Inhaltsverzeichnis
1. When it was over, I’d never want another – Eine Einleitung
2. Going to the worst place in the world – Der Anfang der Mission
.... 2.1. Who’s in charge here? – Willard, der Antiheld
.... 2.2. Of flying cowboys and neocolonialism – Das Herz des Films
3. Penetrating deeper and deeper into the heart of darkness – Conradsche Elemente
4. He broke from them. And then he broke from himself – Der Blick in den Abgrund
.... 4.1. Turning into Kurtz – Wenn Film zur Realität wird
.... 4.2. I don’t see any method at all – Marlon Brando und das Finale
5. There are two of you, don't you see? – Die unterschiedlichen Filmfassungen
6. A fifth-grader in a third-grade world – Ein Fazit
1. When it was over, I’d never want another – Eine Einleitung
Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts überschatte ein Name ganz Hollywood: Francis Ford Coppola. Mit seinen beiden
The Godfather-Filmen war der Italo-Amerikaner zu Ruhm, Reichtum und Anerkennung gelangt. „In the eyes of the world Coppola was more than a genius; he was an auteur“, blicken Goodman und Wise auf jene Zeit zurück (Goodman/Wise, S. 211). Coppola war ohne Zweifel der König der Welt, versehen mit vier Oscarauszeichnungen innerhalb von drei Jahren. Von dem jungen, unerfahrenen Regisseur, der wenige Jahre zuvor quasi schon seines Amtes bei
The Godfather enthoben worden war, fand sich nun nichts mehr. Der Name Coppola stand für die Studiobosse stattdessen als Synonym für Erfolg und bescherte dem Regisseur „eine für Hollywood seltene kreative Autonomie“ (Weyand, S. 103). Was Coppola jedoch nicht ahnte, war, dass die nächsten Jahre eine Tortur und Achterbahnfahrt der Gefühle darstellen und ihn als veränderten Mann zurücklassen würden.
Zu Beginn des Jahrzehntes hatte sich Coppola mit seiner und George Lucas’ Produktionsfirma American Zoetrope ein Drehbuch von John Milius gesichert. Es war vorgesehen, dass George Lucas jenes Drehbuch unter dem Titel
Apocalypse Now als zweiten Spielfilm nach
THX-1138 umsetzen sollte. Nach den finanziellen Streitigkeiten mit Warner Seven versandete das Projekt und Lucas fokussierte sich zuerst auf
American Graffiti und schließlich auf
Star Wars. Es war Coppola, der sich letztlich erneut des Drehbuches annahm und begann es umzuschreiben. Was der Regisseur als locker leichtes Projekt im Pazifik erachtete, würde ihn drei zehrende Jahre seines Lebens kosten und beinahe in den Konkurs treiben. Nach 238 Drehtagen und 15 Monaten im philippinischen Dschungel sollte sich nicht nur das Budget des Filmes von geplanten 12 auf 30 Millionen Dollar aufblähen, sondern auch der Hauptdarsteller beinahe an einem Herzinfarkt sterben (vgl. Weyand, S. 104). Für die heimatlichen Medien stellte
Apocalypse Now somit noch vor dem Filmstart ein gefundenes Fressen dar, tituliert als „legend even before its lifetime“ (Adair, S. 143) und „cause celebre“ (Virgin Film Guide, S. 34).
2. Going to the worst place in the world – Der Anfang der Mission
Am 1. März 1976 brach Francis Ford Coppola zu den Philippinen auf, ohne über ein fertiges Drehbuch zu verfügen oder seine Hauptdarsteller gefunden zu haben. Die erste Zeit verbrachte er stattdessen damit, Spezialeffekte und Schlachten zu filmen. Essentiell für seinen Film war das militärische Ausstattungsmaterial, welches er von der amerikanischen Armee beziehen wollte. Als dieser Milius’ Skript vorgelegt wurde, empfand sie es als „a series of some of the worst things, real and imagined, that happened or could have happened during the Vietnam War“ (Suid, S. 310). Das Verteidigungsministerium lehnte somit die Mitarbeit ab, da es jegliche Unterstützung des Projektes als Zustimmung oder Anerkennung der Philosophie des Filmes verstanden hätte (vgl. Suid, S. 311). Später sollte Coppola nochmals ein Telegramm direkt an den damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter schicken, um erneut Hubschrauber und Material der Armee anzufragen (vgl. Suid, S. 313). Nicht nur bei den Amerikanern blitzte Coppola ab, auch die australische Regierung wollte „not a film-extra-agency“ darstellen und lehnte die Bitte des Regisseurs nach 10,000 Soldaten und 400 Hubschraubern brüsk an (vgl. Suid, S. 311).
Fündig sollte Coppola schließlich bei der philippinischen Regierung von Ferdinand Marcos werden. Gegen eine hohe Summe wurden der Filmcrew amerikanische Hubschrauber, Panzer und anderes Material zur Verfügung gestellt. Nur gelegentlich wurden die Hubschrauber wieder abgezogen, weil Marcos mit ihnen einige Rebellen in anderen Teilen des Landes bekämpfen musste (vgl. Weyand, S. 118). Nichtsdestotrotz war die Anzahl an Statisten, Hubschraubern und Booten von Seiten der Regierung enorm. „There were three or four countries in the world we could have taken easily“, scherzte Dick White, der Flugberater des Filmes (Goodman/Wise, S. 213). Inzwischen hatte Coppola auch seine beiden wichtigsten Darsteller gefunden. Nach einigen Querelen mit Steve McQueen wandte sich der Regisseur erneut an seinen Vertrauten, Marlon Brando, um die Rolle von Colonel Kurtz zu verkörpern. Für 3 Millionen Dollar Gage sicherte der Star zu, vier Wochen in die Philippinen zu fliegen. Die Hauptfigur des Captain Willard sollte der aufstrebende Harvey Keitel spielen. Keitel, ein Stadtjunge, hatte große Probleme mit den Dreharbeiten im Dschungel (vgl. Goodman/Wise, S. 214). Nach den ersten Wochen Drehzeit bemerkte auch Coppola, dass Keitels Präsenz im Film nicht wirklich funktionieren wollte. Infolgedessen wurde Keitel als Hauptdarsteller gefeuert, wie genau dies geschah, ist umstritten. Ob Keitel seine Entlassung tatsächlich über seinen Agenten erhalten hat, nachdem ihm niemand direkt die Entscheidung mitteilen wollte, sei dahingestellt. Unbestritten ist jedoch, dass der New Yorker froh war, dass er zurück in die Staaten durfte.
Ersatz war schnell gefunden. Bei einem Aufenthalt in Amerika traf sich Coppola kurz in einer Flughafenlounge mit Martin Sheen. Sheen, der bereits für die Rolle des Michael Corleone in
The Godfather vorgesprochen hatte, war aus zeitlichen Gründen gezwungen sein Engagement zuzusagen, ohne einen Blick in das Drehbuch werfen zu können. Zu diesem Zeitpunkt konnte Sheen noch nicht ahnen, worauf er sich genau eingelassen hatte. Nicht nur erwartete ihn beinahe der Tod, sondern die Dämonen des Projektes sollten ihn die nächsten Jahre hindurch in den Alkoholismus treiben. Mitverantwortlich dafür war mit Abstrichen auch Coppola selbst. Wie schon bei Keitel der Fall, so war der Regisseur auch mit Sheens Portraitierung unzufrieden. Um dem Schauspieler seine Rolle zu vergegenwärtigen, sperrte er ihn in ein Hotelzimmer ein und ließ ihn sich stundenlang betrinken. Dass diese Szene gefilmt wurde, hatte allein den Zweck, dass Sheen sich hinterher mit seiner Leistung auseinandersetzen konnte. Die finale Einbindung in den Film war ebenso wie einige andere Szenen eher von spontaner Natur. Wie so vieles bleibt auch die Hotelszene recht schwammig. Während Goodman und Wise berichten, dass Sheen derartig betrunken war, dass er unabsichtlich den Spiegel zerschlug und sich selbst verletzte (vgl. Goodman/Wise, S. 225), variieren die Berichte von einem geplanten Zerschlagen und einem unabsichtlichen aber bewussten Zerschlagen.
2.1. Who’s in charge here? – Willard, der Antiheld
Die ersten Minuten von
Apocalypse Now verdanken sich dem Zufall. Bereits die Einleitung des Filmes entstammt sprichwörtlich dem Mülleimer, als Coppola in der Nachbearbeitung Überflussmaterial des Napalmangriffs entdeckte. Unterlegt mit „The End“ von The Doors (mit deren Sänger Jim Morrison Coppola übrigens zusammen zur Filmschule gegangen war), der Überlappung der Hubschrauberrotoren und des Deckenventilator und mit dem Sheen-Material entstand eine ungewollte aber dennoch – oder gerade deswegen – eindringliche Anfangssequenz, welche Gabriele Weyand sogar als „beste des Regisseurs überhaupt“ lobt (Weyand, S. 105). Hier inthronisiert Coppola seine Titelfigur: einen desillusionierten und inhaltsleeren Willard (Martin Sheen), der in seinem Saigoner Hotelzimmer vor sich hin vegetiert und seine Bestimmungslosigkeit in Alkohol ertränkt. Eine Figur, die sich nur noch durch den Krieg definiert. „I wanted a mission. And for my sins they gave me one“, erklärt Willard zu Beginn, um als Erzähler seiner eigenen Geschichte gleich vorweg zu nehmen: „When it was over, I’d never want another“. Die Einführung der Figur sieht Hellman sogar „through the specific conventions of the hard-boiled detective formula“ (Hellman, S. 57). Der Ermittler, engagiert um eine Person ausfindig zu machen, sich dabei immer mehr sowohl im Fall an sich als auch in der zu findenden Person verlierend.
Was für ein Mensch Willard ist, wird früh klar. Und es ist nicht unbedingt ein guter Mensch. Als ihn zwei MP zu einem Briefing abholen kommen, ist seine erste Reaktion nach seiner Anklage zu fragen. Später gesteht Willard dem Publikum, dass er mindestens sechs Menschen umgebracht hat, nachdem ihn Colonel Lucas (Harrison Ford) beim Briefing zuvor quasi als militärischen Auftragskiller geoutet hat. Eine Bezeichnung, die Willard selbst so nicht unbedingt akzeptiert, korrigiert er Kurtz bei ihrer ersten Begegnung mit den Worten: „I’m a soldier“. Letztlich trifft Kurtz’ Definition durchaus die Wahrheit. Willard als Laufbursche soll eine Rechnung eintreiben. Coppola zeichnet Willard als ruhigen Menschen, der über seinen Auftrag meditiert und mit seiner Umwelt kaum korrespondiert. Die meiste Zeit des Filmes über sieht man Willard folglich alleine auf dem Patrouillenboot in das Militärdossier über Kurtz vertieft. Mit den anderen Mitgliedern seiner Einheit spricht Willard nur selten und nur dann wenn es nötig ist. Exemplarisch hierfür auch die Playmate-Szene in Hau Phat, wo Willard während der Show alleine und abseits seiner Männer steht. Sein wahres Gesicht zeigt er schließlich nochmals in der Sampan-Szene, wenn er nach der durch Cleans (Larry Fishburne) Überreaktion missglückten Kontrolle die vietnamesische Frau erschießt, um den Fortgang der Mission nicht zu gefährden. Seine Äußerung gegenüber Chief (Albert Hall), dass, hätte dieser nicht extra gestoppt, das Massaker nicht passiert wäre, spricht für Willards Loyalität und Linientreue gegenüber seinem Auftrag.
Essentiell für die Entwicklung der Figur sind dann das Briefing zu Beginn und das Dossier über Kurtz. Hier greift General Corman (G.D. Spradlin) bereits die Analogie der Geschichte vorweg, wenn er Willard erklärt, dass in jedem Herzen eine gute, rationale und eine böse, dunkle, irrationale Seite herrschen. „Every man has a breaking point“, lautet sein Fazit und letztlich sein Resümee bezüglich Kurtz’ Verhalten. Als trivialer Aspekt sei die Hommage an Coppolas Regiekollegen und Freunde George Lucas und Roger Corman angesprochen, nach denen die beiden Offiziere in der Briefing-Szene benannt wurden. In jenem Dossier erhält das Publikum gleichermaßen mit Willard die ersten Eindrücke von Kurtz. Ein Paradebeispiel eines guten Soldaten, in höchsten Ehren gehalten. „The more I read and began to understand the more I admired him“, offenbart Willard im Laufe des Filmes. Ein schmaler Grat für ihn und im Kern eine Gefährdung seiner Mission. Wie er erst später erfahren wird, wurde bereits vor sechs Monaten mit Captain Colby (Scott Glenn) ein anderer Soldat losgeschickt, um Kurtz zur Rechenschaft zu ziehen. Coppola impliziert sogar, dass es Chief war, der Colby damals den Fluss hochgefahren hat.
Für Willard wird die Identifizierung mit Kurtz – beide waren in Westpoint, beide unternahmen mehrere Touren in Vietnam, beide hassen nichts mehr als Lügen – zu einem gefährlichen Spiel. Nicht ohne Grund sah Milius’ ursprüngliches Skript vor, dass Willard am Ende des Filmes, wie schon Colby zuvor, Kurtz unterstützen würde. Kurtz ist die Konstante im Film, das scheinbar einzig greifbar Reale in diesem Fluss von Surrealität, dem Willard sich ausgesetzt sieht. „The thing I felt the most … much stronger than fear, was the desire to confront him“, bestärkt Willard immer wieder sein Begehren. Einer der Aspekte von
Apocalypse Now, der sehr stark an Joseph Conrads Novelle
Heart of Darkness angelehnt ist. Es ist nachvollziehbar, weshalb Lucas und Corman sich Willard für ihre Mission ausgesucht haben. Nachdem der Green Beret Colby gescheitert ist, wahrscheinlich aufgrund der Ähnlichkeiten gegenüber Kurtz, ist es naheliegend, einen prädestinierten Killer wie Willard - den mal losschickt, um die Drecksarbeit zu erledigen - auf Kurtz anzusetzen. Weshalb Willard letztlich an dieser Aufgabe scheitern muss oder zumindest scheitern wird, hebt der
Redux-Cut des Filmes von 2001 sehr ausführlich hervor. Eine These, die jedoch unter dem fünften Punkt, welcher sich eingehender mit den Unterschieden zwischen beiden Fassungen beschäftigt, genauer erörtert werden soll.
2.2. Of flying cowboys and neocolonialism – Das Herz des Films
Entgegen einer ausführlichen Vorstellung der Boots-Besatzung (ohnehin misslungen, wie in einer geschnittenen Szene zu sehen), schenkt Coppola den vier Männern zuerst lediglich eine kurze Einführung. Peu a peu wird Willard dem Zuschauer die Männer näher bringen, selbst wenn die erste Einstellung bereits nahezu ausreichend ist. Bezeichnend für die Charakterisierung ist eine singuläre Einstellung des Regisseurs. Beginnend mit Chef (Frederic Forrest), der ein Buch liest, schwenkt Coppola zu Mr. Clean, dem Teenager, ein Comic lesend, während sich der kalifornische Star-Surfer Lance (Sam Bottoms) aufs Sonnen beschränkt und Chief als Vater der Truppe das Boot lenkt. Nach der kurzen Vorstellung der Männer beginnt die eigentliche Mission, die kurz darauf zumindest im filmischen Sinne ihren Höhepunkt erreichen wird. Die schillerndste und in gewissem Sinne surrealste und doch beispielhafteste Figur, nicht nur für den Vietnamkrieg sondern auch für die Produktion von
Apocalypse Now, wird die Szenerie betreten und die nächsten 24 Minuten dominieren. Bei einem Angriff erwartet Willard und seine Truppe die Begegnung mit Lt. Colonel Kilgore (Robert Duvall) und mit ihm quasi der Wahnsinn dieses Krieges. Die gesamte Sequenz dient Coppola, der aufgrund der Verhinderung einiger Schauspieler selbst einen Kurzauftritt als Fernsehregisseur hat, für eine Anprangerung an die eigene Zivilisation. Weyand sieht Kilgore hierbei als „wandelndes Zitat der amerikanischen Kultur“ (Weyand, S. 116).
Kilgore ist ein wahres Geschenk und die Ambivalenz in Person. Eingeführt wird er von seinem Hubschrauber aus, der die bezeichnende Aufschrift „Death From Above“ trägt. Mit Stetson-Hut verkörpert er damit in der Tat einen „flying cowboy“ (Norris, S. 499). Nachdem er gelandet ist, stößt er auf die Unmenschlichkeit seiner Soldaten. Ein sterbender Vietcong verlangt nach Wasser. Kilgore brüskiert sich, wird beinahe handgreiflich und will dem niedergerungenen Feind aus seiner eigenen Flasche zu trinken geben. Die Szene verkehrt sich ins Absurde, wenn er abrupt abbricht – sogar das Wasser verschüttet -, nachdem er erfährt, dass Lance anwesend ist. Hatte er Willard zuvor noch hinsichtlich seiner Mission abgewiesen, ist er nun wieder ganz Ohr. Wie Lance stammt Kilgore aus Kalifornien und surft. Ein glücklicher Zufall oder Vorherbestimmung. Das abendliche Lagerfeuer verkommt dann zur doppelten Allegorie. Für seine Männer war es sich Kilgore nicht zu teuer, Bier und Barbecue einfliegen zu lassen. Eine Widerspiegelung der neokolonialistischen Thematik des ganzen Krieges: „The colonialist (or neocolonialist) never truely leaves home, he takes home with him, duplicating its values and artefacts whereever he settles“ (Adair, S. 155).
Ein sich wiederholendes Schema im Film, beispielsweise wenn Lance Wasserski fährt, während Clean “Satisfaction” von den Rolling Stones im Radio hört, während die vietnamesischen Bauern von der Bugwelle des Bootes ins Wasser geworfen werden. Aber auch ein sich wiederholendes Schema für die Filmproduktion selbst, wenn Coppola sich zu seinem Geburtstag eine Torte aus den Vereinigten Staaten einfliegen ließ (vgl. Goodman/Wise, S. 215) oder Kameramann Vittorio Storaro und andere italienische Crewmitglieder Essen aus Rom importieren ließen (ebd.). Für Kilgore stellt es lediglich eine Versorgung seiner militärischen „Familie“ dar. Als Willard zurück auf seine Mission zu sprechen kommt, erklärt ihm Kilgore, dass der ausgewählte Landeplatz haarig sei. Diesen Fakt lässt er sich von einem seiner Männer sogar bestätigen, der nicht müde wird, dies zu betonen. Es sei so haarig, dass man neulich sogar einen Mann dort verloren hätte. Zufällig wird erwähnt, dass die Wellen an jenem Landeplatz jedoch sechs Fuß hoch seien. Logischerweise wird Kilgore sofort hellhörig, auch da Lance anwesend ist. Warum man ihm dies nicht früher gesagt hätte, will er wissen und bekommt sein eigenes Mantra entgegengeschmettert. Es sei haarig. Doch Kilgores Entscheidung ist gefallen und mündet in einem der gelungensten Filmzitate aller Zeiten: „Charlie don’t surf!“. Hier ist er wieder, der Neokolonialismus.
Was folgt ist jene Szene, für die
Apocalypse Now im Gedächtnis geblieben ist und in die Filmgeschichte einging. Natürlich eingeleitet vom Kavallerie-Horn, die Surfbretter an die Hubschrauber neben die Maschinengewehre platziert, hebt das Geschwader des „fliegenden Cowboys“ ab. Die 14-minütige Walküre-Szene beanspruchte siebeneinhalb Wochen Drehzeit, resultierte in unglaublichen 130.000 Fuß Filmmaterial und beinhaltet „168 Einstellungen in 10,5 Minuten“ (Darmstädter, S. 41). Eine mehr als imposante Szene, virtuos inszeniert und photographiert, ihren Ausgang in dem überwältigenden Napalmangriff findend. Wenn man den Cuttern um Walter Murch glauben darf, wurde derartig viel in die Luft gesprengt, dass man daraus einen eigenen Film hätte schneiden können. Doch erneut bildet die Szenerie nur den Auftakt für die beeindruckende Leistung von Robert Duvall. Nochmals portraitiert Coppola dessen unwahrscheinliche Ambivalenz. Nachdem er einer vietnamesischen Mutter mit ihrem Kind einen Platz in seinem Hubschrauber sichert, zwingt er zwei seiner Soldaten quasi dazu, noch während des Gefechtes ins Wasser zu steigen und zu surfen. Es ist lediglich der Napalmangriff, der Lance vor demselben Schicksal bewahrt. Zugleich bietet die Szene noch den Auftakt für Duvalls vielleicht größte Szene in seiner Karriere. „I love the smell of napalm in the morning“, schwadroniert er und ergänzt, „it smells like victory“. Hier findet das Thema des hoch technologisierten Krieges ein kurzes aber prägnantes Echo.
3. Penetrating deeper and deeper into the heart of darkness – Conradsche Elemente
Joseph Conrads Novelle
Heart of Darkness von 1899 bildete die Basis für
Apocalypse Now, selbst wenn Conrad im Abspann keine Anerkennung erfährt. Basierend auf seinen eigenen Erlebnissen im Kongo erzählt Conrad von dem Seemann Marlowe, der im afrikanischen Dschungel auf die Suche nach dem Elfenbeinhändler Kurtz ging. Der gebürtige Pole behandelte zwei Themen in seiner Novelle. Auf der einen Seite, wie man sich denken kann, den Kolonialismus der europäischen Großmächte – in diesem Fall Großbritannien. Auf der anderen Seite impliziert seine Geschichte „a universal darkness in man“ (Hellman, S. 70). Die äußerliche Ähnlichkeit zu Coppolas bzw. Milius’ Werk ist gering, die innere dafür umso größer. Marlowe wird nicht geschickt, um Kurtz zu töten und letzterer stirbt schließlich auch durch die Hand eines Dritten. Zudem ist die Surrealität der Geschichte eher von rationaler Natur – ein Engländer zum ersten Mal in Afrika -, als dass ihr surreale Elemente wie in Coppolas Film inne wohnen. Identisch ist jedoch die Faszination der Titelfigur an Kurtz und dessen Korruption durch seine eigenen Dämonen.
Einige Elemente des Buches finden sich in
Apocalypse Now sogar direkt wieder, zum Beispiel jener Aspekt, dass Marlowe Kurtz zuerst lediglich über das Hören kennenlernt. Es sind die positiven Stimmen, die Marlowe ein Bild dieses Mannes geben. „[Kurtz] was just a word for me. I did not see the man in the name any more than you do“, schreibt Conrad auf Seite 27 und später dann: „I made the strange discovery that I had never imagined him as doing, you know, but as discoursing. (…) The man presented himself as a voice” (Conrad, S. 47). Demgegenüber steht dann die grandios geschrieben Erzählstimme von Michael Herr für Willard, wenn dieser Sätze äußert wie: „I couldn’t connect up this voice with this man“. Hinsichtlich des Verlaufs von
Apocalypse Now beginnt sich das Rad der Geschichte zurück zu drehen. Mit jeder neuen Station verlässt das Patrouillenboot mehr und mehr die Zivilisation und reist praktisch, noch deutlicher im
Redux-Cut, in die Vergangenheit (vgl. Weyand, S. 108). „Going up that river was like travelling back to the earliest beginnings of the world“ (Conrad, S. 33). Genauso wie der Film spielt auch Conrad mit dem Bild, das er von Kurtz evoziert. Während Marlon Brando lediglich im letzten Sechstel des Filmes auftaucht, begegnen sich auch Marlowe und Kurtz erst, als bereits Dreiviertel der Geschichte erzählt wurden.
Was somit beide Geschichten eint, ist speziell der Wandel, den die Figur von Kurtz als Surrogat für die gesamte westliche Zivilisation erfährt. „He broke from them. And then he broke from himself“, lautet Willards Erklärung für das Verhalten des Abtrünnigen. Letztlich verkörpert Kurtz jenes westliche Ideal (sei es das Britische oder das Amerikanische), welches durch den Krieg und (Neo-)Kolonialismus korrumpiert wurde. „Kurtz (..) sees his own perversity as the interiorization of the perversity of the war“ (Norris, S. 498). Wenn man so will, stehen Willard, Kilgore und Kurtz exemplarisch für den Verlauf der USA während bzw. durch den Vietnam Krieg. Willard wie Marlowe verkörpern die alten Ideale, eine Idee des sauberen und gerechten Amerika. Durch das Bleiben auf dem (moralischen) Pfad, sichert man sich seine innerliche Ehrlichkeit. Dieses altruistische Bild der Demokratieverfechter des Zweiten Weltkriegs ist de facto nicht mehr präsent. An diese Stelle ist nunmehr Kilgore getreten, der Repräsentant des gegenwärtigen Amerika. Er verkörpert den Yankee, den Cowboy, der mit Stetson-Hut und Surfbrett Barbecue-Grills und Bier importiert. Kurtz hingegen stellt die Bedrohung des baldigen Amerika dar. Eine in der eigenen Dunkelheit verlorene Seele. „I think [the darkness] had whispered to him things about himself which he did not know, things of which he had no conception till he took counsel with great solitude – and the whisper had proved irresistibly fascinating“, fasst Conrad Kurtz’ Wandel in einem Satz zusammen (Conrad, S. 57).
4. He broke from them. And then he broke from himself – Der Blick in den Abgrund
Nach der Kilgore-Episode erwartet das Patroiullenboot ein Zwischenstopp auf der Basis Hau Phat. Das umfangreiche Set wusste seine eigene Geschichte zu erzählen und war unter anderem mitverantwortlich für die Explosion des Budgets, als es nach dem Einfall des Hurrikans „Olga“ im Grunde vollständig zerstört und wieder aufgebaut wurde (vgl. Weyand, S. 103f.). Coppola nutzte die Zeit, um sechs Wochen in die USA zu fliegen, um dort ein Ende für seinen Film zu finden. Zu diesem Zeitpunkt war der Regisseur bereits derart fertig mit den Nerven, sodass er sogar vom Tod sprach. Drehbuchautor John Milius wies er an, dass wenn er, Coppola, sterbe, Milius selbst die Regie für den Film übernehmen müsste. Sollte auch Milius sterben, würde die Regie an George Lucas fallen (vgl. Goodman/Wise, S. 223). Welch bittere Ironie, dass im Verlauf der Dreharbeiten beinahe tatsächlich jemand gestorben wäre. Eines Tages erlitt Martin Sheen während des Joggens einen Herzinfarkt (vgl. Weyand, S. 103f., sowie Goodman/Wise, S. 232). Er schleppte sich in einen Bus und konnte schließlich von Produktionsdesigner Dean Tavoularis gefunden werden. Um den Gesundheitszustand von Sheen soll es so schlecht gestanden sein, dass ihm ein herbeigeholter Priester bereits die Absolution erteilt hatte (vgl. Cowie, S. 200).
„Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein“, schrieb Friedrich Nietzsche in
Jenseits von Gut und Böse. Ein Aphorismus, der begann
Apocalypse Now zu überwältigen, sowohl im Film, als auch auf dem Set. Als Mitte des Filmes fungiert die Szene an der Do Lung Brücke – praktisch dem Rubikon von Vietnam. Jede Nacht bauen die amerikanischen Soldaten diese Brücke auf, bevor sie um 8 Uhr Morgens vom Vietcong wieder zerbombt wird. Diese Sysyphus-Arbeit dient dem alleinigen Zweck, behaupten zu können, dass der Weg nach Kambodscha frei sei. Dabei ist es lediglich der Vietcong, der sich der Brücke überhaupt bedient. Für Coppola selbst stellte jene Sequenz eine Allegorie auf Dantes Inferno dar. Das Dunkel der Nacht wird lediglich von gelegentlichen Scheinwerfern, Explosionen, Feuern oder einer Lichterkette durchbrochen. Von allen Seiten ertönen Schreie und als sich das Patrouillenboot der Brücke nähert, stürmen amerikanische Soldaten mit gepackten Koffern aus dem Ufer ins Wasser, um mitgenommen zu werden. „You’re in the asshole of the world, Captain“, ruft Willard ein Offizier zu, nachdem er ihm eine Erweiterung des Dossiers zukommen ließ und im Dickicht verschwand. Gemeinsam mit Lance, vollgedröhnt mit LSD und seinem Hundewelpen in der Brusttasche, macht sich Willard auf, um den Befehlshabenden Offizier ausfindig zu machen. Wieso wird nicht klar und der Sinn und Zweck der Szene ist auch vielmehr der sinnlose Wahnsinn zweier ungeordneter Parteien, sie sich unentwegt beschießen. Als Willard einen Soldaten schließlich fragt, wer nun der Befehlshabende Offizier sei, erhält er die bezeichnende Gegenfrage: „Nicht Sie?“.
Wie in den anderen Szenen stellt auch die Do Lung-Sequenz nur ein Spiegelbild der amerikanischen Bestrebungen in Vietnam dar. „The river journey (…) takes the detective and viewer, not through Vietnam as a separate culture, but through Vietnam as the resisting object of a hallucinatory self-projection of the American culture“ (Hellman, S. 70). Hier wird der Vietnamkrieg als ein sinnloses Gefecht dargestellt, welches auf Kosten des eigenen Verstandes ausgefochten wird. Auch die folgende Szene beinhaltet einen weiteren Kritikpunkt und zwar der des jungen Soldaten. In der geschnittenen Szene der Besatzungsvorstellunug erklärt Chief gegenüber Willard, dass Mr. Clean heißt wie er heißt, weil er sehr sauber und ordentlich sei. Passender ist jedoch die Interpretation von Greiff: „Clean (…) is in truth only a child, innocent as his name implies and not yet old enough (…) for valid moral choice“ (Greiff, S. 489). Mit der Situation eines Krieges kann der 17-Jährige (noch) nicht entsprechend umgehen. Dies äußert sich in seiner überhasteten Erschießung der Sampan-Besatzung und letztlich auch in seinem eigenen Tod. „Clean’s special role in the film, is as every war’s victimized infant – victimized in his pathetic death and even victimized in his pathetic killing of others.“ (Greiff, S. 489). Wenn Coppola den Tod des Teenagers schließlich simultan zu den Anweisungen seiner Mutter (im Übrigen ist hier Fishburnes eigene Mutter zu hören), sich vor den Kugeln in Acht zu nehmen und gesund nach Hause zu kommen, abspielen lässt, bedarf es für die Figuren keiner trauernden oder anklagenden Worte mehr.
4.1. Turning into Kurtz – Wenn Film zur Realität wird
Während der Film unweigerlich auf sein Finale zusteuerte – in einer weiteren direkten Conrad-Referenz scheidet auch Chief noch aus dem Leben -, hatte Coppola mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Nicht nur befand er sich bereits viel zu lange im philippinischen Dschungel, sondern sein Budget wuchs auf fast schon astronomische Ausmaße an. Aus den eingeplanten zwölf Millionen Dollar wurden dreißig und ein Großteil stammte aus Coppolas eigener Tasche.
Apocalypse Now wurde im Laufe der Jahre zum heißen Eisen, an dem sich niemand die Finger verbrennen wollte. Die Verzögerungen bei den Dreharbeiten sorgten dafür, dass man in der Heimat bereits zynisch von
Apocalypse Never scherzte. Für die enormen Kosten war Coppola jedoch selbst verantwortlich. Nicht nur bezahlte er der philippinischen Regierung Unsummen für deren Militärapparat, sondern mit Geld wurde allgemein nicht sonderlich gegeizt. Ähnlich wie Kilgore ließ es sich der Oscarpreisträger nicht nehmen, Steaks, Wein und Klimaanlagen aus Amerika einfliegen zu lassen, um den Aufenthalt im Dschungel so angenehm wie möglich zu gestalten. Es wurde bereits erwähnt, dass er sich zu seinem Geburtstag eigens eine Torte importieren ließ und auch die Bestellungen von Vittorio Storaro und den anderen Italienern am Set wurden angesprochen. Letzterer Fall ist exemplarisch für die Ausuferung des Budgets, denn jene Würste und andere Lebensmittel, die Storaro und Co. für $700 aus Rom orderten, kosteten im Nachhinein mit Versand und Zollgebühren ganze $8,000 (vgl. Goodman/Wise, S. 215).
Identifizierte sich Coppola zu Beginn noch mit Willard, wandelte sich dies im Laufe der Drehzeit. „He was turning into Kurtz“, hielt Coppolas Ehefrau Eleanor in ihrem Tagebuch fest (vgl. Weyand, S. 118). Der Italo-Amerikaner verlor sich inzwischen immer mehr in seinem Projekt. „My film is not (…) about Vietnam. It
is Vietnam“, erklärte er (Weyand, S. 119; Herv. d. Verf.). Die Surrealität des Filmes nahm überhand. In einigen Szenen verwendete man echte Leichen, denn diese waren „less costly than dummies“ (vgl. Goodman/Wise, S. 216). Erinnerungen an den Pferdekopf in
The Godfather werden wach. Immer wieder improvisierte Coppola während der Dreharbeiten, hielt sich schon lange nicht mehr primär ans Drehbuch, sondern filmte was ihm gerade einfiel. So erklärt sich die vielfache Verwendung der Rauchbomben, an deren Farben sich Coppola, Storaro und Tavoularis immer wieder ergötzten oder die Einbindung von Lance, der mit einem Pfeil im Kopf Chief zu Grabe trägt. Alles stets unter der Prämisse, dass der Regisseur keine Ahnung hatte, wie oder wann der Film enden sollte. Dies führte zur nur halb im Scherz geäußerten Bemerkung an Frederic Forrest, dass dieser nie wieder nach Hause kommen würde. Teilweise verbrachte Coppola seine Abende jammernd und den Tränen nahe, schier verzweifelnd an dem Projekt, dass er als seinen persönlichen Niedergang sah. Lediglich eine Affäre, die er auch nach den Dreharbeiten noch aufrecht erhielt, wusste seine Laune kurzzeitig zu bessern. Was Coppola inzwischen in
Apocalypse Now betrieb, war
filming by doing.
4.2. I don’t see any method at all – Marlon Brando und das Finale
Die Aussichten des Filmes wurden nicht besser. Marlon Brando kündigte sich an, um innerhalb von vier Wochen für drei Millionen Dollar seine Rolle als Kurtz zu spielen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Coppola immer noch keine Vorstellung davon, wie das Ende des Filmes aussehen würde, geschweige denn die Szenen mit Brando. Als dieser eintraf, verschlimmerten sich Coppolas Befürchtungen. Seit der Regisseur den Star das letzte Mal gesehen hatte, war dieser noch dicker geworden. Brando war von einer derartigen Fettleibigkeit gezeichnet, dass es dem Hollywood-Star schon selbst peinlich war. Während der ersten Tage war an Drehen nicht zu denken, da Brando sich weigerte, den Ideen von Coppola Folge zu leisten. Stattdessen verbrachten die beiden Männer die Tage damit, über Termiten zu diskutieren, während die Produktion stillstand. Erst als Brando
Heart of Darkness gelesen hatte, konnte das Drehen weitergehen. Infolge seiner Fettleibigkeit wurde der Star größtenteils nur bis zu seinem Schultern gefilmt, während für die anderen Szenen ein Körperdouble einsprang. An ein Drehbuch war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu denken, es war praktisch nicht mehr existent. Stattdessen improvisierte Brando seinen Text die meiste Zeit, so stammt im Grunde sein kompletter erster Dialog mit Willard vollkommen von ihm selbst.
Das zeitliche Problem mit Brando war zugleich ein finanzielles. Sollte man seine Szenen nicht in den vertraglich vorgeschriebenen vier Wochen abgedreht haben, müsste man für jede zusätzliche Woche nochmals Millionenbeträge ausgeben. Teilweise wurde stundenlang von Brando improvisiert, woraus in der Post-Produktion halbwegs zusammenhänge Monologe geschnitten werden mussten. Grundsätzlich ist die Besetzung des übergroßen Kurtz mit dem übergroßen Brando sichtlich gelungen. Die Eigenheiten des enfant terrible verzeiht man ihm, wenn man zu Schätzen lernt, was er hier erschaffen hat. Auch die improvisierten Dialoge des Schauspielers sind von einer pointierten Präzision, die sich ganz in den Dienst der Surrealität des Filmes stellt. Lediglich die Conradsche Übernahme der finalen Worte („The horror. The horror.“) will im Film selbst nicht so recht passen, da der Kontext von Kurtz hier etwas differenzierter ist als in
Heart of Darkness. Dennoch verkommt Colonel Kurtz zu einer von Brandos imposantesten Figuren, die sich vor Vito Corleone oder Terry Malloy nicht zu verstecken braucht. Für die Brando-Szenen gilt ebenso wie für einige andere Einstellung speziell, jedoch ohnehin für den Film allgemein, dass Storaro hier eine grandiose und beeindruckende Leistung abgeliefert hat. Sein Licht- und Schatteneinsatz stellen sich ganz in den Dienst der Handlung.
Erst kurz vor knapp fand
Apocalypse Now sein heutiges Ende. Nach eigenen Angaben hatte Coppola um die 500 Entwürfe im Laufe der Zeit skizziert und alle verworfen. Letztlich verdankte der Film sein Finale Dennis Jakob, sowie der Dokumentation von Eleanor Coppola. Jakob, ein Kommilitone und Freund Coppolas von der Filmhochschule, hatte einst an einem Kurzfilm über James George Frazers
The Golden Bough gearbeitet und den Film als Lektüre für Kurtz im Film nahegelegt. Jenes mythische Buch, in dem ein König getötet wird, damit dessen Nachfolger als neuer König für einen Neuanfang stehen kann, inspirierte Coppola letztlich zu den finalen Minuten, die für Kurtz und Willard ein Ende und zugleich einen Neuanfang darstellen sollten. Als Coppolas Frau Eleanor mit Aufzeichnungen von der rituellen Opferung eines Wasserbüffels durch das eingeborene Volk der Ifugao heimkehrte, offenbarte sich dem Regisseur jene Verbindung zwischen Zeremonie und Mord, die sich auch in anderen Werken (z.B.
Cotton Club) finden würde. Das Ende war gefunden, der Film abgeschlossen. Anstatt Willard zum neuen König verkommen oder Kurtz’ Lager in die Luft sprengen zu lassen, begnügte Coppola sich mit einem relativ friedlichen Schluss und der Rückkehr von Willard und Lance in die Zivilisation. Doch das Ende der Dreharbeiten bedeutete noch lange nicht das Ende des Filmes. Die Nachproduktion sollte ebenfalls zu einem länger währenden Prozess werden, in welchem das, was man als „Film“ bezeichnen konnte, sich noch herauskristallisieren musste.
5. There are two of you, don't you see? – Die unterschiedlichen Filmfassungen
Schon bald nachdem man
Apocalypse Now abgedreht hatte, verschob man den Starttermin. Zu diesem Zeitpunkt war der Film bereits ein Jahr überfällig und es wurde begonnen Immobilien von Coppola aufgrund seiner Verschuldung zu pfänden (vgl. Goodman/Wise, S. 257). Als Walter Murch 1977 zum Schnitt des Filmes dazu stieß, gestand er: „there was only a 20 per cent chance [I] could pull off the film“ (Cowie, S. 100). Coppola hatte einfach drauf los gefilmt, viele Szenen ergaben keinen Sinn, erklärten ihren Kontext nicht. Murch empfahl eine Erzählstimme einzubauen, die sogar im ursprünglichen Skript von Milius vorgesehen war. Im selben Jahr holte man Michael Herr an Bord, der mit seiner Aufsatz-Sammlung
Dispatches über den Vietnam-Krieg zuvor für Aufsehen gesorgt hat (vgl. Cowie, S. 105). Schließlich sind es zu einem Großteil Herrs brillante Monologe, die den fertigen Film zu dem machen, was er letztlich geworden ist. Nichtsdestotrotz empfand Coppola sein Werk als zu lang für die Zuschauer. Im Zuge seiner Anmeldung beim Filmfest in Cannes – wo
Apocalypse Now infolgedessen gemeinsam mit
Die Blechtrommel die Palm d’Or gewann – wurde der Film stringenter geschnitten und existierte anschließend für gut zwanzig Jahre in seiner Kinofassung.
Ende der neunziger Jahre stolperte Coppola bei einer Fernsehausstrahlung über sein Werk und war überrascht. „[Apocalypse Now] looked like a regular movie”, bemerkte der Regisseur. Was folgte war die Wiederherstellung einer Schnittfassung, die mehr den Wünschen und den Ideen des Regisseurs entsprach. Die 2001er Version des Filmes,
Apocalypse Now Redux getauft, sollte die Handlung bereichern und einiges verständlicher machen, während man die Stringenz des Originals durchbrach. Hierbei handelt es sich oft um Erweiterungen für Willards Entwicklung. Darunter fallen die „Flucht“ vor Kilgore und der Diebstahl seines Surfbretts. Für sich genommen wirkt der Diebstahl genauso wie Kilgores Reaktion auf diesen recht kindisch, zumindest aber nicht typisch für Willards Charakter. Es sollte jedoch bedacht werden, mit welchem Unglauben Willard auf die Begegnung mit Kilgore reagiert. Das Unverständnis, was man gegen Kurtz haben kann, wenn man Leute wie Kilgore an der langen Leine lässt. Jemand, der das Leben seiner Soldaten gefährdet, um zu Surfen. Gemeinsam mit der Playmates-Sequenz steht der Raub des Surfbrettes für die „Vermenschlichung“ des Armee-Killers. Willard, der Einzelgänger, ist nun Teil einer Einheit. Etwas, das für ihn ungewohnt ist, von dem er sich teilweise anstecken lässt (Surfbrettdiebstahl), aber dann auch gleich wieder distanziert (Marihuana-Konsum). Kilgores Bittstellung an Lance – der ursprünglich im Skript als Dieb vorgesehen war – reflektiert anschließend nur nochmals seine ganze Position zum Surfer und Neokolonialismus an sich.
Die nächste Erweiterung ist das verregnete Lager und die dort gestrandeten Playmates. Dass Willard hier als Zuhälter auftritt, der seiner Crew eine, um es euphemistisch auszudrücken, „Erleichterung“ zuteil werden lässt, resultiert aus den Anspannungen innerhalb der Truppe (die auch zugleich während Willards Abwesenheit erkenntlich werden). Die Sequenz an sich ist somit zum einen als Dienst an der Truppe zu verstehen und ein weiteres Indiz für Willards „Vermenschlichung“ und zum anderen weiteres Exempel für den Wahnsinn des Krieges (selbst ohne Feindkontakt), welcher selbst vor, wenn man sie so nennen will, „Unterhaltungsmedien“ nicht Halt macht. Es ist dieser offenere, umgänglichere Willard, der schließlich im Finale nicht der Versuchung erliegt, sondern der Verheißung des „Königreiches“ den Rücken zukehrt. Der stärkste Einschnitt geschieht jedoch sicherlich durch die 23-minütige Sequenz auf der französischen Plantage. Hier widmet sich Coppola allein in einer neunminütigen Tischszene (großartig ausgeleuchtet von Storaro) der Thematik des Vietnamkrieges. „You Americans are fighting for the biggest nothing in history“, urteilt Hubert de Marais (Christian Marquand) über die Bestrebungen der Amerikaner. Dass die amerikanische Regierung dieselben Fehler wie die Franzosen zwei Jahrzehnte zuvor begehen, das geschichtliche Thema des „geerbten Krieges“, kulminiert in der Klimax der Szene, wenn de Marais schließlich sein Verweilen in Vietnam dem Wohle der Familie unterordnet, die inzwischen, sich über die politische Lage brüskierend, vom Tisch entfernt hat.
Des Weiteren sorgen die Playmate- und Plantageszenen dafür, dass
Apocalypse Now Redux sich von der gewöhnlichen Stringenz des Vorgängers entfernt. Es entstehen Pausen, Stimmungs- und Farbwechsel, sodass die Handlungspunkte (Sampan-Massaker, Do Lung Brücke, Mr. Cleans und Chiefs Tod) nicht Schlag auf Schlag geschehen, sondern in ruhigeren und durch ihre Einbindung in surrealere Szenen eingebettet werden. Zusätzlich erklärt die Plantagensequenz auch, was mit Cleans Leichnam passiert ist und fördert außerdem nochmals die Vermenschlichung von Willard. Wenn Roxanne (Aurore Clément) ihn nach einer Opiumpfeife (deren richtige Stopfung von einem extra von der philippinischen Regierung geschickten Gefängnisinsassen angeleitet wurde) seinen Charakterbruch („There are two of you, don’t you see? One that kills … and one that loves“) vergegenwärtigt, spielt auch dies wieder in die Entwicklung von Willard und seine finale Entscheidung den Militärdienst zu quittieren mit hinein. Währenddessen bezieht sich die ergänzte Kurtz-Szene mit den TIME Magazine Artikeln erneut auf den politischen Aspekt des Krieges. Wenn man so will, ist
Apocalypse Now Redux durchaus ein Anti-Kriegsfilm, während dieser Aspekt in der Kinofassung weniger zu Tage tritt (vgl. Darmstädter, S. 40). Grundsätzlich ist die Geschichte jedoch eine „Frage nach der Grenze zwischen Gut und Böse“ (ebd.), in der Willard am Ende „by his own inner honesty“ (Cowie, S. 172) gerettet wird.
6. A fifth-grader in a third-grade world – Ein Fazit
Im Nachhinein kam
Apocalypse Now obschon der Auszeichnung in Cannes bei den Kritikern nicht sonderlich gut an. Nach einigen Testvorführungen, vor denen Coppola darum gebeten hatte, anschließend keine Kritik zu verfassen, da es sich noch um einen Film im Arbeitsprozess handeln würde, war das Urteil teilweise vernichtend. Coppola glaubt sich im Audiokommentar zu entsinnen, dass das TIME Magazin den Film damals als das Schlechteste bezeichnete, was das Kino in den letzten vierzig Jahren hervorgebracht habe (was Coppola bedrückt zurück und sich fragen ließ, ob es nicht wenigstens nur der drittschlechteste Film sei). Auch andere Rezensenten blickten verachtend auf jenes Werk, das geschlagene drei Jahre auf sich warten ließ (Tookey spricht von einen prätentiösen Ende und einer hoffnungslosen, selbstverliebten Darstellung Brandos, vgl. Tookey, S. 32). Coppola, der inzwischen nicht nur sein Herzblut, sondern auch sein Vermögen in das Projekt gesteckt hatte, fühlte sich nicht entsprechend gewürdigt. „I feel like a fifth-grader living in a third-grade world“, schmollte der korpulente Regisseur (vgl. Goodman/Wise, S. 271).
Retrospektiv betrachtet zählt
Apocalypse Now inzwischen zu den geschätzten Meisterwerken des vergangenen Jahrhunderts. Der Virgin Film Guide nennt das Werk „(…) one of the most complex and unforgettable war movies ever made“ (Virgin Film Guide, S. 34) und das britische Empire Magazin führt ihn auf Platz Sieben der 500 Besten Filme aller Zeiten. Kim Newman befindet den
Redux-Schnitt als „einen langsameren Film, mit Geist und Gedanken“ (Newman, Internet), will sich jedoch nicht festlegen, welche der beiden Versionen die Bessere ist. Den Ausführungen im vorangegangenen Kapitel tendiert der Autor selbst dazu, die neue Schnittfassung der alten vorzuziehen. Es entsteht eine stimmigere Version mit mehr charakterlicher Tiefe, speziell wie angesprochen in Bezug auf Willard. Die endgültige Entscheidung, welcher der beiden Filme dem anderen überlegen ist, muss dennoch jeder Zuschauer und jede Zuschauerin für sich selbst treffen. Die Hochphase des fünffachen Oscarpreisträgers war nach
Apocalypse Now jedenfalls vorbei, der Ruhm und die Anerkennung hatten gelitten, selbst wenn Coppolas Name weiterhin zahlreiche Stars zu seinen Projekten lockte.
Wie in der Einleitung angesprochen wurde, war Coppola bei der Rückkehr von den Philippinen nicht mehr derselbe Mann, der
The Godfather gedreht hatte. Dieser Mann sei, so der Regisseur selbst, im Dschungel gestorben. „I think that I’m a more interesting person and I’m going to do more interesting films“, prognostizierte Coppola, der in den folgenden neun Jahren seinen zweiten Vornamen „Ford“ ablegen sollte (vgl. Goodman/Wise, S. 272). Es folgte mit den Achtzigern das Jahrzehnt seiner schwächsten schöpferischen Phase, in welcher Coppola sich vom Blockbuster-Denken zu lösen und in die lang ersehnte Arthouse-Richtung vorzustoßen versuchte. Es sollte noch Jahre dauern, ehe
Apocalypse Now seine Kosten wieder einspielte und Coppola selbst hatte sich bereits ein neues, nicht minder kostspieligeres „Hobby“ zugelegt. Ein eigenes Gelände für sein ins Leben gerufenes Zoetrope Studio. Für über zwanzig Millionen Dollar würde Coppola hier Straßenzüge der Glitzerstadt Las Vegas nachbauen lassen und auf neue, technologische Innovationen für sein kommendes Projekt
One from the Heart setzen. Doch keines seiner kommenden Projekte sollte je wieder an die Stärke seiner Schaffensphase der Siebziger anschließen können. Nichtsdestotrotz bleibt Francis Ford Coppola wahrscheinlich der dominierende Regisseur dieses Jahrzehnts schlechthin.
Apocalypse Now:
8.5/10
Apocalypse Now Redux:
9/10
Quellen und Literatur:
• Adair, Gilbert: Hollywood’s Vietnam. From THE GREEN BERETS to APOCALYPSE NOW, London/New York 1981.
• Audiokommentar von Francis Ford Coppola, Apocalypse Now Redux, Apocalypse Now Collector’s Edition, Miramax, 2006.
• Conrad, Joseph: Heart of Darkness. Authorative text backgrounds and contexts criticism, Paul B. Armstrong (Hrg.), New York/London 2006.
• Cowie, Peter: The Apocalypse Now Book, London 2000.
• Darmstädter, Tim: Artikel „Apocalypse Now“, in: Töteberg, Michael (Hrg.): Metzler Film Lexikon, Stuttgart/Weimar ²2005, S. 39-41.
• Goodwin, Michael/Wise, Naomi: On the Edge. The Life and Times of Francis Coppola, New York 1989.
• Greiff, Lois K.: Conrad’s Ethics and the Margins of Apocalypse Now. In: Conrad, Joseph: Heart of Darkness. Authorative text backgrounds and contexts criticism, Paul B. Armstrong (Hrg.), New York/London 2006, S. 484-491.
• Hellman, John: Vietnam and the Hollywood Genre Film. Inversions of American Mythology in The Deer Hunter and Apocalypse Now. In: Anderegg, Michael (Hrg.): Inventing Vietnam. The War in Film and Television, Philadelphia 1991, S. 56-81.
• Newman, Kim: Apocalypse Now Redux (1979/2000). In: Empireonline.com, o.J., http://www.empireonline.com/reviews/reviewcomplete.asp?FID=15049 <22 .03.2009="">
• Norris, Margot: Modernism and Vietnam. In: Conrad, Joseph: Heart of Darkness. Authorative text backgrounds and contexts criticism, Paul B. Armstrong (Hrg.), New York/London 2006, S. 491-499.
• o.A.: Artikel “Apocalypse Now”, in: The Eighth Virgin Film Guide, London 1999, S. 34.
• Suid, Lawrence H.: Guts & Glory. Great American War Movies, London u.a. 1978.
• Tookey, Christopher: The Critic’s Film Guide, London 1994.
• Weyand, Gabriele: Der Visionär. Francis Ford Coppola und seine Filme, St. Augustin 2000.
erschienen bei Wicked-Vision
22>