Eigentlich kann man Disney-Filmen ebenso wenig vorwerfen, wie es bei Ghiblis möglich ist. Es handelt sich hierbei in den meisten Fällen um einfache Geschichten, oftmals konzentrierend auf eine weibliche, junge Protagonistin, in Interaktion mit Tieren oder Fabelwesen. Als Thematik werden oftmals moralische Handlungen gewählt, die den Kindern eine subtile moralische Richtung vorgeben, wie Respekt vor anderen Lebewesen oder Akzeptanz des eigenen Charakters, unabhängig vom Erscheinungsbild. Ironischerweise war Walt Disney selbst nicht der Heilige, für den man ihn halten könnte, betrachtet man seine Filme. Doch Disneys Persönlichkeit soll bei der Rezeption dieses Filmes keine Rolle spielen.
Alice’s Adventures in Wonderland erschien am 4. Juli 1865 in Großbritannien, verfasst von dem Mathematiker und Schriftsteller Charles Lutwidge Dodgson unter seinem Pseudonym Lewis Carroll. Sechs Jahre später erschien schließlich eine Art Fortsetzung mit dem Roman Through the Looking Glass. Beide Romane werden in den häufigsten Fällen von Verfilmungen zusammengelegt respektive ineinander verwoben, wobei das Schachspiel des zweiten Teiles eher selten eine thematische Zentrierung erfährt. Drei Jahre vor dem Druck von Alice in Wonderland unternahm Dodgson eine Bootsfahrt auf der Themse, gemeinsam mit Freunden. Hier erzählte er drei Mädchen eine fantastische Geschichte, eines dieser Mädchen hieß Alice Pleasance Liddell. Ihr widmete Dodgson zumindest Through the Looking Glass, auch wenn er stets abstritt, dass seine Alice auf Alice Liddell aufgebaut war.
Bis heute liegen 25 Verfilmungen von Carrolls Roman vor, die Disney Version von 1951 markierte den dreizehnten Film im Disney Kanon. Inszeniert wurde die Alice-Geschichte vom Regie-Trio Clyde Geronimi, Hamilton Luske und Wilfred Jackson, die gemeinsam auch die Regie bei anderen Disney-Filmen wie Cinderella oder Peter Pan übernehmen sollten. Ganze zehn Jahre dauerte die Planung für Alice in Wonderland und fünf Jahre wurden benötigt, um unter den Augen von Disney persönlich den Film schließlich fertig zu stellen. Als er schließlich in die Kinos kam, war der Film ein totaler Reinfall. Doch bereits in den sechziger Jahren erfreute sich das Werk schließlich einer größeren Beliebtheit und gilt heute trotz einiger schlechten Kritiken als eines der gelungensten Werke der Disney-Studios.
Viele andere Werke, wie Miyazakis Tonari no Totoro oder The Matrix der Gebrüder Wachowski wurden von Dodgsons Werk beeinflusst. Insbesondere Alice Eintritt in das Wunderland durch den Kaninchenbau bzw. der Verfolgung eines weißen Kaninchens ist heute zum Slangausdruck für Drogenerfahrungen geworden. Alice in Wonderland selbst gehört zu der literarischen Kategorie „Nonsens“, was Dodgson auch nie verleugnet hat. Seine Geschichte ist keine im eigentlichen Sinne, was Alice im Wunderland erlebt, hat weder Hand noch Fuß, keinen rechten Anfang, sowie keinen rechten Schluss und einen Sinn hat es gleich gar nicht. Nicht nur ist das Geschehen totaler Nonsens, auch was die Einwohner des Wunderlandes von sich geben, ergibt in den wenigsten Fällen Sinn. Paradox ist hier nicht nur die Umgebung, sondern auch die Platzierung eines siebenjährigen Mädchens in das Ganze.
„Wenn ich ein Wort verwende“, erwiderte Humpty Dumpty ziemlich geringschätzig, „dann bedeutet es genau, was ich es bedeuten lasse, und nichts anderes.“ - „Die Frage ist doch“, sagte Alice, „ob du den Worten einfach so viele verschiedene Bedeutungen geben kannst“. - „Die Frage ist“, sagte Humpty Dumpty, „wer die Macht hat - und das ist alles“ [Through the Looking Glass, S. 99]. Hierbei handelt es sich nur um eine von verschiedenen Passagen, in welchen Dodgson mit der Logik spielt. Der Mathematiker versteht es, auf geschickte Weise sein Wissen so in die Handlung einzugliedern, dass Alice in Wonderland, ebenso wie Through the Looking Glass zu Klassikern für Mathematiker geworden sind. An sich sind die Alice-Geschichten ohnehin vielmehr für Erwachsene denn Kinder gedacht, da in den Büchern nicht nur ständig verqueres Zeug geredet wird, sondern die Figuren des Wunderlands mit Alice auch äußert rabiat umgehen. „Wie diese Viecher einen immer herumkommandieren und einen Sachen aufsagen lassen!“, dachte Alice [Alice in Wonderland, S. 130], und in der Tat wird Alice besonders in Wonderland ständig von den Einwohnern stillos herumkommandiert und in den meisten Fällen auch beleidigt. Da ihre Logik nicht mit der ihrer Umgebung funktionieren will, wird ihr häufig ihre Beschränktheit und Dummheit vorgeworfen („Du solltest dich schämen so dumme Fragen zu stellen“, meinte der Greif; Alice in Wonderland, S. 119). Für Kinder selbst ist die Handlung wohl schwer nachzuvollziehen.
Eher lassen sich die Alice-Geschichte als subtilen Seitenhieb auf die damalige Gesellschaft verstehen, in der Kindern in der Schule aufgetragen wurde, ständig irgendwelche Gedichte auswendig rezitieren zu können, weswegen auch die Einwohner des Wunderlandes Alice jedes Mal ein solches Gedicht aufsagen lassen. Sie selbst reden währenddessen sinnloses Zeug, dem Alice als Siebenjährige schwerlich folgen kann, ähnlich wie es einem Kind schwer fällt, den Gesprächen von Erwachsenen zu lauschen. Fragt Alice schließlich nach, wird sie von oben herab betrachtet und ihr ihre eigene Einfältigkeit vorgeworfen. Zudem gelingt es dem Mädchen ziemlich oft, die Geschöpfe des Wunderlandes vor den Kopf zu stoßen, die zumeist beleidigt reagieren und gekränkt Abschied nehmen.
Auch vor dem Königshaus macht Dodgson nicht halt und schildert die Herzkönigin während des Croquet-Spiels als (ironischerweise) herzlose Despotin, die Hinrichtungen en masse anordert, wenn ihr nicht nach dem Mund geredet wird. Alice selbst traut sich erst gegen die Königin auf zu gebären, als sie dieser körperlich überlegen ist. Von all diesen sozial-kritischen Komponenten und den logischen Spielereien findet man in der Disney-Version fast gar nichts mehr. Überraschenderweise fehlen auch Figuren wie Humpty Dumpty oder die Suppenschildkröte, während andere Figuren wie der Türknopf zur Handlung dazu erfunden wurden, in den meisten Fällen, um die Geschichte verständlicher zu machen. Mehr Raum bekommt auch die Grinsekatze, die seltsamerweise im Film Tigerkatze heißt und für eine total andere Wendung im Geschehen sorgt, als es in der Romanvorlage der Fall gewesen ist.
Die Tatsache, dass Disney die philosophischen Nischen der Vorlage aus seinem Film subtrahierte, spricht ebenfalls dafür, dass es sich bei den Alice-Geschichten schwerlich um Kinderbücher handelt, zumindest sind sie ungeeignet für Kinder in Alices Alter. Disney setzt stattdessen die Gewichtung auf die komischen Aspekte, nicht nur der Handlung, sondern auch der Szenerie. Dideldum und Dideldie verkommen zu Spaßmachern, ihre Geschichte vom Walross und dem Zimmermann durch die Adaption der Mär vom Mäusefänger von Hameln zur Lehrstunde („Geht nicht mit fremden Männern mit!“). Auch die Mittelpassage, die in Ansätzen dem fiktiven Jabberwocky-Gedicht entlehnt ist, ist typisch disneyscher Zeigefinger. Alice jammert und weint, sieht ein, dass sie niemals hätte weglaufen sollen und nun, da sie verirrt ist, am besten bleibt wo sie ist, bis sie jemand findet.
Die auftretenden Figuren sind ins Lächerliche gezogen, die gesamte Geschichte wird kindgerecht serviert und funktioniert als solche nur bedingt. Unterhaltsam ist das sicher für die Kleinen, erzählt aber nicht mehr eine - relativ - stringente Handlung, wie es Dodgsons Version tut. Statt in den schönen Garten gelangen zu wollen, rennt Alice in Disney Version ständig dem weißen Kaninchen hinterher, mit welchem es paradoxerweise auch mehrfach direkt interagiert. Zudem spricht sie zu Beginn des Filmes das Wunderland als solches auch noch direkt an, bevor ihre Katze Dina das weiße Kaninchen als erste (!) erblickt und somit die psychologische Frage nach der Existenz des Wunderlandes praktisch im Vergleich zum Ende respektive der Vorlage ad absurdum führt.
Weil Dodgsons Geschichte nicht wirklich Sinn macht, ist sie etwas schwer verdaulich, viel mehr Anschauungsobjekt, denn Märchen. Disney adaptiert zwar das verrückte Wunderland, beschränkt sich jedoch auf die Charakterisierung der Verrücktheit. „Du musst verrückt sein, sonst wärst du nicht hierher gekommen“, eröffnet die Grinsekatze Alice gegenüber [Alice in Wonderland, S. 78], und in gewissem Sinne hat sie durchaus Recht. Es ist Alice, die das weiße Kaninchen sieht und es ist Alice, die all den Einwohner begegnet, keines der Geschöpfe trifft direkt auf sie. Auch ihr Abenteuer hinter den Spiegeln spricht für ihre eigene Verrücktheit, auch wenn vielleicht Phantasie eine besser gewählte Bezeichnung wäre. Wie bereits angesprochen vernachlässigt Disney jedoch die Tiefgründigkeit der sinnlosen Vorlage, sodass die eigene zelebrierte Geschichte eine sinnlose ohne jede Tiefgründigkeit ist, weshalb sie letzten Endes scheitert, leidlich unterhält und Alice in Wonderland somit zu den schwächeren Disneys, zählt.
4.5/10
Ich finde die Playboy Version viel besser :)
AntwortenLöschenFrag mich nicht wieso, aber das wäre doch glatt was für Burton, rein aus visueller Sicht. Da könnte sich der gute Herr nach Herzenslust austoben. Wäre imho interessant.
AntwortenLöschenMit Sigourney Waver als die Königen der Karten.
AntwortenLöschenPlayboy Version mit der Weaver? :0
AntwortenLöschen@kaiser: Ich freu mich auch schon drauf *g*
Playboy Version war natürlich nicht mit der Weaver, die Playboy Version war ja ein richtiges Hardcore Filmchen.
AntwortenLöschenSigourney Weaver wäre nur meine Traumbesetzung bei einer Tim Burton Verfilmung.
Burtons Alice kommt 2009 in Motion Capture...
AntwortenLöschenNein, das glaub ich jetzt nicht. Das war nicht wirklich ernst gemeint, eher aus dem Bauch heraus. Und jetzt das. :-)
AntwortenLöschenDoch, doch. Der Stoff ist doch wirklich prädestiniert für Burton, ich habe schon öfter darüber nachgedacht. Und als das kürzlich bekannt wurde, na ja... ;)
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