17. April 2008

Vratné lahve

Eine Begrüßung setzt eine Verabschiedung voraus.

Das problematische, an Arthaus-Filmen ist, dass sie ausgesprochen wenig Kopien erhalten und in sehr wenigen Kinos nur eine äußerst befristete Zeit laufen. Das schöne an ihnen ist, dass es sich meistens um herausragende Filme handelt, die man quasi ganz sein eigen nennen darf, wenn man denn die Chance hatte, sie doch irgendwo zu erhaschen. In Hamburg oder Berlin dürfte es selten ein Problem sein, einen Arthaus-Film zu sehen, in einer Landeshauptstadt wie Stuttgart gab es dagegen nur ein einziges Kino, welches Jan Svěráks Vratné lahve (Leergut) zeigte. Erfreulicherweise zeigte auch eines meiner regionalen Kinos in einer „Filmkunst“-Reihe diese Woche dieses Werk an einem Abend, sodass es mir vergönnt war in dessen Genuss zu kommen. Svěrák erlangte internationalen Ruhm durch seinen oscarprämierten Film Kolja, der 1996 erschien und den Mittelteil in dessen Lebensalter-Trilogie darstellte, die 1991 mit Obecná Skola (Volksschule) begann und nun mit Vratné lahve zu Ende geführt wird.

Was alle drei Filme vereint ist das Drehbuch und das Schauspiel von Svěráks Vater, Zdeněk Svěrák, der maßgeblich für die Geschichten verantwortlich ist, auch wenn an Kolja Pavel Taussig mitschrieb. Alle drei Geschichten tragen autobiographische Züge von Svěrák Sr. und stellen dessen Wandel im Lebensalter dar. Mit Vratné lahve konnten die Svěráks noch mal eine Schippe auf ihren Erfolg mit Kolja drauflegen, das coming-in-age Drama avancierte zum erfolgreichsten tschechischen Film aller Zeiten und lockte bei zehn Millionen Einwohnern in der Tschechischen Republik zehn Prozent der Bevölkerung in die Kinos. Zdeněk Svěrák kehrt zum ersten Mal seit Kolja wieder auf die Kinoleinwand zurück und vereint sich dabei mit Daniela Kolářová, mit welcher er bereits 1978 in Kulový blesk und noch in drei weiteren Filmen gemeinsam spielte.

Erzählt wird die Geschichte des 69-jährigen Lehrers Josef Tkaloun (Zdeněk Svěrák), der in der deutschen Version aus unerfindlichen Gründen „Weberknecht“ mit Nachnamen heißt. Scheinbar wollte man dem deutschen Publikum einen tschechischen Nachnamen nicht zumuten, dies trifft nämlich auch auf die Nebenfiguren Řezáč (dt. Schneider) und Ptáčková (dt. Vöglein) zu. Aber die Deutschen beweisen mit ihren Übersetzungen ja immer wieder ihren verqueren Einfallsreichtum. Josef jedenfalls ist Lehrer, der schon lange den Verfall der Sitten bemängelt. Die Schüler grüßen ihn nicht mehr und im Unterricht unterbricht ihn ständig der Klassenclown. Solange bis Josef die Sicherung durchbrennt und er diesem den nassen Schwamm über dem Kopf ausdrückt. Da dies bereits zum vierten Mal passiert und der Vater des betreffenden Schülers ein Sponsor der Schule ist, zieht Josef die Konsequenzen und kündigt seine Arbeit, die ihn ohnehin seit langem nicht mehr befriedigt.

Zu Hause bei seiner pensionierten Frau Eliška (Daniela Kolářová) will er dann aber auch nicht den ganzen Tag herumsitzen, schließlich ist er ein „Grüßer“, jemand der seine Frau gerne grüßt, allerdings setze dies jedoch einen Abschied voraus. Sein erster Plan, Kurierfahrer zu werden, scheitert dann sehr schnell an Josefs schwachem Herz. Stattdessen nimmt er nach einem nachmittaglichen Einkaufsbummel mit seiner Frau einen Job in einem der Prager Supermärkte an. Für das Leergut ist er hier zuständig und lernt nicht nur seinen schweigsamen Kollegen mit dem bezeichnenden Spitznamen „Schwätzer“ (Pavel Landovský) und dessen Mitarbeiter am Reißwolf Mirek (Jan Budař) kennen, vielmehr baut Josef eine Beziehung zu den Stammkunden des Supermarktes auf. Für Josef stellt der Supermarkt eine Art Refugium dar, ein Relikt der alten Zeit, als man sich noch gegenseitig sagte, dass man gut aussah und wo man nach dem Verbleib der Kinder fragt und Smalltalk betreibt.

Josef ist ein Patriarch und ein Macho obendrauf. Er kommandiert seine Frau herum, der Gedanke den ganzen Tag mit ihr zu verbringen, ist ihm zuwider. Als seine Tochter Helenka (Tatiana Vilhelmová) von ihrem Mann verlassen wird, schreibt er ihr die Schuld dafür zu und spielt ihr Elend herunter. „Du bist nicht die erste Frau, die von ihrem Mann verlassen wird“, so ein lapidarer Kommentar. Später erkundigt er sich bei seinem Schwiegersohn sogar über dessen Sexleben, insbesondere da Josef selbst ein Schürzenjäger und Schwerenöter ist. An seiner Leergutannahme stiert er den Rockzipfeln anderer Frauen hinterher und hält sich die Möglichkeit einer Affäre mit seiner Ex-Kollegin offen. Verstärkten humoristischen Hintersinn haben seine erotischen Träume, in denen alle Frauen vorkommen, außer seiner eigenen. Dabei ist Eliška eine attraktive Frau, die sich sehr viel Mühe gibt, weiterhin für Josef attraktiv zu sein und zu wirken. Dieser nimmt sie aber nicht wahr, was die Ehe nach all den Jahren in eine gewisse Sackgasse treibt.

Mit seinem Film erzählt Jan Svěrák die Geschichte eines alten Mannes, der sich fremd in seiner Umgebung fühlt und sich nach Altbewährtem sehnt. Als er dies in der Leergutannahme wieder findet, ist er zum ersten Mal seit langem wieder glücklich, zwar ändert sich etwas für ihn, er selbst ändert sich jedoch nicht und damit ändert sich auch nichts für die Menschen in Josefs Umgebung. Seine Katharsis kommt am Ende etwas überraschend und unvorbereitet, doch merkt er schließlich, dass es ihm nichts bringt, in der Vergangenheit zu verharren, sondern dass er im Jetzt leben muss. Die darstellerischen Leistungen sind dabei über jeden Zweifel erhaben, besonders Svěrák und Kolářová heben sich hervor, werden aber von dem restlichen Cast bestens unterstützt. Mit einem Schmunzeln beobachtet man vereinzelt Svěrák, den man aufgrund seines Aussehens auch als tschechischen Sean Connery bezeichnen könnte. Svěrák erzählt seine Geschichte mit sehr viel subtilem Witz, der für die jüngere Generation wahrscheinlich nicht immer nachvollziehbar sein dürfte.

Jedoch ist Vratné lahve auch kein Film, der von seinen Machern auf diese Zielgruppe ausgerichtet ist. Svěrák Jr. kreiert sehr authentische, aus dem Leben gegriffene Szenen, die gerade wegen dm Zusammenspiel ihrer Figuren funktionieren. Über die meisten Strecken ist sein Film kein Drama, sondern eine reine Komödie, fokussierend auf Josef und seine stures Verharren in seinem machohaften Verhalten. Hin und wieder verliert sich der Film kurz in einer Nebenhandlung, fängt sich allerdings jedes Mal sofort wieder. An einer Stelle baut der Regisseur sogar eine amüsante Referenz zu seinem Erfolgshit Kolja ein, auch wenn diese sich scheinbar nicht vielen im Kinosaal erschlossen haben mag. Einziger richtiger Kritikpunkt ist wohl das Ende, welches sehr abrupt kommt respektive falsch gewählt ist. Hier wäre es besser gewesen ein, zwei Einstellungen früher zu enden, da das Resultat noch dasselbe, der Eindruck jedoch gelungener gewesen wäre. Dennoch einer der Filme des Jahres.

8.5/10

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