten englischsprachigen Romanen der neuesten Geschichte. Bereits 1961 wollte John Frankenheimer ihn ehe er sich für The Manchurian Candidate entschied. Nun, beinahe ein halbes Jahrhundert später, wird Yates’ Geschichte doch noch verfilmt – womöglich etwas zu spät, angesichts seiner Thematik. Nach Filmen wie Ang Lees The Ice Storm oder Todd Fields Little Children sowie Sam Mendes’ eigenem American Beauty sind dysfunktionale Ehen in Vorstädten nichts Neues. Man kommt also mitunter nicht umhin, während Revolutionary Road gelegentlich gedanklich abzuschweifen, ob der bereits bekannten Elemente dieser anderen Werke.
“You’re the most interesting person I’ve ever met”, erklärt April (Kate Winslet) 1948 ihrem Freund Frank. Auf einer Party hatten sich die ambitionierte Schauspielerin und der Kriegsveteran kennen gelernt. Beide lachen und philosophieren über Paris. Jene Stadt, der Frank seit dem Zweiten Weltkrieg verfallen ist und die er wieder besuchen möchte. Dort seien die Menschen noch frei, versichert er seiner Freundin. Doch es kommt alles anders als geplant. April wird schwanger und Frank nimmt einen Job in der alten Firma seines Vaters an. Er mag den Job nicht und es beschämt ihn, wie sein Vater geendet zu haben. Dies gesteht er an seinem 30. Geburtstag, einer Sekretärin seiner Firma, mit der er anschließend Sex hat.
Viel hat sich getan, seit die Wheelers vor sieben Jahren in ihr weißes Haus in der beschaulichen Revolutionary Road zogen. Auf das erste Kind folgte das zweite, auch um sich zu beweisen, dass das Älteste kein Unfall war. Übergang wurde Routine, die Ehe bröckelt als Folge in ihrem verflixten siebten Jahr. Ähnlich wie Aprils Theaterstück, das wir zu Beginn sehen. Emotionen schaukeln sich hoch, sie und Frank streiten sich auf der Heimfahrt, gehen tags darauf aber wieder zum Alltag über. Eine der vielen dysfunktionalen Szenen zwischen dem Paar, das in der Folge als letzten Ausweg eine Auswanderung nach Paris sieht. Sie will damit ihre Beziehung retten, er zu sich selbst finden. Bis April plötzlich erneut schwanger wird.
Glaubt man US-Dramen, muss das Leben in der Vorstadt grauenhaft sein. Auch, da Eltern darin zum eigenen Nachwuchs eine gestörte Beziehung unterhalten. Grundsätzlich unterscheidet die Ehe der Wheelers wenig von Hoods, Pierces oder Burnhams. Man lebt weitestgehend nebeneinander und nicht miteinander. Ob man immer alles tot diskutieren müsse, will April in einer Szene wissen, und findet später erst dann etwas Privatsphäre, als sie in den Wald flüchtet. Was genau schief gelaufen ist zwischen den netten Wheelers aus der Revolutionary Road kann man nur erahnen. Sicher ist jedenfalls, dass das Vorstadtleben wie ein goldener Käfig empfunden wird. Vielmehr noch von April, welche die eigentliche Hauptperson ist.
Eine unbeschwerte junge Frau wird schwanger und Anfang der 1950er in die Hausfrauenrolle gedrängt. Dass sie nach Paris will, um dort als Sekretärin alleine für ihre Familie zu sorgen, findet seine Begründung sicher weniger in ihrer Liebe zu Frank und dem Wunsch dessen Selbstverwirklichung zu ermöglichen. Stattdessen geht es eher darum, dass April sich selbst endlich wieder lebendig fühlt, sich als individuell und nicht Teil einer Maschinerie wahrnimmt. Exemplarisch zu sehen, als sie nachts allein mit Shep (David Harbour), dem Kriegskameraden und besten Freund ihres Mannes, wie losgelöst tanzt. Für April bedeutet die dritte Schwangerschaft ein weiteres Gewicht an ihren Fußfesseln. Sie ist die Person, die eigentlich im Fokus steht.
Auch für Frank ist sein Leben ein goldener Käfig. Seine Arbeit macht er ungern und nur so gut, wie unbedingt notwendig. Von dem was er eigentlich verkauft, hat er keine Ahnung. Die zehn Stunden, die er täglich unterwegs verbringt, ehe er sich zu Hause noch ein paar Stunden gönnt, zehren an ihm. Die Idee, sich in Paris vor all den heimatlichen Verpflichtungen zu drücken, gefällt ihm daher sehr gut. Eine flapsige Bemerkung im Geschäft bringt den Wendepunkt herbei. Auf einmal wird Frank von seinen Vorgesetzten gelobt. Vielmehr noch, ihm steht sogar eine Beförderung ins Haus. Die pragmatische Seite von Frank kommt zum Vorschein. Mehr Geld und was ihm wichtiger erscheint, mehr Anerkennung, lassen die Arbeit weniger lästig erscheinen.
Regisseur Sam Mendes präsentiert in Revolutionary Road ein trostloses Bild von der Gesellschaft, die keine Bindung zu ihren Kindern hat. Immerhin bringen Helen Givings (Kathy Bates) und ihr Mann dem eigenen Sohn, John (Michael Shannon), noch Liebe entgegen. Der Mathematiker, kurz zuvor aus dem Sanatorium entlassen, behandelt seine Erzeuger dafür weniger glimpflich. Die Klimax der Ehrlichkeit erreicht der Film bei einem Treffen dieser beiden Familien, als John einen gnadenlosen Schlussstrich unter die Auswanderungspläne der Wheelers zieht. John gebiert sich dabei als Verrückter, der als einziger die Wahrheit zu erkennen scheint. Oder vielleicht muss man womöglich auch verrückt sein, um die Wahrheit zu erkennen?
An einigen Stellen wirkt die Musik von Thomas Newman recht nervig, fügt sich die meiste Zeit jedoch sehr stimmig mit den wunderbar ausgeleuchtete Bildern von Roger Deakins zusammen. Sam Mendes’ period piece fehlt wie bereits oben angerissen letztlich jedoch narrativ das Besondere, das ihn aus der Masse des Genres heraushebt. So ist er nicht unbedingt schlecht, aber dennoch ein wenig beliebig. Oscar-Preisträger Mendes versammelte für Revolutionary Road dabei erneut das Titanic-Trio um Leonardo DiCaprio, Kate Winslet und Kathy Bates. Während Letztere in der Rolle der verschüchterten Nachbarschaftsglucke richtig aufgeht, harmoniert es zwischen “Baby Face” DiCaprio und der Kette rauchenden Winslet nicht so wirklich.
Für das Ehepaar Winslet-Mendes ist die Prämisse kalter Kaffee, waren beide doch an den sehr ähnlichen Filmen American Beauty und Little Children beteiligt. DiCaprio hingegen passt einfach nicht so recht in die Rolle des 30-jährigen frustrierten Familienvaters, auch wenn er seine Momente hat, beispielsweise wenn Frank seinen Kindern apatisch beim Spielen zusieht. Nichtsdestotrotz ist Revolutionary Road ein über weite Strecken von seinen Darstellern getragenes Drama der bisweilen herausragenden Sorte. Allerdings leidet er unter einigen Längen, gelegentlichem Overacting von allen Beteiligten und der Tatsache, dass Richard Yates’ Geschichte irgendwie nicht so neu ist, wie Sam Mendes seinem Publikum weißmachen möchte.
7.5/10
Das Time Magazin wählte Richard Yates’ Roman Revolutionary Road vor rund drei Jahren zu den 100 besten englischsprachigen Romanen der neuesten Geschichte. Bereits 1961 wollte John Frankenheimer ihn ehe er sich für The Manchurian Candidate entschied. Nun, beinahe ein halbes Jahrhundert später, wird Yates’ Geschichte doch noch verfilmt – womöglich etwas zu spät, angesichts seiner Thematik. Nach Filmen wie Ang Lees The Ice Storm oder Todd Fields Little Children sowie Sam Mendes’ eigenem American Beauty sind dysfunktionale Ehen in Vorstädten nichts Neues. Man kommt also mitunter nicht umhin, während Revolutionary Road gelegentlich gedanklich abzuschweifen, ob der bereits bekannten Elemente dieser anderen Werke.
“You’re the most interesting person I’ve ever met”, erklärt April (Kate Winslet) 1948 ihrem Freund Frank. Auf einer Party hatten sich die ambitionierte Schauspielerin und der Kriegsveteran kennen gelernt. Beide lachen und philosophieren über Paris. Jene Stadt, der Frank seit dem Zweiten Weltkrieg verfallen ist und die er wieder besuchen möchte. Dort seien die Menschen noch frei, versichert er seiner Freundin. Doch es kommt alles anders als geplant. April wird schwanger und Frank nimmt einen Job in der alten Firma seines Vaters an. Er mag den Job nicht und es beschämt ihn, wie sein Vater geendet zu haben. Dies gesteht er an seinem 30. Geburtstag, einer Sekretärin seiner Firma, mit der er anschließend Sex hat.
Glaubt man US-Dramen, muss das Leben in der Vorstadt grauenhaft sein. Auch, da Eltern darin zum eigenen Nachwuchs eine gestörte Beziehung unterhalten. Grundsätzlich unterscheidet die Ehe der Wheelers wenig von Hoods, Pierces oder Burnhams. Man lebt weitestgehend nebeneinander und nicht miteinander. Ob man immer alles tot diskutieren müsse, will April in einer Szene wissen, und findet später erst dann etwas Privatsphäre, als sie in den Wald flüchtet. Was genau schief gelaufen ist zwischen den netten Wheelers aus der Revolutionary Road kann man nur erahnen. Sicher ist jedenfalls, dass das Vorstadtleben wie ein goldener Käfig empfunden wird. Vielmehr noch von April, welche die eigentliche Hauptperson ist.
Eine unbeschwerte junge Frau wird schwanger und Anfang der 1950er in die Hausfrauenrolle gedrängt. Dass sie nach Paris will, um dort als Sekretärin alleine für ihre Familie zu sorgen, findet seine Begründung sicher weniger in ihrer Liebe zu Frank und dem Wunsch dessen Selbstverwirklichung zu ermöglichen. Stattdessen geht es eher darum, dass April sich selbst endlich wieder lebendig fühlt, sich als individuell und nicht Teil einer Maschinerie wahrnimmt. Exemplarisch zu sehen, als sie nachts allein mit Shep (David Harbour), dem Kriegskameraden und besten Freund ihres Mannes, wie losgelöst tanzt. Für April bedeutet die dritte Schwangerschaft ein weiteres Gewicht an ihren Fußfesseln. Sie ist die Person, die eigentlich im Fokus steht.
Regisseur Sam Mendes präsentiert in Revolutionary Road ein trostloses Bild von der Gesellschaft, die keine Bindung zu ihren Kindern hat. Immerhin bringen Helen Givings (Kathy Bates) und ihr Mann dem eigenen Sohn, John (Michael Shannon), noch Liebe entgegen. Der Mathematiker, kurz zuvor aus dem Sanatorium entlassen, behandelt seine Erzeuger dafür weniger glimpflich. Die Klimax der Ehrlichkeit erreicht der Film bei einem Treffen dieser beiden Familien, als John einen gnadenlosen Schlussstrich unter die Auswanderungspläne der Wheelers zieht. John gebiert sich dabei als Verrückter, der als einziger die Wahrheit zu erkennen scheint. Oder vielleicht muss man womöglich auch verrückt sein, um die Wahrheit zu erkennen?
An einigen Stellen wirkt die Musik von Thomas Newman recht nervig, fügt sich die meiste Zeit jedoch sehr stimmig mit den wunderbar ausgeleuchtete Bildern von Roger Deakins zusammen. Sam Mendes’ period piece fehlt wie bereits oben angerissen letztlich jedoch narrativ das Besondere, das ihn aus der Masse des Genres heraushebt. So ist er nicht unbedingt schlecht, aber dennoch ein wenig beliebig. Oscar-Preisträger Mendes versammelte für Revolutionary Road dabei erneut das Titanic-Trio um Leonardo DiCaprio, Kate Winslet und Kathy Bates. Während Letztere in der Rolle der verschüchterten Nachbarschaftsglucke richtig aufgeht, harmoniert es zwischen “Baby Face” DiCaprio und der Kette rauchenden Winslet nicht so wirklich.
Für das Ehepaar Winslet-Mendes ist die Prämisse kalter Kaffee, waren beide doch an den sehr ähnlichen Filmen American Beauty und Little Children beteiligt. DiCaprio hingegen passt einfach nicht so recht in die Rolle des 30-jährigen frustrierten Familienvaters, auch wenn er seine Momente hat, beispielsweise wenn Frank seinen Kindern apatisch beim Spielen zusieht. Nichtsdestotrotz ist Revolutionary Road ein über weite Strecken von seinen Darstellern getragenes Drama der bisweilen herausragenden Sorte. Allerdings leidet er unter einigen Längen, gelegentlichem Overacting von allen Beteiligten und der Tatsache, dass Richard Yates’ Geschichte irgendwie nicht so neu ist, wie Sam Mendes seinem Publikum weißmachen möchte.
7.5/10
Tja, ob verdient oder nicht: Gewonnen hat sie ihn jedenfalls, den Golden Globe, die Kate Winslet. Ich hoffe ich komme nächste Woche dazu den zu schauen, den hatte ich in meiner Kino-Vorschau glatt unterschlagen, dabei ist der Film von Mendes!!!
AntwortenLöschenich freu mich, nachdem ich gestern House of Sand and Fog gesehen habe, bin ich die nächsten Monate eh depressiv drauf.
AntwortenLöschen