Qu'est l'océan?
Am 24. Februar dieses Jahres wurde im Freizeitpark SeaWorld in Orlando, Florida die Tiertrainerin Dawn Brancheau von dem Großen Schwertwal Tilikum getötet. Schockiert seien die Betreiber gewesen. Schockiert, dass ein Säugetier, das seit Jahren auf engstem Raum wie ein Sklave gehalten wird, sich gewehrt hat. Tilikum hat im Laufe der letzten Jahrzehnte bereits zwei andere Menschen getötet, nichtsdestotrotz möchte SeaWorld an dem Wal als Zuchttier festhalten. „The show must go on“, besang Freddie Mercury einst jenes Motto der Unterhaltungsbranche, das bis heute Gültigkeit besitzt. Für Moral und Ethik ist kein Platz. Die Menschen wollen unterhalten werden, wollen diese süßen Säugetiere durch Reifen springen sehen. Welche Konsequenzen dies für die Tiere hat - Louie Psihoyos zeigte diese unter anderem in seiner letztjährigen Dokumentation The Cove auf -, ist dem Mensch dabei egal. Die Perversität, die seine Tierparks, Zoos und Zirkusse mit sich bringen, wird ignoriert.
Dabei zeigen Dokumentationen wie Earth, La marche de l’empereur oder Le peuple migrateur, dass man Kindern und Jugendlichen durchaus Tiere präsentieren kann, ohne diese auf engem Raum einzupferchen und sie ihrer Freiheit zu berauben. Im Gegenteil, Dokumentationen wie diese oder Jacques Perrins und Jacques Cluzauds jüngster Film, Océans, zeigen nicht nur Tiere hautnah, sondern in ihrer natürlichen Umgebung und dadurch unter ganz anderen, da authentischen Bedingungen. Exemplarisch an den meist gekrümmten Rückenflossen von Delfinen und Großen Schwertwalen in Gefangenschaft, zeigt Océans Dutzende dieser Säugetiere, ohne dass auch nur ein Einziges eine solche herabhängende Rückenflosse aufweist. Näher an die betreffenden Meeressäuger, Kraken und Krebse werden Menschen wohl nie kommen, wie man sie in diesem Film dazu einlädt. In einem Zoo schon gleich drei Mal nicht. Doch der Mensch glaubt und akzeptiert nur das, was er in seinen Händen halten kann.
Aber die beiden französischen Co-Regisseure bemühen sich erst gar nicht wie Genrekollegen a la Home, dem Publikum seine Fehler vorzuhalten. Es gibt keinen erhobenen Zeigefinger, keine mahnenden Worte. Erst zum Schluss richtet der Film seinen Blick auf den Schaden der Menschen. Man sieht Bilder aus den Küstenregionen, zugemüllte Meeresböden, Seehunde, die an Einkaufswägen vorbeischwimmen und auftauchen, um am Horizont ein Szenario ähnlich dem Industriegebiet aus Ridley Scotts Blade Runner zu erblicken. Perrin, der mit seinem Enkel durch eine Museumshalle spaziert, zeigt dann einige präparierte Lebewesen, die der Menschheit bereits zum Opfer gefallen sind („Desparu“). Es gibt sie nicht mehr, wir haben sie ausgerottet. Aber die Franzosen enden nicht mit diesen Bildern, sondern flüchten wieder in die blau-dunkle Schönheit der Meerestiefen. Die kurzweilige Etablierung der hässlichen Fratze menschlicher Küstenverschmutzung, konträr zu den wunderschönen Bildern der Ozeane, erinnert dabei bisweilen an Hayao Miyazakis Gake no ue no Ponyo.
Ähnlich wie bereits in ihrer Debütdokumentation Le peuple migrateur verzichteten die Regisseure auf eine ausufernde Erzählstimme. Diese wird in Océans zwar durch Jacques Perrin selbst gelegentlich aktiv, nur um sich dann jedoch in Redundanzen zu verlieren oder nichts sonderlich Informatives beizutragen. Es stünde dem Film daher besser zu Gesicht, hätte Perrin ganz darauf verzichtet sich aus dem Off einzumischen, funktionieren die Bilder schließlich auch so nahezu perfekt. Ein weiterer Fehler unterläuft den Franzosen dann, wenn mancher Szenenwechsel zu hart geraten ist. Blickt der Seehund soeben noch auf einen Horizont voller Fabrikkamine, die ihr Gift gen Himmel schicken, versetzt einen der abrupte Schnitt plötzlich in das Becken eines Eisberges. Ähnlich hart wechseln Perrin und Cluzaud auch an ein paar anderen Stellen die Szenerie. Hier wäre ein stimmigeres Abgleiten wünschenswert gewesen, denn dass die Regisseure dazu in der Lage sind, beweisen sie zu Beginn, wenn von den Sternen gelungen in das Meer gewechselt wird.
Wie zu erwarten war, beschenkt Océans den Zuschauer mit eindrucksvollen Bildern. Vier Jahre lang drehten Perrin und Cluzaud für fast fünfzig Millionen Euro auf der ganzen Welt. Von Schwertwal-Jagden über dösende Seehunde bis hin zu einem Krabben-Inferno ist dann auch alles dabei, was das Herz begehrt. So schwimmt ein Mal ein Mantelrochen hinter der Kamera ins Bild, so eingefangen, dass er Erinnerungen an Gene Roddenberrys Raumschiff Enterprise weckt. In einer anderen Szene wird ein Fischschwarm, der sich auf beeindruckende Weise wie eine Einheit bewegt, gleich von allen Seiten angegriffen. Aus dem Himmel stürzen sich Dutzende Vögel ins Wasser, zusätzlich greifen sowohl Haie als auch Delfine die Fische an. Später schaufelt sich eine Krabbe eine Höhle, sodass es aussieht, als würde sie den Müll raus tragen, ehe es zu Handgreiflichkeiten mit tödlichem Ausgang für einen anderen Gliederfüßer kommt. Das bereits erwähnte Krabbeninferno erinnert von seiner Exposition zudem wohl nicht von ungefähr an den Schlachtaufmarsch aus Braveheart.
Auch die Soundeffekte verdienen ein Lob. Egal ob am Meeresboden gesaugt, geschmatzt oder sich fortbewegt wird, Perrin und Cluzaud sind bemüht, dem Ganzen einen einerseits authentischen anderseits humoristischen Touch zu verleihen. Ergänzt werden diese Effekte dann von der ebenfalls gelungenen musikalischen Untermalung, die im Gegensatz zu Le peuple migrateur dieses Mal keine Variation von einem bereits vorhandenen Filmsoundtrack darstellt, sondern vom französischen Komponisten Bruno Coulais stammt. Sieht man also von den Schwachpunkten der Szenenwechsel und der Erzählstimme ab, ist hier eine audiovisuell beeindruckende Dokumentation gelungen, die zwar nicht immer neue Bilder bereithält, aber dennoch faszinieren kann. So zeigt Océans, dass es sehr gut möglich ist, direkt in einem Delfinschwarm mit dabei zu sein, ohne dass die Säugetiere dabei ihre Freiheit oder ihr Leben aufgeben müssen. Und dass die Show somit auch - endlich - enden könnte. Denn wie heißt es zum Schluss: „Die Erde gehört uns nicht. Wir müssen sie mit anderen teilen“.
Am 24. Februar dieses Jahres wurde im Freizeitpark SeaWorld in Orlando, Florida die Tiertrainerin Dawn Brancheau von dem Großen Schwertwal Tilikum getötet. Schockiert seien die Betreiber gewesen. Schockiert, dass ein Säugetier, das seit Jahren auf engstem Raum wie ein Sklave gehalten wird, sich gewehrt hat. Tilikum hat im Laufe der letzten Jahrzehnte bereits zwei andere Menschen getötet, nichtsdestotrotz möchte SeaWorld an dem Wal als Zuchttier festhalten. „The show must go on“, besang Freddie Mercury einst jenes Motto der Unterhaltungsbranche, das bis heute Gültigkeit besitzt. Für Moral und Ethik ist kein Platz. Die Menschen wollen unterhalten werden, wollen diese süßen Säugetiere durch Reifen springen sehen. Welche Konsequenzen dies für die Tiere hat - Louie Psihoyos zeigte diese unter anderem in seiner letztjährigen Dokumentation The Cove auf -, ist dem Mensch dabei egal. Die Perversität, die seine Tierparks, Zoos und Zirkusse mit sich bringen, wird ignoriert.
Dabei zeigen Dokumentationen wie Earth, La marche de l’empereur oder Le peuple migrateur, dass man Kindern und Jugendlichen durchaus Tiere präsentieren kann, ohne diese auf engem Raum einzupferchen und sie ihrer Freiheit zu berauben. Im Gegenteil, Dokumentationen wie diese oder Jacques Perrins und Jacques Cluzauds jüngster Film, Océans, zeigen nicht nur Tiere hautnah, sondern in ihrer natürlichen Umgebung und dadurch unter ganz anderen, da authentischen Bedingungen. Exemplarisch an den meist gekrümmten Rückenflossen von Delfinen und Großen Schwertwalen in Gefangenschaft, zeigt Océans Dutzende dieser Säugetiere, ohne dass auch nur ein Einziges eine solche herabhängende Rückenflosse aufweist. Näher an die betreffenden Meeressäuger, Kraken und Krebse werden Menschen wohl nie kommen, wie man sie in diesem Film dazu einlädt. In einem Zoo schon gleich drei Mal nicht. Doch der Mensch glaubt und akzeptiert nur das, was er in seinen Händen halten kann.
Aber die beiden französischen Co-Regisseure bemühen sich erst gar nicht wie Genrekollegen a la Home, dem Publikum seine Fehler vorzuhalten. Es gibt keinen erhobenen Zeigefinger, keine mahnenden Worte. Erst zum Schluss richtet der Film seinen Blick auf den Schaden der Menschen. Man sieht Bilder aus den Küstenregionen, zugemüllte Meeresböden, Seehunde, die an Einkaufswägen vorbeischwimmen und auftauchen, um am Horizont ein Szenario ähnlich dem Industriegebiet aus Ridley Scotts Blade Runner zu erblicken. Perrin, der mit seinem Enkel durch eine Museumshalle spaziert, zeigt dann einige präparierte Lebewesen, die der Menschheit bereits zum Opfer gefallen sind („Desparu“). Es gibt sie nicht mehr, wir haben sie ausgerottet. Aber die Franzosen enden nicht mit diesen Bildern, sondern flüchten wieder in die blau-dunkle Schönheit der Meerestiefen. Die kurzweilige Etablierung der hässlichen Fratze menschlicher Küstenverschmutzung, konträr zu den wunderschönen Bildern der Ozeane, erinnert dabei bisweilen an Hayao Miyazakis Gake no ue no Ponyo.
Ähnlich wie bereits in ihrer Debütdokumentation Le peuple migrateur verzichteten die Regisseure auf eine ausufernde Erzählstimme. Diese wird in Océans zwar durch Jacques Perrin selbst gelegentlich aktiv, nur um sich dann jedoch in Redundanzen zu verlieren oder nichts sonderlich Informatives beizutragen. Es stünde dem Film daher besser zu Gesicht, hätte Perrin ganz darauf verzichtet sich aus dem Off einzumischen, funktionieren die Bilder schließlich auch so nahezu perfekt. Ein weiterer Fehler unterläuft den Franzosen dann, wenn mancher Szenenwechsel zu hart geraten ist. Blickt der Seehund soeben noch auf einen Horizont voller Fabrikkamine, die ihr Gift gen Himmel schicken, versetzt einen der abrupte Schnitt plötzlich in das Becken eines Eisberges. Ähnlich hart wechseln Perrin und Cluzaud auch an ein paar anderen Stellen die Szenerie. Hier wäre ein stimmigeres Abgleiten wünschenswert gewesen, denn dass die Regisseure dazu in der Lage sind, beweisen sie zu Beginn, wenn von den Sternen gelungen in das Meer gewechselt wird.
Wie zu erwarten war, beschenkt Océans den Zuschauer mit eindrucksvollen Bildern. Vier Jahre lang drehten Perrin und Cluzaud für fast fünfzig Millionen Euro auf der ganzen Welt. Von Schwertwal-Jagden über dösende Seehunde bis hin zu einem Krabben-Inferno ist dann auch alles dabei, was das Herz begehrt. So schwimmt ein Mal ein Mantelrochen hinter der Kamera ins Bild, so eingefangen, dass er Erinnerungen an Gene Roddenberrys Raumschiff Enterprise weckt. In einer anderen Szene wird ein Fischschwarm, der sich auf beeindruckende Weise wie eine Einheit bewegt, gleich von allen Seiten angegriffen. Aus dem Himmel stürzen sich Dutzende Vögel ins Wasser, zusätzlich greifen sowohl Haie als auch Delfine die Fische an. Später schaufelt sich eine Krabbe eine Höhle, sodass es aussieht, als würde sie den Müll raus tragen, ehe es zu Handgreiflichkeiten mit tödlichem Ausgang für einen anderen Gliederfüßer kommt. Das bereits erwähnte Krabbeninferno erinnert von seiner Exposition zudem wohl nicht von ungefähr an den Schlachtaufmarsch aus Braveheart.
Auch die Soundeffekte verdienen ein Lob. Egal ob am Meeresboden gesaugt, geschmatzt oder sich fortbewegt wird, Perrin und Cluzaud sind bemüht, dem Ganzen einen einerseits authentischen anderseits humoristischen Touch zu verleihen. Ergänzt werden diese Effekte dann von der ebenfalls gelungenen musikalischen Untermalung, die im Gegensatz zu Le peuple migrateur dieses Mal keine Variation von einem bereits vorhandenen Filmsoundtrack darstellt, sondern vom französischen Komponisten Bruno Coulais stammt. Sieht man also von den Schwachpunkten der Szenenwechsel und der Erzählstimme ab, ist hier eine audiovisuell beeindruckende Dokumentation gelungen, die zwar nicht immer neue Bilder bereithält, aber dennoch faszinieren kann. So zeigt Océans, dass es sehr gut möglich ist, direkt in einem Delfinschwarm mit dabei zu sein, ohne dass die Säugetiere dabei ihre Freiheit oder ihr Leben aufgeben müssen. Und dass die Show somit auch - endlich - enden könnte. Denn wie heißt es zum Schluss: „Die Erde gehört uns nicht. Wir müssen sie mit anderen teilen“.
8/10
Den möchte ich eigentlich auch noch sehen, ich liebe Unterwasseraufnahmen. Aber hier läuft der nur in Mini-Sälen, kaum größer als der heimische Bildschirm (leichte Übertreibung), da schlägt dann mein Geiz zu, weil ich nicht bereit bin, für Wohnzimmeratmosphäre so viel Eintrittsgeld zu lassen. Insofern werde ich wohl auf die DVD warten.
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