25. Juli 2013

Only God Forgives

One night in Bangkok makes a hard man humble.
(Murray Head, One Night in Bangkok)

Dänemarks Filmemacher machen es sich nicht leicht. Ein Lars von Trier flog 2011 bei den Filmfestspielen in Cannes wegen scheinbarer Nazi-Äußerungen hinaus und sein Landsmann Nicolas Winding Refn polarisiert durch Penetrationswünsche nicht nur die Gemüter der Fünf Filmfreunde. Hassen oder nicht hassen – das ist hier die Frage. Zumindest bei Winding Refn erklärt sich die Abneigung mancher vermeintlicher elitärer Filmkritiker durch dessen kühlen Vorjahres-Noir Drive. In seinem neuen Film vereint sich der Däne wieder mit Ryan Gosling, der kurzfristig Luke Evans ersetzte, und liefert seinen Hatern frisches Futter. Und in der Tat fällt Only God Forgives leider weniger penetrierend als penetrant aus.

Erzählt wird darin die Geschichte des ruhigen Julian (Ryan Gosling), der mit seinem älteren Bruder Billy (Tom Burke) in Bangkok einen Boxclub als Tarnung für Drogengeschäfte leitet. Als Billy ein junges Mädchen vergewaltigt und ermordet, ruft dies den pensionierten Polizisten Chang (Vithaya Pansringarm) auf den Plan. Er lässt an dem Amerikaner Rache verüben und zieht damit den Zorn von Billys Mutter Crystal (Kristin Scott Thomas) auf sich. Weil Julian die Angelegenheit als erledigt betrachtet, engagiert die Matriarchin Auftragskiller für Chang. Doch das Attentat misslingt und fortan verfängt sich Julian immer mehr in der von der Mutter entfachten Gewaltspirale, welcher er sich nicht zu entziehen vermag.

Im Gegensatz zu sich selbst sind die Protagonisten von Nicolas Winding Refn keine Männer großer Worte. Oder großer Taten. Goslings schick gekleideter Krimineller wirkt sogar derart apathisch, dass er sich nicht einmal am sexuellen Akt mit der Prostituierten Mai (Rhatha Phongam) beteiligen will. Es langt ihm, sie bei der Selbstbefriedigung zu beobachten, später führt sie dann doch mal seine Hand zwischen ihren Schritt. Der Tod des Bruders wird akzeptiert als Julian von dessen Umständen erfährt. Die stoische Gefühlskälte der Hauptfigur blättert erst, nachdem mit seiner egomanischen Mutter Julians familiäre Vergangenheit den Zoll in Bangkok durchschreitet. Die Tragödie der ödipalen Figur setzt sich damit fort.

Allerdings erfahren wir über die Charaktere wenig bis nichts. Weder wieso Billy, scheinbar mit Intention, sein Verbrechen verübt, noch warum die Bangkoker Polizei anstatt Kriminelle vor ein Gericht zu stellen, sie in Selbstjustiz von einem ehemaligen Kollegen als “Angel of Vengeance” hinrichten lässt. Immerhin mangelt es soweit es den Film betrifft nicht an Geständigkeit der Täter noch an potentiellen Zeugen. Nachvollziehbar ist das Geschehen in Only God Forgives somit nicht, zu spärlich fallen sowohl die Handlung als auch die Figuren aus. Bei diesen bleibt Hauptprotagonist Julian ebenso blass wie unerhebliche Charaktere à la Mai – sie scheinen allesamt, inklusive Crystal und Chang, gefangen in der Eindimensionalität.

Stattdessen verliert sich Winding Refn in seiner blau-violett schimmernden Neonwelt, die mit Elternbeziehungen – in einem vergessenswerten Subplot sehen wir Chang als alleinerziehenden Vater einer Tochter – aufgeladen scheint, die allerdings über weite Stücke dem Schnitt zum Opfer fielen (?). Die gelegentlichen Gewaltexzesse Changs, die man beim besten Willen nicht als brutal bezeichnen kann, wollen ebenso wenig ein stimmiges Ganzes mit Julians subtilem Ödipuskomplex ergeben, wie die mehrfach eingestreuten Gesangspassagen des Racheengels sowie anderer Figuren. Wo Drive in seiner Verbindung von Atmosphäre mit simpler Handlung und Charakteren reüssierte, verliert sich Only God Forgives in Prätention.

Dies wiederum bringt ihn auf eine Wellenlänge mit Valhalla Rising, auf den der Film an sich direkt hätte folgen sollen, ehe Gosling Drive vorziehen wollte. Dass Winding Refn die Helden aller drei Filme als ein und dieselbe Person erachtet, vermag sich wohl nur ihm zu erschließen. Mit Drive eint Only God Forgives jedenfalls nur Ryan Gosling und der stumm-stoische Protagonist, der Film selbst wirkt eher wie ein in Neonfarben getauchtes Nachbeben für jene Vikinger-Sülze, die der Regisseur vor drei Jahren fabriziert hat. In welche Richtung er sich mit dem kommenden I Walk with the Dead bewegen wird, ist offen. Sollte der Däne sich aber erneut in Prätention verlieren, vergibt ihm dies vermutlich tatsächlich nur noch Gott.

4/10

19. Juli 2013

Jaws

Here lies the body of Mary Lee / Died at the age of 103
For 15 years she kept her virginity / Not a bad record for this vicinity.


Wenn er schon den Mythos vom Hai als Menschenkiller nicht mit seinem zweiten Kinofilm Jaws erschuf, so bestärkte ihn zumindest Regisseur Steven Spielberg vor 38 Jahren. Sein rund acht Meter langer weißer Hai hinterließ nicht nur an den Kinokassen und in der Popkultur bleibenden Eindruck, sondern auch im kollektiven Gedächtnis der Zuschauer. Dabei sind Haie wahrlich keine Menschenmörder, zumindest nicht im Vergleich zu anderen Spezies. Im vergangenen Jahr verliefen bei weltweit 70 Angriffen durch Haie sieben davon tödlich. Allein in den USA starben im selben Zeitraum 38 Personen durch Hunde, vornehmlich Pitbulls. Der Mensch hingegen tötet laut WildAid zufolge jährlich bis zu 100 Millionen Haie.

Die Marke von 100 Millionen überschritt auch Jaws hinsichtlich seines Einspielergebnisses in den USA – was zuvor noch keinem Film gelungen war (One Flew Over the Cuckoo’s Nest sollte es Ende desselben Jahres allerdings ebenfalls schaffen). Bis zur Veröffentlichung von George Lucas’ Star Wars zwei Jahre später war Jaws der erfolgreichste Film aller Zeiten – dabei war er von einer problematischen Produktion geplagt. Im Sommer zuvor hatte man statt wie geplant 55 Tage über fünf Monate an der Ostküste in Martha’s Vineyard verbracht, die Kosten für Jaws hatten sich von rund vier auf neun Millionen Dollar mehr als verdoppelt. Was ein Jahr später folgte, war dann die Geburtsstunde des Sommer-Blockbusters.

Mit geschuldet war dies auch der bis dato unnachahmlichen Bewerbung des Films durch Universal, die nicht nur auf dem Erfolg der gleichnamigen Romanvorlage von Peter Benchley fußte, sondern auch mannigfaltig im Fernsehen geschaltet wurde. Die Antizipation stieg beim Publikum immer mehr und als der Film dann 1975 in 409 Kinos landesweit anlief, stellte er einen weiteren Rekord auf. Jaws lief den ganzen Sommer lang vor ausverkauftem Haus, mit etwaigen Wiederaufführungen in den folgenden Jahren sollte die 9-Millionen-Dollar-Produktion ihren Produzenten rund 470 Millionen Dollar einspielen. Wohl insbesondere diesem Film haben Steven Spielberg und Komponist John Williams ihre Karrieren zu verdanken.

Gerade in Hinblick auf seine Filmografie der vergangenen 20 Jahre sieht man in Jaws recht anschaulich, zu welch mediokrem Regisseur Spielberg seither verkommen ist. “I was more courageous, or I was more stupid. I’m not sure which”, blickte Spielberg selbst in Laurent Bouzereaus The Making of Steven Spielberg’s ‘Jaws’ auf sein damals 26 Jahre altes Ich zurück. Zuvor hatte er für Universal The Sugarland Express abgedreht, die Ähnlichkeiten von Jaws zu seinem Debütfilm Duel weckten dann sein Interesse an dem Projekt. Auf offener See und mit einem mechanischen Hai wollte der junge Spielberg die Romanadaption umsetzen. Ein Erlebnis, das ihm in den kommenden Jahren viele Albträume bescheren würde.

“Had we read it twice”, sagte Produzent David Brown in Bouzereaus Film, “we never would have made Jaws. Als produktionstechnisch zu aufwendig wäre der Film eingeschätzt worden. Zur Legende wurde der obligatorische Funkspruch am Set, dass der mechanische Hai nicht funktionieren würde. Aus der Not – hier zeigt sich mit die Qualität des frühen Spielberg – wurde, wie sich zeigen sollte, eine Tugend gemacht. Die Anwesenheit des Haies deutete man schlicht an: entweder mittels der kongenialen Musik von John Williams und seinem unverwechselbaren Ostinato des Themes oder durch Objekte, die der Hai hinter sich herzog wie Piere, Menschen sowie Fässer. “That really saved us”, bestätigte auch Produzent Richard D. Zanuck.

Die Handlung des Films ist dabei recht simpel. Mitten in der Hochsaison und kurz vor dem Nationalfeiertag des 4. Juli ereignet sich in dem vom Sommertourismus lebenden Inselstädtchen Amity Island ein tödlicher Haiangriff auf eine junge Frau. Während der vom Festland stammende Polizeichef Brody (Roy Scheider) zur Sicherheit den Strand sperren will, möchte Bürgermeister Vaughan (Murray Hamilton) keine Massenpanik auslösen. Weitere Todesfälle rufen infolgedessen den Marinebiologen Hooper (Richard Dreyfuss) sowie den Haifischjäger Quint (Robert Shaw) auf den Plan, mit denen gemeinsam sich Brody daraufhin aufmacht, den riesigen weißen Hai auf offener See zu finden und zu töten.

Im Vordergrund – und daran sind die technischen Probleme am Set nicht unschuldig gewesen – stehen in Jaws die Charaktere, nicht der Hai und auch nicht unbedingt die von ihm ausgehende Bedrohung. Der nach Amity Island gezogene Brody sieht sich nicht nur mit einem Hai-Problem in einem ihm unbehaglichen Element konfrontiert, sondern in Person von Vaughan und den vom Tourismus abhängigen Einwohnern auch einem solchen auf dem Land. “Amity is a summer town. We need summer dollars”, erklärt Vaughan. Die Crux der Situation ist, dass sowohl Brody als auch der Zuschauer in gewisser Weise die Position von Vaughan und der Stadt bezüglich einer Schließung der Strände nachvollziehen kann.

Städte wie Amity Island leben vom Sommertourismus und fällt eine Saison aus, sind womöglich Existenzen gefährdet – und für Vaughan seine Wiederwahl. Zugleich ist auch dem Zuschauer so klar wie Brody, dass der Hai eine ebenso große Gefahr darstellt – für den Tourismus wie das Wohl der Badenden. Die ersten zwei Akte von Jaws auf Amity Island sind somit in gewisser Weise fast ein Film für sich, voll von lokalpolitischen Untertönen und Existenzangst in doppelter Hinsicht. Mit Brody als Identifikationsfigur kann sich das Publikum auf einer Wellenlänge „hinaus ins Meer“ wagen: Von seiner ersten impulsiven Entscheidung über seine folgende passive Akzeptanz bis hin zu seiner aktiven Kehrtwende.

Der Hai fungiert gerade in der ersten Filmhälfte fast als Chimäre, eine unsichtbare Gewalt, die sich bloß über ihre Opfer nachvollziehen lässt. Dass das Tier nicht zu sehen ist, steigert die (An-)Spannung nur umso mehr. Von der Untersichtaufnahme Chrissies zu Beginn über die Pierattacke auf Denherder und Charlie bis zum Ableben des Kintner-Jungen. Erst bei seinem Angriff im Ästuar erhält man als Zuschauer einen wirklichen Eindruck vom Umfang des Haies. Und trotz seines damaligen PG-Ratings schafft es der Film überraschend gekonnt einige minimale aber dennoch effektive Gore-Szenen abgetrennter Körperteile zu zeigen, sei es Chrissies Unterarm, Ben Gardners Kopf oder das Bein des Ästuar-Seglers.

Dienen die ersten beiden Akte der dramatischen Exposition und sind dahingehend von nicht zu leugnenden Horrorelementen durchzogen, läutet Spielberg das Schlussdrittel mit John Williams’ vergnüglichem, an einer Piratenthematik orientierten, Stück „Out to Sea“ als von einem Abenteuercharakter durchzogenes Finale ein. Die vier Hauptfiguren – Brody, Hooper, Quint und der Hai – sind nunmehr unter sich und auf sich allein gestellt. “This isn’t no boy scout picnic”, grummelt Quint. Auf hoher See nimmt Jaws dann mehr seiner Qualitäten von Moby Dick an, wenn der Hai nach und nach die Orca überprüft, während die drei Männer erst ein und dann immer mehr Luftfässer in seine Finne und Rücken jagen.

Die auf- und abtauchenden Fässer des sich immer wieder nähernden und entfernenden Haies tragen zur Dramatik weit mehr bei als es Spielbergs mechanischer Animatronic vermocht hätte. Auch hier nimmt sich der Regisseur die Zeit, die Hai-Szenen durch intensive Charaktermomente zu unterbrechen. Der abendliche Narbenvergleich zwischen Hooper und Quint ist inzwischen längst Teil der Popkultur und wurde sowohl in Lethal Weapon 3 als auch in Chasing Amy zitiert. Derweil ist Spielbergs persönliche Lieblingsszene jener Indianapolis-Monolog von Quint, der auf einer Idee von Skript Doktor Howard Sackler basierte, die von John Milius erst aus- und von Robert Shaw schließlich nochmals überarbeitet worden war.

In gewisser Weise reißt somit Shaw, dessen Figur bis auf eine Szene weitestgehend abwesend war, im dritten Akt gemeinsam mit der verstärkten Präsenz des Haies das Geschehen an sich. Das Moby Dick-Motiv nimmt immer mehr zu und kulminiert letztlich in Shaws Tod durch das Tier. Unterdessen war der zuvor agierende Brody immer mehr in den Hintergrund gerückt und wird erst zum Schluss wieder richtig aktiv als alles verloren scheint. Die Dramaturgie will es, dass der Antagonist des Films am Ende weder vom Haifischjäger noch vom Meeresbiologen gestoppt wird. Vielmehr ist es der auf Amity Island nach Frieden suchende Polizist aus New York, der das enorme Biest zur Strecke bringen muss.

Wenn man so will, ist Marcus Brody also der Antiheld der Geschichte. Der vor den grausamen Morden des Big Apple flieht, um im beschaulichen Inselstädtchen mit nicht minder verunstalteten Leichen konfrontiert zu werden. Roy Scheider gibt seinen Polizeichef dabei als vernünftigen Normalo und fürsorglichen Vater. Ein every man, wie er später in nahezu jedem Spielberg-Werk auftauchen wird. Auch Robert Shaw, Murray Hamilton und Richard Dreyfuss überzeugen in ihren jeweiligen Rollen, wobei man als Zuschauer dankbar sein muss, das sich Spielberg gegen die Darstellung der Affäre zwischen Hooper und Ellen Brody (Lorraine Gary) – wie in Peter Benchleys Roman geschildert – entschieden hat.

Interessanterweise scheinen es, vielleicht auch nur in den 1970er Jahren, jene Filme mit großen Problemen in der Produktion wie Jaws, The Godfather oder Apocalypse Now zu sein, die infolgedessen statt zum Flop zu Meisterwerken der Filmgeschichte avancierten. Wie sich zeigte, sollte zumindest Jaws von seinen Verzögerungen letztlich profitieren, was sich neben der angedeuteten Präsenz des Haies auch in so manchen improvisierten Szenen – darunter Scheiders Kultzitat “You’re gonna need a bigger boat” – niederschlug. Durch die oft im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser gefallenen Einstellungen konnten Darsteller und Drehbuchautor Carl Gottlieb vor Ort kontinuierlich am Endprodukt feilen.

Der fertige Film und sein kulturelles Erbe wirken da natürlich wie Balsam, dennoch verschleierte Spielberg nie, dass neben einem lachenden auch ein weinendes Auge existiert. “A fun movie to watch”, nennt er Jaws da völlig korrekt, “but not a fun movie to make”. Der Zweck heiligt die Mittel, ließe sich wohl sagen. Jaws ist ein Film, der auch nach bald 40 Jahren nichts von seiner Klasse eingebüßt hat und fraglos zu Spielbergs wenigen wirklichen Meisterwerken zählt. Und genau genommen gewinnt der Film nur noch mehr an Qualität, wenn man sich anschaut, welche Filme der Regisseur heutzutage macht. Weshalb Steven Spielberg gut daran täte, mal wieder den mutigen 26-Jährigen von einst in sich herauszukitzeln.

10/10

12. Juli 2013

Pacific Rim

I’m a big believer in second chances.

Es gibt sicher bessere Bewerbungszeugnisse als das Drehbuch – oder zumindest die erste Fassung ebendieses – zum katastrophalen Fantasy-Remake Clash of the Titans verfasst zu haben. Da jedoch Louis Leterriers Perseus-Quark ein moderater Kassenerfolg war, der im Vorjahr mit der Fortsetzung Wrath of the Titans bedacht wurde, verwundert es nicht, dass Drehbuchautor Travis Beachem erneut mit einer Geschichte Hunderte Millionen Dollar aus Produzenten herausleiern konnte. Das Ergebnis heißt Pacific Rim und ist ein wenig origineller Versuch, die populäre japanische Anime-Serie Neon Genesis Evangelion soweit als Live-Action-Film zu pervertieren, dass man eine Urheberrechtsklage vermeiden kann.

Hier wie da schlüpfen Menschen also in Riesenroboter, um sich mit riesigen Monstern oder Aliens zu kloppen. Wie Transformers eben, nur mit einem menschlichen Aspekt. Die Idee dahinter ist vermutlich, dass sich mit einem von Menschen kontrolliertem Avatar eher mitfiebern lässt als mit einem außerirdischen Kraftfahrzeug. Statt in Evangelions schlüpfen die Piloten um Held Raleigh Becket (Charlie Hunnam) in Pacific Rim in so genannte Jaeger, die wiederum gegen außerirdische Monster – im Film kaiji genannt, basierend auf dem japanischen Filmsubgenre um Gojira und Konsorten – kämpfen, die durch ein Dimensionsportal am pazifischen Meeresgrund auf unserem Planeten erscheinen und dessen weltweite Invasion anstreben.

Damit eint Pacific Rim viel mit den übrigen Sommer-Blockbustern à la The Avengers oder Man of Steel – Alien-Invasion-Filme als Effektgewitter ohne echte Persönlichkeit. Allerdings ist die Prämisse in diesem Fall relativ simpel, wenn Jaeger und kaiji in ein Rock ‘Em Sock ‘Em-Szenario geschickt werden und man sich an der daraus resultierenden Zerstörungsorgie ergötzen soll. Problematisch wird es im Falle von Pacific Rim dadurch, dass der Film seine simple Prämisse in eine unnötig komplizierte Narration verpackt. So tut sich die Geschichte merklich schwer damit, ihren eigenen Jaeger-Steuerungsmechanismus namens The Drift – wobei zwei Piloten mittels Erinnerungsteilung ihre Psyche verschmelzen – zu verstehen.

Eben aus diesem Talent resultiert die Rekrutierung von Protagonist Raleigh Becket und seinem Bruder. Der richtige Drift-Partner ist entscheidend für die Effizienz und Funktionalität des Jaegers. Das zumindest propagiert der Film über eine Stunde lang, wenn erläutert werden soll, wieso die junge Mako Mori (Kikuchi Rinko) sich so ideal als Partnerin – natürlich in mehr als einer Hinsicht – für Raleigh eignet. Angesichts dieser ausgiebigen Exposition überrascht es durchaus, dass das Konzept für den dritten Akt ausgehebelt wird. Die Ursache liegt an dem Konformitätszwang des Films, der sich stur an gängigen Vertretern seiner Zunft orientiert. Was umso enttäuschender ist, wenn man bedenkt, wer hier Regie geführt hat.

Hinter der Kamera saß kein Louis Leterrier, Jonathan Liebesman oder McG, vielmehr Guillermo del Toro. Gezeichnet von Produktionsverzögerungen sowohl bei The Hobbit: An Unexpected Journey als auch seinem Passionsprojekt At the Mountains of Madness scheint der Mexikaner nach fünf Jahren nach dem erstbesten filmischen Strohhalm gegriffen zu haben, der sich ihm bot. Was seine vorherigen Filme ausgezeichnet hat, fehlt hier vollkommen. Im Audiokommentar des Oscarnominierten El laberinto del fauno nannte del Toro diesen “not a blockbuster movie, not a massive movie but a delicate little film from the heart”. Pacific Rim ist das absolute Gegenteil: ein klotzender Blockbuster ohne einen Anflug von Herz.

Profillose Figuren wie Jaeger-Leiter Stacker Pentecost (Idris Elba) klopfen pathetische Sprüche wie “Today we are cancelling the apocalypse!” und treffen Entscheidungen, die mit fortlaufender Dauer immer weniger Sinn ergeben oder nachvollziehbar sind. Die Riege der charakterlosen Charaktere reicht von einem schrulligen Wissenschaftsduo (u.a. Charlie Day) über einen deplatzierten Cameo von del Toro-Spezi Ron Perlman als kaiji-Organhändler Hannibal Chau bis hin zum bärbeißigen Iceman-Verschnitt Chuck Hansen (Robert Kazinsky) und dessen Jaeger-Kollegen (die passend aus China und Russland stammen). Letztere lernt man natürlich nie kennen, was erwartungsgemäße Konsequenzen für sie hat.

Somit sind die eindimensionalen Figuren so leblos wie ihre Jaeger-Roboter – die einzige emotionale Wucht vermag eine Rückblende von Mako Mori zu entwickeln, in der die junge Ashida Mana authentischer auftritt als das gesamte Ensemble den Film hindurch. Wenn schon die Charaktere nicht überzeugen, kann es die Handlung noch weniger. Für die kaiji fällt Beachem nichts Besseres ein als das durchgekaute Invasionsszenario, von der Vielschichtigkeit eines Gojira ist dieser Monsterfilm meilenweit entfernt. Stattdessen folgt Pacific Rim vorgefertigten, schablonenhaften Filmmustern, bis hin zum über seine eigenen dramatisierenden und visuellen Effekte stolpernden finalen Showdown am Meeresboden.

Die Action selbst verliert sich in einer ähnlichen Unübersichtlichkeit wie sie bereits Transformers: Revenge of the Fallen plagte. Wenn digitaler Jaeger auf digitalen kaiju trifft, wird im nächtlichen Regen – bei zusätzlich verdunkelndem, mehrwertlosen 3D-Effekt – nur selten klar, wer wem grad welche Extremität abgerissen hat. Ohnehin ist die Choreografie der Kämpfe grenzwertig dämlich, wenn beispielsweise nach ollem Gekloppe als letztes Mittel ein ausfahrbares Schwert herhalten soll, mit welchem der Gegenüber geköpft wird. Dass dies die letzte und nicht die erste Attackenwahl darstellt, ist sinnbildlich. Bei derartigen Taktiken verwundert es nicht, dass die Menschheit am Rande der Auslöschung steht.

Die exorbitante Länge von über zwei Stunden – die mit dazu dient, die blassen Figuren einzuführen – setzt dem Ganzen dann die Krone auf. Wieso sich Pacific Rim selbst so viele Probleme bereitet, verwundert. Am Ende trägt die simple Prämisse weder die verkomplizierte Handlung, noch vermögen die versteift-vertieften Klischee-Charaktere Sympathien zu erzeugen. Als kurzweilige Fantasy-Action versagt der Film somit ebenso wie als vielschichtige Renaissance des Monsterfilms. Wirklich schade ist es am Ende lediglich um Guillermo del Toro, der sich in diesem Kuddelmuddel irgendwie nicht so recht wiederfinden will und dem man nur wünschen kann, sich alsbald mit einer zweiten Chance hiervon zu rehabilitieren.

5/10

6. Juli 2013

Journey

Der Weg ist das Ziel.
(Konfuzius, *551 B.C. †479 B.C.)

Die Videospiel-Welt von heute ist ähnlich gestrickt wie auch die der Filmlandschaft: Nutzer und Kunden erwartet ein Einheitsbrei. Zuletzt wurde bereits bei The Last of Us von mir kritisiert, dass der Atmosphäre des Spiels viel dadurch genommen wird, weil es sich zu sehr auf Stealth- und Shooter-Elemente konzentriert. Mehr Mut zum originellen Individualismus hatte ich gefordert, wie man ihn von Team Ico kennt. Oder eben von thatgamecompany. Der unabhängige Spielenentwickler warf bereits 2009 mit Flower ein ungewöhnliches Spiel auf den Markt, in dem man in einem Pflanzentraum Blumenblätter mit dem Wind lenkt. Lob von allen Seiten gab es auch im Vorjahr für ihr einzigartiges Erlebnisspiel Journey.

Dieses ist ähnlich wie zuvor Flower oder flOw relativ simpel gehalten. Man spielt eine Figur im roten Burka-Umhang ohne Namen oder sonstige Eigenschaften, mit ihren leuchtenden Augen als prägnantestem Merkmal. Ausgesetzt in einer Sandwüste gilt es, sich zu einem Tempel am Horizont zu begeben, aus dem ein Lichtstrahl gen Himmel schießt. Die Wüste selbst ist lediglich bevölkert von Ruinen, mit Runen verzierten Steinen sowie hier und da fliegenden Tüchern. Gelegentlich trifft man eine andere, ebenfalls in roter Burka gekleidete Figur – oder auch nicht. Abhängig davon, wie viele andere Spieler außer einem selbst ebenfalls aktuell online sind. Gemeinsam oder allein macht man sich dann auf den Weg.

Mehr gibt es nicht. Keine Gegner oder Endbosse, keine Waffenupgrades. Findet man gelb leuchtende Symbole, lässt sich ein Schal am Rücken der Burka verlängern. Mit diesem kann man über kurze Strecken fliegen. Je länger der Schal, desto länger dauert der Flug an. Zudem gibt es steinerne Wandteppiche zu entdecken, die von der Vorgeschichte der Handlung erzählen und über die einen auch eine mysteriöse, in weiß gekleidete Gestalt an Zwischenstationen informiert. Ähnlich wie bei dem Begleiter kann man diese Symbole und Wandteppiche suchen – muss es aber nicht. Alles drei steigert jedoch das Spielvergnügen ungemein, welches mit circa zwei Stunden verhältnismäßig kurz ist. Das sich aber vollkommen lohnt.

Denn Journey ist kein Game, das man spielt, sondern eines, das man erlebt. Das einen fasziniert, mitreißt und emotional ungemein stimuliert. Was erneut umso erstaunlicher gerät, da es so simpel gehalten ist. Während The Last of Us die Figuren Comics finden und ewig diskutieren lässt, um ihnen etwas mehr Tiefe zu verleihen, reduzierte Schöpfer Jenova Chen sein Spiel auf das Rudimentärste: die Humanität seiner Spieler. Trifft man einen anderen Spieler, kann man mit diesem lediglich mittels einer Art Sonarschreis kommunizieren. Und dennoch funktioniert die Kommunikation. Oder auch nicht. Wird per Missgeschick der Schal des Begleiters versehentlich gekürzt, fühlt man sich entsprechend schlecht.

Die Identität des anderen Spielers wird dabei bis zum Ende des Abspanns geheim gehalten. Oftmals ist man in einem Durchgang auch weitaus mehr Spielern begegnet als man gedacht hat. Das Zusammenspiel mit seinem Gegenüber hebt das Erlebnis nochmals auf eine andere Ebene. So geht Multiplayer speziell. So geht Videospiel allgemein. Die grandios animierte Szenerie tut dazu ihr Übriges. Egal ob der Sand gelb oder pink ausfällt, er glitzert, funkelt und badet im Licht der Sonnenstrahlen. Traumhaft ist jene Episode, in der man im Sonnenuntergang durch eine Ruinenstadt rutscht. Aber auch eine spätere Schneelandschaft zeigt die Qualität des Spiels sowohl in visueller als auch in narrativ-logischer Hinsicht deutlich auf.

Abgerundet wird dies durch die kongeniale Musik von Austin Wintory, die die jeweiligen emotionalen Momente passend unterstreicht. Das Einzige, was man Journey vorwerfen könnte, wäre seine kurze Spielzeit. Aber auch nur, weil man sich als Spieler nach noch einem Level sehnt, noch mehr Zeit mit seinem Partner, noch mehr von diesem Erlebnisrausch der in der Videospiellandschaft seinesgleichen sucht. Kaum einer dürfte Journey lediglich ein Mal durchspielen, hier gerät wiederum die kurze Spieldauer zum Vorteil. Jenova Chen und thatgamecompany sind folglich ein würdiger Nachfolger für das tolle Flower gelungen. Die Vorfreude auf das nächste Spiel ist somit groß. Wie die Gewissheit: Es wird kein Einheitsbrei sein.

10/10

1. Juli 2013

Filmtagebuch: Juni 2013

THE ABCS OF DEATH
(USA/NZ 2012, Xavier Gens/Ti West u.a.)
5/10

THE ABYSS [SPECIAL EDITION]
(USA 1989, James Cameron)

4/10

AMER
(F/B 2009, Hélène Cattet/Bruno Forzani)
1.5/10

BESTIAIRE
(CDN/F 2012, Denis Côté)
7/10

CHASING ICE
(USA 2012, Jeff Orlowski)
5/10

DJANGO UNCHAINED
(USA 2012, Quentin Tarantino)
6/10

DUST TO GLORY
(USA 2005, Dana Brown)
4.5/10

FANTASTIC FOUR
(USA/D 2005, Tim Story)
7/10

FANTASTIC FOUR: RISE OF THE SILVER SURFER
(USA/D/UK 2007, Tim Story)
6/10

FIGHT CLUB
(USA/D 1999, David Fincher)
4/10

THE HAPPENING
(USA/IND/F 2008, M. Night Shyamalan)
1/10

THE HOUSE OF THE DEVIL
(USA 2009, Ti West)
7/10

THE INNKEEPERS
(USA 2011, Ti West)
8/10

THE LAST STAND
(USA 2013, Kim Jee-Woon)
5.5/10

LOCKOUT
(F 2012, James Mather/Stephen St. Leger)
5/10

MAN OF STEEL
(USA/CDN/UK 2013, Zack Snyder)
4/10

PAWN STARS - SEASON 2
(USA 2009/10, Jairus Cobb u.a.)
7.5/10

ROOM 237
(USA 2012, Rodney Ascher)
2/10

SHORT CIRCUIT [NUMMER 5 LEBT!]
(USA 1986, John Badham)
6.5/10

SOUTHLAND TALES
(USA/F/D 2006, Richard Kelly)
8/10

STANLEY KUBRICK: A LIFE IN PICTURES
(USA 2001, Jan Harlan)
7.5/10

SUNSET BLVD. [BOULEVARD DER DÄMMERUNG]
(USA 1950, Billy Wilder)

10/10

SUPERMAN
(UK 1978, Richard Donner)
7.5/10

SUPERMAN II
(USA/UK 1980, Richard Lester)
4/10

SUPERMAN RETURNS
(USA 2006, Bryan Singer)
8/10

VEEP - SEASON 2
(USA 2013, Chris Addison u.a.)
7/10

V/H/S
(USA 2012, Ti West u.a.)
4/10

X-MEN: FIRST CLASS [X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG]
(USA 2011, Matthew Vaughn)

5.5/10

Werkschau: Stanley Kubrick


DAY OF THE FIGHT [KURZFILM]
(USA 1951, Stanley Kubrick)

7.5/10

FLYING PADRE [KURZFILM]
(USA 1951, Stanley Kubrick)

6.5/10

FEAR AND DESIRE
(USA 1953, Stanley Kubrick)
6.5/10

THE SEAFARERS [KURZFILM]
(USA 1953, Stanley Kubrick)

6/10

KILLER’S KISS [DER TIGER VON NEW YORK]
(USA 1955, Stanley Kubrick)

7/10

THE KILLING [DIE RECHNUNG GING NICHT AUF]
(USA 1956, Stanley Kubrick)

8.5/10

PATHS OF GLORY [WEGE ZUM RUHM]
(USA 1957, Stanley Kubrick)

8/10

SPARTACUS
(USA 1960, Stanley Kubrick)
7.5/10

LOLITA
(UK/USA 1962, Stanley Kubrick)
7/10

DR. STRANGELOVE OR:
HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB

(USA/UK 1964, Stanley Kubrick)
8/10

2001: A SPACE ODYSSEY [2001: ODYSSEE IM WELTRAUM]
(USA/UK 1968, Stanley Kubrick)

9.5/10

A CLOCKWORK ORANGE [UHRWERK ORANGE]
(UK/USA 1971, Stanley Kubrick)

7.5/10

BARRY LYNDON
(UK/USA 1975, Stanley Kubrick)
7.5/10

THE SHINING
(UK/USA 1980, Stanley Kubrick)
8/10

FULL METAL JACKET
(UK/USA 1987, Stanley Kubrick)
7/10

EYES WIDE SHUT
(UK/USA 1999, Stanley Kubrick)
9/10