22. Oktober 2012

Bill Cunningham New York

Fashion is the armour to survive everyday life.

Kleider machen Leute heißt es ja so schön. Ein Sprichwort, das zumindest auf den 83-jährigen Fotografen Bill Cunningham nicht zutreffend ist. Denn er isst in simplen Straßenbistros, schläft in einem kleinen Apartment in der New Yorker Carnegie Hall und trägt einen blauen Malerkittel. “I don’t like fancy things”, sagt er verschmitzt. Umso erstaunlicher, dass Cunningham als eine der Fashion-Fotografen-Größen gilt. “If he ignores you, it’s death”, weiß Anne Wintour. Täglich ist Cunningham mit seinem Fahrrad auf den Straßen des Big Apple unterwegs, immer auf der Suche nach dem nächsten Modetrend und dem nächsten “marvellous exotic bird”.

Denn Cunningham sieht Dinge auf der Straße, die anderen nicht auffallen, sagt Wintour. “And in six months time, that will be a trend.” Seien es Baggy Jeans oder andere Mode-Erscheinungen, an dem rüstigen alten Mann gehen sie nicht vorbei. Er hat einen Überblick über 40, 50 Jahre an Modetrends in New York, eine der Fashion-Hauptstädte der Welt. In zwei Bildkolumnen für die New York Times, darunter “On the Street”, beleuchtet er die lokale Szene und gilt dabei sowohl als Koryphäe als auch als große Unbekannte. Denn über sein Privatleben weiß kaum jemand Bescheid. Und auch Richard Press’ Dokumentarfilm dürfte dabei wenig Abhilfe schaffen.

Zwar zeigt Bill Cunningham New York durchaus ein paar Einblicke in die Privatsphäre des 83-Jährigen, diese gehen aber auch nur bis zu seiner Wohnung und ein, zwei Freunden. Zwischen Aktenschränken voller alter Negative schläft Cunningham auf einem sporadischen Bett. Sein Zuhause, das merkt man schnell, sind nicht diese vier Wände, sondern die Straßen von New York. Bill Cunningham lebt für seine Arbeit, für all die zu entdeckenden Trends und Kleider in den Häuserschluchten von Manhattan und Co. “The best fashion show is definitely on the streets”, berichtet er Press gleich zu Beginn des Films. “Always has been and always will be.”

Dabei wirkt Cunningham gerade am Anfang der Dokumentation wie ein Rentner, der versucht, seine Zeit totzuschlagen, indem er die Röcke und Beine von Frauen fotografiert. Doch seine Wertschätzung durch namhafte Talking Heads wie der Vogue-Chefin oder Iris Apfel, einer geschätzten Innenausstatterin, spricht für sich. Cunningham ist ein langjähriger Beobachter der New Yorker High Society, Bekannter von Lady Astor und dabei kein Stück abgehoben. Vielmehr ist er ein herzlicher, vitaler Mann Anfang 80, der sich vom Leben nichts diktieren lassen will, sondern seiner Passion für Mode, Fashion und Style folgt. Bisweilen sogar bis nach Paris.

Die französische Hauptstadt besucht der US-Amerikaner dabei in regelmäßigen Abständen: “to re-educate the eye”. Zugleich wurde er vom französischen Kulturministerium als Offizier mit dem Ordre des Arts et des Lettres ausgezeichnet. Für Cunningham selbst vielleicht sogar zu viel der Ehre. Zwar glaubt er “he who seeks beauty will find it”, zugleich verriet er bezüglich seiner Trend-Voraussicht: “I let the street speak to me”. Wobei zumindest angesichts der Objekte in Press’ Film die Straße wohl zu den meisten von uns sprechen würde, werden doch die Schrillen und Schrägen – zum Beispiel der dandyhafte Patrick McDonald – ins Licht gerückt.

“A lot of people have taste”, erklärt Cunningham, “but only a few have daring”. Sicher ist er dabei auch ein alter Mann, der seine Zeit totschlägt, indem er Frauen die Röcke fotografiert. Aber er ist auch jene Koryphäe als die man ihn preist. Für alle, die wenig auf Mode geben, ist Bill Cunningham New York ein nettes Feature zu jener seltsam anmutenden Welt. Primär ist Richard Press aber ein unterhaltsames Porträt eines grundsympathischen und bescheidenen Menschen gelungen, der sogar seinen Regenponcho stets auf neue flickt. “A little tape and we’re back in business”, lacht Cunningham. Dasselbe könnte man auch über seine Fotografie sagen.

7.5/10

13. Oktober 2012

Snow White and the Huntsman vs. Mirror Mirror

Kreativität in Hollywood ist seit längerem eine eher rare Sache. Und wenn es eine Idee für einen Film gibt, haben sie oftmals mehrere Personen gleichzeitig. Sozusagen. Daher veröffentlichten 1998 sowohl Pixar als auch DreamWorks je einen Film über Ameisenhelden (A Bug’s Life vs. Antz). Im selben Jahr drohte zudem sowohl in Deep Impact als auch in Armageddon ein Meteorit die Erde auszulöschen. Auch sonst leuchten die Glühbirnen gerne mal doppelt auf. So waren ursprünglich zwei unterschiedliche Filme über Frida Kahlo als auch Sherlock Holmes geplant, produziert wurden letztlich nur Frida und Sherlock Holmes, während die Projekte um Jennifer Lopez beziehunsweise Sacha Baron Cohen auf Eis gelegt wurden.

Die Liste der filmthematischen Doppelgänger ließe sich fortsetzen mit den 2006er Zauberer-Mysterien The Prestige und The Illusionist, den Mars-Missionsfilmen aus dem Jahr 2000, Mission to Mars und Red Planet, oder den Vulkan-Dramen Dante’s Peak und Volcano von 1997. Dieses Jahr erschienen im Abstand von wenigen Wochen Snow White and the Huntsman und Mirror Mirror, zwei unterschiedliche Adaptionen der Schneewittchen-Mär der Gebrüder Grimm. Der eine Film war düster gehalten, der andere dagegen bunt. Aber welcher ist nun besser oder gut? An dieser Stelle soll anstatt eines gewöhnlichen Reviews ein Head-to-Head feststellen, wer die Schönste (Verfilmung) im ganzen Land ist.

Snow White

Auf der einen Seite haben wir Twilight-Vamp Kristen Stewart, die mit Schnutengesicht im Kerker gehalten und dennoch eines Tages vom Zauberspiegel zur “fairest of them all” gekürt wird. Es zählen eben die inneren Werte. Anschließend auf der Flucht und in steter Not, ist sie bis zum Finale abhängig von ihren männlichen Protagonisten, sodass Snow White and the Huntsman gar nicht so emanzipiert daherkommt, wie man zuvor vielleicht hätte vermuten können. Stewart bleibt dabei ähnlich blass wie in ihren bisherigen Filmen, mit einer pathetischen Kriegsrede à la Jeanne d’Arc als grausigem Highlight. Sex-Appeal-Faktor: 15%

Weitaus puppenhafter und lebendiger kommt dagegen Phil Collins’ Tochter Lily daher, die ebenfalls eine Gefangene der bösen Königin ist, wenn auch sehr viel sauberer im privaten Schlafgemach gehalten. Wieso beide Königinnen die Mädchen am Leben erhalten, bleibt allerdings offen. Die Snow White in Mirror Mirror ist sehr viel selbstbestimmter und aktiver als die stewartsche Version. Sie übernimmt das Kommando im Zwergenhaushalt, wird per Montage zur kampferprobten Mini-Amazone und wirkt besser ausgearbeitet, was vielleicht daran liegt, dass die Figur näher an der Disney-Version orientiert ist. Sex-Appeal-Faktor: 85%

The Evil Queen

Und wenn sie nicht gestorben ist, dann schreit Charlize Theron noch heute. Sich total der Hysterie hingebend, keift die Südafrikanerin den Großteil ihrer Dialogzeilen und ist angetrieben vom Wahn nach ewiger Jugend. Oder ewiger Macht. Oder beidem. Scheinbar mit übersinnlichen Fähigkeiten ausgestattet, die nie vollends erklärt werden (ihr Bruder hat jedenfalls keine), lässt ihre tyrannische Ravenna das Land vor die Hunde gehen, weil das eben das ist, was Tyrannen so machen. Da Geschrei aber nicht sonderlich maliziös ist und Theron jegliche Selbstironie abgeht, fehlt es auch dieser Figur schlicht an Charakter. Bitch-Faktor: 30%

Völlig von der Erde losgelöst spielt dagegen Julia Robert genüsslich ihre böse Königin mit ordentlich Hang zur Selbstironie (“They’re not wrinkles. They’re just crinkles”) und einem gehörigen Schuss Sarkasmus. Zwar fehlt auch ihrer Figur die Motivation, ebenso wie ihre Beziehung zum Zauberspiegel offene Fragen zurücklässt, aber Roberts ist einer der Höhepunkte des Films. Insbesondere ihre Dialoge mit Nathan Lane, aber auch ihr im Übermaß ausgelebter Hang zum Narzissmus zeichnen die Figur aus, die letztlich nur darunter leidet, dass ihr das Drehbuch ein ausgesprochen schwaches Finale zugestanden hat. Bitch-Faktor: 70%

The Love Interest

Es ist schon bemerkenswert, dass Kristen Stewart auch in Snow White and the Huntsman wieder gleich zwei love interests an die Backe geschmiert bekommt. Das kennt sie ja bereits aus den Twilight-Filmen oder Adventureland. Ähnlich wie dort sind sie einem auch hier ziemlich Jacke wie Hose, sowohl Chris Hemsworths charmefreier Antiheld „Eric“ aka der Jägersmann als auch Sam Claflins aufrechte Jugendliebe. Ersterer versucht sich (und scheitert) als verwitweter Alkoholiker in einer Rolle, für die er zu jung scheint. Letzterer hat von vorneherein den Kürzeren gezogen, da er in der Friend Zone festhängt. Mr. Right-Faktor: 50%

Ein völlig anderes Kaliber ist dagegen Armie Hammers Prinz Alcott, der als treudoofer Naivling zum Liebesobjekt für Snow White und zum Goldesel für die Königin avanciert. Letztlich dient Hammers Prinzenrolle eher dem comic relief, sodass ihm zumindest Hemsworths Macho-Figur bei einer direkten Konfrontation problemlos den Gar ausmachen würde. Da in Mirror Mirror jedoch weniger aufgesetzte Pseudo-Seriosität von Bedeutung ist, denn selbstironische Persiflage, fällt Alcotts peinliches Welpenverhalten weniger negativ auf als man erwarten würde. Zudem wirkt seine Zuneigung zu Snow White aufrichtiger. Mr. Right-Faktor: 50%

The Dwarves

Welche Rolle die Zwerge in Snow White and the Huntsman spielen, merkt man bereits am Titel: Sie wurden schlichtweg ersetzt. Zwar prominent gecastet sind sie jedoch extrem unpräsent, abgesehen vom Übergang des zweiten zum dritten Akts. An und für sich würde der Film auch ohne sie genauso funktionieren, da sie einem schlicht nicht in Erinnerung bleiben. Einige von ihnen wie Ian McShane, Ray Winstone oder Nick Frost sind eklatant unterfordert, außer Eddie Marsan und Toby Jones kriegt auch keiner von ihnen – bis auf den achten Zwerg, dessen Schicksal vorhersehbar war – wirklich einen Charakter. Heigh-Ho-Faktor: 15%

Anders dagegen in Mirror Mirror, wo schon allein die Tatsache ins Auge springt, dass es sich um eine Multi-Ethnische-Zwergentruppe handelt. Vom Asiaten über den Latino bis hin zum Kaukasier stellen sie hier mehr eine Art Zusammenschluss dar, weniger einen Familienverbund. Außerdem sind sie auch weitaus mehr in die Handlung eingebunden und verfügen dementsprechend über klar erkennbare Persönlichkeiten – was sie am meisten von ihren Pendants des anderen Films unterscheidet. Bis auf den etwas nervigen Wolf sind sie auch allesamt ziemlich liebenswert in ihrer oftmals anarchischen Art und Weise. Heigh-Ho-Faktor: 85%

The Mirror

Nun zum Zauberspiegel, der als eine Art Schönheits-11880 die eigentliche Handlung erst lostritt und damit zumindest eine untergeordnete Rolle einnimmt. In Snow White and the Huntsman ist er ein riesiger Gong aus dem heraus sich eine verhüllte Gestalt herausmorpht. Matrix trifft Herr der Ringe. Er ist es, der die in ihrem eigenen Dreck dahinvegetierende Snow White zur “fairest of them all” erhebt – und sie damit zur Zielscheibe macht. Ähnlich übertrieben aufwendig inszeniert wie Tarsems Pendant, bedenkt man, dass der Spiegel im weiteren Verlauf kaum eine Rolle spielt und hier in der 2. Hälfte somit fehlt. Wiedererkennungs-Faktor: 40%

Wie in allen anderen Bereichen gerät der Spiegel in Mirror Mirror weitaus lebendiger. Hier ist er ein Doppelspiegel, in welchem sich Roberts’ böse Königin mit sich selbst konfrontiert sieht, was dem Ganzen eine weitaus psychologischere Ebene verleiht. Warum der Spiegel in einer Art Resort-Hütte im Meer beheimatet ist, bleibt allerdings ebenso offen wie seine Herkunft und Funktionsweise. Immerhin wird er aber im Finale nochmals zur Sprache gebracht und mit dem Geschehen in der „Realität“ verknüpft und ist durch seine Doppeldeutigkeit nicht nur Hokuspokus, sondern eine Art Meta-Kommentar. Wiedererkennungs -Faktor: 60%

The Minion

Was wäre ein Bösewicht ohne seinen Lakai als treuen Diener? Ravenna hat in Finn ein blondes Brüderlein mit bescheuerter Frisur, der auf irgendeine Art und Weise von seiner Schwester über die Jahre hinweg jung gehalten wurde – zumindest relativ gesehen. Ihm ist es zu verdanken, dass Snow White zur Mitte des ersten Akts hin ausbrechen kann und auch später ist er seiner Schwester keine sonderlich große Hilfe. Offen bleibt, wozu man den Jägersmann engagiert hat, wenn Finn und Co. ohnehin auch in den dunklen Wald gehen. Dass er von Depri-Alki Eric später problemlos kalt gemacht wird, spricht auch nicht wirklich für ihn. Support-Faktor: 40%

Ein völlig anderes Kaliber ist dagegen Nathan Lane als passend benannte Ulknudel Brighton. Gekonnt spielt er sich mit Roberts die Bälle hin und her und fungiert als vergnüglicher aber nie lächerlich werdender Hilfsdiener. Genauso wie im Zwillingsfilm ist es dem Lakaien zu verdanken, dass Snow White entkommen kann und ihrem Tod entgeht. Brighton wird dafür auch in kafkaesker Weise bestraft. Mit seinem komödiantischen Charme passt Lane sehr viel besser in Mirror Mirror als auf der Gegenseite der mürrisch dreinblickende Sam Spruell. Letztlich hätte Tarsems Film wohl von noch mehr Lane-Roberts-Momenten sogar profitiert. Support-Faktor: 60%

The Monster

Paradoxerweise trumpfen beide Filme auch mit einer Bestie im Wald auf. In Snow White and the Huntsman ist sie Wikipedia zufolge ein Troll, der von seiner Gestaltung so aussieht, als hätten die Designer zu viele Filme von Guillermo del Toro geschaut. Optisch zwar durchaus ansprechender und zudem bedrohlicher wirkend als sein Kollege in Mirror Mirror, taucht der Troll jedoch so plötzlich auf wie er verschwindet – letztlich ohne einen Zweck zu erfüllen. Damit ist er Bestandteil eines ohnehin ziemlich unsinnigen zweiten Akts, in welchem Rupert Sanders’ Adaption auf einmal märchenhaft wirken will – und dabei scheitert. Freak-Faktor: 50%

Dem Schema treu bleibend erinnert die Bestie bei Tarsem eher an einen Bastard aus Fuchur der Unendlichen Geschichte und Mushu aus Mulan. Ein Kuddelmuddel aus verschiedenen Tieren, sucht die Bestie hier den Wald heim – zumindest laut Brighton. Da man das Monster aber bis zum Finale nicht zu Gesicht kriegt und ansonsten sogar die Zwerge als die weitaus „gefährlicheren“ Waldbewohner anmuten, erfüllt auch dieses Monster im Grunde keinen rechten Zweck. Das ist der schwachen Exposition geschuldet, aber auch dem Finale, das wie bereits mehrfach angesprochen in Mirror Mirror leider ziemlich verschenkt wird. Freak-Faktor: 50%

The Castle

Ein Großteil beider Handlungen spielt in dem jeweiligen königlichen Schloss. Die Chance für Snow White and the Huntsman auch mal eine Rubrik für sich zu entscheiden. Das Schloss am Strand kommt genauso düster daher wie der Rest des Films, macht jedoch strategisch um einiges mehr Sinn als die Version von Tarsem. Abgeschottet mit dem Meer im Rücken ist es sehr gut zur Verteidigung gedacht, bedenkt man, dass Angreifer nur über einen schmalen Sandstreifen und auch hier scheinbar nur während Ebbe attackieren können. Snow White und ihre Zwergenarmee schaffen es dennoch. Märchenschloss-Faktor: 80%

Weitaus unsinniger und zudem optisch nicht besonders ansprechend gerät das Schloss in Mirror Mirror. Wie ein liebloser Hinterhof-Kreml sieht es aus und ist am Ende eines Felsvorsprungs beheimatet. Damit ist auch dieses Schloss nur von einer Seite aus zu attackieren, sodass es sich zwar gut verteidigen, allerdings auch gut abschotten lässt. Würde man sich bemühen, die kurze Felsverbindung zu zerstören, wäre das Königshaus erstmal auf sich allein gestellt, während man sich das Königreich einverleibt. Strategisch wie optisch zieht Tarsems ziemlich lieblose Variante klar den Kürzeren – enttäuschend. Märchenschloss-Faktor: 20%

The Tone

Abschließend soll nochmals auf den Grundton der zwei Filme eingegangen werden. Snow White and the Huntsman versucht sich als düstere und seriöse Adaption des Schneewittchen-Stoffs, macht aber speziell im zweiten Akt viel falsch. Sei es Snow Whites drogeninduzierter Spaziergang durch den dunklen Wald, die Begegnung mit dem Troll oder die darauf folgende quietschbunte und somit farbharmonisch beißende Episode im “happy place”. Der Film ist voller unsinniger oder verschenkter Momente, denen bei aller Ernsthaftigkeit ein gewisses Maß an Selbstironie oder Aufgelockertheit nicht geschadet hätte. Atmosphäre-Faktor: 25%

Wie man es – zumindest zu einem Großteil – richtig macht, zeigt dagegen Tarsem Singh mit Mirror Mirror. Einer optisch wie narrativ quietschbunten Verfilmung derselben Story, die sich zu keinem Zeitpunkt ernst nimmt, sondern im Gegenteil mit einigen Elementen des Märchens wie dem vergifteten Apfel geschickt spielt. Letztlich hätte noch mehr Anarchie dem Film gut getan, überzeugt er doch gerade in seinen Gaga-Momenten. Warum das Finale so in den Sand gesetzt wurde, bleibt zwar rätselhaft, aber der herrliche Bollywood-Abspann macht dann wieder ordentlich Spaß und passt zur vorherigen Tonalität. Atmosphäre-Faktor: 75%

Fazit

Tarsem wusste, was er erzählen wollte und wie er es erzählen wollte. Über weite Strecken hat dies auch perfekt funktioniert. Dagegen kommt Rupert Sanders’ Film als Kuddelmuddel daher, das zwar erfolgreicher an den Kinokassen lief, bei dem der Regisseur aber aufgrund anderer Umstände nicht mehr beim kolportierten Sequel mit an Bord sein wird. Die Frage, welches der schönste Schneewittchen-Film im Land ist, lässt sich somit nach einem klaren 8:3-Sieg aus dem Head-to-Head-Direktvergleich ziemlich eindeutig beantworten. Winner by defeat: Mirror Mirror!

6. Oktober 2012

Jiro Dreams of Sushi

Ultimate simplicity leads to purity.

Das Christentum als Weltreligion geht zurück auf eine Oktobernacht im Jahre 312, als Konstantin der Große im Traum nahegelegt worden zu sein scheint, die Schilde seiner Soldaten mit dem Christusmonogramm zu versehen. Konstantin gewann die Schlacht an der Milvischen Brücke und so wurde die einstige Sekte letztlich zur Staatsreligion. Ganz so hochtrabende Veränderungen bewirkten die Träume des Japaners Ono Jiro nicht und dennoch veränderten sie das Leben des 85-Jährigen. Schließlich war Jiro der erste Sushi-Meister, der vom Guide Michelin mit drei Sternen ausgezeichnet wurde. “I would make Sushi in my dreams“, sagt der Meister seiner Profession. Oder „shokunin“, wie er sich selbst nennt.

Und seine Arbeit nimmt Jiro unwahrscheinlich ernst. “If you take it seriously, you get skilled“, verrät sein Sohn Yoshikazu Regisseur David Gelb in dessen Dokumentarporträt Jiro Dreams of Sushi. Jiro ist ein Perfektionist, das Essen “has to be better than last time”, so der Sushi-Meister. “He’s never satisfied with his work”, weiß Yamamoto Masuhiro. Er ist ein Gourmet-Journalist in Tokio, der bereits in jedem Sushi-Restaurant der Stadt gegessen hat. “Jiro’s was the best by far“, sagt er. Dabei wird sich im Sukiyabashi Jiro schlicht auf die Basis von Sushi beschränkt. Die Kochkunst ist simpel, minimalistisch und schnell. Ein Stück Reis wird geformt, mit rohem Fisch belegt, mit Marinade bestrichen und serviert.

“Master chefs from around the world eat at Jiro’s and say, ‘How can something so simple have so much depth of flavour?’”, erzählt Yamamoto. Für ihn summiert sich Jiros Klasse in einem einfachen Satz: “Ultimate simplicity leads to purity”. Dabei ist es durchaus erstaunlich, dass das Sukiyabashi Jiro als 3-Sterne-Restaurant geführt wird. Schließlich verfügt das in einem Bürogebäude untergebrachte Lokal über lediglich zehn Plätze und die Toiletten finden sich außerhalb der Gaststätte. Die Klasse von Jiros Sushi allein ist hier somit ausschlaggebend und sorgt für lange Reservierungen im Voraus zu Einzelpreisen von ¥ 30,000 (€ 300,-). Doch Ruhm und Reichtum sind für Jiro nachrangig zur Liebe an der Arbeit.

Frei nimmt Jiro nur, wenn nationale Feiertage sind. Und selbst dann sehnt er sich nach der Arbeit zurück. “I wasn’t much of a father“, gesteht er. Seine beiden Söhne Yoshikazu und Takashi, inzwischen selbst Sushi-Meister, hätten daheim nicht viel vom Vater gesehen. “Once you decide on your occupation, you must immerse yourself in your work“, erläutert Jiro. Man müsse sich in seine Arbeit verlieben. “That’s the secret of success.” Und der 85-Jährige liebt es, Sushi zu machen. “That’s the spirit of the shokunin“, sagt er stolz. Dass dieser Stolz hart erarbeitet werden muss, zeigt Gelb mit Jiro Dreams of Sushi. Denn Sushi-Meister zu werden erfordert viel Geduld – insbesondere unter der Fuchtel von Jiro.

Viele Lehrlinge und Auszubildende blieben nicht lange im Sukiyabashi Jiro, verrät Yoshikazu. Ein ganzes Jahrzehnt müssen sie opfern, ehe sie am Ende ihrer Ausbildung angelangt sind und zum Abschluss erstmals das tamagoyaki (Eier-Sushi) zubereiten dürfen. Nakazawa Keiji hat die zehn Jahre in Jiros Küche überstanden, aber erst nach monatelangen Versuchen wurde sein tamagoyaki gelobt. Vor Freude seien ihm die Tränen gekommen, berichtet Nakazawa-san. Anschaulich und immer nah dran an seinen Charakteren – was angesichts der natürlichen Introvertiertheit des japanischen Volks umso löblicher ist – skizziert David Gelb, welche Kunst dem Sushi innewohnt. Und als solche Kunst wird es hier auch inszeniert.

Abgesehen von einigen kleinen Schönheitsfehlern – so bleibt unerwähnt, dass der von ihm interviewte und von Jiro ausgebildete Mizutani Hachiro ebenfalls ein 3-Sterne-Sushi-Restaurant führt – gelingt David Gelb ein teilweise faszinierender und durchweg interessanter Dokumentarfilm. Bemerkenswert ist hier auch eine schöne Auflösung, die sich Gelb für den Schluss seines Films aufgehoben hat und die die persönliche Note von Jiro Dreams of Sushi als Einblick in diese sympathische Familie Ono abrundet. Besonders Fans der japanischen Kultur allgemein und von Sushi speziell ist die Dokumentation somit zu empfehlen, aber auch alle anderen werden sehen, dass auf sie mehr wartet als bloß Reis mit rohem Fisch.

7.5/10

2. Oktober 2012

Filmtagebuch: September 2012

21 JUMP STREET
(USA 2012, Phil Lord/Chris Miller)
6/10

50/50
(USA 2011, Jonathan Levine)
4/10

AMERICAN REUNION
(USA 2012, Jon Hurwitz/Hayden Schlossberg)
6/10

BATTLESHIP
(USA 2012, Peter Berg)
3/10

BEASTS OF THE SOUTHERN WILD
(USA 2012, Benh Zeitlin)
8.5/10

BREAKING BAD - SEASON 5: PART I
(USA 2012, Adam Bernstein u.a.)
8/10

THE CABIN IN THE WOODS
(USA 2011, Drew Goddard)
3/10

CHRONICLE [EXTENDED CUT]
(USA 2012, Josh Trank)
4/10

CRIMSON TIDE
(USA 1995, Tony Scott)
7.5/10

DAYS OF THUNDER
(USA 1990, Tony Scott)
7/10

EIN JAHR NACH MORGEN
(D 2012, Aelrun Goette)
0/10

HERR WICHMANN VON DER CDU
(D 2003, Andreas Dresen)
8.5/10

HERR WICHMANN AUS DER DRITTEN REIHE
(D 2012, Andreas Dresen)
7.5/10

HESHER
(USA 2010, Spencer Susser)
2.5/10

THE HUNGER GAMES
(USA 2012, Gary Ross)
5.5/10

INCIDENT AT LOCH NESS
(GB 2004, Zak Penn)
5.5/10

JIRO DREAMS OF SUSHI
(USA 2011, Dabid Gelb)
7.5/10

KRIEGERIN
(D 2011, David Wnendt)
1/10

THE ROOM
(USA 2003, Tommy Wiseau)
3/10

SNOWTOWN
(AUS 2011, Justin Kurzel)
1/10

DIE THOMANER
(D 2012, Günter Atteln/Paul Smaczny)
7.5/10

Werkschau: Roland Emmerich


DAS ARCHE NOAH PRINZIP
(D 1984, Roland Emmerich)
5/10

MOON 44
(D 1990, Roland Emmerich)
4.5/10

UNIVERSAL SOLDIER
(USA 1992, Roland Emmerich)
7/10

STARGATE [DIRECTOR’S CUT]
(USA/F 1994, Roland Emmerich)
6/10

INDEPENDENCE DAY [EXTENDED VERSION]
(USA 1996, Roland Emmerich)
5.5/10

GODZILLA
(USA 1998, Roland Emmerich)
7/10

THE PATRIOT [EXTENDED CUT]
(USA/D 2000, Roland Emmerich)
6.5/10

THE DAY AFTER TOMORROW
(USA 2004, Roland Emmerich)
6/10

10,000 BC
(USA/ZA 2008, Roland Emmerich)
3/10

2012
(USA 2009, Roland Emmerich)
5.5/10

ANONYMOUS
(GB/D 2011, Roland Emmerich)
6/10