25. September 2014

Manakamana

Makes your ears pop, doesn’t it?

Früher, erinnert sich eine nepalesische Frau, habe es Tage gedauert, ehe man von Cheres im Chitwan-Distrikt den 1302 Meter hohen Manakamana-Tempel im Gorkha-Distrikt erreichte. Heute wird die Distanz über 2772 Meter von einer Gondelbahn überbrückt, die rund zehn Minuten braucht. Seit 1998 fährt die Bahn von einem Distrikt Nepals in den anderen, um die Fahrgäste auf ihren Weg zum Manakamana zu bringen. Der Tempel, ein geweihter Ort der Hindu-Göttin Parvati, soll Pilgern, die sich auf die Reise begeben, um dem dortigen Schrein zu huldigen, ihre Wünsche erfüllen. Ein Thema, wie geschaffen für Stephanie Spray vom Sensory Ethnography Lab der Harvard University, die mit Kollege Pacho Velez Manakamana inszenierte.

Das Sensory Ethnography Lab, kurz SEL genannt, ist ein fachübergreifendes Zentrum, welches mittels Medien anthropologische Arbeiten zur ästhetischen Völkerkunde erschafft. Bekannt ist es wohl durch seinen Direktor, Lucien Castaing-Taylor, der mit seiner Kollegin Ilisa Barbash die renommierten Dokumentationen Sweetgrass und Leviathan inszenierte. Bei Manakamana sind beide als Produzenten vertreten, während Spray und Velez Pilger mit der Manakamana-Gondel zum Tempel fahren lassen. Die Kamera verlässt dabei nie die Gondel, die Schnitte zwischen den verschiedenen Fahrgästen geschehen, wenn die Gondel in der jeweiligen Station im Dunkeln ihre Passagiere wechselt. Die einzige Konstante ist die Gondel mit Kamera.

Wie auch die Werke von Castaing-Taylor und Barbash oder auch mit Abstrichen Michelangelo Frammartinos Le quattro volte ist Manakamana ein quasi meditatives Bilderzeugnis, dem keine Handlung zu Grunde liegt. Die Mitglieder von SEL sind Anthropologen und Beobachter, weshalb ihre Dokumentationen selbst innerhalb des Genres eine Ausnahmestellung einnehmen. Nichts wird hinterfragt oder erklärt, egal ob Fischer oder ein Schaf-Trek in den Bergen Montanas bei der Arbeit begleitet wird. Im Mittelpunkt von Sprays und Velez’ Film steht dabei der Weg der nepalesischen Gondelfahrer auf ihrem Weg zum Tempel. Wie ihn diese beschreiten, ihn gestalten. Die Hintergründe ihrer Reise bleiben dabei offen.

Manche von ihnen sind vielleicht Touristen, die meisten aber wohl Bittsteller. Ihre Reise bestreiten viele in stiller Demut, so wie ein Großvater und sein Enkel zu Beginn. Auch ein Ehepaar, dem der Zuschauer gleich zweimal begegnet, hat sich wenig zu sagen. Bei der Hinfahrt sieht man noch einen Hahn in der Tragtasche des Mannes, bei der Rückfahrt schauen nur noch dessen Füße aus dieser heraus. Die Opfergabe verlief also erfolgreich. Für eine solche wird an einer Stelle auch die Gondel gewechselt, wenn eine Handvoll Ziegen sich auf ihren letzten Trek machen. Rückkehrer sind derweil ein Trio älterer Damen, die nicht nur alte Mythen, sondern auch ihre Ansichten über die Schönheit der Berge vor der Kamera reflektieren.

Bemerkenswert gerät dabei eine Gondelrückfahrt zweier junger Frauen – eine von ihnen Abendländerin –, die auf den ersten Blick wie Fremde wirken, die sich ein Transportmittel teilen, ehe das peinliche Schweigen doch durch Small Talk abgelöst wird, der eine Bekanntschaft der Frauen aufzeigt. Das Highlight dieser zweistündigen Dokumentation sind jedoch zwei andere Damen, die mit einem Eis am Stiel die zehnminütige Rückfahrt nach Cheres überbrücken wollen. Dabei lassen sich die Frauen derart viel Zeit, dass ihnen ihr Eis buchstäblich vom Stiel schmilzt und eine entsprechende Sauerei hinterlässt. Was die Damen mit herzlichen Gelächter quittieren, welchem man sich auch als Zuschauer nicht verwehren möchte – oder könnte.

Auf simple Art und Weise vermitteln Spray und Velez in Manakamana einen Einblick in eine fremde Kultur und deren (religiöse) Gepflogenheiten. Visuell ansprechend und durchaus spannungsvoll gestaltet durch die unsichtbaren Schnitte bei den Fahrgastwechseln. Ob die Passagiere für ihre umgerechnet 3,75 Euro (Hin- und Rückfahrt) tatsächlich ihre Wünsche erfüllt bekommen, bleibt offen – und ist damit sicherlich ein Spiegelbild seines Filmpublikums. Denn auf Manakamana muss man sich als solches einlassen und im Vorfeld vermutlich wissen, was eine SEL-Dokumentation einem bieten kann/wird. In diesem Fall ist dies ein zweistündiger Ausflug in zwei von Nepals 75 Distrikte – und das, ganz ohne die Gondel beziehungsweise sein Sofa zu verlassen.

7/10

18. September 2014

The Zero Theorem

Everything adds up to nothing.

Warum sind wir hier, was ist der Sinn unserer Existenz? Fragen, so alt wie die Menschheit selbst, die aufgrund unzureichender Antworten irgendwann der Einfachheit halber die Religion erfand. Die Sinnfrage beschäftigt auch den Protagonisten in The Zero Theorem, dem jüngsten Film von Terry Gilliam, der diesen als Abschluss seiner Dystopie-Trilogie sieht, zu der Brazil und 12 Monkeys gehören. In einem futuristischen London ist Qohen Leth (Christoph Waltz) einer von vielen Angestellten der Firma Mancom und berechnet für diese Einheiten. Qohen strebt danach, als arbeitsunfähig deklariert zu werden, damit er von daheim – einer verlassenen Kirche – arbeiten kann. Dort erwartet er den Anruf einer höheren Autorität.

Diese wollte die Antwort auf die alles entscheidende Frage geben, doch der Anruf wurde frühzeitig beendet. “All we want is our call”, wiederholt Qohen – der von sich selbst in der 1. Person Plural spricht – mehrfach im Film. Weil die Firmenärzte ihm die Arbeitsunfähigkeit nicht bestätigen, sondern lediglich mit dem Psychiater-Programm Dr. Shrink-Rom (Tilda Swinton) nach Hause schicken, sucht Qohen das Gespräch mit dem Management (Matt Damon). Auf einer Feier seines Vorgesetzten Joby (David Thewlis) erhält Qohen seine Chance – wird jedoch zuerst nicht erhört. Immerhin lernt er die verführerische Bainsley (Mélanie Thierry) kennen, die ihn später dazu einlädt, mit ihr Cyber-Tantra-Sex zu haben. Dann meldet sich Management.

Qohen darf von daheim arbeiten, wenn er für Mancom das Zero Theorem knackt. “Zero must equal one hundred percent”, rattert der Computer daraufhin monatelang runter, während Qohen die entscheidende Gleichung bis auf knapp 98 Prozent pusht. Wirklich vorwärts kommt er jedoch nicht, sodass er irgendwann wieder in eine Sinnkrise fällt. Etwas, das Management nicht zulassen kann und Qohen unentwegt beobachtet. Die Antworten, die Qohen anstrebt, treiben uns letztlich alle um. Bieten können sie ihm weder das Management (“you’re quite insane”) noch Dr. Shrink-Rom (“you’re a tough nut to crack”). Und dennoch erhält Qohen Ansätze, wenn auch abseits des Zero Theorems. Schlichtweg, indem er lebt und interagiert.

Der zurückgezogen lebende Glatzkopf, der Körperkontakt vermeidet, weicht auf, als ihm Management seinen Progammierer-Sohn Bob (Lucas Hedges) zur Seite stellt. Genauso wie bei seinen Online-Dates im Cyberspace. Anstatt nach dem Sinn des Lebens zu fragen, lebt Qohen einfach. Doch das vermeintliche Glück – insofern existent – ist nur von kurzer Dauer. Prinzipiell ist The Zero Theorem also eine Allegorie auf das Leben selbst, welches wir zu Beginn des Films in ziemlich übersteigerter Form erleben. Penetrante Straßenreklame, eine Gesellschaft, abhängig von ihren Mobilgeräten – selbst auf Partys. Schrill-schräg ist diese Welt, die Gilliam entsprechend bunt zelebriert. Was jedoch eine gewisse billige Künstlichkeit mit sich bringt.

In der Tat sieht The Zero Theorem aus, als wäre er 20 Jahre alt, was sicher dem geringen Budget des Films geschuldet sein dürfte. Dessen grundsätzlich interessante Ideen und Ansätze vermag Gilliam bedauerlicherweise nicht zu transportieren. Qohen ist eine irritierende Figur, deren Spleen nicht recht greifbar ist. Wir erfahren später, dass er einst verheiratet war und nun geschieden ist, was angesichts seines Charakters verwundert – diesen womöglich aber auch erklärt. Grundsätzlich kann und soll die Figur wohl als Spiegelbild der Menschen gelesen werden, daher auch die Referenz auf sich selbst in der 1. Person Plural. Die philosophische Dichte, die der Intention des Ansatzes innewohnt, will sich derweil nicht wirklich einstellen.

Während Qohen nach einem Fixpunkt sucht, um seiner Existenzangst Einhalt zu gebieten, soll er für Management zugleich mit dem Zero Theorem die Big Crunch-Theorie bestätigen. “Everything adds up to nothing”, fasst es Joby eingangs zusammen. Für die Menschheit eine unnatürliche Vorstellung: ein Leben aus dem Nichts ins Nichts. “What’s the point?”, entgegnet Qohen daher. Später wird Management ihn bei der Arbeit mittels einer Kamera beobachten, die auf den Torso eines Kruzifix’ angebracht ist. Eine höhere Macht, die uns unentwegt beobachtet und kontrolliert. Eine der wenigen netten Ideen des Films, zu der auch Tilda Swintons Cameo als Psycho-Programm und David Thewlis im Monty-Python-Gedächtnis-Modus gehören.

Zugleich hadert der Film auch mit seinen Figuren. Christoph Waltz wirkt fehl am Platz oder nicht in seinem Element. Der ursprünglich vorgesehene Billy Bob Thornton wäre hier ebenso die bessere Wahl gewesen wie Management tatsächlich von Al Pacino statt Matt Damon spielen zu lassen. Gastauftritte von typische gilliamschen Figuren wie einem Doktoren-Trio (u.a. Peter Stormare und Ben Whishaw) oder Werbefiguren (darunter Rupert Friend) verpuffen, da sie keinem wirklichen Zweck dienen und nicht weiter verfolgt werden. Ohnehin wird die Welt des Films nicht erforscht – wofür man aufgrund des billigen Looks gleichzeitig irgendwie aber auch wieder dankbar sein muss. Richtig überzeugen kann The Zero Theorem jedenfalls nicht.

Zu Gute halten mag man dem Film, dass er immerhin originäre Ideen umsetzt – auch wenn viele Elemente mitunter an Brazil erinnern. Mit seinen dystopischen Kollegen aus Gilliams Œuvre kann sich The Zero Theorem jedenfalls nicht messen, dafür fehlt ihm das inhaltliche Momentum wie auch die visuelle Überzeugungskraft. Der Output des Ex-Python im 21. Jahrhundert vermag folglich nicht mehr mit seinen Werken aus den 1980er und 1990er Jahren mitzuhalten. Dies wiederum gibt wenig Hoffnung für sein wiedererwecktes Don-Quixote-Projekt, für das der Regisseur seit Jahren um Finanzierung kämpft. Aber zumindest scheint das Projekt Gilliams Schaffen einen Sinn zu geben. Und das ist doch wiederum schließlich auch etwas.

4/10

12. September 2014

Calvary

I think she’s bipolar. Or lactose intolerant. One of the two.

Sexueller Missbrauch in der Kirche ist nicht mehr ganz so ein aktuelles Thema wie noch vor ein paar Jahren. Aber die Erinnerung, wie es in einer Szene in John Michael McDonaghs Calvary heißt, verblasst nie. So auch nicht bei jenem gesichtlosen Antagonisten, der in der Eröffnungsszene die Handlung lostritt. Mit sieben Jahren sei er das erste Mal von einem Priester missbraucht worden, gesteht er Vater James Lavelle (Brendan Gleeson) im Beichtstuhl. “Certainly a startling opening line”, entgegnet dieser. “I’m going to kill you ’cause you’ve done nothing wrong”, fährt das Opfer fort. Denn einen unschuldigen Priester zu töten, wäre ja ein schockierendes Statement. Eine Woche hat Lavelle Zeit, um mit sich selbst ins Reine zu kommen.

Der deutsche Verleih vertreibt Calvary – vom lateinischen Name für Golgota – daher reißerisch als Am Sonntag bist du tot. Der Film vereint John Michael McDonagh erneut mit Brendan Gleeson, der ein illustres Ensemble anführt, zu dem auch der Comedian Chris O’Dowd zählt. Er spielt Dorf-Metzger Jack, dem unterstellt wird, er würde seine Frau schlagen. Jack wiederum schiebt den Vorwurf auf Mechaniker Simon (Isaach de Bankolé), mit dem er sich seine Frau teilt. Nicht die einzigen Sorgen Lavelles, taucht doch auch Fiona (Kelly Reilly) – seine Tochter vor dem Zölibat, das auf den Tod seiner Frau folgte – nach einem missglückten Suizidversuch auf. “Don’t tell me”, unkt der Vater dann beim Anblick der Bandagen, “you made the classic error.”

Humorvolle Auflockerungen finden sich in Calvary immer wieder. Das macht den Film nicht wirklich zur schwarzen Komödie, aber auch nicht vollends zum Drama. Die Drohung zu Beginn führt zudem zu keiner rechten Katharsis in Lavelles Handeln. Vielmehr geht der Gottesmann seinem normalen Alltag nach, obschon er gegenüber seinem Bischof zu erkennen gibt, dass er seinen designierten Mörder anhand seiner Stimme identifiziert hat. Der Film lässt es dabei offen, um wen aus der Gemeinde es sich handelt, könnte es doch prinzipiell jeder von ihnen sein. Sie alle sind zwar gottesehrfüchtig auf der einen Seite, andererseits jedoch gegenüber Lavelle auch wieder ungemein respektlos. Ein Widerspruch scheinbar und doch irgendwie auch nicht.

So könnte es der altersschwache Schriftsteller (M. Emmet Walsh) genauso gut auf den Priester abgesehen haben wie der zynische Doktor (Aiden Gillen), der snobbistische Millionär (Dylan Moran) oder ein homosexueller Callboy. Lavelle nimmt sich dennoch ihrer aller an, wenn auch auf seine ganz eigene Art. Als eines seiner Schäfchen zur Armee ziehen will, um seine Aggressionen abzubauen, da er keinen Sex hat, schlägt ihm der Priester Pornografie vor. Er hat sich mit ihnen arrangiert und gibt somit einen ungewöhnlichen Schlag Gottesdiener ab, wie ihn vermutlich nur Brendan Gleeson in seiner unnachahmlichen Art darzustellen vermag. Ganz so zotig wie der Vorgängerfilm The Guard kommt Calvary allerdings nicht daher.

Eine wirkliche Richtung besitzt der Film jedoch auch nicht. Die übrigen Figuren reichen von uninteressant bis schräg, einen rechten Zweck erfüllen sie aber nicht. Dies trifft ebenso auf Tochter Fiona zu wie auf einen verurteilten Serienmörder (Domhnall Gleeson), den Lavelle in der Mitte des Films aus völlig irrelevanten Gründen besucht. “Everything has to mean something or otherwise what’s the point?”, formuliert Calvary an einer Stelle da sicherlich nicht unkorrekt. Fast schon lethargisch verrichtet Lavelle sein Amt, für das ihm eine französische Touristin (Marie-Josée Croze), die ihren Mann bei einem Unfall verloren hat, noch am dankbarsten scheint. Vielleicht ist auch alles nur ein Test seines Glaubens: die Welt stoisch zu ertragen.

Brendan Gleeson gibt dabei eine fraglos überzeugende Darbietung, in einem grundsätzlich vorzüglich fotografierten Film mit einer himmlischen Musik von Patrick Cassidy. Etwas mehr innerer Konflikt – oder nach außen getragener – für die Hauptfigur wäre aber wünschenswert gewesen. So bleibt in Calvary nicht viel außer die Interaktion von schrulligen (irischen) Figuren. Der sexuelle Missbrauch in der Kirche spielt jedenfalls keine wirkliche Rolle in John Michael McDonaghs Geschichte, außer eben als Tatmotiv und narrative Klammer zwischen Anfang und Ende. Ungeachtet dessen zeigten sich Kritiker ekstatisch. Vom „Meisterwerk“ bis zum „besten irischen Film aller Zeiten“ ist da die Rede. Ein Fazit, dem ich mich nicht wirklich anschließen kann.

6/10

6. September 2014

Blended [Urlaubsreif]

We used to have gas. But now we’re out.

Im Ausland – und vermutlich auch in den USA – ist Adam Sandler ein Phänomen. Ein Kassenmagnet, und das mit eher bescheidenen Filmen. Zotig geht es bei Sandler oft zu, Pointen müssen die Witze dabei nicht zwingend haben. Product Placement ist willkommen und wird durch Furz-, Kotz- und Pisswitze ergänzt. Sandlers letzte zehn Film spielten insgesamt eine Milliarde Dollar Gewinn ein und dennoch gilt sein Jüngster, Blended (bei uns: Urlaubsreif), als Flop. Sogar als Beginn von Sandlers Kassenära-Ende. Was verwundert. Der Film lief in den USA zwar für Sandlers Verhältnisse wenig erfolgreich (startete dabei aber zur selben Zeit wie X-Men: Days of Future Past und Godzilla), spielte aber dennoch das Dreifache seiner Kosten ein.

Erzählt wird die Geschichte der jeweils allein erziehenden Jim (Adam Sandler) und Lauren (Drew Barrymore), die sich bei einem Blind Date treffen und bald wieder getrennte Wege gehen. Da Jims Chef und Laurens Kollegin, ein Paar, sich trennen, kaufen beide ohne es zu wissen günstig deren geplatzte Afrika-Reise. Dort müssen Jim und seine drei Töchter sowie Lauren und ihre zwei Söhne nun wider Willen dasselbe Zimmer und dieselben Aktivitäten teilen. Hierbei schafft es Lauren, die Mädchen über den Tod ihrer Mutter hinwegzutrösten und Jim es, die Jungs bei den richtigen Hörnern zu packen. Und obendrein merken beide Elternteile, dass sie vielleicht doch mehr gemein haben, als sie bei ihrer ersten Begegnung dachten.

Man muss nun kein Sandlerologe sein, um zu wissen wie Blended verläuft. Das Rom-Com-Gesetz behält Gültigkeit. Was Blended aber von anderen Sandler-Werken – der Film ähnelt dabei eher Just Go With It und Click statt Grown Ups oder Jack & Jill – unterscheidet beziehungsweise auszeichnet, ist neben dem moderaten Budget (es ist Sandlers günstigster Film seit 15 Jahren) vor allem die immer wieder eingestreuten emotionalen Momente. In die Karten spielt dem Film dabei die Darstellung von Jim als Witwer und die Rolle, in der er sich dadurch wiederfindet. Die älteste Teenager-Tochter Hilary (Bella Thorne) wird als Tomboy erzogen, “Larry” gerufen und zur Sportmaschine erzogen, wo sie doch gerade ihre Weiblichkeit entdeckt.

Die Zweitjüngste Tochter heißt schlicht Espn (Emma Fuhrmann) nach Jims Lieblingssender und dann ist da noch Lou (Alyvia Alyn Lind). Alle drei teilen sich denselben Jungenhaarschnitt, den sie Jims Friseur verdanken, der schon Opa und Uropa bediente. Während die aufgeweckte Lou nach einer Mutterfigur lechzt, kann sich Espn noch nicht von der alten lösen und behält diese als unsichtbaren Begleiter. Probleme, wie sie Lauren nicht kennt. Sie hadert mit ihrem für die Babysitterin schwärmenden Ältesten Brendan (Braxton Beckham) und ihren ADHS-Jüngling Tyler (Kyle Red Silverstein). Ihr Ex-Mann Mark (schmierig wie immer: Joel McHale) ist ihr keine große Hilfe und vernachlässigt den Nachwuchs, wo sich ihm eine Möglichkeit bietet.

Auf ihrer Afrikareise dürfen beide Elternteile, die sicher nicht von ungefähr das gegensätzliche Geschlecht gegenüber ihren Kindern haben, ihre Stärken beim Nachwuchs des anderen ausleben. Jim gibt väterliche Ratschläge, zu denen Mark nicht im Stande ist, und Lauren steht mütterlich zur Seite, was der eigentlichen Erzeugerin verwehrt blieb. Hierbei berühren insbesondere die Szenen zwischen den Frauen, was auch daran liegen mag, dass hier ein Todesfall kaschiert werden muss. Blended reibt einem diese emotionalen Momente nicht aufdringlich ins Gesicht, sondern streut sie immer mal wieder in die einzelnen Sequenzen ein, die prinzipiell auf Lacher gebürstet sind. Und dies mit weitaus mehr Pointen als sonst bei Sandler-Filmen üblich.

Ebenfalls unüblich ist, dass selbst comic relief-Nebenfiguren eine emotionale Katharsis durchlaufen dürfen. In der Tat geht der Film trotz seiner Karikierung erstaunlich aufrichtig mit einem von Kevin Nealon und Jessica Lowe gespielten Pärchen um (alter Mann und junger Feger), mit denen sich Jim, Lauren & Co. den Esstisch teilen müssen. Sonderliche Tiefe bleibt da zwar bei den Hotelangestellten wie Mfana (Abdoulaye N’Gom) und Nickens (Terry Crew) aus, dennoch sorgen diese mit Running Gags ebenfalls für liebenswerte Augenblicke (“They’re blending over there!”). Das Ganze, man muss es für einen Sandler-Film vermutlich nochmals betonen, ohne Pipi-Kaka-Witze, die man sonst von dem New Yorker Comedian gewöhnt ist.

Dem Film spielt dabei in die Karten, dass er gut besetzt ist. So überzeugen die Kinderdarsteller, vom vermeintlich hässlichen Schwan Bella Thorne bis zum “Heartbreaker” Alyvia Alyn Lind. Selbst Gastauftritte von Shaquille O’Neill fallen nicht aus der Rolle und die Chemie zwischen Barrymore und Sandler stimmt nach zwei Filmen (The Wedding Singer, 50 First Dates) ohnehin. Hier macht es sich bezahlt, dass Sandler für den Regieposten statt auf Dennis Dugan wieder auf Frank Coraci (The Wedding Singer, Click) gesetzt hat. Entsprechend stehen Emotionen vor Zoten – was dem Film fraglos zum Vorteil gereicht. Dass Blended, wie so viele Sandler-Werke, etwas zu lang gerät (ohne dabei Längen zu haben), ist verzeihenswert.

Insofern ist es bedauerlich, dass der Film aufgrund seiner Konkurrenz unter seinen Möglichkeiten lief – speziell in seiner Heimat (Blended spielte, für einen Sandler-Film ungewöhnlich, fast doppelt so viel im Ausland ein). Ein Flop ist der Film dank seines sparsamen Budgets aber keineswegs und von seiner Inszenierung her vielmehr sogar ein Schritt in die richtige Richtung. So anarchisch-vergnüglich Werke wie That’s My Boy auch sind. Unterm Strich bleibt eine unterschätzte Sommerkomödie, die zugleich die Lachmuskeln bewegt wie auf die Tränendrüse drückt. Und angesichts eines bislang erschreckend schwachen Kinojahres kann und muss sogar konstatiert werden, dass Blended zu den besten Filmen des Jahres zu zählen ist.

7.5/10

1. September 2014

Filmtagebuch: August 2014

ABBUZZE! DER BADESALZ FILM
(D 1996, Roland Willaert)
7/10

ALADDIN
(USA 1992, Ron Clements/John Musker)
8/10

ALL CHEERLEADERS DIE
(USA 2013, Lucky McKee/Chris Sivertson)
4.5/10

BLENDED [URLAUBSREIF]
(USA 2014, Frank Coraci)

7.5/10

BLUE RUIN
(USA/F 2013, Jeremy Saulnier)
4/10

CALVARY [AM SONNTAG BIST DU TOT]
(IRL/UK 2014, John Michael McDonagh)

6/10

COHERENCE
(USA 2013, James Ward Byrkit)
3/10

COLDWATER
(USA 2013, Vincent Grashaw)
6/10

DAWN OF THE PLANET OF THE APES (3D)
[PLANET DER AFFEN: REVOLUTION]
(USA 2014, Matt Reeves)

6/10

INDIE GAME: THE MOVIE
(CDN 2012, Lisanne Pajot/James Swirsky)
7.5/10

INDIE GAME: LIFE AFTER
(CDN 2014, Lisanne Pajot/James Swirsky)
5.5/10

LA GRANDE BELLEZZA [LA GRANDE BELLEZZA - DIE GROSSE SCHÖNHEIT]
(I/F 2013, Paolo Sorrentino)
9/10

THE LEGO MOVIE
(USA/AUS/DK 2014, Phil Lord/Christopher Miller)
5.5/10

LOST – SEASON 3
(USA 2006/07, Stephen Williams/Jack Bender u.a.)
7.5/10

LOST – SEASON 4
(USA 2008, Jack Bender u.a.)
7.5/10

THE MAN WHO FELL TO EARTH [DER MANN, DER VOM HIMMEL FIEL]
(UK 1976, Nicolas Roeg)

1/10

MAPS TO THE STARS
(CDN/D 2014, David Cronenberg)
3.5/10

MOON
(UK 2009, Duncan Jones)
7.5/10

PLANET OF THE APES [PLANET DER AFFEN]
(USA 1968, Franklin J. Schaffner)

8.5/10

RISE OF THE PLANET OF THE APES [PLANET DER AFFEN: PREVOLUTION]
(USA 2011, Rupert Wyatt)

6.5/10

SHARKNADO 2: THE SECOND ONE
(USA 2014, Anthony C. Ferrante)
1/10

TEAM AMERICA: WORLD POLICE
(USA/D 2004, Trey Parker)
8.5/10

TEENAGE
(USA/D 2013, Matt Wolf)
5/10

TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES
(USA/HK 1990, Steve Barron)
7.5/10

TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES II: THE SECRET OF THE OOZE
(USA/HK 1991, Michael Pressman)
4.5/10

TRUE BLOOD – SEASON 7
(USA 2014, Howard Deutch u.a.)
6/10

THE ZERO THEOREM
(USA/ROM/UK/F 2013, Terry Gilliam)
4/10

Werkschau: Jonathan Glazer


SEXY BEAST
(UK/E 2000, Jonathan Glazer)
5.5/10

BIRTH
(USA/UK/D 2004, Jonathan Glazer)
3.5/10

UNDER THE SKIN
(USA/UK/CH 2013, Jonathan Glazer)
6.5/10