7. Januar 2011

The Wire - Season Two

It’s writings on the fucking wall.

Betrachtet man einen der ersten Sätze der Pilotstaffel von HBO’s The Wire (“This America, man“) und den abschließenden Satz der ersten Staffel von Omar (“It’s all in the game“), dann gibt die Serie von David Simon und Ed Burns auf gewisse Weise sehr schön wieder, wofür die USA einst standen und bisweilen auch immer noch stehen. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten verspricht den American Dream, wo man als Drogendealer tot auf der Straße oder wie Jay-Z als Multimillionär und Ehemann von Beyoncé enden kann. Und auch zwei andere Zitate aus der Vorgängerstaffel bewahrheiteten sich. Marla Daniels’ “You cannot loose if you don’t play“ ebenso wie Sydnors “I just feel like this just ain’t finished”.

Der Fall von Lieutenant Daniels (Lance Reddick) und seiner Einheit gegen Baltimores Westside-Drogenboss Avon Barksdale (Wood Harris) ging ziemlich in die Binsen. Zwar konnte immerhin Barksdale zu einer 7-jährigen Haftstrafe verurteilt werden, wie auch einige seiner Gangmitglieder um D’Angelo (Larry Gilliard Jr.) und Wee-Bey (Hassan Johnson) lange einsitzen müssen, doch letztlich nahm man nur einige Figuren vom Schachbrett. Das Spiel ist aber weiterhin im Gange. Während Stringer Bell (Idris Elba) nun die Fäden zieht und versucht, weiter guten Shit auf die Straße zu bekommen, müssen Daniels und McNulty (Dominic West) mit den beruflichen Konsequenzen ihrer Handlungen klar kommen.

In der zweiten Staffel verdoppelt The Wire seine Handlungsstränge. Besonders in den Fokus gerückt wird eine Gewerkschaft von Hafenarbeitern rund um ihren Gewerkschaftsleiter Frank Sobotka (Chris Bauer). Dieser lässt hin und wieder gemeinsam mit seinem Neffen Nick (Pablo Schneider) für eine kriminelle Gruppe „Griechen“ rund um deren Sprecher Spiros Vondopoulos (Paul Ben-Victor) einige Containerladungen vom Dock verschwinden. Als eine dieser Ladungen mit zwölf osteuropäischen Frauen nicht abgeholt wird und die sich darin befindenden Damen daraufhin ersticken, beginnt eine von zwei Ermittlungen des Baltimore Police Department, die im zweiten Jahr die Serie bestimmen.

Während der Mord der eingeschmuggelten Prostituierten der Mordkommission und damit Bunk (Wendell Pierce), sowie dem neu dorthin versetzten Freamon (Clarke Peters) und der Hafenpolizistin Beatrice „Beadie“ Russell (Amy Ryan), zufällt (und sich auch der zur Marineeinheit strafversetzte McNulty mit dem Fall beschäftigt), ruft Daniels seine alte Abhöreinheit wieder ins Leben. Aufgrund eines Streits bezüglich einer Kirchenstiftung geraten die beiden polnischstämmigen Sobotka und Major Stanislaus Valchek (Al Brown) aneinander. Inspiriert von den guten Worten seines Schwiegersohns Prez (Jim True-Frost), setzt Valchek fortan Daniels auf Sobotka und die illegalen Aktivitäten auf den Docks an.

So kommt es, dass die Serie ab der sechsten Folge Undertow quasi wieder in alter Besetzung ist, da Daniels neben Freamon, Prez, Herc (Domenick Lombardozzi) und Kima (Sonja Sohn) auch Carver (Seth Gilliam) ins Boot holt. Lediglich McNulty (der jedoch ab Duck and Cover dazu stößt) und Sydnor fehlen zur Komplettierung. Und spätestens ab hier beginnt The Wire auch den Bahnen seiner ersten Staffel zu folgen, wenn sich der Spannungsbogen quasi an der Blaupause des Vorjahres orientiert. Diese kreative Uninspiriertheit ließe sich natürlich kritisieren, fällt auch zumindest subtil negativ auf, allerdings wirkt das Szenario im zweiten Anlauf dennoch relativ sauber und bisweilen überzeugender als zuvor.

Dass auf den Docks nicht immer alles korrekt zugeht, ist seit On the Waterfront kein Geheimnis und wird auch von Beadie in ihrer ersten Szene ironisch impliziert. Dabei wird weniger Wert auf die eigentlichen Vorgänge auf dem Dock gelegt (obschon ein Mal auch einer der vielen Unfälle passiert), sondern stattdessen in das Leben der Hafenarbeiter geblickt.  Speziell in das von Nick, der auf nicht genug Arbeitsstunden kommt, um sich, seiner Freundin und der gemeinsamen Tochter eine Wohnung mieten zu können. Die sobotka’sche Milieustudie wird komplettiert durch Franks nichtsnutzigen Sohn Ziggy (James Ransone), der aus Geldmangel ebenfalls in Aktivitäten mit Spiros und den Griechen verwickelt wird.

Die beiden Haupthandlungsstränge folgen nun den Verwicklungen der Hafenarbeiter rund um die Sobotkas, sowie der Ermittlungen von Daniels, McNulty und Co. Zusätzlich begleitet The Wire jedoch auch weiterhin die Geschehnisse in den Projects und Corners der Westside Baltimores. Stringer Bell hat daran zu knabbern, dass durch Avons Abwesenheit sein Drogenlieferant abgesprungen ist und viele essentielle Leute wie Wee-Bey, Bird oder Stinkum ausgeschaltet sind. So avancieren Poot (Trey Chaney) und speziell Brodie (J.D. Williams) zu wichtigeren Spielern, denen mehr Verantwortung aufgelastet wird. Angesichts eines schwächelnden Produktes beginnt String jedoch immer mehr eigene Pläne zu schmieden.

Ab diesem Zeitpunkt wird auch der Eastside-Kingpin Prop Joe (Robert F. Chew) bedeutsamer, wenn viel Saatgut gestreut wird, das man in der dritten Staffel erntet. Diesbezüglich tauchen auch alte Gesichter wie Omar (Michael K. Williams) und Bubbles (Andre Royo) wieder auf, allerdings in weniger prominenten Rollen wie im Vorjahr. Der Fokus der Projects liegt stattdessen klar auf Stringers wachsender Kontrolle über Avons Business und welche Wege er bereit ist, für diese Kontrolle zu begehen. Zudem schlägt String die Brücke zur vierten Handlung rund um Avon und D'Angelo im Staatsgefängnis Jessup. Hier führt die Show die Entwicklungen von D’Angelo zu Ende, die sie in der ersten Staffel begonnen hat.

Nicht zu kurz kommt auch dieses Jahr der ein oder andere politische Seitenhieb. War es im Vorjahr das 9/11-Protokoll, das eine richtige Verurteilung von Avon verhindert hat, stellt die Justiz auch diesmal das ein oder andere Bein. So erklärt Rhonda (Deirdre Lovejoy) in Backwash, dass eine Abhörerlaubnis zwar für Drogendealer möglich ist, nicht jedoch für Menschenschmuggler. “That’s the law“, lautet die Entschuldigung. Und was möglich wäre, wenn alle Institutionen der USA von der Polizei über das FBI bis hin möglicherweise sogar zur NSA zusammenarbeiten täten, zeigt sich in der Folge Storm Warnings, wenn das FBI Daniels’ Einheit ihr GPS-Verfolgungssystem für ihre Ermittlungen zur Verfügung stellt.

In Storm Warnings findet sich auch die beste Episode der zweiten Staffel (sowie bisher in der Serie), obschon sich Folgen wie das Staffelfinale Port in a Storm, Collateral Damage, Backwash  und Stray Rounds ebenfalls vom Rest abheben. Ingesamt macht sich also eine Qualitätssteigerung bemerkbar und das trotz der angesprochenen inhaltlichen Abkupferungen aus dem Vorjahr (manche Ereignisse wirken direkt übernommen). Gelungen sind auch die weiterhin auftretenden humoristischen Auflockerungen, von Omars Gerichtsaussage gegen Bird über Bunks wie von McNulty vorhergesagte Unfähigkeit Alkohol zu vertragen, bis hin zu McNultys klassischem Standardausspruch “What the fuck did I do?“.

Ohnehin sind es auch weiterhin die Charaktere, die im Vordergrund stehen. So versucht McNulty seine Ehe wieder in Gang zu bringen, während Kimas Lebensgefährtin Planungen beginnt, eine Familie zu gründen. Bemerkenswert ist die Ehe zwischen Daniels und seiner Frau, mit der er wie in Backwash jede Karriere- und Dienstentscheidung bespricht. Dagegen halten sich Herc und Carver weiterhin im Hintergrund in ihrer Funktion als wandelnde Jokes. Die Tatsache, dass sich lediglich den Privatleben von Daniels, McNulty und Greggs gewidmet wird, zeigt ziemlich deutlich die Stellung, die diese Drei innerhalb des Polizeiensembles haben (selbst Freamon folgt die Kamera abseits der Truppe nie nach Hause).

Grundsätzlich fühlt sich die Serie aber auch nach dem zweiten Jahr nicht wirklich wie das Bedeutendste an, dass das Fernsehen je hervorgebracht hat. Die Fokusverschiebung auf die Docks tut The Wire gut, fügt ihr einen neuen Mosaikstein hinzu, ist jedoch angefüllt von altbekannten Klischees und damit kaum eine Neuerfindung des Rades. Nichtsdestotrotz funktioniert und unterhält die zweite Staffel als Ermittlerserie mit starken Charakteren noch eine Spur besser - primär ihrer bemerkenswerten Figuren wie McNulty, Bubbles, Omar oder des neu dazu gestoßene Brother Mouzone (Michael Potts) sei Dank. Am Ende ist nach der Ermittlung wieder vor der Ermittlung. Denn in The Wire sieht man sich immer zwei Mal.

8/10

9 Kommentare:

  1. Hast du dir die UK-Gesamtcollection geholt?

    Wenn ja, lohnt?

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  2. Der Preis der Gesamtbox ist gegenüber meinem Kaufpreis stark gesunken. Bei Amazon.co.uk gibt's die Box für 58€, also knapp 12€ pro Staffel - was sich finanziell in meinen Augen sehr lohnt.

    Was Extras angeht nicht zwingend, finden sich 2-3 Audiokommentare pro Staffel und hier und da mal ein Feature. Ein Blu-Ray Transfer dürfte spätestens 2011 vermutlich kommen, das hochskalierte Bild meiner PS3 ist jedoch zufriedenstellend. Und qualitativ lohnt sich die Serie denke ich durchaus, die dritte Staffel ist nochmal einen Tick besser.

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  3. Ist ne Überlegung wert.

    Ham die Staffeln UT?

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  4. Ja, so um die 12 Stück, aber Deutsch und Italienisch sind nicht dabei (Englisch jedoch). Man kommt aber auch so ganz gut mit und der Baltimore-Slang ist sehr charmant (an die grauenvolle Synchro für jemand wie Omar will ich gar nicht denken).

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  5. Wie meinst du das "12 Stück"? 12 Folgen?

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  6. Ich denke 12 Untertitel Varianten?

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  7. 12 Folgen haben 3 von 5 Staffeln auch, ja. Ich meinte jedoch es gibt meist so 12 Untertitel pro Folge (Schwedisch, Ungarisch, Griechisch, etc.), aber eben keine Deutschen oder Italienischen, dafür jedoch Englische.

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  8. Quantensprung! Die Figuren werden zugänglicher, der Plot wird klug erweitert, Humor, Sex und Gewalt nehmen zu und überhaupt ist die Verlagerung des Fokus' auf die dahinsiechende Hafenarbeitergewerkschaft ein Geniestreich. Hier wird ein soziales Milieu jenseits der drögen Ghetto-Junkies mit fantastischen Schauspielern liebevoll in Szene gesetzt.
    8-9/10 (mit Tendenz zur 9!)

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  9. Humor, Sex und Gewalt nehmen zu

    Das Butter und Brot eines jeden HBO-Fanboys :-D

    Dann bin ich ja mal gespannt, wie die späteren Staffeln, speziell die 4., bei dir ankommen.

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