24. November 2017

Ingrid Goes West

What is your biggest emotional wound?

Mit diesen Worten beginnt der 1.000 Beitrag auf diesem Blog, das im Jahr 2007 ins Leben gerufen wurde. Da passt es in gewisser Weise, dass der hier zu besprechende Film, Ingrid Goes West, ebenfalls den Aspekt Social Media zum Thema hat. Eine seiner Zeit lebhafte (Film-)Bloggersphäre lud zum regen Austausch eines Kerns von Nutzern ein – nun, über ein Jahrzehnt später, sind von jenen Bloggern nicht mehr allzu viele aktiv, dafür natürlich andere, jüngere, nachgerückt. Gerade für Millennials und die Generation Z dominieren die Social Media verstärkt ihren Alltag. Der erste und der letzte Blick des Tages wandern auf das Smartphone, auf die Updates aus Facebook (über 2 Milliarden Nutzer), Instagram (700 Millionen), Twitter und Co.

So auch bei Ingrid (Aubrey Plaza), die ihr Leben einst pausieren musste, um ihre kranke Mutter bis zu deren Tod zu pflegen. Sozial vereinsamt sucht sie sich ihre Kontakte über soziale Netzwerke und verliert sich dabei stets in ihrer vereinnahmenden Zuneigung. Als jüngstes Ziel hat sich Ingrid die Instagram-Influencerin Taylor (Elizabeth Olsen) auserkoren. Ein Reply auf einen Kommentar gibt Anlass, sich mit dem finanziellen Nachlass ihrer Mutter auf nach Los Angeles zu machen. Dort mietet sie sich zur Untermiete beim aufstrebenden Drehbuchautor Dan (O’Shea Jackson Jr.) ein und eifert Taylors Lifestyle nach. Als sie zu dieser und ihrem Mann Ezra (Wyatt Russell) Kontakt knüpft, gilt es, das Kartenhaus aus Lügen aufrecht zu erhalten.

Auf der einen Seite kommentiert Ingrid Goes West die Abhängigkeit der jüngeren Generation von ihrem Smartphone und Relevanz in sozialen Netzwerken. Zugleich im Verbund damit aber auch die Faszination der Menschen mit „Prominenz“ innerhalb dieser Netzwerke, an der sie sich orientieren und im Idealfall auf vermeintlich persönlicher Ebene direkt austauschen kann. Gerade den Beginn seines Films gestaltet Regisseur Matt Spicer dabei nahe an der letztjährigen Black Mirror-Episode “Nosedive”, wenn Ingrid einen Großteil des Tages damit verbringt, bei Instagram jeden Post derjenigen, denen sie folgt, zu liken. Und den losen und generell anonymen Kontakt über Social Media als reale Freundschaft missinterpretiert.

Den Impuls zur Geschichte des Films gibt da dann ein Porträt Taylors in einer Zeitschrift, das zur Profilmaximierung ihres Instagram-Accounts natürlich so offen wie möglich an ihre potentiellen Follower gerichtet ist. Aber dann eben auch obsessive Anhänger wie Ingrid auf den Plan rufen kann. Die geht manipulativ vor, um Taylor zur neuen besten Freundin zu machen, die sie für Ingrids Verständnis bereits ist. Ezra wird von ihr da noch weitestgehend toleriert, aber als später Taylors Bruder (Billy Magnussen) und eine Fashion-Bloggerin (Pom Klementieff) zur Gruppe dazu stoßen, beginnt allmählich das perfekte Bild von Ingrids Freundschaft mit ihrem Vorbild zu bröckeln. Dass die Dinge eskalieren müssen, scheint ohnehin vorprogrammiert.

Leider schenkt der Film nur wenig Einblick in das Innenleben der Figuren. Bemerkenswert ist ein Rendezvous von Ingrid und Dan, während dessen Verlauf sich die Charakter einander öffnen, sodass nicht nur sie, sondern auch das Publikum verstehen kann, woher sie kommen. Wir erfahren auch Facetten aus dem Leben von Taylor und Ezra, nur nutzt Spicer diese nicht zentraler für seine Geschichte, wo sie eigentlich Wert wären, beleuchtet zu werden. Beispielsweise wenn eingeführt wird, dass Ezra selbst mit Social Media weniger am Hut hat und noch ein Klapphandy nutzt, genauso wie er seine scheinbare Bestimmung als Pop-Artist eher auf Anraten von Taylor ausübt. Oder dass diese mehr mit Ingrid eint, als sie eingestehen würde.

Statt ein bissiger Kommentar auf den Social-Media- und Smombi-Wahn der Gegenwart zu sein, verliert sich Ingrid Goes West im Verlauf mehr in dem humorvoll präsentierten Stalking-Aspekt der Geschichte, ohne sich jedoch auch diesem intensiv zu widmen. Vielmehr verschwindet Elizabeth Olsen in der zweiten Hälfte mehr und mehr in den Hintergrund. Das Ende versucht dann zwar nochmals, die Kurve zur Social-Media-Satire zu kriegen, kommt dafür aber im Grunde zu spät, nachdem sich Matt Spicer lange Zeit lieber anderen, oberflächlicheren Dingen zugewandt hat. In der Folge ist Ingrid Goes West somit zwar ganz nett, aber irgendwie genauso vergessenswert wie der Facebook-Post des Arbeitskollegen von letzter Woche.

5.5/10

17. November 2017

Murder on the Orient Express

I know your mustache.

Im Krimi-Genre steht und fällt eine Geschichte mit ihrer Auflösung. Wird nicht genug Spannung aufgebaut, kulminierend in einer zufriedenstellenden Aufklärung des Falls, kann das ganze Produkt nicht überzeugen. Murder on the Orient Express wartet mit einer viel versprechenden Prämisse auf – und mit einer ungewöhnlichen Täterermittlung. Und dennoch vermag Kenneth Branaghs Adaption von Agatha Christies gleichnamigem Roman-Klassiker nicht wirklich zu überzeugen. Das liegt nicht nur an dieser Neuverfilmung des nordirischen Regisseurs und Hauptdarstellers, die trotzdem versäumt, etwaige unebene Stellen zu glätten. So bleibt Murder on the Orient Express ein grundsätzlich zwar unterhaltsamer, aber nicht wirklich guter Film.

Wider Willen begibt sich der ausgebrannte renommierte Detektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh) in Istanbul als Passagier an Bord des Orient-Express’, um in England einen Fall zu lösen. Bereits unterwegs wird er jedoch mit einem Mord konfrontiert und vom Direktor des Express, seinem persönlichen Freund Bouc (Tom Bateman), gebeten, sich der Aufklärung anzunehmen. Als eine Lawine den Zug für einen Tag zum Halt zwingt, nutzt Poirot dies, um die zwölf anderen Passagiere individuell zu verhören. Denn der Täter, so schließt Poirot, muss noch an Bord des Express sein. Während seiner Vernehmung rückt dabei immer stärker ein anderer Fall eines gescheiterten früheren Kidnappings in den Mittelpunkt der Ermittlungen.

Wie jeder gute Krimi bringt einen Murder on the Orient Express zum Überlegen, Raten, Zweifeln, wer der Mörder oder die Mörderin sein könnte. Idealerweise sollte die Geschichte das Publikum wie auch seine Hauptfigur hierbei immer wieder auf neue Fährten locken. Dies vermag Branaghs Film eher leidlich zu gelingen, zumindest wartet er jedoch mit einem „Twist“ zum Schluss auf, der innerhalb des Genres Seltenheitsfaktor hat. Was im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass er deshalb zwingend überzeugt, wirkt er doch arg konstruiert. Zugleich fehlt ihm die nötige Exposition, der sich der Film wiederum zu einem gewissen Grad verschließen muss, um seine Karten nicht zu früh preiszugeben und das Ende vorweg zu nehmen.

Es macht es jedoch nicht besser, die Motivation für das Verbrechen in einem Nebensatz zu erklären und die notwendige Empathie der Zuschauer vorauszusetzen. Murder on the Orient Express nutzt seine Laufzeit nicht allzu geschickt beziehungsweise hadert mit der Vielzahl an Figuren – es sind über ein Dutzend –, der er sich in ihr zu widmen hat. Stippvisitenmäßig klappern wir Johnny Depps schmierigen Amerikaner ab, sehen seine Angestellten (Josh Gad, Derek Jacobi), Daisy Ridleys englisches Kindermädchen, das scheinbar eine Romanze mit Leslie Odom Jr. als ebenfalls mitreisender Arzt pflegt. Judi Dench, Penélope Cruz, Willem Dafoe, Olivia Colman und mehr sind ebenfalls am Bord, werden aber nur kurz en passant beleuchtet.

Infolgedessen kann kaum eine Figur abseits von Poirot wirklich Charakter entwickeln, wird vielmehr durch ihre Beschreibung definiert, zum Beispiel Missionarin, Arzt, Schaffner. So sporadisch wie sich Poirot mit ihnen befasst, tut es letztlich auch der Film. Manche von ihnen, wie Manuel Garcia-Rulfos Marquez könnten genauso gut auch aus der Handlung fehlen. Die Verknüpfung des Mordfalls mit dem gescheiterten Kidnapping eines Kleinkindes in Lindbergh-Manier entfaltet sich ebenso wenig zu Gunsten der Spannung. Dabei hat die Prämisse durchaus Potential und hätte eventuell lediglich angepasst werden müssen, indem weniger Figuren mehr Fokus erhalten. Auch wenn dies von Christies Roman abweichen würde.

Kenneth Branagh drehte seinen Murder on the Orient Express im großen Stil, auf 65mm gefilmt mit einigen edlen Aufnahmen (die Schlussszene ist toll inszeniert) und großen Namen. Doch er bietet weder dem Orient-Express eine Bühne, der nur halbherzig als Set erforscht wird, noch den darin reisenden Charakteren. Alles wirkt ein wenig überfrachtet, einschließlich der Mord-Motivation, weshalb auch die Auflösung nicht restlos gefallen will, selbst wenn sie Poirot vor ein interessantes Dilemma stellt. Jenes Ziel hätte die Handlung von Agatha Christie auch über andere Wege erreichen können. Und wie sagte die Schriftstellerin einst selbst: Auch wenn gute Ratschläge fast nie beachtet werden, sei dies kein Grund, sie nicht zu geben.

5/10

10. November 2017

La La Land

How about: all for you and none for me?

Es gibt drei bemerkenswerte Szenen in Damien Chazelles Debütfilm Whiplash, in denen die Hauptfigur, ein Musiker, eine Kinoangestellte zu einem Date einlädt, mit ihr auf dieses Date geht und anschließend die Beziehung mit ihr beendet, weil sie sich auf ihre Musik fokussieren will. Ein Subplot im minimalsten Sinne, mit dem ausschließlichen Hintersinn, dem Publikum eine Figur zu zeigen, die etwas erhält, das sie für ihre Ziele opfern kann. Nicht, dass es dieses Opfers gebraucht hätte, um die Motivation des Charakters zu verstehen, geschweige denn, dass die geopferte Beziehung zuvor irgendeine Relevanz gehabt hätte, so flüchtig wie sie skizziert wurde. Es wundert nicht, dass Chazelle dasselbe Schema in seinem Folgefilm La La Land erneut fährt.

Die Hälfte des Films ist beinahe rum, als die aufstrebende Schauspielerin Mia (Emma Stone) plötzlich einen Freund an die Seite gestellt bekommt, den die Handlung zuvor weder gezeigt noch referiert hat. Während eines Dinners mit dem Freund sagt sich Mia von diesem los, weil sie eigentlich zeitgleich eine Verabredung mit dem aufstrebenden Jazz-Musiker Sebastian (Ryan Gosling) hat, zu dem sie eilt, um mit ihm eine Romanze zu beginnen. Sinn und Zweck des Deux-ex-machina-Freundes von Mia ist erneut, dem Publikum zu veranschaulichen, wie ernst es der Figur mit etwas ist, was auch zuvor bereits deutlich geworden war. Es ist absehbar, dass Damien Chazelle auch in seinem nächsten Film wohl wieder eine ähnliche Szene integrieren wird.

La La Land ist ein Musical voller Misstöne – sowohl narrativ, als auch was seine Musik angeht. Beginnend mit einer relevanzlosen Eröffnungsnummer, die zwar auf das Thema der aufstrebenden Stars in Los Angeles verweist, allerdings mit völlig falschem Kontext. Passend, dass in der Szenerie des Autostaus die zwei Hauptfiguren anwesend sind, aber an dieser nicht teilnehmen. Statt die Szene zum späteren Zeitpunkt einzuführen und auf einen der Charaktere zu fokussieren, ist sie so deplatziert und verschenkt. Gibt aber den Ton an, für die folgenden katastrophalen Musikstücke von Justin Hurwitz. Ein Musical ist letztlich nur so gut wie seine Lieder – und die von La La Land hat man bereits vergessen, bevor sie überhaupt beginnen.

Das liegt zum einen daran, dass die Textzeilen nicht atmen können, da sie einerseits zu schnell vorgetragen und andererseits von der Musik übertönt werden. In Musicals wie West Side Story erhalten die Song-Passagen entsprechend Raum zur Entfaltung, die Musik begleitet den Text. In La La Land verkommt alles zu einem unübersichtlichen Einerlei, exemplarisch zum Ende einer Hausparty, in der sich die Kamera irgendwann in den Pool stürzt. Ähnlich verhält es sich mit den Tanzpassagen, die in anderen Musical-Filmen Aussagekraft besitzen, während sie bei Chazelle lediglich Beiwerk sind im Zerrbild dessen, was vom Regisseur als Musical begriffen wird. Wo der Film bei Musik und Tanz versagt, trifft dies auch auf die Handlung zu.

Sie mag keinen Jazz, verrät Mia später. Folgt eingangs in einer Szene aber doch den Piano-Klängen von Sebastian. Beide Figuren begegnen sich nur kurz, erinnern sich natürlich sofort Monate danach aneinander, als sie sich zufällig wieder sehen. Mia will Schauspielerin sein, wandert jedoch von einem erfolglosen Casting zum nächsten. Die dienen wohl der humorvollen Auflockerung in ihrer desinteressierten Ignoranz der Figur, besitzen aber wie alles im Film keine wirkliche Botschaft, da sich die Handlung diesem Thema nicht widmen mag. Ein gelungenes Gegenbeispiel lieferte dieses Jahr eine Casting-Szene in der Netflix-Serie GLOW, die etwas aussagte und zugleich Humor besaß. Beide Dinge müssen sich also nicht zwingend ausschließen.

Sebastian scheitert ebenso in der Verwirklichung seines Traums, befindet sich im Verlauf des Films allerdings ausschließlich in verschiedenen Stadien der Untreue zu seinen Idealen. Egal ob er Weihnachtslieder in einem Restaurant spielt oder in der Jazz-Pop-Band eines Bekannten (John Legend). La La Land will von diesen Träumern in der Traumfabrik Hollywood erzählen, dies macht schon der Autostau zu Beginn klar. Am Ende erreichen beide Figuren ihre Träume, wie sie dies geschafft haben, ist bei Sebastian letztlich noch unklarer als bei Mia. Letztere inszeniert ein eigenes Theaterstück – ein Misserfolg, der dann als Basis für Erfolg dient, indem er ihr ein Casting beschert, das ihre Karriere zum Weltruhm ebnen soll (wie auch immer).

Bezeichnend ist, dass die entscheidende Szene in dem persönlichen Stück nicht zu sehen ist. Beim Casting soll Mia dafür eine Geschichte erzählen. Chazelle nutzt dies, um zu einem der vergessenswerten Liedern von Hurwitz zu schneiden, ehe eine 0815-Überblende wieder die zwei Hauptfiguren auf die Leinwand zaubert. In der durchschnittlichen High-School-Komödie She’s All That gibt es eine ähnliche Szene, in der die Figur von Freddie Prinze Jr. während einer Performance-Show auf die Bühne muss – nur nutzt der Film dies für einen gelungenen Einblick in den Charakter der Figur, der ihre Werte zur Schau stellt. Ähnlich dürfte die Szene in Mias Stück funktioniert haben, der Film zeigt sie dem Zuschauer allerdings nur leider nicht.

Es fehlt dem Film an einem konsistenten Ton, eine verspielte Planetarium-Tanzszene als müde Hommage an Rebel Without a Cause verkommt zum Selbstzweck, trifft im Verlauf dann auf konventionellen Rom-Com-Humor bei Musikproben zwischen den Figuren von Ryan Gosling und John Legend. La La Land wird von Chazelle als kruder Mix aus West Side Story und Crazy Stupid Love inszeniert, konstant lediglich in seiner Uninspiriertheit, die sich von der Mise en Scène über die durch sich selbst ertränkte Musik bis hin zu den blassen Darstellerleistungen niederschlägt. Es fällt mir nicht nur schwer, dem Film positive Aspekte abzugewinnen, es ist vielmehr schlichtweg nicht möglich, da ihm jedem guten Willen zum Trotz keine solchen innewohnen.

Der Hype um den Film, kulminierend in so abstrusen wie folgerichtigen 14 Oscar-Nominierungen, ist selbsterklärend in Zeiten, wo Transformers-Filme immerzu die Milliarden-Dollar-Grenze sprengen und Disney sowie Marvel mit ihren Star Wars- und Superhelden-Werken stets dieselbe Geschichte erzählen und mit jedem Serieneintrag aufs Neue für ihre vermeintliche Originalität gelobt werden. “They worship everything and they value nothing”, kommentiert es La La Land an einer Stelle passend selbst. Das Positive ist, dass der Film bereits jetzt zum Jahresende nahezu vergessen ist. Und in Zukunft noch weniger eine Rolle in der Kinogeschichte spielten wird. Ein Opfer ohne Relevanz also – damit kennt sich Damien Chazelle ja aus.

0/10

3. November 2017

All These Sleepless Nights

So much was supposed to happen and nothing happened.

Die Phase des Lebens zwischen dem Ende der Teenager-Zeit und dem Erwachsenwerden ist eine ganz spezielle. Eine Phase des Entdeckens und Erlebens verschiedener Momente, die helfen, zu der Person zu werden, die man sein wird. “Reminiscence bump” beschreibt jenen Umstand, das Menschen am meisten an Erinnerungen aus dieser Phase in ihrem Leben festhalten. Der polnische Regisseur Michał Marczak leitet seinen jüngsten Film Wszystkie nieprzespane noce – international als All These Sleepless Nights vertrieben – mit der Erklärung des “reminiscence bump” ein. Zugleich liefert diese das Thema und die Prämisse für das Doku-Drama, welches lose ein Jahr am Leben seines Protagonisten in Warschau teilnimmt.

Der Film wird dabei mit dem Ende der Beziehung von Krzys (Krzysztof Bagiński) zu seiner langjährigen Freundin Monika eingeläutet. Und begleitet schließlich Krzys, wie er mit seinem besten Freund Michał (Michał Huszcza) eine WG gründet. Wir folgen Krzys und Michał von einer Party zur nächsten – genauso wie zu nächtlichen Wanderungen durch die Stadt. So lange, bis Krzys in Eva (Eva Labeuf) bei einer Party Michałs Ex-Freundin kennenlernt. Beide beginnen eine Romanze und Krzys beschließt wenig später, aus der WG auszuziehen. Seine Gesellschaft ändert sich für Krzys, doch die Partys bleiben. Jeder Moment ist dabei ganz besonders in All These Sleepless Nights. Und doch sind sie alle letztlich im Grunde genauso gut austauschbar.

Im Fokus steht dabei Krzys, ohne dass der Zuschauer nähere Einblicke in seinen Charakter erhält. Er manövriert aus seiner ersten ernsten Beziehung, verarbeitet diese in einer Romanze, wohnt zuerst mit einem Freund alleine, später dann nur für sich. Macht alkoholgeschwängerte Bekanntschaften mit Fremden auf Partys, führt tiefsinnige Gespräche auf Toiletten. Und ist hierbei auf der Suche nach (s)einer eigenen Identität und einer Richtung. Marczaks Film wirkt infolgedessen wie eine weniger prätentiöse moderne Version eines Terrence-Malick-Films. Beide thematisieren die Sinnsuche, Einsamkeit und Liebe in ihren Werken. Marczak fokussierter – sowohl in seiner Kameraarbeit, aber insbesondere auch hinsichtliche der narrativen Herangehensweise.

“I feel like I constantly want to sabotage myself”, gesteht Krzys. Später wird er eine Bekanntschaft fragen: “Can you see my loneliness?” Krzys ist auf der Suche, nur weiß er nicht so recht, wonach. Wenn eine alkoholisierte Eva bei ihrem ersten Kennenlernen festhält “I feel like I know you” ist das nicht nur lustig, sondern fundierter als es den Anschein hat. Krzys, Michał und Eva sehen in gewisser Weise sich selbst in einander. Das macht ihnen ihre Gesellschaft so bedeutsam, aber stößt sie letztlich wohl auch voneinander ab. Wenn Krzys mit seinem Freund Adam (Adam Repucha) in einem Bad über das Leben und die Liebe sinniert, um festzuhalten “it might be a few years before I understand all that”, gibt dies den Kern der Sache wieder.

Noch fehlt diesen jungen Menschen die Einordnung und ein Blick auf das große Ganze. Sie leben im Jetzt und Hier und wenn sie nachts oder frühmorgens durch die leere Straßen Warschaus spazieren, auf dem Heimweg von der letzten Party, fühlen sie sich naturgemäß wie “the gods of the city”, wie es Eva ausdrückt. Laut der Inhaltsangabe sind Krzys und Michał Kunststudenten, zu sehen kriegt der Zuschauer davon nichts. Wir begleiten beide nur von einem Event zum nächsten und manchmal auch dazwischen. Und kriegen ihre Streitereien mit, sei es wegen Krzys Umgang mit Eva oder seiner Haltung zu einer weiblichen Bekanntschaft seines besten Freundes auf einer später Party. Alles, so scheint es, ist im Wandel.

Jeder von ihnen sucht wie Krzys nach etwas Bestimmtem, ohne zu wissen, was. Sie alle haben aber eine Ahnung, eine Erwartung. “So much was supposed to happen and nothing happend”, bringt es gegen Ende eine Bekannte von Krzys auf den Punkt. Sie habe gewusst, woher er komme, erzählt Krzys in Bezug auf Evas Reflektion zu seiner Verarbeitung des Beziehungsendes mit Monika. Wohin er will, so scheint es, wusste Eva aber genauso wenig wie Krzys selbst. Sodass ihre Beziehung im Laufe von All These Sleepless Nights auch zum Scheitern verurteilt ist. Zwischen Partys, Frauen, Musik und Drogen mäandert Krzys daher durch das Nachtleben seiner Stadt, wirkt dabei aber nie vollends zufrieden oder glücklich.

Faszinierend ist die Tatsache, dass Michał Marczak weniger einen Spielfilm als eine Dokumentation abliefert. So spielen sich Krzys, Michał, Eva und Co. scheinbar selbst – respektive Versionen von ihren Persönlichkeiten. Die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion verschwimmen somit, angesichts des narrativen wie visuellen Flusses des Films ist es dennoch bemerkenswert, dass selbst große Teile von ihm nicht gespielt im klassischen Sinne sind. Die drei Hauptfiguren sind dabei eindringlich und charismatisch, vom pragmatischen Michał Huszcza über die bezaubernde Eva Labeuf hin zum nachdenklichen Krzysztof Bagiński. Fast schon ein Charakter für sich ist dabei die Musikauswahl, die als Soundtrack des Lebens der Figuren dient.

All These Sleepless Nights inszeniert das Leben als eine Momentaufnahme. Und genauso als eine Abfolge von Momenten. Manche von ihnen waren für Krzys, Michał und Eva schöner als andere. Getreu dem “reminiscence bump” werden sie sich an alle jedoch eindringlicher erinnern als an später in ihrem Leben gemachte Erfahrungen. Nicht nur – aber natürlich auch – weil sie nun filmisch von Michał Marczak festgehalten sind. Als Zuschauer verliert man sich wie bei Terrence Malick in diesen das Leben abbildenden ruhelosen und doch beruhigenden Bildfragmenten. “We all have an archive of beautiful moments in our minds”, philosophiert Adam gegenüber Krzys gegen Ende des Films. All These Sleepless Nights ist letztlich selbst solch ein Archiv.

7/10