20. April 2012

The Avengers

There is no version of this where you come out on top.

Jetzt, endlich, ist es soweit. Jeder Held und jede Sekretärin aus dem Avengers-Büro wurde, seit 2008 Iron Man die große Vorstellungsrunde begann, eingeführt. Okay, die Gründungsmitglieder aus dem Comic, Ant-Man und Wasp, haben es nicht in den finalen Film geschafft, aber irgendwann schien auch Marvel keinen Bock mehr gehabt zu haben, für jede Figur einen eigenen Prologfilm zu produzieren. Immerhin kostet jedes cineastische Bewerbungsgespräch der Spandex-Träger knackige 150 Millionen Dollar – Marketingkosten nicht einmal berücksichtigt. Stattdessen kommt also nun The Avengers, mit 220 Millionen Dollar etwas teurer produziert, dafür aber vollgestopft mit Superhelden und Hollywood-Stars. Total super, oder?

Das Problem war nur, wie das Ergebnis strukturiert werden würde. Denn im Gegensatz zu den beiden Iron Man-Filmen liefen die anderen Avenger-Helden zwar solide, aber auch keineswegs (ähnlich) überragend. Das Reboot-Sequel The Incredible Hulk spielte kaum mehr ein als der – gänzlich zu Unrecht – vielgescholtene Hulk von Ang Lee, während Captain America etwas mehr als die Hälfte von Iron Man 2 einbrachte. Wie passend, dass selbst in den USA Thor erfolgreicher lief als der US-Posterboy. Es oblag also nun Joss Whedon, dafür zu sorgen, dass The Avengers nicht zu Iron Man & Friends verkommen würde. Bezeichnend ist nunmehr, dass dieser Fall nun dennoch eingetreten ist. Und angesichts der Figurengestaltung im Grunde auch zurecht.

Robert Downey Jr. und sein Tony Stark sind der große Trumpf dieses Films. Egomanisch, egozentrisch und damit quasi die fleischgewordene Inkarnation Hollywoods. Kein Wunder ist es Tony Stark alias Iron Man, dem die Glanzlichter des Films gehören. Während Stark für den comic relief sorgt, indem er sich verbale Scharmützel mit dem steifen Steve Rogers alias Captain America (Chris Evans) liefert oder Bruce Banner (Mark Ruffalo) und Gegenspieler Loki neckt, obliegt es Iron Man, die Kohlen aus dem Feuer zu holen, wenn seine Kollegen überfordert sind. Man wird folglich das Gefühl nicht los, hier einen Füllfilm zwischen Teil 2 und 3 von Iron Man zu sehen. Denn im Grunde braucht es Captain America und Co. für The Avengers nicht.

Das wiederum ist dem Gesamtkonzept geschuldet, war doch absehbar, dass es einer überaus bedrohlichen Gefahr bedurfte, um Iron Man, Captain America, Hulk und Thor zu vereinen. Am Ende ist es nun Loki (Tom Hiddlestone) geworden, der kleine Asen-Bruder von Thor (Chris Hemsworth), der ihm bereits in dessen Intro-Film nicht gewachsen war. Zwar erhält er Hilfe einer außerirdischen Rasse – die laut Produzent Kevin Feige nicht die in den Comics auftauchenden Skrulls sein sollen, seltsamerweise jedoch Chitauri, auch bekannt als Ultimate Skrulls, sind –, wirklich ins Hemd macht man sich als Zuschauer angesichts dieser aber nicht. Es passt daher ins Bild, dass die größte Gefahr im Finale nicht außerirdischen Ursprungs ist.

Ohnehin sind die Alien-Invasion und Lokis Agenda, die gleichzeitig die Prämisse des Films bilden, reichlich unausgegoren geraten. Die Aliens wollen den Tesserakt, und diesen soll ihnen Loki besorgen, der wiederum will sich die Menschheit Untertan machen, dabei war sie ihm in Thor noch total egal. Weshalb die Aliens der Hilfe von Loki bedürfen und dieser sich von Ende des ersten bis Anfang des dritten Aktes mit einem total bescheuerten Nebenkriegsschauplatz aufhält – der für sich genommen keinen Zweck erfüllt und lediglich eine Ausrede für ein Action-Set-Piece sowie eine Gegenüberstellung aller Figuren darstellt –, sollte man besser nicht hinterfragen. Denn statt einer Handlung wartet nur eine Szenen-Show.

Viele kleine Einzelszenen werden dem Publikum geboten, einige von ihnen gab es bereits im massigen Preview-Material zu sehen. Iron Man und Captain America konfrontieren Loki, Iron Man und Captain America prügeln sich mit Thor, Thor prügelt sich mit Hulk, Black Widow prügelt sich mit Hawkeye, am Ende prügeln sich alle mit den Chitauri und Nick Fury steht meistens neben Cobie Smulders’ Maria Hill und erzählt den Superhelden, was eigentlich Sache ist. Zu einer stringenten und zusammenhängenden Handlung wird dies eher gequetscht, als dass es harmonisch ineinander fließt. Und dass die Hälfte des zweiten Akts sowie der gesamte dritte Akt – und damit die ganze zweite Hälfte des Films – nur aus Action besteht, tut ihr Übriges.

Zwar klingt das spaßig, wenn man sich vorstellt, dass Iron Man, Captain America, Hulk und Thor eine geschlagene Stunde lang in Action involviert sind, nur verliert die Action dadurch irgendwann an Spannung. Allein die Actionszene im Mittelteil gerät so epochal, dass allein der Versuch, sie noch mit einer Alien-Invasion zu steigern, beinahe anmaßend ausfällt. Und wenn dann Welle auf Welle nimmermüder Chitauri niedergestreckt werden, während die B-Riege der Helden um Black Widow und Hawkeye aufgrund fehlender Superkräfte Passanten aus Bussen befreien – das alles ohne erkennbare zivile Verluste oder Blut, schließlich ist es ein FSK-12-Film von Disney –, sehnt man irgendwann nur noch sehnsüchtig das Ende herbei.

Nach all dem Prologgedöns der letzten vier Jahre fällt The Avengers somit doch relativ enttäuschend aus. Sicher muss der Film keinen Drehbuch-Oscar gewinnen, aber bereits seine Vorgänger wandelten auf narrativ dünnen Pfaden. Dass die krude zusammengehaltene Handlung hier nur Legitimation für Action Deluxe sein soll, macht Whedons Film jedenfalls ziemlich vergessenswert. In wenigen Monaten, wenn dann mal wieder Batman und Spider-Man über die Leinwand turnen, wird man The Avengers bereits abgehakt haben. Dabei hat der Film durchaus seine positiven Eigenschaften und Momente, nur erscheinen diese angesichts der vielen vergeudeten Möglichkeiten zu gering, als dass sie das Ergebnis korrigieren könnten.

So sind es primär die vergnüglichen Iron Man und Hulk, die mit Humor und Schmackes dem Film eine Lanze brechen, was aufgrund der enormen Überlänge von zweieinhalb Stunden und Randfiguren wie denen von Jackson, Johansson und Renner aber nicht genug erscheint. Hier wäre im Nachhinein weniger mehr gewesen. Weniger Laufzeit, weniger Action, mehr Handlung und mehr Zeit für die Figuren. Denn irgendwie hat man sich nach fünf Filmen, die hierauf zugearbeitet haben, mehr versprochen als eine einzige große Actionszene ohne wirkliche Spannungsmomente, einem eher entschuldigten denn fundierten Handlungsgerüst und einer Handvoll Figuren, die zuvorderst Downey Jr. als Futter seiner ironiegewürzten Dialoge dienen.

Wen es also nach enormer Action voller Superhelden lechzt, wer sowieso am liebsten Iron Man die Daumen drückt, der dürfte mit The Avengers die richtige Hausnummer erwischt haben. Wünscht man sich jedoch, dass sich der Film so viel Zeit für seine Figuren und Geschichte nimmt, wie Bryan Singer in seinen X-Men- oder Sam Raimi in seinen Spider-Man-Filmen, dürfte man enttäuscht werden. Sollte es eine Fortsetzung geben und Joss Whedon erneut auf den Regiestuhl zurückkehren, will er das Sequel im Übrigen „kleiner und persönlicher“ inszenieren. Das klingt zwar schon vielversprechend(er), ob dem so ist, muss sich jedoch erst zeigen. Zuvor gilt es ohnehin erst einmal fünf weitere, flache Marvel-Filme durchzustehen.

4.5/10

12. April 2012

The Thing

You know, I never believed in this shit.

Eigentlich verweist eine Hommage auf besondere Anregungen, die ein Künstler für sein Werk durch andere Kunstwerke erfahren hat. So sicherte sich zum Beispiel Darren Aronofsky die Rechte für Kon Satoshis Perfect Blue, um in einer kurzen Badenwannenszene in Requiem for a Dream seine Verehrung für den japanischen Kollegen auszudrücken. Die ultimative Hommage ist die Nachahmung eines ganzen Werks, in der Filmbrache „Remake“ genannt. Peter Jackson drückte seine Liebe zu King Kong dadurch aus, dass er den Film 2005 neu umsetzte. Ähnlich erging es den Produzenten von The Thing, der 2011 als Prequel des gleichnamigen Klassikers von John Carpenter diente. Und weil er sich so exakt am Original orientierte, nannten Kritiker das Ergebnis passend „Premake“.

“The world of movies (…) these days is run by franchises and sequels“, erklärt uns Darsteller Joel Edgerton zu Beginn des Blu-Ray-Features “The Thing Evolves”. Und schiebt nach: “You gotta be real careful when you revisit material that has been loved”. Für die Produzenten ist ihr The Thing jedoch kein Remake, sondern eine Ergänzung. “We wanted to make a movie that fit in (…) as a companion”, erklärt Produzent Eric Newman im Audiokommentar. “Do something completely different than the original while paying homage to it the same time”, umschreibt es Hauptdarstellerin Mary Elizabeth Winstead. Wirklich aufgegangen ist die Rechnung der Macher dabei allerdings nicht ganz, erzählt ihr The Thing letztlich genau dasselbe wie Carpenters Film von 1982 – nur mit anderen Figuren.

Als norwegische Wissenschaftler rund um Edvard Wolner (Trond Espen Seim) in der Antarktis auf ein außerirdisches Raumschiff und einen eingefrorenen Organismus stoßen, lässt Sander Halvorson (Ulrich Thomsen) die Paläontologin Kate Lloyd (Mary Elizabeth Winstead) einfliegen, um den Fremdkörper zu untersuchen. Als dieser im Lager der Norweger später zum Leben erwacht und sich als parasitärer Formwandler herausstellt, der andere Geschöpfe nachahmen kann, bricht unter den Forschern die Paranoia aus. Wer von ihnen wurde bereits assimiliert und wie lässt sich dies feststellen? Während die Emotionen hoch kochen, weiß Kate nicht mehr, wem sie trauen kann. Auch nicht Helikopterpilot Carter (Joel Edgerton) oder ihrem Studienfreund Adam (Eric Christian Olsen).

Wirklich „neu“ ist im 2011er The Thing lediglich die Exposition. Ist das Ding erst einmal aus seinem kryonischen Dasein befreit, folgt Regisseur Matthijs van Heijningen Jr. im Grunde der Entwicklung aus Carpenters Film. Man stößt auf die Anatomie des Dings und fortan ist unklar, wer noch Mensch und wer bereits Ding ist. Es wird misstraut, ein Test zur Humanprobe initiiert und anschließend bricht die Hölle in der Forschungsstation aus. “We tried to be as accurate as possible”, erläutert van Heijningen Jr. im Audiokommentar bezüglich Carpenters Version. Und was bei den Continuity-Szenen (Wie kam die Axt in die Tür? Was passierte mit dem Eisblock? Woher stammt der zweiköpfige Leichnam?) noch relativ charmant und harmonisch gerät, verleitet bei der Story zum Stolpern.

Prinzipiell stellt sich hier natürlich die Frage, was Newman, van Heijningen Jr. und Co. hätten Anderes erzählen können als John Carpenter? Und die Antwort „wenig“ erscheint dabei ziemlich naheliegend. Umso fragwürdiger wirken folglich Sinn und Zweck, überhaupt ein Prequel zu The Thing produzieren zu wollen. Muss denn jedes Rätsel ausbuchstabiert werden? Ist es nicht eine Stärke der ursprünglichen Geschichte, dass die Umstände des zerstörten Lagers der Norweger, die verbrannten Leichen, die Axt und der Selbstmord vage und ungeklärt bleiben? Und kann sich das Publikum Antworten auf diese Fragen nach Sichtung des 1982er Films nicht letztlich selbst zusammenreimen? Eine wirkliche Erweiterung des Mythos’ um das Ding gelingt dem Prequel somit kaum, allenfalls in einer Situation.

Stattdessen werden Elemente des Vorbildes verwurstet. Die Funktion von Kurt Russells MacReady wird im Verhältnis von gut 70:30 umverteilt auf Kate und Carter. Erstere ist es, die im Laufe des Films die Initiative ergreift, die spätere Humanprobe durchführt und im Finale das Ding konfrontieren muss. All dies geschieht in weitestgehend ähnlicher Weise wie vor 30 Jahren, genauso wie Helikopterpilot Carter sich später zurück in die Innenräume des Lagers kämpfen muss, was zu einem Todesfall führt. Schablonenhaft folgt van Heijningen Jr. seinem erklärten Lieblingsfilm und dass die Beteiligten wirklich zu glauben scheinen, sie würden über weite Strecken eine originäre Geschichte erzählen, ist umso verblüffender, da die betreffenden Personen eine Remake-Vergangenheit besitzen.

Denn vor The Thing hatten die Produzenten Eric Newman und Marc Abraham den George A. Romero Klassiker Dawn of the Dead wiederverwurstet, während Drehbuchautor Eric Heisserer zuvor für das Skript des A Nightmare on Elm Street-Remakes verantwortlich war. So unnötig ein Remake von Carpenters Kultfilm sein mag, sollte man ein solches, auch wenn es in Verkleidung eines Prequels daherkommt, als solches bezeichnen, anstatt zu behaupten, man biete etwas Neues. Zu plump ist dafür die legendäre Testszene (obschon sie hier nicht durch Blutproben geschieht) oder der Finalkampf mit dem Ding von Carpenter kopiert, zu sehr klebt van Heijningen Jr. am strukturellen Aufbau des Vorbildes. Geht, schwimmt und quakt etwas wie eine Ente, ist es eine Ente.

Wie angesprochen ist das Premake jedoch in einigen Szenen durchaus vergnüglich-charmant in seiner Hommage an den Vorgänger. Dies liegt zuvorderst an dem Handlungsgerüst, das dem Film als Fundament zu Grunde liegt. Wenig überraschend hat das Gezeigte allerdings nicht denselben Effekt wie im Original. Sowohl Exposition wie Finale fressen wertvolle Zeit, sodass im komprimierten Mittelteil noch weniger Paranoia aufkommen will als bei Carpenter. Verdächtigen sich die Forscher in einer Szene noch gegenseitig, bilden sie kurz darauf bereits wieder eine Einheit. Heisserer gewährt der Assimilationsangst zu wenig Raum, als dass sie sich entfalten kann. Vielmehr geht alles plötzlich Schlag auf Schlag und der Film hastet zügig vom zweiten in den finalen (und langatmigen) dritten Akt.

Der wiederum will eine Spur zuviel und wirft im Nachhinein eher weitere Fragen auf, als dass er welche beantwortet. Narrativ gerät The Thing somit reichlich unausgewogen in seinem Versuch, die Geschichte des Vorgängers durch kleinere Zusätze aufzupeppen. Hinzu kommt, dass die neuen Figuren im Vergleich zu ihren „Nachfolgern“ wenig Charisma versprühen. Zwar sind einige Charaktere wie Jonas (Kristoffer Hivju) oder Lars (Jørgen Langhelle) durchaus sympathisch, aber ihnen fehlt das gewisse Etwas, das beispielsweise Keith Davids Childs oder Richard Masurs Clark damals ausgezeichnet hat. Sie allesamt sind hier profillos-verzichtbare Figuren, als solche sie auch eingeführt werden, was aber auch die Vorkenntnis, dass sie alle zum Sterben verdammt sind, nicht entschuldigen kann.

Wenig überzeugend geraten auch die Spezialeffekte des Dings, die mal aus praktischen Effekten bestehen und dann wieder aus CGI oder gar beidem. “We very much tried to play to the strengths of CG”, sagt Visual Effects Executive Producer Stephen Garrad in den Extras. “To try and get the best hybrid possible.” Für seine Kollegin Petra Holtorf-Stratton geht es nicht um praktische Effekte oder Computergraphik: “The point is to make the movie look as good as it can look”. Gerade dies will aber nicht gelingen, wenn die über die – durchaus überzeugenden – Animatronics gelegten CGI-Effekte die Szenen artifizieller machen. Umso schlimmer gerät das Ganze, da der Film oft und ausgiebig das Ding in Aktion zeigen will und selbst das Beeindruckende an den Effekten so auf Dauer verpufft.

“We just didn’t have enough time”, erscheint die Erklärung von Regisseur van Heijningen Jr. ob der Reduzierung der Animatronics und praktischen Effekte im Audiokommentar da plausibler. Wo Carpenter ein Jahr für die Vorproduktion zur Verfügung gestanden hätte, musste beim Premake alles in einem Viertel der Zeit zum Dreh bereit sein. “At some point it’s hard”, fügt Newman an seinen Regisseur an. Dabei sind die Effekte angesichts des verhältnismäßig normalen Budgets von umgerechnet 28 Millionen Euro durchaus solide, wenn auch wenig beeindruckend. Schon gar nicht im Vergleich zu ihrem praktischen Pendant von vor 30 Jahren, für das Rob Bottin verantwortlich war. Da passt es gut ins Ohr Bild, dass auch Marco Beltramis Musik gegenüber Ennio Morricones Komposition zurücksteht.

Das Remake/Prequel zu The Thing ist also ein schwaches Echo von Carpenters Kultstreifen, das es weder inszenatorisch noch narrativ vermag, die Qualität(en) seines Vorbildes zu erreichen. Zu nah und ungeschickt bewegt man sich auf bewanderten Pfaden, als dass die Neuauflage des Dings sich auf Augenhöhe zur 1982er Version befindet. Dabei ist das Ergebnis nicht ohne Reiz(e), was nicht zuletzt der Tatsache geschuldet sein mag, dass die Macher ihr Vorbild wirklich bewundern und ihm Hommage erweisen wollten. Vermutlich zu sehr. Man müsse sehr vorsichtig sein, wenn man Material wieder aufgreift, das geliebt wird, sagte Edgerton. Ein Komplementärwerk ist The Thing zwar nicht geworden, dafür bietet es den Anreiz, sich mal wieder Carpenters Klassiker zu widmen.

5/10

5. April 2012

The Grey

Once more into the fray. Into the last good fight I’ll ever know.

In seinem Werk De Cive von 1642 verwertete Thomas Hobbes ein Zitat des römischen Komödiendichters Titus Maccius Plautus aus dessen Asinaria: Homo homini lupus. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Eine Erfahrung, die auch Liam Neesons Filmfigur in Taken machen musste, dem zweiterfolgreichsten Film des nordirischen Schauspielers gemessen an seinem Budget. “I will look for you. I will find you. And I will kill you“, versprach er darin den Entführern seiner Tochter. Und in gewisser Weise ähneln sich Taken und Joe Carnahans The Grey. Darin ist der Wolf dem Menschen ein Wolf und wenn er sprechen könnte, würde er Neesons Figur wohl zuknurren: “I will look for you. I will find you. And I will kill you“.

Dabei ist es nicht so, als ob Carnahans Film ein sich rächendes Raubtier á la Michael Andersons Orca inszeniert, vielmehr dreht sich The Grey um die Natur – sowohl die des Menschen als auch die des Caniden. Einige Arbeiter einer Erdölraffinerie in Alaska reisen nach getaner Arbeit mit einer kleinen Maschine zurück in die Heimat. Inmitten eines Schneesturms gerät das Flugzeug in Turbulenzen und stürzt in der Einöde ab. Lediglich eine Handvoll überlebt den Absturz, sieht sich jedoch durch ein Wolfsrudel einer neuen Gefahr ausgesetzt. Scheinbar befinden sich die Männer im Jagdgebiet der Caniden und gelten damit als Konkurrenten. Der Einzelgänger Ottway (Liam Neeson) übernimmt daraufhin das Kommando.

Nun schickt sich Carnahan nicht unbedingt an, besonders originell sein zu wollen. Dank der Besetzungsliste und dem Status als Survival-Film ist absehbar, dass die Charaktere fortan Teil eines Abzählreims sind an dessen Ende nur einer stehen kann. Gleichzeitig nutzt The Grey Elemente anderer Genrevertreter: Die in einer verschneiten Einöde Gestrandeten erinnern an Frank Marshalls Alive, das Männer durch die Wildnis jagende Raubtier an Lee Tamahoris The Edge und das Szenario der umzingelten Gruppe durch einen vermeintlich überlegenen Gegner an John Carpenters Assault on Precinct 13. Hier wie dort sind die Figuren aber nicht nur zum Sterben da, sondern das Publikum darf sie auch zum Teil kennenlernen.

Zuvor hat uns Ottway im Prolog seine Kollegen quasi als Abschaum der Menschheit vorgestellt. Ex-Knackis und von der Gesellschaft ausgespuckte – “men unfit for mankind“. Auf den aggressiven Diaz (Frank Grillo) trifft dies ganz gut zu, auf die ruhigeren, bedachteren Talget (Dermot Mulroney) und Hendrick (Dallas Roberts) dagegen schon weniger. Die meisten von ihnen haben Familien zu Hause. Die Saisonarbeit auf einer abgelegenen Raffinerie sagt zudem mehr über sie aus, als es Worte vermutlich könnten. Am intimsten begegnen wir natürlich Ottway, der in einer Mischung aus Rückblende und Phantasie ins Bett zu seiner Frau flüchtet, nur um vom Film dann stets äußerst rabiat zurück in die Realität geholt zu werden.

Sowieso nimmt Carnahans Inszenierung eine wichtige Rolle in der Narration seiner simplen Geschichte ein. Der Flugzeugabsturz wird zum audiovisuellen Happening und die Wölfe zur oftmals lediglich dunklen Bedrohung, die mit glühenden Augen und Geheul überall und nirgendwo scheinen. Zugleich spielt der Film geschickt mit den Erwartungen. Wird ein Opfer der Caniden entsprechend exponiert, geschieht der nächste Angriff plötzlich vollkommen unerwartet. Die Folge ist, dass der Bildkomposition nicht mehr zu vertrauen ist, ein Angriff der Tiere genauso wahrscheinlich erscheint, wie kein Angriff. Diese Spannungsschraube ist eine der Stärken des Films und verleiht ihm streckenweise fast schon Jaws-Qualitäten.

Unterbrochen wird der Film-Flow lediglich, wenn The Grey sich allzu sehr seinen Figuren widmet. Denn so nett der Versuch ihrer Charakterisierung auch ist, so unerheblich fällt er letztlich durch das Abzählreimschema und die Austauschbarkeit der Nebenfiguren aus. Eine Lagerfeuerszene mit Anekdoten gerät hierbei genauso zu lang, wie die wiederholten Rückblenden von Ottway zu seiner Frau oder seinem Vater. Carnahans Survival-Thriller kommt folglich nicht um ein paar Längen in seiner zweiten Hälfte herum, weshalb dem Film eine Straffung von zehn Minuten sicherlich nicht geschadet hätte. Und auch die Darstellung der Wölfe hat neben ihren positiven Aspekten auch ihre etwas negativere Seite vorzuweisen.

Mit einer ausgeklügelten Taktik peitscht das Alphatier sein Rudel an, was in der Geschichte gleichzeitig als Analogie zu Ottways Gruppe dienen soll. Bisweilen allerdings gelangt die Dramatisierung der Caniden an ihre Plausibilitätsgrenzen, genauso wenn sich die CGI-Versionen doch stark von den realen Tieren unterscheiden. Nichtsdestotrotz ist Joe Carnahan mit The Grey sein bester Film seit Narc vor einem Jahrzehnt gelungen, der durch eine spannende Szenerie punktet und einen achtbaren Erfolg im Survival-Genre. Und wenn Liam Neeson am Ende Gott um Hilfe bittet, um so frustriert wie genervt “Fuck it. I’ll do it myself” zu raunen, dann merkt sogar das Alphatier, dass der Mensch auch dem Wolf ein Wolf sein kann.

6.5/10

2. April 2012

Filmtagebuch: März 2012

ADAMS ÆBLER [ADAMS ÄPFEL]  
(DK/D 2005, Anders Thomas Jensen)
7/10

ANGEL-A
(F 2005, Luc Besson)
6/10

THE BLACK DAHLIA
(USA/F/D 2006, Brian De Palma)
3/10

CASANOVA
(USA 2005, Lasse Hallström)
4.5/10

DEEP BLUE SEA
(USA/AUS 1999, Renny Harlin)
5.5/10

DESPERATE MEASURES
(USA 1998, Barbet Schroeder)
5/10

THE DEVIL AND DANIEL JOHNSTON
(USA 2005, Jeff Feuerzeig)
7/10

DOOM
(USA/UK/D/CZ 2005, Andrzej Bartkowiak)
5.5/10

EIGHT LEGGED FREAKS [ARAC ATTACK]
(USA/AUS 2002, Ellory Elkayem)
4/10

EIN FREUND VON MIR
(D 2006, Sebastian Schipper)
7.5/10

ER - SEASON 9  
(USA 2003, Jonathan Kaplan u.a.)
7/10

ER - SEASON 10
(USA 2004, Jonathan Kaplan u.a.)
7.5/10

ER - SEASON 11
(USA 2005, Jonathan Kaplan/Christopher Chulack u.a.)
7/10

FAILURE TO LAUNCH
(USA 2006, Tom Dey)
4.5/10

FIRST BLOOD [RAMBO]
(USA 1982, Ted Kotcheff)
7/10

FLUSHED AWAY
(UK/USA 2006, David Bowers/Sam Fell)
6.5/10

GANTZ
(J 2010, Satō Shinsuke)
7/10

GANTZ: PERFECT ANSWER
(J 2011, Satō Shinsuke)
6/10

THE GREY
(USA 2012, Joe Carnahan)
6.5/10

HAPPY FEET
(AUS/USA 2006, George Miller)
6/10

KILL LIST
(UK 2011, Ben Wheatley)
4/10

THE LIBERTINE
(UK/AUS 2004, Laurence Dunmore)
5.5/10

THE LOST BOYS  
(USA 1987, Joel Schumacher)
7/10

MARIE ANTOINETTE
(USA/F/J 2006, Sofia Coppola)
5.5/10

MARLEY
(USA/UK 2012, Kevin Macdonald)
7/10

MASTER & COMMANDER: THE FAR SIDE OF THE WORLD
(USA 2003, Peter Weir)
6.5/10

MONEYBALL
(USA 2011, Bennett Miller)
7/10

LA PLANÈTE BLANCHE
(F/CDN 2006, Thierry Ragobert/Thierry Piantanida)
6/10

PREDATOR  
(USA 1987, John McTiernan)
8/10

REPULSION
(UK 1965, Roman Polanski)
7/10

RESIDENT EVIL: AFTERLIFE
(USA/F/D 2010, Paul W.S. Anderson)
2.5/10

UNDERWORLD
(UK/USA/D/H 2003, Len Wiseman)
4.5/10

UNDERWORLD: EVOLUTION
(USA 2006, Len Wiseman)
4.5/10

UNA VITA TRANQUILLA [EIN RUHIGES LEBEN]
(I/D/F 2010, Claudio Cupellini)
6/10

THE WALKING DEAD - SEASON 2  
(USA 2011, Ernest Dickerson u.a.)
7/10

WER FRÜHER STIRBT, IST LÄNGER TOT
(D 2006, Marcus H. Rosenmüller)
8/10