26. März 2016

Daredevil – Season Two

One batch, two batch... Penny and Dime.

“We don’t need another hero”, plärrte Tina Turner im Jahr 1985 – aber weder die Film- und Serienlandschaft, noch die Welt der Netflix-Show Daredevil mag sich so wirklich daran halten. Nach lobenden Kritiken zur ersten Staffel von Daredevil und nicht minder überschwänglichen zu ihrem Folgeprojekt Jessica Jones setzt Daredevil nun mit seiner zweiten Staffel die Messlatte noch eine Spur höher. Mit Elektra und Punisher fügen Douglas Petrie und Marco Ramirez, die Steven S. DeKnight als Showrunner ablösen, dem Daredevil-Universum zwei seiner populärsten Charaktere hinzu. Für beide galt dabei dasselbe Prinzip wie für den Man Without Fear vergangenes Jahr: sich nach wenig berauschenden Filmausflügen zu rehabilitieren.

Die zweite Staffel springt dabei direkt ins Metier: nach der Inhaftierung von Wilson Fisk versuchen sich die Gangs in Hell’s Kitchen in Position zu bringen. Doch hat es jemand auf sie abgesehen: Der Punisher (Jon Bernthal) radiert einen Kriminellen nach dem anderen aus, auf der Suche nach den Mördern seiner Familie. Ein zweiter vermeintlicher Ordnungshüter, dessen so kalte wie umbarmherzige Methoden Daredevil (Charlie Cox) jedoch nicht gutheißen kann. Nicht die einzige Überraschung, die sein Stadtteil für Matt Murdock bereithält, taucht nach dem ersten Drittel der Staffel doch in Elektra (Élodie Yung) doch auch eine alte Verflossene auf, die Murdocks Alter Ego für einen Kampf gegen den Ninja-Clan The Hand zu rekrutieren versucht.

Wo Steven S. DeKnight sowohl Daredevil als solchen wie auch Wilson Fisk als seinen Gegenspieler allmählich aufbaute, versehen Petrie und Ramirez die zweite Staffel von Daredevil mit ein paar kleineren Handlungsbausteinen. Als perfekter Wiedereinstieg erweist sich da in Bang das Erscheinen von Punisher oder genauer gesagt: Frank Castle. Die ersten vier Folgen widmen sich ganz dem Konflikt zwischen ihm und Daredevil, wenn die Show die zwei Kultfiguren und ihren unterschiedlichen Ansatz zur Verbrechensbekämpfung diametral gegenüberstellt. “Some cops want him off the street, others think he’s making our job a whole lot easier”, resümiert Polizeisergeant Brett (Royce Johnson) in Dogs to a Gunfight die Haltung zur Punisher-Situation.

Die, so implizieren die Showrunner, ist wie so oft in Comics ein Frankenstein-Szenario. “Maybe we created him”, sinniert Matts Anwaltsgehilfin Karen (Deborah Ann Woll). “Men who think that the law belongs to them.” Was natürlich auch auf Daredevil selbst zutrifft. “I think you’re a half measure”, wirft Castle wiederum diesem in New York’s Finest vor. “I think you’re a man who can’t finish the job.” In einer ausgiebigen Dialogszene, eines der vielen Highlights des zweiten Jahres, wird einer der zentralen Daredevil-Konflikte angesprochen. “The moment one man takes another man’s life in his own hands, he is rejecting the law – and working to destroy that structure”, legte Frank Miller bereits einst Daredevil in Devils (#169) in den Mund.

Ähnlich wie in Batman V Superman und Captain America: Civil War zeigt also auch Daredevil nun den physischen Konflikt zweier eigentlicher Helden. Mit dem Fokus auf Punisher in den ersten vier Folgen bietet die Serie der Figur viel Raum sich zu entfalten. Hart und kompromisslos ist Castle, ein Superkräfte-freier Gegenspieler, der sich gegenüber Daredevil behaupten kann. Wie so oft überzeugen die Actionszenen in Daredevil dabei, weitaus stärker gerät die Show jedoch, wenn sie die Figuren einfach nur reden lässt. So folgt auf den tollen Dialog in New York’s Finest ein stark gespielter Monolog zum Ende von Penny and Dime. Wer hier denkt, er hat den Punisher bereits gesehen, wird aber im Verlauf noch eines Besseren belehrt.

Was es heißt, ein Held zu sein, macht einen der Aspekte der zweiten Staffel aus. Auch, als später Elektra auf der Bildfläche erscheint. Weder sie noch der Punisher sind Helden im eigentlichen Sinne, ihre Widersacher sind lediglich krimineller Natur. Für Castle geht es bloß darum, den Tod seiner Familie zu rächen, während Elektra im Grunde nur eine Schachfigur in einem seit jeher herrschenden Konflikt darstellt. Indem Daredevil zur Mitte der Staffel Castle buchstäblich den Prozess macht, wird das Helden-Thema zentral in den Mittelpunkt gestellt. “Avengeance is not justice”, sagt Matt in Semper Fidelis, als er mit Kanzlei-Partner Foggy (Elder Henson) den Castle-Fall übernimmt. “This isn’t about vigilantes, it’s about failures of the justice system.”

Auch das System als solches wird immer mehr zum Thema für Matt, der sich verstärkt in einem Zwiespalt sieht, zwischen den theoretischen Idealen von Matt Murdock und den praktischen Ergebnissen von Daredevil. “There was always this glorious darkness inside you”, schwärmt Elektra in Kinbaku. Aber auch sie findet sich gegen Ende der Staffel in einem Zwiespalt, sieht ihre Welt und ihre Rolle darin erschüttert. Etwas, das auch Figuren wie die zurückkehrende Claire (Rosario Dawson) sowie etwas stärker Karen und Foggy betrifft. Wo Foggy mit dem Doppelleben seines Freundes und dessen Folgen für sein berufliches Leben hadert, lässt sich Karen von ihren Gefühlen für Matt, aber auch von Castle und seiner Vendetta vereinnahmen.

Als Vorlage für das zweite Jahr dient wohl zumindest in Ansätzen Frank Millers Gantlet (#175), wo Daredevil und Elektra es gemeinsam mit The Hand aufnehmen. Aber auch Parallelen zum – zu Unrecht – verschmähten Kinofilm lassen sich ausmachen. Darunter als Matt im Gericht Foggy versetzt (ebenfalls Thema in Gantlet) und sein Privatleben immer stärker hinter den Aufgaben von Daredevil zurückstellt. Dass Netflix’ Daredevil gerade wegen seiner düsteren Gewalt gelobt wird, ist in der Hinsicht auch leicht ironisch, bedenkt man, dass seinerzeit Mark Steven Johnson Gewalt aus seinem Daredevil-Film schneiden sollte, um diesen PG13-gerecht zu machen. “The tide raises all ships”, wie Elektra in Seven Minutes in Heaven bemerkt.

Speziell im Schlussdrittel der Staffel wirft dann das erste Jahr seine Schatten voraus. Bekannte Gesichter treten auf, darunter Stick (Scott Glenn) oder auch – der mit Anleihen von Elektra-Widersacher Kirigi versehene – Nobu (Peter Shinkoda). Inhaltlich stellt die Handlung nun die Castle- und Elektra-Segmente parallel zueinander auf. Es vermischen sich also der beinharte Ton des von Punisher-bestimmten ersten Akts mit dem etwas mystischer angehauchten um The Hand. Und wie so oft der Fall bei umfangreicher Exposition, vermag die Auflösung in beiden Fällen in The Dark at the End of the Tunnel nicht vollends zu befriedigen. Wo es sich Petrie und Ramirez bei Punisher etwas leicht machen, lassen sie bei The Hand vieles offen.

Entsprechend ist dann auch das Staffelfinale A Cold Day in Hell’s Kitchen wenig mehr als ein Rundumschlag, der ähnlich wie der Abschluss zum ersten Jahr etwas „enttäuscht“, da die Folgen zuvor bereits viel Handlung abschlossen. “What if this isn’t the end?”, darf da sogar eine Figur fragen, wenn die Schlussbilder sich zum einen des klassisches Cliffhangers bedienen und andererseits Marvel-Kollegen wie Iron Man nachäffen. Manches funktioniert besser – ein aus Millers Hunters (#176) entlehnter Tod –, anderes wie Karens neue Position als Ben Urich Ersatz und Star-Reporterin überhaupt nicht. So gehört das Finale zu den wenigen eher „schwächeren“ Folgen einer ansonsten aber auf sehr hohem Niveau operierenden Staffel.

So unnötig die Romanze zwischen Matt und Karen auch erscheint, gibt sie Letzterer bis zum Castle-Fall zumindest etwas zu tun. Anders dagegen ist die Sachlage bei Foggy, der gerade in der ersten Hälfte mehrfach untermauern darf, dass es für heldenhaftes Handeln keines Kostüms bedarf. Petrie und Ramirez finden dabei die richtige Mischung aus Charaktermomenten und simpler Action. Die tritt meist mit dem Punisher auf den Plan, jener Figur, die der eigentliche Star der zweiten Staffel ist. Roh und rau interpretiert Bernthal die Figur, die jedoch nie unsympathisch daherkommt. Kein Wunder, dass die herausragenden Episoden wie Guilty as Sin oder auch .380 durchweg die sind, in denen Castle und seine Vendetta im Zentrum der Handlung stehen.

Insofern können Punisher und Elektra, die beide wie Daredevil keinesfalls grottige Kinoableger erfahren hatten, sich dennoch für enttäuschte Fans im Netflix-Format reinwaschen. Höher schlägt das Nerd-Herz immer dann, wenn unterschiedliche Marvel-Figuren aufeinander treffen (so wie eine starke Gefängnisbegegnung von Castle) oder gemeinsam in die Schlacht ziehen (Daredevil, Elektra und Stick versus The Hand). In ihrem zweiten Jahr kann Daredevil also nicht nur den Vorgänger toppen, sondern liefert zugleich mit das Beste ab, was Comicadaptionen bis dato vorweisen können. Oder um es mit einem Zitat aus Bang zu sagen: “Sheesh. Every time we think we’ve seen it all… Hell’s Kitchen manages to sneak up, kick me right in the balls.”

8.5/10

19. März 2016

The Perfect Storm

Gloucester. They’re always from Gloucester.

Liest man heutzutage über Wolfgang Petersens The Perfect Storm – oder schlicht: Der Sturm –, werden meist zumindest die Effekte (sogar Oscar-nominiert) gelobt. Dabei gehört der Film nicht gerade zu den Filmen, deren Effekte die Zeit überdauern. Nun, anderthalb Jahrzehnte später, wirken sie wenig eindrucksvoll. Was sich leider über viel von The Perfect Storm sagen lässt. Petersens Rückkehr auf hohe See nach seinem Erfolg Das Boot beruht dabei auf dem fiktionalisierten gleichnamigen Buch von Sebastian Junger (Restrepo) nach einem wahren Vorfall, der sich im Herbst 1991 im Atlantik ereignet hat. Eine Geschichte also wie gemacht fürs Kino, sollte man zumindest meinen. Was aber natürlich noch keineswegs ein Selbstläufer ist.

Die Handlung spielt in Gloucester, Massachusetts, und dreht sich um die Crew der Andrea Gail, ein lokales Schwertfischfängerboot von Kapitän Billy Tyne (George Clooney). Mit einem moderaten Fang zurückkehrend und kurz vor dem Ende der Fangsaison stehend, wirken die Aussichten um Tyne und seine Männer wenig rosig. Weshalb der erfahrene Seebär eine erneute Ausfahrt beschließt, für einen letzten großen Fang. In der Folge verlässt die Andrea Gail immer weiter ihre üblichen Gewässer und entfernt sich über 900 Kilometer von ihrer Heimatküste. Was dann zum Problem wird, als nicht nur ein, sondern gleich zwei Stürme am Horizont erscheinen – und sich zum perfekten Sturm zusammenschließen. Mittendrin dabei: die Andrea Gail.

Besonders eindrucksvoll gerät der Beginn von The Perfect Storm, der sich Zeit für ökonomische Zustände und wirtschaftliche Zusammenhänge nimmt. Exemplarisch vorgeführt an der Auszahlungsszene nach dem letzten Fang, in der Mark Wahlbergs Fischeranfänger Bobby reklamiert, nur $2,221 rauszubekommen. Bei 21.000 Pfund Fisch mit $3.50 pro Pfund sei der Ertrag $73,000, rechnet ihm Bootsbesitzer Brown (Michael Ironside) vor. Abzüglich $35,000 für Köder, Benzin und Co. blieben rund $38,000 übrig, von denen Brown als Besitzer die Hälfte kriege. Der Kapitän erhalte doppelten Anteil, die vier Crew-Mitglieder einen vollen Anteil und Bobby als Anfänger 75 Prozent des vollen Anteils. “What it is is what it is”, so Brown lapidar.

Es sind harte Zeiten für Fischer, gerade dann, wenn man keine Beute macht. “You’re on a cold streak”, wirft Brown seinem Kapitän vor. Und droht an, diesen zu ersetzen. Tyne wiederum ist verzweifelt ob der Bestände vor der Küste. Er will jenseits der üblichen Gefilde fischen. “Don’t you think about it”, ist sich Brown des Risikos bewusst. Den Druck auf sich selbst gibt Tyne an seine Crew weiter, als er ihnen eröffnet, zwei Tage nach ihrer Ankunft wieder auf See fahren zu wollen. “You boys don’t want your site, a replacement’s a phone call away.” Wie er haben auch seine Männer keine echte Wahl. “We need the money”, stellt Bobby gegenüber Lebensgefährtin Christina (Diane Lane) klar. Schulden müssen abgebaut, Scheidungsanwälte bezahlt werden.

Sie alle kämpfen um ihre Existenz, müssen Scheidungsanwälte oder wie im Falle von Murphy (John C. Reilly) Alimente für ihre Kinder zahlen. Mehr schlecht als recht schlägt sich auch Sully (William Fichtner) durch, weshalb er widerwillig auf der Andrea Gail anheuert, trotz Animositäten mit Murphy. Eine halbe Stunde lang lässt Petersen sein Publikum diese Figuren atmen, von Bugsys (John Hawkes) verzweifelten Versuchen, während des kurzen Landaufenthalts irgendwie Sex zu haben, bis hin zur Spiegelung dessen, was dieses Leben für eine Familie bedeuten kann in den Figuren von Murphy und Bobby. Auch Tyne selbst musste familiäre Opfer bringen, ist jedoch generell merklich mehr in den Wellengängen und der salzigen Luft Zuhause.

Wir kennen nun den Großteil der Figuren – Allen Paynes Alfred Pierre als Ausnahme –, sind bereit, an ihrem Schicksal Anteil zu nehmen. Umso bedauerlicher, dass Petersen nun verstärkt Kurs auf die Kitsch-Küste nimmt. Nach der starken ersten halben Stunde wird der Zuschauer mit einem schnulzigen Voice-over von Christina gen See verabschiedet, wo Bobby und Tyne ein 0815-Expositions-Gespräch beginnen. Ironischerweise wird The Perfect Storm, je weiter er sich von der Küste Massachusetts entfernt, umso flacher. Gebeutelt von misslungenen Fängen und steigendem Frust an Bord der Andrea Gail zieht es das Schiff immer mehr nach Osten. Und Petersen – oder genau genommen Junger – wartet mit zwei Subplots als Füllmittel auf.

Während die Handlung der Andrea Gail zu diesem Zeitpunkt weitestgehend entschleunigt ist, braut weiter südlich Richtung Bermuda bereits der Sturm auf. In seinem Zentrum ein Segelboot mit drei Figuren (Bob Gunton, Karen Allen, Cherry Jones) in Seenot. Eine Truppe Rettungsschwimmer (u.a. Dash Mihok) macht sich auf den Weg, um die Segler zu retten. Das Problem ist, dass diese Figuren im Gegensatz zu den Mitgliedern der Andrea Gail keinerlei Einführung erhalten haben. Von den meisten erfahren wir nicht einmal die Namen. Unklar bleibt, wieso sich der Zuschauer um diesen anonymen Haufen scheren soll. Und auch das Hin- und Herschneiden zwischen Haupt- und Nebenplot gereicht – auch tonlich – keinem von beiden zum Vorteil.

Für die Einordnung der Situation wird zudem noch Christopher McDonalds Meteorologe eingeblendet (der sogar die Trailerträchtige Zeile “It would be… the perfect storm” murmeln darf) und auf Mary Elizabeth Mastrantonios Kapitänskollegin von Tyne geschnitten. Viel Exposition für einen Sturm, dessen Ausmaße für den Zuschauer ohnehin nicht wirklich zu begreifen sind. Wozu sie also ausführlich erläutern? Vergleichsweise machte Ridley Scott mit seinem Bootsdrama White Squall weitaus mehr mit sehr viel weniger. Auch was die Effekte und Dramaturgie angeht. Im Dunkel des Sturms und der Doppelung der Bilder der Andrea Gail und der Rettungsspringer verliert der Zuschauer bisweilen den Überblick, wo und bei wem er gerade ist.

“The fog is just lifting. Throw off your bowline, throw off your stern. You head out the south channel, past Rocky Neck, Tenpound Island, past Nile Pond, where I skated as a kid. Blow your airhorn and you throw a wave to the lighthouse keeper’s kid on Thatcher’s Island. Then the birds show up, the Blackbacks, Herring Gulls, Big Dump Ducks. The sun hits ya, you head north, open up to 12… steaming now… the guys are busy, you’re in charge. You know what? You’re a goddamn swordboat captain. Is there anything better in the world?”

Die Ursache liegt sicher auch in Jungers Vorlage, prinzipiell aber eher darin, dass The Perfect Storm ohne die Segler und Rettungsspringer weniger Drama bieten könnte. Mit den beiden Nebenhandlungen gerät der Film aber etwas unausgegoren, wenn einem die eine Hälfte der Figuren ans Herz wachsen und die andere nicht. Was nicht bedeutet, dass Clooney, Wahlberg und Co. große Schauspielkunst an den Tag legen. Gerade die Hauptdarsteller bleiben etwas blass, loben ließen sich noch am ehesten Reilly, Fichtner und Hawkes, die versuchen, aus wenig viel zu machen. Eindrucksvoller als das Ensemble ist da wohl – wie so oft der Fall – James Horners lebhafte Komposition, die Sehnsucht und Abenteuerdrang zugleich ausdrückt.

Streitbar gerät die dramaturgische Gestaltung des Schlussakts, wenn angetrieben von Tyne die Fischer ihren Fang über das Risiko des Sturms stellen, über den zumindest Tyne informiert ist. Clooneys sympathischer Person mag da über den sturen Wagemut seiner Figur hinwegtrösten, vollends überzeugen will das Finale von The Perfect Storm – auch mit seinen Schnitten zu Gloucester und den dortigen Figuren – aber nicht. Das Ergebnis ist somit durchwachsen, treibt der Film doch nach einem wirklich starken Anfang im Verlauf mehr und mehr vor sich hin. Sechs Jahre später sollte Wolfgang Petersen mit Poseidon nochmals ein See-Drama inszenieren. Und mit diesem wiederum  seine Hollywood-Karriere bis heute versenken.

5.5/10

12. März 2016

Love – Season One

Hurry up, they’re gonna kill Grandpa!

Vor zehn Jahren war Judd Apatow noch der neue Stern am Comedy-Himmel, mit veritablen Kassenerfolgen wie The 40-Year-Old Virgin und Knocked Up. Die Karrieren von James Franco und Seth Rogen wären ohne den Freaks and Geeks-Schöpfer womöglich auch nicht das, was sie heute sind. Zuletzt schien sich der vulgäre Humor Apatows jedoch etwas abgenutzt zu haben, floppten doch sowohl Funny People als auch This Is 40. Mit Trainwreck rehabilitierte sich Apatow wieder leicht – und zumindest laut Kritikerstimmen mit seiner von ihm produzierten Netflix-Serie Love sogar noch mehr. Dabei ist diese nicht so viel anders als Apatows bisheriger Output. Und krankt entsprechend an denselben Problemen, die inzwischen seine Arbeiten auszeichnen.

In Love begleiten wir das chaotische (Liebes-)Leben des nerdigen Filmset-Tutors Gus (Paul Rust) und der verplanten Radioshow-Produzentin Mickey (Gillian Jacobs). Beide trennen sich in der Pilotfolge It Begins von ihren bisherigen Partnern und begegnen sich anschließend zufällig in einem Tankstellenshop. Gus und Mickey bleiben nun lose in Kontakt, und nachdem sie ihn zuerst mit ihrer Mitbewohnerin Bertie (allerliebst: Claudia O’Doherty) verkuppeln will, lassen sich Gus und Mickey letztlich doch romantisch aufeinander ein. Doch gerade Gus reibt sich im Verlauf verstärkt an Mickeys Persönlichkeit, nicht zuletzt, da seine Anwesenheit am Set seiner Hexen-TV-Serie “Wichita” sowohl berufliche wie private Knospen aufblühen lässt.

Die Serie verspricht einen realistischen Blick auf eine moderne Beziehung aus der männlichen wie weiblichen Perspektive. Was ein Versprechen ist, das es mit Vorsicht zu genießen gilt. Zeichnet Apatow hier eher eine neumodernde amerikanische Beziehung nach? Zumindest wirkt es auf einen Europäer so. Und der männliche wie weibliche Blick auf eine solche ist ebenso relativ zu sehen, sind doch weder Gus noch Mickey Paradebeispiele für ihr Geschlecht. Grundsätzlich folgt Judd Apatow hier nur seiner bisher erfolgreichen Formel, einen Nerd mit einer Frau zu verkuppeln, die außerhalb seiner Liga scheint. Hinzu kommen noch Drogenspielerein und sexplizite Szenarien, von inzestuösen Flotten Dreiern bis hin zum Filmstudio-Blowjob.

Für eine Show, die sich “Love” nennt, dreht sie sich nicht wirklich um Liebe. Was die Figuren aneinander finden, bleibt unklar. Im Verlauf der zehn Folgen bezeichnet Mickey Gus unter anderem als “boring”, “lame” und “wimp” – Gefühle sehen anders aus. Vielmehr fühlen sich beide Figuren zueinander hingezogen, weil sie Einsamkeit verspüren. Ob sie ein “couple” seien, fragt Gus’ Set-Schülerin Arya (Iris Apatow) ihn, als Mickey vorbeischaut. “Couple of something”, entgegnet dieser unschlüssig. “That is the least sexy thing I’ve ever heard”, lautet die treffende Antwort der 12-Jährigen. In der Tat ist wenig sexy in Love, obschon diese viel Sex zeigt. Wobei dies natürlich auch ein zynischer Blick auf eine moderne, realistische Beziehung sein kann.

Was die Beziehung zu anderen Figuren angeht, taucht die Serie auch nicht unter die Oberfläche. Ausflüge in Mickeys Arbeitswelt (Brett Gelman spielt ihren Dr.-Phil-esken Moderator-Boss) oder ans “Wichita”-Set (bevölkert von Ahnungslosen, angeführt von Tracie Thoms’ Produzentin) dienen leidlich einiger Subplot-Verspannungen, die im Fall von Mickey sogar irgendwann ganz aufgegeben werden. Auch Bertie verblasst etwas, obschon sie die tolle Claudia O’Doherty so gut es geht am Leben erhält. Highlight der ersten Staffel ist da das desaströse Rendezvous von Gus und Bertie in The Date, in welchem eine gelangweilte Mickey ihre beiden Bekannten per Handy gegeneinander ausspielt. Weitere Höhepunkte sind sonst rar gesät.

Der bei uns eher unbekannte Paul Rust mutiert quasi zum TV-Pendant einer Woody-Allen-Figur, die sich trotz bebrillter Schmächtigkeit die Frauen aussuchen kann, während Gillian Jacobs sich teils von ihrer Britta-Figur aus Community inspirieren ließ. Schade, dass Parks and Recreation-Alumnus Dean Holland, der das Gros der Episoden inszeniert, nicht an dortige Stärken anknüpfen kann. Die Folgen sind in der Summe wie auch Judd Apatows Filme eine Spur zu lang. Wer jedoch ein Fan von Apatows Werken ist, der dürfte auch mit den rund fünf Stunden von Love glücklich werden. Ich selbst halte es eher mit Bertie, die bei einem Besuch des “Wichita”-Studiogeländes passend fragt: “Do you have any romantic comedy themed merchandise?”.

6/10

6. März 2016

Bølgen [The Wave]

That’s life.

Es gibt sie immer. Diese Besserwisser. Diese Wissenschaftler, die einem weiß machen wollen, eine Katastrophe steht unmittelbar bevor. Egal ob es Pierce Brosnan in Dante’s Peak oder Dennis Quaid in The Day After Tomorrow ist. Zu diesen Herren gesellt sich auch Kristoffer Joner als 40 Jahre alter Geologe Kristian in Roar Uthaugs norwegischem Katastrophenfilm Bølgen (bei uns als The Wave erschienen). Darin warnt er vor einem möglichen Tsunami in einem Fjord, wird jedoch erst für voll genommen, als es beinahe zu spät ist. Der über fünf Millionen Euro teure Bølgen avancierte im vergangenen Jahr in Norwegen zum Kassenschlager und erfolgreichsten Film von 2015. Dabei funktioniert er prinzipiell nicht anders als jeder andere Beitrag des Genres.

Die Handlung spielt in dem mit 300 Menschen spärlich bewohnten Ort Geiranger, der im Sommer als Touristenattraktion im Geirangerfjord jedoch auf 2000 Menschen anwächst. Unweit vom Berg Åkerneset gelegen, stellt dieser für Geiranger eine kontinuierliche Bedrohung dar. Denn sollte es durch ihn zu einem Bergrutsch kommen, könnte die ins Wasser fallende Landmasse eine 80 Meter hohe Tsunamiwelle im Geirangerfjord auslösen. Zehn Minuten Warnzeit würde dann für die Menschen in Geiranger existieren, ehe die Welle den Ort erreicht. Und ganz getreu Murphys Gesetz tritt der Ernstfall natürlich in Bølgen ein – ungeachtet einer durch Kristian ausgesprochenen Warnung gegenüber seinen Kollegen eines lokalen Frühwarnzentrums zuvor.

Roar Uthaug leitet seinen Film mit Archivaufnahmen ähnlicher Vorfälle ein, darunter einen Bergrutsch vom 7. April 1934 in Tafjord, aber auch in Loen. Das Themengebende Tsunamiszenario ist keine Fiktion in Bølgen, sondern eine tatsächliche Bedrohung für das echte Geiranger. Nach der Einleitung lässt uns Uthaug jedoch erst am Leben von Kristians Familie teilhaben. Der zweifache Vater hat seinen Job in Geiranger gerade gekündigt, wechselt zu einem Ölunternehmen nach Stavanger. “Maybe I’ll finally get more attention than that mountain”, hofft Gattin Idun (Ane Dahl Torp). Denn der Åkerneset ist quasi eine stille Nebenfigur. “These mountains (..), once they grab hold of you, they never let go”, weiß Kristians Kollege Arvid (Fridtjov Såheim).

Der Film begleitet nun die letzten Umzugsbemühungen von Kristians Familie, die ins Stocken geraten, als der Geologe durch Vorkommnisse am Berg ins Zweifeln gerät. “That furrow… I thought it would be gone by now”, bemerkt Idun über Kristians Stirnfalte, die nichts Gutes verheißt. Während Idun ihrem Job in einem Hotel nachgeht, überprüft Kristian mit ihren Kindern Sondre (Jonas Hoff Oftebro) und Julia (Edith Haagenrud-Sande) im Schlepptau Daten. Bølgen menschelt, weitaus mehr als andere Genrebeiträge wie The Impossible. Die Figuren fühlen sich authentisch an, auch weil Uthaug das Publikum in der ersten Hälfte des Films viel Zeit mit ihnen verbringen lässt. Das alles opfert er dann jedoch, als die unausweichliche Katastrophe eintritt.

Kaum bahnt sich die besagte Welle ihren Weg, gleiten Uthaus Finger über die 0815-Klischee-Klaviatur. Welche Figuren nun sterben und welche vermeintlichen Spannungsmomente aufgebaut werden, lässt sich bereits Minuten vor besagten Szenen ablesen, insofern man in seinem Leben mehr als einen Katastrophenfilm gesehen hat. Genau genommen reicht es schon, wenn man einen gesehen hat. Gerade das Finale, wo zumindest die Option bestünde, trotz aller Vorhersehbarkeit dennoch etwas Chuzpe an den Tag zu legen, äfft dann doch nur identische Momente (darunter Lost) nach. In der Folge gerät die finale halbe Stunde von Bølgen leider sehr egal, was gar nicht so sehr der Fall hätte sein müssen, wäre man nicht derart generisch.

Das macht den Film keineswegs schlecht, raubt ihm allerdings hinten raus viel von der zuvor generierten Stärke. Das Ergebnis ist somit durchwachsen, überzeugt die erste Hälfte doch mit sympathischen Charakteren und gelungenen Landschaftsaufnahmen sowie gefälligen Einstellungen. Auch die visuellen Effekte in der zweiten Hälfte geraten angesichts des Budgets überzeugend, die Schwächen liegen im finalen Verlauf fraglos in der Dramaturgie. Für Fans von Katastrophenfilmen weiß Bølgen damit zwar nichts – oder wenig – Neues bereitzuhalten, ist aber allemal einen Blick wert. Im schlimmsten Fall ist man hinterher schlauer und kann sich einreihen in die Riege um Kristian und Co. – Besserwisser, die vor Katastrophen warnen.

6.5/10