12. August 2007

Requiem for a Dream

In the end it’s all nice.

Was haben Bonnie & Clyde, M – Eine Stadt sucht einen Mörder und Requiem for a Dream gemeinsam? Alle drei stehen auf Premieres Liste der 25 meistgefährlichen Filme, die je gedreht wurden. Was auf den ersten Blick übertrieben wirkt, erscheint bei näherer Sichtung gar nicht so falsch, denn der zweite Film von Darren Aronofsky, welcher auf dem Buch von Hubert Selby Jr. basiert, ist von seiner Thematik akut, aktuell und in der Tat gefährlich. Aronofsky gelang mit seinem Drogendrama ein optisch und inhaltlich charakteristisches Bild unserer Gesellschaft und ging zu Unrecht bei den großen Preisverleihungen unter, abgesehen von einer mehr als gerechtfertigten Nominierung von Ellen Burstyn. Requiem for a Dream ist eigentlich weniger ein Film über Drogenkonsum als über Drogensucht.

Jede der Figuren ist süchtig, meistens sogar nach mehreren Dingen, sei es Kaffee, Schokolade, Sex, Diät-Pillen, Heroin oder das Fernsehen. Einfach Dinge, die unseren Alltag bestimmen und dabei so notwendig und unabdingbar werden, dass wir nicht mehr ohne sie leben wollen, nicht mehr ohne sie leben können. Irgendwann steht man morgens auf und kann den Tag nicht mehr bestreiten, wenn man nicht seine Tasse(n) Kaffee zu sich genommen hat, irgendwann vernachlässigt man seine Umwelt, weil man nicht mehr vom Internet oder dem Fernsehprogramm loskommt. Hierbei tut das Fernsehen natürlich in einer besonderen Funktion sein übriges. Es ist so konstruiert, den Zuschauer nicht loszulassen, ihn bei der Stange zu halten, um ihn zum weiteren Konsum zu verführen.

Ehe man sich versieht, steckt man in einer Suchtschleife, aus der auszubrechen schwieriger ist, wie man sich eingestehen will. Die Handlung des Films erstreckt sich über sechs bis neun Monate und drei Jahreszeiten, ist dabei klimatisch aufgebaut. Im Sommer sind alle Figuren an ihrem Höhepunkt, am nahesten Punkt ihres Ziels. Der Verfall beginnt dann schließlich im Herbst, die Sucht hat alle in ihren Fängen und als der Winter Einzug hält, endet die Geschichte mit dem Tiefpunkt aller Charaktere, von ihrer Sucht zerfressen, ein Schatten ihrer selbst geworden. Dies erzählt Aronofsky in cineastisch ungewöhnlichen Bildern, wobei er doppelt so viele Schnitte verwendet wie ein durchschnittlicher Film, statt 1.000 Schnitte treten in Requiem for a Dream nämlich mehr als doppelt so viele auf.

Besonders lange ungeschnittene Aufnahmen finden sich in den SnorriCam-Szenen, die zu Aronofskys Symbol geworden sind. Eine am Körper der Schauspieler befestigte Kamera, die diese frontal ablichtet. Dies verstärkt in den verwendeten Einstellungen das immserive Erlebnis, welches der Film ohnehin auslöst, noch um ein weiteres. Harry Goldfarb (Jared Leto) ist drogenabhängig und neigt dazu den Fernseher seiner Mutter zu stehlen und zu veräußern, wenn es ihm an Geld mangelt. Mit diesem Geld besorgt er sich das Heroin, das Hasch, die Pillen, was er eben zum durchhalten braucht. Bestärkt wird er dabei von der Liebe zu seiner Freundin Marion. Diese ist so stark, dass er seinen Traum von finanzieller Unabhängigkeit mit ihrem Traum von beruflicher Unabhängigkeit vereinen möchte.

Harry macht Pläne für Marions Geschäft, organisiert und renoviert. Das Geld hierfür verdient er mit Kumpel Ty durch das Verkaufen von Heroin. Alles läuft so gut, dass er sogar seiner Mutter einen neuen Fernseher schenken kann, denn er ist sich der Tatsache bewusst, dass er ein schlechter Sohn ist. Ihm fällt zudem die Pillenabhängigkeit seiner Mutter auf, doch Harry, mit sich selbst beschäftigt, ignoriert dies. Als sein Lieferant erschossen wird und die Drogenszene in einen Bandenkrieg gerät, müssen Harry und Co. neue Wege finden, um an Drogen zu kommen. Hier opfert Harry das Wichtigste in seinem Leben: seine Liebe zu Marion (Jennifer Connelly). Denn sie kommt aus gutem Hause, hat aber keinen Kontakt zu ihren Eltern, die ihr später den Geldhahn zudrehen.

Zuvor scheint sich ihr Traum vom eigenen Modegeschäft durch Harrys Bestreben zu erfüllen. Als aber der Drogenfluss durch den Bandenkrieg unterbrochen wird, liegt es an Marion, neues Geld und damit Drogen zu beschaffen. Sie ist gezwungen, sich zu prostituieren und als Harry sich immer mehr von ihr entfernt, rutscht sie schließlich immer tiefer in die Prostitution hinein. Ty (Marlon Wayans) hingegen ist von der Liebe zu seiner Mutter beseelt, über deren Verhältnis man jedoch nur anhand einer Rückblende etwas erfährt. Er sucht nur das Gefühl von Liebe und Geborgenheit, sein Traum ist es, gehalten zu werden. Besonders tragisch endet schließlich seine beispielhafte Freundschaft zu Harry für ihn, die er trotz desillusioniertem Zustand bis zum Ende aufrechterhalten kann.

Am Tragischsten ist die Geschichte von Harrys Mutter, Sara Goldfarb (Ellen Burstyn). Sie ist abhängig von ihrer Lieblingsfernsehsendung Juice, einem Selbstmotivationsprogramm, von welchem sie zu Beginn einen Anruf erhält, dass sie als Kandidatin auftreten darf. Ob dies tatsächlich der Fall oder von ihr eingebildet ist, wird dabei nicht klar. Um für die Sendung in ihr bestes Kleid zu passen, beginnt sie eine drastische Pillendiät, bei der sie schnell abmagert, aber auch den Bezug zur Realität verliert. Bald ist ihr ganzer Alltag vom Fernsehen und den Pillen bestimmt. Saras Traum ist eine normale Beziehung zu Harry, die sie jedoch nur in ihrer Phantasie erreicht. Was am Ende aus Sara wird, ist von allen vier Geschichten die mit Abstand erschütterndste, weil realste Gefahr für den Menschen.

Die Gefahr, die Requiem for a Dream ausstrahlt, geht insbesondere von seiner Sommer-Geschichte aus, bekommt man innerhalb dieser doch richtig „Lust“, Drogen zu konsumieren, wenn man sich die hedonistische Lebensweise von Harry, Marion und Ty ansieht. Ironischerweise geht einem ihr Verfall dann allerdings nicht so zu Herzen wie der von Sara. Diese bekommt ihre Pillen von einem verantwortungslosen Arzt, der Sara weder ansieht, noch richtig wahrnimmt. Allgemein finden sich viele gesundheitssystemische Kritikpunkte in Aronofskys Film. Alle vier Figuren eilen ihrem eigenen US-amerikanischen Traum nach und alle scheitern an ebenjenen Träumen, so wie wohl auch die meisten Personen an dem US-amerikanischen Traum in Wirklichkeit zum Scheitern verurteilt sind.

In der US-amerikanischen Verfassung wird allen das Streben nach Glück zugesprochen – vom Glück selber ist aber nicht die Rede und mehrheitlich bleibt es auch nur beim Streben. Vielleicht nicht unbedingt als Abgesang auf den American Dream versteht sich Aronofskys Werk dennoch als Meilenstein in der soziokulturellen Kritik, wo Menschen gezielt abhängig gemacht werden – nach was ist letztlich unerheblich. Getragen wird Requiem dabei neben seiner visuellen Art durch die brillante Leistung von Ellen Burstyn und dem grandiosen Score von Clint Mansell und dem Kronos Quartet. Requiem for a Dream ist nicht nur ein äußerst wichtiger Film, sondern auch ein geniales Meisterwerk. Keinesfalls ein gefährlicher Film, den man daher nicht nur sehen kann, sondern gesehen haben sollte.

10/10

1 Kommentar:

  1. Requiem ist ein wahrer Horrorfilm. Ich hatte nach der ersten Sichtung richtige Bauchschmerzen und Marions letzte Szene erzeugt bei mir heute noch Übelkeit der schlimmsten Sorte. Mir ist momentan kein besserer Film zum Thema bekannt. Und dies wird wohl auch noch lange so bleiben.

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