1. November 2007

El laberinto del fauno

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International werden besonders zwei, an sich jedoch drei Regisseure mit dem jüngsten Aufschwung des mexikanischen Kinos in Verbindung gebracht. So sehr sogar, dass sie im vergangenen Jahr sogar gemeinsam den Gotham World Cinema Tribute Award erhielten. Die Rede ist von den three amigos Alejandro Gonzáles Iñárritu (Babel), Alfonso Cuarón (Children of Men) und Guillermo del Toro. Letzterer erntete zuletzt mit El laberinto del fauno beim Filmfestival in Cannes 22 Minuten Stehbeifall und erhielt nebst der Nominierung zum besten fremdsprachigen Film auch drei Auszeichnungen bei den diesjährigen Academy Awards für seine Ausstattung, Kameraarbeit und das Make-Up seines sechsten Spielfilms.

Das den Fremdsprachen-Oscar stattdessen Das Leben der Anderen gewonnen hat, passt in das groteske Bild der diesjährigen Oscars. Wie dem auch sei ist Guillermo del Toros Film eine grandiose Verknüpfung von phantastischen Elementen eines Märchens mit traurigen Fakten und Bildern des spanischen Bürgerkriegs von 1944. Ein Film, der in seiner Entstehung die Jahre überdauern und zu del Toros persönlichstem Film werden sollte, hierbei viele Elemente von Charles “Lewis Carroll” Dodgsons Alice’s Adventures in Wonderland, Hans Christian Andersen bis hin zu Charles Dickens David Copperfield oder Pink Floyd verarbeitend. Als Vorwarnung sei gesagt, dass die letzten Absätze mit Spoilern den Film interpretieren.

Die elfjährige Ofelia (Ivana Baquero) zieht mit ihrer schwangeren Mutter (Ariadna Gil) zu ihrem neuen Stiefvater, dem frankistischen Hauptmann Vidal (Sergi López), der von einer alten Mühle im Wald aus gegen Partisanen kämpft. Diese werden von Vidals Haushälterin Mercedes (Maribel Verdú) und seinem Hausarzt Ferreiro (Álex Angulo) unterstützt. Ofelia beginnt mit ihrer Ankunft in der Mühle ein phantastisches Abenteuer als sie einer Fee begegnet. Die erkennt in ihr die vermisste Prinzessin Moana und macht die mystische Figur des Fauns (Doug Jones) auf sie aufmerksam. In drei Charakterprüfungen muss Ofelia beweisen, dass sie in ihrer Abwesenheit aus dem Königreich nicht menschlich geworden ist.

Im eigentlichen Sinne ist El laberinto del fauno eine Fortsetzung zu del Toros letztem spanischen Werk El espinazo del diablo. Nicht nur werden beide Geschichten von der Ankunft eines Kindes im Auto an einen zentralen Handlungsort eingeleitet, auch sind sie von mystischen Elementen und ernsten historischen Themen durchzogen. Del Toro selbst führt im Audiokommentar immer wieder diese Parallelen der beiden Filme an. Hinzu kommt, dass fast jede entscheidende Szene innerhalb von El laberinto del fauno widergespiegelt wird, dabei allerdings zumeist eine andere Wendung nimmt. Dies markiert auch die Thematik des gesamten Filmes: das Zusammenwirken von Entscheidungen und Ungehorsam.

Jede der gezeigten Figuren befindet sich an einem Wendepunkt in ihrem Leben und muss Entscheidungen treffen, die allesamt mit einer gewissen Form von Ungehorsam zu tun haben. In einer zentralen Szene des Filmes erklärt Dr. Ferreiro gegenüber Hauptmann Vidal, dass das Gehorchen, nur um des Gehorchenswillen eine Sache für Soldaten sein mag, nicht jedoch für rational denkende Menschen. Entsprechend bestehen auch Ofelias Prüfungen aus dem Zusammenspiel von Entscheidungen und Gehorsam respektive Ungehorsam. Del Toro erklärt dem Publikum mit seinem Film, dass es im Leben Momente gibt, in welchen wir uns für den Ungehorsam entscheiden oder zumindest den Gehorsam hinterfragen müssen.

Ofelias Prüfungen bestehen nicht so sehr darin, diese selbst zu bestehen, sondern dem Faun gegenüber zu beweisen, dass sie immer noch die Seele von Prinzessin Moana besitzt. Somit muss sie sich folglich selbst beweisen und tut dies auch den ganzen Film hindurch. Aber auch die anderen Figuren wie Dr. Ferreiro, Mercedes, ihr Bruder und Partisanenführer Pedro oder Vidal müssen sich gegenüber sich selbst beweisen und dahingehende Prüfungen bestehen/-schreiten. Sein prinzipiell trostloses Märchen inszeniert del Toro mit großer Liebe fürs Detail in goldenen und blauen Bildern, hierbei Kontraste bildend zwischen der kalten und herzlosen Welt Vidals sowie der farbenfrohen und phantastischen Welt des Fauns.

Im Verlauf des Films verändern sich diese Farben, wenn die Grenzen beider Welten ineinander zu fließen scheinen. Jede grausame Szene, welche das Franco-Regime widerspiegelt, wird anschließend abgelöst von einer Szene, die ein phantastisches Element beinhaltet – sei es der Faun, eine Fee oder eine Alraune. Somit erzählt del Toro eigentlich zwei Geschichten parallel zueinander und lässt diese im Verlauf seines Films assimilieren. Die eine ist eine klassische Märchengeschichte, die andere der Kampf der Bürger gegen ein totalitäres Regime. Dies dient dem Zweck, das Publikum durch die phantastischen Elemente empfänglicher für die Gewalt zu machen und diese zugleich dadurch abzuschwächen.

Einige Jahre vor Produktionsstart hatte Guillermo del Toro in einem Taxi sein Notizbuch verloren, doch wurde ihm dies von dem Taxifahrer zurückgebracht als dieser den inhaltlichen Wert erkannte. Del Toro sah dies als Omen an und legte sich mit Überzeugungskraft ins Werk, schilderte seinem Kollegen, Freund und Mitproduzenten Alfonso Cuarón sowie dem Hauptdarsteller Sergi López die Handlung des Films bereits eineinhalb Jahre vor Drehbeginn – ehe er sich überhaupt an das Drehbuch gesetzt hatte – exakt so, wie der Film nun auf der Leinwand zu bestaunen ist. Dieses große Ausmaß an Phantasie lässt sich in jeder einzelnen Szene begutachten und zieht das Publikum vollkommen in den Bann.

Weniger mit Dialogen als vielmehr durch seine Kameraführung und seine Bilder verleiht del Toro seinen Figuren ihren Charakter, bis hin zu einer Stabheuschrecke. Was diese Figuren tun, hat Hand und Fuß, genauso was ihnen wichtig erscheint, beispielsweise eine Uhr. Äußerst lobenswert ist, dass del Toro nicht nur auf bloße visuelle Effekte setzt, sondern seine phantastischen Figuren durch Make-up und Puppen darstellen lässt. Die Auszeichnungen für ebenjenes Make-up, besonders natürlich für den Faun und den blassen Mann, sowie für die Ausstattung sind ebenso verdient wie für Guillermo Navarros träumerische Kameraarbeit, die gerade in den Partisanenszenen im Wald atemberaubend schöne Lichtspiele einfängt.

Unter Fans viel diskutiert wurde die Frage, ob sich die Phantasiewelt nur in Ofelias Kopf abspielt oder real ist. Viele Szenen lassen sich so interpretieren, dass Ofelia durch ihr Dasein als Prinzessin und die Aufgabe des Fauns nur der Realität rund um Vidal zu entfliehen versucht. Zeichen hierfür sind die vielen Märchen, die sie liest – darunter eines über ein Mädchen, welches auf Feen trifft –, aber auch die Parallelen zwischen der Wirklichkeit und den widergespiegelten Szenen in der Phantasiewelt. Genauso gibt es Anzeichen wie das Wirken der Alraune, die Blüte am verdorrten Baum und allen voran das Stück Kreide, mit welchem Ofelia flieht, welche für die reale Existenz der phantastischen Welt sprechen.

Entgegen dem allgemeinen Glauben liegen Ofelias Prüfungen nicht darin, dem Faun blind zu gehorchen, sondern selbstständig Entscheidungen zu treffen. In der Szene mit dem blassen Mann trifft Ofelia zwei solcher Entscheidungen: die eine endet gut, die andere endet böse. Letzteres muss sie jedoch der Fall sein, damit Ofelia die dritte und eigentlich einzige Prüfung wirklich richtig bestehen kann. Ihr Verhalten spiegelt das von Dr. Ferreiro wieder, gerade als dieser gegenüber Vidal erwähnt, dass es keinen Sinn ergibt, nur um des Gehorchenswillen zu gehorchen. Man muss seinen Instinkten trauen und Entscheidungen hinterfragen (dürfen) – und im schlimmsten Fall dann auch die Konsequenzen dafür tragen.

In seinem Audiokommentar zum Film erklärt Guillermo del Toro, dass er selbst aufgrund der Anwesenheit des angeblich fiktiven Stücks Kreide in Vidals Gemach an die phantastische Welt des Fauns glaubt. Daran also, dass Ofelia (wieder) eine Prinzessin wird und zu ihrer Heimatstätte zurückkehrt und letztlich Unsterblichkeit gewinnt – weil sie ihre eigene Sterblichkeit hierfür riskiert hat. Auch hierzu gibt es Parallelen in der Realität ob der Entscheidungen von Mercedes und Dr. Ferreiro. Ob das Gezeigte real ist oder nicht, bleibt dennoch eine subjektive Frage. Fraglos dagegen ist aber, dass El laberinto del fauno das bisherige Meisterwerk von del Toro darstellt – und es wahrscheinlich immer bleiben wird.

9/10

4 Kommentare:

  1. Den letzten Satz kann ich zwar nicht unterschreiben, aber hier sind wir uns ausnhamsweise mal wieder einig. ;)

    Und dass nicht der, sondern dieser völlig überschätzte DAS LEBEN DER ANDEREN den Oscar bekommen hat, ist .. na ja, scheiße.

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  2. Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Teils auch recht erhellend zu lesen. Ich habe sogar die volle Punktzahl gezückt... war wirklich begeistert von dem Film.

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  3. Ausgezeichnet geschrieben und ich kann dir eigentlich auch überall zustimmen. Eines der diesjährigen Highlights.

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  4. sehe ich ebenso, nicht nur Del Toros Meisterwerk. auch einer der "faszinierensten" Filme der letzten Jahre.

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