30. März 2017

Ghost in the Shell (3D)

Don’t send a rabbit to kill a fox.

Bereits seit 15 Jahren halten sich Gerüchte um eine Realverfilmung von Otomo Katsuhiros Manga- und Anime-Klassiker Akira. Immer mal wieder tauchen neue Produktions- und Casting-Nachrichten auf, nicht unähnlich wie bei der geplanten – jedoch seit zehn Jahren immer wieder verschobenen – Verfilmung von William Gibsons Cyberpunk-Roman Neuromancer. Zu derselben Zeit begannen auch Hollywood-Pläne, Shirow Masamunes Manga Kōkaku Kidōtai, den Oshii Mamoru bereits 1995 als Anime verfilmt hat, umzusetzen. Im Gegensatz zu Akira und Neuromancer kann hier nun Vollzug vermeldet werden, startet Rupert Sanders’ Ghost in the Shell heute in den Kinos: Eine weichgespülte Mimikry der visuellen Ideen von Shirow und Oshii.

Nach einem Angriff von Terroristen auf ein Flüchtlingsboot rettet die Wissenschaftlerin Dr. Ouelet (Juliette Binoche) das Leben von Mira (Scarlett Johansson), indem sie deren Gehirn in einen kybernetischen Körper verpflanzt. Ein Unikat, das Mira jedoch als menschliche Waffe nun zum Eigentum des Unternehmens Hanka und dessen Besitzer Mr. Cutter (Peter Ferdinando) macht. Da Hanka mit der Regierung kooperiert, dient Mira fortan als “Major” in der Anti-Terror-Spezialeinheit von Aramaki (Takeshi Kitano). Gemeinsam mit ihren Partnern Batou (Pilou Asbæk) und Togusa (Chin Han) untersucht Major dabei eine Mordserie an verschiedenen Wissenschaftlern von Hanka, verübt von dem Cyber-Terroristen Kuze (Michael Pitt).

Das Original Kōkaku Kidōtai greift als eines seiner Themen das Leib-Seele-Problem von René Descartes auf. Kann der Geist außerhalb der Materie existieren und wie genau definiert sich Menschlichkeit? Die Handlung inspirierte damals die Wachowski-Schwestern zu ihrem Kultfilm The Matrix und erinnert in ihren Grundzügen an Ideen von Philip K. Dick, denen dieser in Romanen wie Do Androids Dream of Electric Sheep? nachging. Was macht den Mensch zum Mensch und kann eine künstliche Intelligenz als Person betrachtet werden – Fragen, die in der Welt von Kōkaku Kidōtai immer stärker an Bedeutung gewinnen, wenn die Menschen vermehrt kybernetische Erweiterungen an ihren Körpern vornehmen. Oder wie Major Cyborgs sind.

Von diesem Plot-Element verabschiedet sich Ghost in the Shell leider, der Film stellt nicht eine Künstliche Intelligenz der Menschheit gegenüber und erörtert die Frage, was das eine Bewusstsein vom anderen unterscheidet. Stattdessen fokussiert sich Rupert Sanders (Snow White and the Huntsman) auf den biologisch-ethischen Aspekt der fortschreitenden Kybernetisierung, dessen Anfang in Major zu finden ist: Sie repräsentiert die gelungene Symbiose aus Mensch und Maschine. Für Cutter ist sie eine Waffe, die sich vermarkten lässt, für Majors Mutterersatz Dr. Ouelet wiederum ist Major/Mira der nächste Schritt der menschlichen Evolution. Major dagegen hadert noch mit ihrem Zustand, der sie zwischen die Stühle beider Parteien platziert.

Kurz nach ihrer „Geburt“ muss Ouelet sie darauf hinweisen, zu atmen, während Major beklagt, ihren Körper nicht spüren zu können. Vermeintliche Erinnerungsfetzen an ihre Vergangenheit, von Ouelet Glitches genannt, suchen Major später heim, ein injiziertes Serum sorgt derweil dafür, dass ihr menschliches Gehirn nicht ihren Maschinenkörper abstößt. Ghost in the Shell reduziert das Leib-Seele-Problem somit auf Major, geht ihm in ihr allerdings nicht wirklich nach. Die von der Figur geschilderte Einsamkeit in ihrer Umgebung verbleiben bloße Worte, anstatt dass Sanders sie mit Bildern und Szenen unterfüttern würde. Die Frage, ob das, was Major darstellt, ethisch vertretbar ist, schwebt zwar im Raum – mehr aber leider auch nicht.

Ebenso wenig interessiert sich der Film wirklich für seinen Widersacher Kuze und dessen Agenda. Was die Handlung anbelangt, ersetzt er den Puppetmaster aus Kōkaku Kidōtai 1:1, erhält aber im Gegensatz zu diesem keine Persönlichkeit. Zwar baut sich die Figur ein menschliches Netzwerk auf, was sich genau hinter diesem verbirgt und wie es funktioniert hat Ghost in the Shell jedoch keine Zeit aufzuschlüsseln. Die Auflösung zum Hintergrund der Figur und ihre Einordnung in die Geschichte zum Schluss wirken zugleich ziemlich generisch, was zuvorderst an der Entscheidung der Autoren Jamie Moss und William Wheeler liegt, den Rahmenplot ihrer Realverfilmung von der Vorlage abweichen zu lassen, während der Film dieser visuell folgt.

Praktisch alle erinnerungswürdigen Szenen des Originals werden hier kopiert, von Majors Einsatz zu Filmbeginn über die Mülltransport- und Kanal-Kampf-Szene bis hin zu Majors Tauchgang und der finalen Klimax. Denselben Effekt vermögen Sanders’ Kopier-Versuche nicht zu erzielen, das liegt einerseits an dem PG-13-Rating, welches alle Kampfszenen weitestgehend von Gewalt befreit, andererseits an den nur mäßig überzeugenden Spezialeffekten von Weta. So wirkt Majors Tauchgang nicht nur inhaltlich etwas befremdlich, da Mira selbst von ihrem vermeintlichen Tod durch Ertrinken traumatisiert ist, sondern er wirkt durch die CGI-Elemente auch unwahrscheinlich künstlich, anstatt Scarlett Johansson einfach in einem Wassertank zu filmen.

Vielversprechend beginnt zumindest der Film-Score von Clint Mansell, der dann aber immer mehr verschwindet, was womöglich daran liegen mag, dass später Lorne Balfe als Komponist zum Projekt dazustieß. Das Ensemble ist solide, obschon Scarlett Johansson – hier in “Black Widow mode” – etwas fehlbesetzt scheint (zumindest ich selbst hätte eher jemand wie Mary Elizabeth Winstead vorgezogen). Unterm Strich ist Ghost in the Shell dann das, was man von einer Adaption aus Hollywood erwarten konnte. Immerhin kein totaler Reinfall wie solche Reboots à la RoboCop (der diesem Ghost in the Shell thematisch nicht unähnlich ist) oder Total Recall, aber letztlich wenig eindrucksvoll und uninspiriert. Praktisch ein Körper ohne Geist.

5/10

20. März 2017

Tanna

Listen to the song.

Für die westliche Gesellschaft ist Liebe vermutlich die Kernbasis für eine funktionierende Beziehung und Ehe. Die Menschen heiraten, wen sie lieben, das Gefühl kommt also zuerst. Ganz anders sieht dies im südasiatischen Raum aus. Wie der Nachrichtensender CNN vor einigen Jahren berichtete, sind neun von zehn Ehen in Indien beispielsweise arrangiert – eine gewöhnliche Tradition. Ähnlich sah dies bis Ende der 1980er Jahre auch im Inselstaat Vanuatu aus, wo der lokale Brauch Kastom diktierte, welche Ehen zu Stande kamen. So auch in Martin Butlers und Bentley Deans dieses Jahr Oscarnominierten Film Tanna, der die wahren Begebenheiten eines jungen Liebespaares auf der zu Vanuatu gehörenden Insel Tanna erzählt.

Dort lebt die junge Wawa (Marie Wawa) ein relativ sorgenfreies Leben mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester Selin (Marceline Rofit). Bis zu jenem Tag, an dem Wawas Großvater und Dorf-Schamane (Albi Nagia) von Männern des verfeindeten Stamms der Imedin fast getötet wird. Um den Frieden zu erhalten, soll Wawa den Sohn des Imedin-Stammeshäuptlings ehelichen. Dabei ist Wawa in Dain (Mungau Dain) verliebt, den Enkel ihres eigenen Stammeshäuptlings. Das junge Mädchen gibt sich widerspenstig, genauso wie Dain selbst. Nachdem dieser aus dem Dorf verbannt wird, ergreift Wawa in der Nacht vor ihrer Hochzeit die Flucht zu ihrem Geliebten. Was wiederum eine Hetzjagd der Imedin auf das junge Liebespaar lostritt.

“Since the beginning of time the chiefs have arranged marriage (…) but two lovers chose to walk a different path”, informiert zu Beginn des Films eine Texttafel. Tanna erzählt dabei nicht so sehr eine Geschichte über romantische Liebe als eine über gesellschaftliche Rollen, die Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Mehrheit und das Erwachsenwerden. “You’re not a child anymore“, teilt da Wawas Mutter (Linette Yowayin) der Tochter mit, als diese lieber mit ihren Freunden spielen möchte, statt mit den anderen Frauen zu arbeiten. Wawas kleine Schwester Selin ist da unbeschwerter, sie kann noch jenes Leben leben, dem die große Schwester entwachsen zu sein scheint. Doch auch ihr Handeln hat Konsequenzen.

Selins unachtsames Verhalten bringt ihren Großvater dazu, das Mädchen zu Yahul zu führen, den Vulkan der Insel, den ihr Stamm als Gottheit erachtet. “You have to start being more responsible”, belehrt der Schamane seine Enkelin. Ihr Ausflug ruft dann zwei Imedin-Krieger auf den Plan, die den Schamanen für ihre missratene Ernte verantwortlich machen. Letztendlich ist es somit das Verhalten von Selin, das eine Ereigniskette lostritt, die das Schicksal von Wawa für immer zu beeinflussen droht. Auf die Folgen des Tuns scheint es keine Alternative zu geben, so sehr sich die Figuren auch dagegen widerstreben. Zusätzliches Drama bringt der Umstand, dass es die Imedin waren, die einst Dains Eltern töteten und ihn zur Waise machten.

Bereits hier scheint absehbar, dass der Stamm unter Dains designierter Führung kaum eine friedliche Zukunft mit den Imedin führen kann, nicht zuletzt ob Wawas arrangierter Ehe. Ein Umstand, den sein Großvater (Charlie Kahla) ahnen müsste. Es ist somit deutlich, dass Dain nicht beim Stamm bleiben kann, Verbannung hin oder her. Ebenfalls keine Wahl scheint Wawa zu haben, bedenkt man die Umstände. “We’ve all experienced what you’re feeling”, weist ihre Großmutter (Dadwa Mungau) sie auf die Historie der arrangierten Ehen hin. Und betont: “This is not about you. This is about all of us.” Von Wawa wird erwartet, ihr eigenes Wohl hinter das des Stammes zu stellen. Doch das Mädchen wählt sein Glück vor dem der anderen.

Die Laiendarsteller machen ihre Sache dabei ordentlich, eindrucksvoller sind jedoch Bentley Deans Bilder der tollen Location Vanuatus sowie des dortigen Vulkans Yasur. Es ist schade, dass Dean und Butler sich für Digitalkameras entschieden, deren Künstlichkeit den Bildern das Cineastische nehmen. Auch wenn die Entscheidung wohl (mit) durch die Handlichkeit der Canon-Kameras begründet sein dürfte. Narrativ wie visuell gerät Tanna in seinem Schlussakt dann zwar etwas pathetisch und an der Grenze zum Kitsch, dies ist angesichts des Settings jedoch sicher verzeihenswert. Zumal natürlich die Botschaft, begründet in ihrer historischen Faktizität, eine schöne ist. Tanna zeigt, dass man eine Wahl hat, selbst wenn man (scheinbar) keine Wahl hat.

6/10

13. März 2017

Taxi Driver

One of these days I’m gonna get organiz-ized!

Ich bin kein Fan von Martin Scorsese. Nicht von seinen vermeintlichen Klassikern und von den Filmen aus diesem Jahrhundert schon gar nicht. Was im Umkehrschluss nicht heißt, dass all seine Werke schlecht sind, nur fehlt mir wohl der rechte Zugang zu ihren Inhalten. So sind die Goodfellas und Co. vielleicht eher auf formaler Ebene die Meisterwerke, als die sie erachtet werden – zu diesen zählt wiederum auch der von Paul Schrader geschriebene Taxi Driver. “One of the best and most powerful of all films”, pries einst Filmkritik-Guru Roger Ebert und hob die Einsamkeit der Figur Travis Bickle, gespielt von Robert De Niro, als Hauptthema des Films hervor. “We have all felt as alone as Travis. Most of us are better at dealing with it”, so Ebert.

Wenn über Taxi Driver gesprochen wird, fällt in der Regel ein Hinweis zum Vietnam-Krieg. Travis hat in ihm gedient und die Narben, um dies zu untermauern. Dies ist abgesehen von einer späteren Szene, in der Travis das Gespräch mit einem Secret Service Agenten sucht aber auch schon der einzige Bezug zum Krieg in Asien. Die Handlung selbst bezieht sich nicht darauf, der zeitliche Kontext allenfalls bedingt. Travis beginnt am Anfang der Geschichte eine Tätigkeit als Taxifahrer. “I just wanna work long hours”, sagt der Veteran. Und erklärt sich bereit “anytime, anywhere” zu fahren. Als Folge deckt er die Stadtteile New Yorks ab, die seine Kollegen gerne meiden. Wo Drogendealer und Prostituierte ihrem nächtlichen Geschäft nachgehen.

“All the animals come out at night”, ätzt Travis und verweist auf die Junkies, Huren und Schwulen in den Straßen. “Some day a real rain will come and wash all this scum of these streets”, hofft er. Die Handlung spielt in einer Phase einer anstehenden Präsidentschaftswahl, New York City ist bepflastert mit Plakaten der Kandidaten Goodwin (mit dem Trumpschen Slogan “A return to greatness”) sowie Senator Palantine (Leonard Harris). Wer auch immer Präsident wird “should clean this city up”, wobei New York wohl pars pro toto für das Post-Vietnam-Amerika stehen soll. Travis’ Interesse an Palantine resultiert aus dem an seiner Wahlkampfhelferin Betsy (Cybill Shepherd), die er kurz darauf zu einem fatalen Pornokino-Date einlädt.

Als eines der Motive des Films wird der Aspekt gesehen, dass Travis es nicht schafft, eine Verbindung zu seiner Umwelt und Mitmenschen aufzubauen. Er ist ein Außenseiter, losgelöst von der übrigen Gesellschaft. Gegenüber Palantine erwähnt Travis, er folge nicht wirklich der Politik, gegenüber Betsy wiederum, er verfolge nicht wirklich Musik. “I believe that someone should become a person like other people”, äußert Travis in einer Szene seine Überzeugung. Vermag ihr jedoch selbst nicht zu folgen. Die Hintergründe bleiben unklar. Travis’ Misanthropie wird von ihm selbst befeuert und zudem nicht einmal wirklich von den Bildern unterfüttert. Inwieweit – und ob überhaupt – New York sein Gesicht gewandelt hat, ist nicht einzuschätzen.

Vielleicht war die Stadt auch schon vor Travis’ Militärdienst so wie sie ist. Drogenkonsum ist wie Prostitution keine Erfindung der 1970er Jahre, zumal die Ablehnung der Figur gegen New York etwas verwundert, da Travis zweifellos in Vietnam schlimmeren Abschaum gesehen haben muss. Von Mord und Vergewaltigung bis hin zur Prostitution in Saigon – wie in nahezu jedem Genrefilm zum Vietnam-Krieg zu sehen. New York muss da nach seiner Rückkehr fast schon geordnet wirken. Auch wenn man sicher argumentieren kann, dass die Erlebnisse in Asien dazu geführt haben, dass die Augen der Figur in der Heimat nun offener für das sind, was wohl schon immer oder zumindest schon länger gegenwärtig war und falsch gelaufen ist.

Die Entfernung dieses gesellschaftlichen Geschwürs schreibt sich die Hauptfigur im Verlaufe des Film nun selbst zu. “I got some bad ideas in my head”, gesteht Travis und macht sein Poster-Motto wahr, von dem er eine Stunde zuvor noch Betsy in einem Diner erzählt hat: One of these days I’m gonna get organiz-ized! Der Körper wird gestählt, ein Waffenarsenal besorgt und modifiziert. Es ist aber keineswegs Travis, der seine eigene Forderung (“clean this city up”) in die Tat umsetzt. Auch wenn die Figur später einen Ladenüberfall tödlich beendet. Travis Bickle verkommt nicht zum Rächer der Straße, belässt den Abschaum wo er ist und arbeitet eher auf ein vermeintliches Attentat an Palantine hin. Offen ist, aus welchem Grund.

Sei es eine Art Trotzreaktion auf Betsys Abweisung oder ein Äußern der Unzufriedenheit des Volksvertreters an die zuständige Politik – das Attentat misslingt jedenfalls und die Motivation der Figur verabschiedet sich so schnell wie sie zuvor auftauchte. Es gibt keine Fixierung auf Palantine als Charakter, der Zuschauer lernt den Senator und seine Politik nicht einmal kennen. So amüsant zwar Travis’ Versuche sind, sich mit dem Secret Service Agenten anzufreunden, der Handlungsstrang, eine Art Nachgeburt aus den Avancen gegenüber Betsy, wirkt etwas halbgar. Runder kommt da schon Travis’ anschließendes Bemühen daher, die Kinderprostituierte Iris (Jodie Foster) aus den Fängen ihres Zuhälters ‚Sport‘ (Harvey Keitel) zu retten.

Mit Iris erhält die Handlung einen gewissen Fokus, nicht zuletzt, da sich Travis ihr intensiver widmet, sodass eine Homogenität entsteht. Seine Versuche, dem Mädchen mit Worten zu helfen, wollen nicht fruchten, eine gewalttätige Intervention scheint angesichts der Psyche des Protagonisten unausweichlich. Das Finale ist kurz und schmerzvoll, von Scorsese desaturiert inszeniert, um trotz des dargestellten Gewaltexzesses ein R-Rating zu erhalten. Der visuelle Wechsel ist überraschend, funktioniert aber ganz gut als Repräsentant der explosiven Klimax. Passend, wenn auch nicht wirklich ausgearbeitet, ist da der Epilog, der Travis zum Helden verklärt – ungeachtet ob dies nun Realität ist oder doch nur Fiebertraum der Figur.

Womöglich würde Taxi Driver – zumindest für mich – besser funktionieren, wenn das Iris-Element den Film zu Lasten der Betsy-Palantine-Passagen stärker durchzogen hätte. Oder alternativ jene Passagen etwas tiefer thematisiert worden wären respektive der Niedergang der Stadt (darunter im Cameo des Regisseurs als stalkender Ehemann). Alles zusammen wirkt jedoch nicht vollends rund und gibt wenig Einblicke in die Figur und ihr Handeln – da helfen auch die halbherzigen Voice-Over-Tagebucheinträge wenig bis gar nichts. Dessen ungeachtet will für mich das alles mit Vietnam wenig zu tun haben, bestenfalls mit dem Isolationsfaktor innerhalb der Gesellschaft und den Folgen von missglückten sozialen Interaktionen.

Was diese Thematik angeht, funktioniert ein Film wie Scorseses Bringing Out the Dead sehr viel besser – sowohl in seinen Charakteren, Motivation und Mise en Scène. Laut der letzten Kritikerumfrage von Sight & Sound gibt es nur 30 Filme in der Geschichte des Kinos, die noch besser sein sollen als Taxi Driver – selbst wenn mir seine kulturelle und narrative Signifikanz nicht gewahr wird. Es ist ein solider Film, vielleicht etwas zu lang, aber mit interessanten Ansätzen, die Martin Scorsese nicht vollends zu einem überzeugenden Ganzen verbindet. Makellos ist dafür das Ensemble, die junge Jodie Foster insbesondere sowie Robert De Niro, als er noch engagiert bei der Sache war. Das kann man schätzen, auch wenn man kein Fan ist.

6/10

6. März 2017

Moonlight

See that? Now you can see everything.

So vorhersehbar die Gewinner der Oscars inzwischen sind – dies schließt die Auszeichnung von Moonlight als besten Film mit ein –, war der Fauxpas zum Abschluss der 89. Academy Awards dann doch überraschend ungewöhnlich. Viel Aufhebens wurde darum gemacht, dass statt dem schnulzigen Musical-Märchen über zwei weiße Künstler nun der Preis für den besten Film an eine Produktion ging, die gänzlich auf weiße Schauspieler verzichtete. Und das ein Jahr nach #OscarSoWhite (oder vielleicht gerade deswegen?). Zumal Barry Jenkins’ Moonlight die Geschichte eines armen schwarzen Jungen erzählt, der sich mit seiner Homosexualität und den harten Reaktionen seiner Umwelt auf diese auseinandersetzen muss. Das sagt zumindest die Inhaltsangabe.

Wirklich viel zu sehen ist davon in Jenkins’ Film aber nicht. Bis auf einen klischeehaft inszenierten Moment wird aus ihm, so würde zumindest ich argumentieren, nicht einmal deutlich, dass es sich um die Coming-of-Age-Geschichte eines schwulen Jungen handelt. Als Kind wird Chiron (Alex Hibbert) von den anderen Kindern durch eine leerstehende Sozialwohnungs-Anlage in Miami gejagt, wo ihn der lokale Drogendealer Juan (Mahershala Ali) findet. Dieser nimmt sich des Jungen an, gibt ihm etwas zu essen und lehrt ihn das Schwimmen. Einen Vater hat Chiron nicht und seine Mutter Paula (Naomie Harris) verbringt ihre Zeit damit, sich zu prostituieren, um ihrer Drogensucht, unterfüttert durch die Produkte von Juan, zu frönen.

Untergliedert in drei Akte folgt Jenkins Chiron im Mittelteil (nun von Ashton Sanders gespielt) in dessen High School. Weiterhin wird der Jugendliche von seinen Altersgenossen gemobbt, die Mutter ist immer noch drogensüchtig. So bleiben dem Teenager nur Teresa (Janelle Monáe), Juans Freundin, und Kevin (Jharrel Jerome), ein Mitschüler. Letzterer hatte schon in jungen Jahren (dargestellt von Jaden Piner) dem introvertierten Chiron geraten, sich gegen die anderen Jungen körperlich zur Wehr zu setzen. Zwischen viel Sex-Talk und “Nigger”-Getöne nähern sich Kevin und Chiron dann während einer nächtlichen Begegnung am Strand an, ehe die Situation kurz darauf eskaliert und Moonlight sich auf den Weg in sein finales Schlusskapitel begibt.

Nun Anfang 20 ist Chiron (Trevante Rhodes) nicht mehr der Hänfling von einst, aber auch nicht mehr so unschuldig wie noch als Kind. An jene Vergangenheit erinnern ihn zwei Anrufe von Paula einerseits und Kevin (André Holland), nun Betreiber eines Diners, anderseits. Letztlich ist der Schlussakt in gewisser Weise Aufarbeitung der beiden vorherigen Kapitel, die inhaltlich wiederum praktisch identisch sind. Moonlight erzählt uns dabei von einem schwarzen Jungen, dem die Liebe seiner drogensüchtigen Mutter fehlte, während er in der Schule und Freizeit von seinen Altersgenossen gehänselt wurde. Dass Chiron homosexuell ist und was diese Homosexualität für ihn bedeutet, macht Jenkins allerdings nicht wirklich zum Thema.

Zwar fällt im ersten Kapitel das Wort „Schwuchtel“, dies lässt sich jedoch genauso gut als simple Beschimpfung unter Cisgender-Jungen verstehen. Unterdrückt Chiron seine sexuelle Ortientierung? Wir erfahren es nicht, weil sich der Film durchweg lediglich an der Oberfläche seiner Figuren bewegt. Welche Rolle Kevin in Chirons Leben einnimmt oder welche Folgen die plötzliche Abwesenheit von Juan auf den Jungen hat, bleiben offen. Dass Moonlight sporadisch in drei Lebensabschnitten seiner Figur vorbeischaut, aber dabei keinerlei Einblicke bietet, bricht ihm schlussendlich das Genick. Der Wandel der Figur im Schlussakt soll womöglich überraschen, ihm fehlt allerdings die Basis und ein Verständnis für die Unruhe des Protagonisten.

Moonlight erzählt seine Geschichte in Momenten. Der eine Moment, in dem Juan dem kleinen Chiron von seiner eigenen Kindheit auf Kuba erzählt. Gefolgt von dem Moment, in dem er ihm das Schwimmen beibringt. Ein Moment, in welchem Chiron erfährt, dass es Juan ist, von dem seine Mutter ihre Drogen erhält sowie mehrere Momente, in denen er die Ablehnung anderer Jungen auf sich zieht. Scheinbar, weil er komisch läuft und er läuft wohl komisch, da er homosexuell ist. Ob das die Figur tatsächlich ist, bleibt unklar. Im ersten Kapitel dürfte Chiron zu jung sein, um sich bereits seiner Sexualität gewahr zu sein. Ihr widmet sich Jenkins dann zwar stärker im Mittelteil, aber die Handlung ist nahezu identisch mit den 35 Minuten zuvor.

Insofern funktioniert Moonlight also auch als ganz „gewöhnlicher“ Film über einen schwarzen heterosexuellen Jungen, der mit seiner drogensüchtigen Mutter in einer Sozialwohnung lebt und von Klassenkameraden gemobbt wird. Die Situation eskaliert, ein Wandel findet statt. Persönlichkeiten ändern sich – wer hart war, wird weich, wer weich war, wird hart. Ein direkter Zusammenhang zu Hetero- oder Homosexualität besteht nicht, höchstens einer zu Männlichkeits-Idealen und Rollenbildern. Moonlight will besonders sein, ein schwarzer LGBT-Film, ist jedoch Letzteres nur ausgesprochen oberflächlich und könnte allgemein nahezu 1:1 in eine ärmliche Trailer-Park-Kleinstadt der Südstaaaten in ein White-Trash-Milieu verlegt werden.

Das Besondere an Jenkins’ Film will mir nicht klar werden. Die Handlung ist ausgesprochen generisch und wenig originell. Mahershala Ali liefert eine gewohnt solide Leistung in seinen wenigen Minuten auf der Leinwand ab, Naomie Harris wiederum verliert sich wie so oft in grenzenlosem Overacting ihrer 0815-Darbietung einer drogensüchtigen Frau. Die sechs Jungdarsteller sind in Ordnung, aber ähnlich wie Ali kaum da und dann bereits wieder weg. Es wäre wohl besser gewesen, sich konkret auf eine bestimmte Lebensphase von Chiron zu fokussieren, genauso wie auf seine Homosexualität. “At some point you got to decide for yourself who you’re gonna be”, sagt Juan zu Chiron. Barry Jenkins hätte sich das mal lieber zu Herzen genommen.

4.5/10