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26. Oktober 2018

Bohemian Rhapsody

I see a little silhouetto of a man.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich im Jahr 1993 meine ersten Maxi-CDs besorgte. Zu den ersten drei Singles, die meine Sammlung seiner Zeit gründeten, zählte neben “The Sign” von Ace of Base und “I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That)” von Meat Loaf auch die Remix-Wiederauflage “Living On My Own” von Freddie Mercury. Damals wusste ich noch nicht wirklich von Queen, doch sollte auch die Band um ihren Frontmann später zu meinen Favoriten zählen. Einen ihrer Höhepunkte feierte die englische Rock-Formation dabei im Juli 1985 auf dem Live-Aid-Konzert in London von Bob Geldorf. Ein Event, welches auch die narrative Klammer für Bohemian Rhapsody liefert, der die Geschichte von Freddie und Queen erzählt.

Regisseur Bryan Singer – sowie Dexter Fletcher, der Singer gegen Ende der Produktion ersetzte – folgen dabei weitestgehend dem üblichen Prinzip des Musikbiografie-Genres. Der Film rekapituliert rund 15 Jahre Band-Geschichte, beginnend mit dem ersten Kennenlernen der beiden Smile-Musiker Brian May (Gwilym Lee) und Roger Taylor (Ben Hardy) mit Farrokh Bulsara (Rami Malek). Er ersetzt 1970 ihren bisherigen Sänger, ehe sich die Band mit John Deacon (Joseph Mazzello) neu formierte und erste Gigs spielte. Aus Smile wird Queen und aus Farrokh Bulsara kurz darauf Freddie Mercury. Doch auch mit seiner neu geschaffenen anglisierten Identität sucht der Junge aus Sansibar mit indischen Wurzeln weiter nach seinem Glück.

“I get lonely, so lonely, living on my own”, sang Freddie in jenem Solo-Stück. Und auch Bohemian Rhapsody zeichnet ihn immer wieder als einsamen Künstler, selbst in der Anwesenheit von anderen. Seine Liaison mit Mary Austin (Lucy Boynton) gibt ihm anfangs noch emotionalen Halt, doch leidet die Beziehung unter der Erkenntnis von Freddies Homosexualität. Obschon sich Singer von der Band nur Freddie widmet, schenkt der Film nur sehr wenig Einblicke in sein Innenleben. Welcher Konflikt in ihm herrschte, sei es über seine Sexualität oder seinen indischen Hintergrund, reißt Bohemian Rhapsody nur leicht an. Ebenso als Singer in Paul (Allen Leech), Freddies persönlichem Assistenten,  später eine Art Antagonisten findet.

Primär hangelt sich der Film von Lied-Station zu Lied-Station. Mit am meisten Zeit verbringt er dabei noch mit den Aufnahmen zu Queens viertem Studio-Album “A Night at the Opera” in 1975, auf dem auch jener Kult-Hit erschien, der Bohemian Rhapsody seinen Titel leiht. Kürzer fallen da die Findungs-Momente weiterer Klassiker wie “We Will Rock You” oder “Another One Bites the Dust” aus. Im Grunde inszeniert Singer dies alles als eine Form filmischen Medleys, Reenactments von Konzert- und Musikauftritten werden dabei unterbrochen von privaten Szenen um Freddie. Und dem aufschwellenden Konflikt mit den übrigen Band-Mitgliedern, der in Singers Film hauptsächlich von Paul motiviert bzw. diesem gesteuert erscheint.

Dass es innerhalb der Band hinsichtlich der Autorenschaft der jeweiligen Songs zu Konflikten kam, wird erst im Schlussakt kurz während einem Meeting bei ihrem Manager Jim Beach (Tom Hollander) thematisiert. Bohemian Rhapsody will letztlich womöglich zu viel erzählen, über einen zu langen Zeitraum – und setzt dabei auch noch mitunter den Fokus falsch. So erweckt der Film den Eindruck, die Spaltung zwischen Freddie und Queen sei über einen längeren Zeitraum der gegenseitigen Entfremdung erfolgt, währenddessen er sich in München aufhielt und den Drogen verfiel, ehe das Live-Aid-Konzert der Band neues Leben einhauchte. Dabei befand sich Queen bis Mai 1985 gemeinsam auf Tour – also zwei Monate vor Live Aid.

Auch dass Freddie vor Queen bereits in Bands wie Ibex und Sour Milk Sea spielte, spart Singer aus dramaturgischem Anlass aus. Verortet aus denselben Gründen Freddies vermeintliche AIDS-Diagnose aber bereits unmittelbar vor Live Aid. Eben auch, weil mit diesem Hintergrund die Performance von “Bohemian Rhapsody” auf der Bühne mit Lyrics wie “Too late, my time has come (…) Goodbye everybody, I’ve got to go (…) I don’t want to die” eine neue Bedeutung erhält (obwohl der Song schon zehn Jahre alt war). Auch andere Textzeilen nach Live Aid weisen eine Zweideutigkeit auf, zum Beispiel “There's no time for us” aus “Who Wants to Live Forever” oder das kurz vor seinem Tod veröffentlichte “The Show Must Go On”.

Bohemian Rhapsody schultert sich reichlich Themen auf – und damit viel erdrückende Last. Die Sexualität von Freddie, seine Beziehungen zu Mary und Paul, sein Verhältnis zu seiner Familie, die AIDS-Erkrankung, die Anfänge und anfänglichen Widerstände von Queen, erste und spätere Reibungen mit den anderen Band-Mitgliedern, die Genesis einiger der größten Hits, Selbstzweifel des Lead-Sängers und noch manches mehr. Viel Ballast, dem sich jemand wie Kevin Macdonald in einer Musik-Dokumentation à la Marley oder Whitney sicher intensiver gewidmet hätte, anstatt wie Singer einen szenischen Staffellauf zu präsentieren. All dies unterscheidet seinen Film aber nicht von anderen Genre-Vertretern wie Love & Mercy.

Singers Film funktioniert dennoch über weite Strecken sehr gut – für Fans von Queen und Freddie Mercury vermutlich besser als für Laien. Die Darsteller überzeugen, von Gwilym Lee und Ben Hardy hin zu Rami Malek, der sich zumindest einer Golden-Globe-Nominierung sicher sein dürfte. Dass Sacha Baron Cohen, der zuerst für die Rolle vorgesehen war, mehr aus ihr gemacht hätte, sei dahingestellt. Auch die vielen Konzert-Szenen gefallen, mit dem Live-Aid-Reenactment als Höhepunkt. Hier geht jedoch viel Zeit verloren, die an anderer Stelle für die Ausarbeitung der Figuren und/oder Handlung hätte genutzt werden können. Zugleich wäre der Gang auf die Bühne mit Texttafel wohl ein ebenso funktionierendes Ende gewesen.

Als filmisches “Greatest Hits” zu Queen und Freddie Mercury funktioniert Bohemian Rhapsody also allemal – eben auch, weil Singer die bekannten Pfade nicht verlässt und keine Experimente wagt. So schultert die Darstellung der drei Hauptdarsteller, insbesondere aber die Diskografie von Queen selbst den Großteil des Films. Der hilft zumindest dabei, Letztere in einem neuen, tieferen Licht zu betrachten. Als hätte er 1977 bereits sein Schaffen und die Bedeutung seiner Musik und Fans für sich reflektiert, singt Freddie in “We Are the Champions” unter anderem: “I’ve taken my bows. And my curtain calls. You brought me fame and fortune, and everything that goes with it. I thank you all.” Dabei sind wir es, die ihm zu danken haben.

6.5/10

26. April 2010

Kick-Ass

Okay, you cunts...let’s see what you can do!

Das britische Empire gibt es nicht mehr. Die einstige Großmacht, inzwischen - wenn man so will - durch die Vereinigten Staaten von Amerika abgelöst, verfügt zwar noch über ein großes Britannien und ein Commonwealth, aber so wie früher ist das alles nicht mehr. Man könnte jedoch sagen, dass in der Comic-Branche durchaus noch ein britisches Empire regiert. Bestimmten doch in den letzten Jahrzehnten Briten wie Alan Moore (Watchmen), Neil Gaiman (The Sandman), Garth Ennis (Preacher) oder Warren Ellis (Transmetropolitan) den Markt, während in Form von Andy Diggle (The Losers) oder Mark Millar (Wanted) andere Talente nachrückten. Jerry Siegel, Stan Lee und Frank Miller waren gestern. Heute inszenieren die Tommys die Comic-Landschaft Amerikas. Und das sehr erfolgreich. Über Umsetzungen ihrer Werke auf der Filmleinwand denken die Künstler sehr unterschiedlich. Ein Moore reagiert verärgert, ein Millar enthusiastisch.

Mark Millar gilt in Fan-Kreisen als Hollywood-Hure, da er bereitwillig seine eigenen Werke ausschlachtet, solange die Kasse und die entsprechende Anerkennung stimmt. Wie im Falle von Wanted, eine der unsäglichsten Comic-Verfilmungen, die man im letzten Jahrzehnt gesehen hat. Ähnlich scheint es nun mit seinem neuesten Werk Kick-Ass zu gehen, welches von Manchem als „Nerdcomic-Overkill“ eingeordnet wird, während sich die Masse in Buh-Rufer - ob der obszönen Sprache und Gewaltdarstellung - und Ja-Sager - wohl aus demselben Grund - einteilt. Im Vorfeld hoben die Beteiligten explizit hervor, dass niemand in Hollywood seine Finger auf das Material legen wollte. Zu viel Gewalt, zu viel Diskussionsstoff sei enthalten. Nun strahlen sie, die Messr. Mark Millar und Matthew Vaughn. Letzterer ist Drehbuch-Tippse und Regisseur des Filmes, in Deutschland hauptsächlich als Ehemann von Claudia Schiffer bekannt, der vom Gatten in dessem neuen Film auch gleich eine sekundenlange Hommage gewidmet wird.

Trotz all den Lobhudeleien startete Kick-Ass dann in den USA äußerst verhalten, wobei es sich hierbei auch um einen sogenannten „R“-Rated-Film handelt. Ein Minderheiten-Film, was man schlecht glauben will, wenn man sich all das überschwängliche Lob im Internet vor Augen führt. Was Millar dazu verleitet, Marvels Strategie, den Helden aus der zweiten Reihe - Thor und dergleichen - ein Filmabenteuer zu spendieren, als altbacken abzukanzeln. Kick-Ass gibt die Melodie vor, eine Comic-Verfilmung, die in Produktion ging, ehe das Comic fertig war. Weshalb sich Film und Comic auch unterscheiden, insofern, dass Vaughns Film weit weniger zynisch ist, als Millars Comic. Aber das kannte man bereits von Wanted. Das traditionelle Prozedere geht los, Kick-Ass endet auf einer Sequel-Note (herrlich dämlich von Austin Powers übernommen), könnte/dürfte sich aber so versanden wie Wanted 2 oder Sin City 2. Die groß angekündigten Nachfolger, die es bis heute nicht in das Stadium der Vorproduktion geschafft haben.

Kick-Ass nunmehr also ein „Nerdcomic-Overkill“, was man zwar nicht wirklich sagen kann, da dies wenn dann auf Scott Pilgrim vs. the World zutreffen könnte, ist Kick-Ass doch eigentlich reichlich profan. Eine trashigere Variante von Watchmen, angesiedelt in der Gegenwart. Normalos in Kostümen, nur eben das Ganze ohne Nuklearen Holocaust und Dr. Manhattan. Aaron Johnson spielt Tobey Maguire wie er Peter Parker spielt, nur dass Peter Parker hier Dave Lizewski heißt. Ein schlaksiger Nerd, dessen einzige Superkraft nach eigener Aussage darin besteht, unsichtbar für Frauen zu sein. Und weil Dave ein Nerd ist, liebt Dave Comics. Weshalb er sich fragt, warum es eigentlich niemanden gibt, der sich als Superheld versucht. Was dazu führt, dass er sich einen Tauchanzug ordert, um selbst einer zu sein. Es folgt ein Unfall, eine körperliche Beeinträchtigung (oder Verbesserung, je nach Blickwinkel) und eine neue Prämisse, die dem Film dann anschließend abhanden kommt. Die versuchte Geschichte in Kick-Ass ist vorbei, ehe sie losgeht.

Eine „Rettungsaktion“ führt zu einem YouTube-Video, dies wiederum zu einer Nachrichtenmeldung, resultierend in einer MySpace-Seite (man mag sich fragen, warum Dave nicht das in den USA weit verbreitetere Facebook nutzt). Der nächste Auftrag ist so herrlich dämlich in filmische Form verpackt, dass ein von Millar zu Grunde liegender Zynismus total abhanden kommt. Unwissentlich macht Dave a.k.a. Kick-Ass mit dem Ex-Freund seines High-School-Schwarmes (Lyndsy Fonseca) Schluss: einem Drogen dealenden Afroamerikaner um die 30. Die Situation wird durch das Auftreten von Hit Girl (Chloë Moretz) und ihrem Vater Big Daddy (Nicolas Cage) deeskaliert. Was den Ärger von Drogen-Boss Frank D’Amico (Mark Strong) auf sich zieht, der Kick-Ass für den Verursacher hält. Um sich die Sympathien des Vaters zu sichern, initiiert Chris D’Amico (Christopher Mintz-Plasse) das Superhelden-Alter-Ego Red Mist und nimmt Kontakt mit Kick-Ass auf. Fortan springt Vaughn willkürlich zwischen den Handlungssträngen.

Das große Problem von Kick-Ass ist, das er nichts zu erzählen hat. Vaughn verfügt über einzelne Szenen, die mal mehr und mal weniger unterhalten. Manche betreffen Big Daddy und Hit Girl, andere die D’Amicos. Vaughn versucht, sie zu einer stringenten Handlung zusammenzuschnüren, scheitert jedoch grandios. Der Film beginnt mit einer reichlich langen Exposition, der jegliche Grundlage fehlt. In einer Einstellung stirbt Daves Mutter am Frühstückstisch. Wieso? Ist das erheblich für den Film? Nach seiner Superhelden-Frage wird er auf einem Parkplatz ausgeraubt. Später führt ihn seine erste Kick-Ass-Mission auf denselben Parkplatz, zu denselben Typen. Sie möbeln Dave auf, schlagen ihn Krankenhausreif. Anschließend werden sie ignoriert. Kick-Ass verfolgt sie nicht, die Polizei anscheinend auch nicht. Dabei wäre der erste Ansatzpunkt, auf jenem Parkplatz nachzusehen, auf dem sie sich anscheinend immer herumtreiben. Vaughn arbeitet die „Origin“-Story des Helden ab und wechselt die Szenerie.

Hier sind Big Daddy und Hit Girl. Zwei Figuren mit Potential, allerdings nimmt sich der Film keine Zeit für sie, sondern lässt sie vorerst zu kurzen Randerscheinungen verkommen. Als Vaughn ihnen mehr Aufmerksamkeit schenkt, integriert er eine vollkommen unerhebliche - und zudem grauenhaft klischeebehaftete und uninspirierte - „Origin“-Story, die liebevoller Weise im Comic-Stil erzählt wird. Jetzt kennt man die Vorgeschichte, die einem eigentlich absolut egal war. Vaughn setzt ein Häkchen und wechselt die Szenerie. Man lernt die D’Amicos kennen, die eigentlich nur aus Frank und Chris bestehen, verschwindet die Mutter doch irgendwann und taucht anschließend auch nicht mehr auf. Christopher Mintz-Plasse erhält eine ambivalente Figur, derer man sich widmen könnte oder gar müsste, was Vaughn sich allerdings erspart. Sein Chris D’Amico ist ein Nerd. Und weil Chris ein Nerd ist, liebt er Comics. Es gibt eine wunderbare Szene, in der Dave im Comic-Laden auf den einsamen Chris zugeht, dann aber von dessen bulligem Bodyguard abgewiesen wird. Chris ist einsam. Chris sucht Freunde.

Dann die Kehrtwende. Chris sitzt in Franks Büro mit dessen Wumme und spielt Gangster-Boss. Später biedert er sich seinem Vater als Spitzel an (die Beziehung der Beiden wirkt so unnatürlich, dass man eigentlich erwartet, dass Frank lediglich Chris’ Stiefvater ist). Später thematisiert Vaughn nochmals die Ambivalenz des Jugendlichen, allerdings nur für einen Bruchteil, um sie dann erneut zu negieren. Kick-Ass ist zu diesem Zeitpunkt bereits eine lose Aneinanderreihung von Bildern ohne wirklichen Zusammenhang, die jederzeit enden oder auch unendlich weiterlaufen könnte. Irgendwo dazwischen glaubt Daves Schwarm dann noch, dass er schwul sei, adoptiert ihn urplötzlich als besten Freund - alle Frauen sehnen sich scheinbar nach einem schwulen besten Freund - und die absurde Situation bildet den Aufhänger für einige weitere Szenen, die in jenes Potpourrie geschmissen werden, das Vaughn inzwischen angesammelt hat.

Nun muss nicht jeder Film eine Geschichte erzählen, man kann wie Michael Bay ganz darauf verzichten oder wie James Cameron einfach eine bereits bekannte und etablierte nahezu identisch übernehmen. Was man Kick-Ass vorwerfen kann, ist, dass er so tut, als ob er eine Geschichte erzähle, dies in Wahrheit jedoch nicht der Fall ist. Der Film ist so belanglos für den Zuschauer, dass man ihn getrost auch „Lame-Ass“ nennen könnte. Die einzige Konstante ist der vorherrschende Gewaltpegel, der die in Ansätzen vorhandenen Obszönitäten - die im Vergleich zu jedem Film eines Kevin Smith und Judd Apatow nicht mal eine Erwähnung wert sein dürften - deutlich in den Schatten stellt. Und auch die Gewalt ist im Grunde keiner Diskussion wert. Hier knallen Teenies von Hausdächern auf Autos, landen Gangster in Autopressen und Riesenmikrowellen. Dazwischen wird speziell Hit Girl als kleinwüchsiger Wesley-Gibson-Verschnitt durch die Hausflure gejagt, was cool sein soll, es aber auch durch die musikalische Untermalung nur selten ist.

Und wo es gerade zur Sprache kommt, hier und da war man sich einig, dass Vaughns Kompilationstalent was die Musik für den Film angeht, an Tarantino herankommt. Was dieser als schallende Ohrfeige empfinden darf, versprühen Gnarls Barkley und Co. selten etwas von dem kongenialen Einsatz, wie ihn QT pflegt. Die Musik ist charmant, durchaus, aber mehr auch nicht. Keines der Lieder bleibt einem im Ohr hängen wie „Little Green Bag“ oder „Stuck in the Middle With You“. Grundsätzlich gehört Kick-Ass in seiner Gesamtheit wie auch schon andere Filme vor ihm - man denke an Zombieland -, in die Sparte „Don’t believe the hype“. Nicht mal die allseits gelobte Moretz will wirklich gefallen, sodass der Film eigentlich nahezu vollständig auf den Schultern von Mark Strong lastet (dessen Bösewicht-Typisierung inzwischen auch langweilig wird). Wo Chloë Moretz und Aaron Johnson bisweilen mit der Situation überfordert scheinen, sind Nic Cage und Christopher Mintz-Plasse brillant fehlbesetzt.

Es gibt Regisseure, die starten mit einem bescheidenem Debüt. Darunter fallen Darren Aronofsky und Wes Anderson, die sich anschließend stetig steigerten. Konträr dazu gibt es auch Kollegen, die stark beginnen und dann merklich abbauen. Wie Guy Ritchie oder nun auch Matthew Vaughn. Zeugte dessen Layer Cake noch von einer mitunter beeindruckenden Brillanz, verkam sein Nachfolger Stardust bereits zum müden Aufguss. Mit Kick-Ass ist Mr. Schiffer nun an seinem bisherigen Tiefpunkt angelangt, was Böses für den weiteren Verlauf seiner Karriere ahnen lässt. Dass ein Film, der sich damit preist, anders zu sein und anzuecken, dennoch nicht die zynische Konsequenz der Vorlage vollends durchhalten kann und stattdessen die Hollywood-Marschroute wählt, sollte Zeugnis seines heuchlerischen Charakters sein. Was am Ende bleibt, ist die Erkenntnis, dass es das britische Empire scheinbar wirklich nur noch in der Comic-Szene zu geben scheint.

5.5/10

9. März 2009

Kurz & Knackig: Guy Ritchie

Lock, Stock and Two Smoking Barrels

Guy Ritchies Debütfilm war 1998 wohl der Überraschungshit schlechthin in Großbritannien, wo es der charmanten Gangsterkomödie gelang das Siebenfache ihres Budgets wieder einzuspielen. Insbesondere die Karrieren von Regisseur und Drehbuchautor Ritchie, sowie Produzent (jetzt Regisseur) Matthew Vaughn und Schauspieler Jason „The Stath“ Statham (den ich liebevoll wie Filmdrunk.com Stafam nenne) wurden hiermit gestartet und im Nachhinein ist das doch recht beachtlich. Zwar ist in Guy Ritchies Debüt nicht alles „lock, stock and barrel“ (dt. mit allem Drum und Dran), aber dennoch ist der erste Spielfilm des gelernten Werbefilmers äußerst ansehnlich. Die Kritiker kamen dann auch nicht umhin, ihn sofort als den englischen Quentin Tarantino zu bezeichnen. Ein Vergleich, der sich mir bis heute nicht unbedingt erschließen will.

Ritchie eröffnet den Film, der um eine romantische Nebenhandlung gekürzt wurde, auf seine für sich klassische Weise. Sein visueller Stil wird schon in der ersten Szene deutlich, wenn er mit Bacon (The Stath) und Eddie (Nick Moran) zwei seiner Protagonisten in Zeitlupe präsentiert, um dann zahlreiche andere seiner Charaktere kurz und knapp einzuführen. Hier offenbart sich einem bereits Ritchies Talent für seine Besetzung, welches auch seine nachfolgenden Filme (abgesehen von Madonnas Part in Swept Away, aber man soll ja auch nie die Hand beißen, die einen füttert) überdeutlich wird. Die eigentliche Story ist wie so oft im Prinzip recht simpel, lebt weniger von ihrem Inhalt als vielmehr von ihrer Umsetzung. Ein gezinktes Kartenspiel soll Hatchet Harry (P.H. Moriarty), der gerne mal Angestellte mit Dildos erschlägt, die Bar von Eddies Vater (Sting in einem unnötigen aber irgendwie auch nett anzusehenden Cameo) sichern. Allerdings wollen sich Eddie, Bacon, Soap (Dexter Fletcher) und Fat Tom (Jason Flemyng) nicht so leicht geschlagen geben.

Problematisch wird das Geschehen nur dann, wenn der Regisseur etwas das Tempo schleifen lässt. Dies trifft speziell auf den Mittelteil zu. Immerhin wird der Zuschauer dann im Finale des Filmes wieder entlohnt, wenn die letzte halbe Stunde richtig Fahrt aufnimmt und das Tempo bis zum Abspann durchgehalten werden kann. Viele kleine Höhepunkte finden sich meist in Ritchies pointierten Dialogen, es muss jedoch eingestanden werden, dass sein verqueres Abenteuer wohl ohne seine farbigen Figuren nicht einmal die Hälfte wert wäre. Sei es Willie, Barry der Täufer, Nick der Grieche, Big Chris (Vinnie Jones) und Little Chris oder Rory Breaker. Von letzterem stammt auch mein Lieblingszitat des Filmes: If the milk turns out to be sour, I ain’t the kinda pussy to drink it. Keine Sorge, Rory, Lock, Stock and Two Smoking Barrels kann man sich unbesorgt zu Gemüte führen.

8/10

Snatch

Eines steht mal fest: Guy Ritchie Filme werden vom Publikum weitaus besser aufgenommen, als von den Filmkritikern. Durch die Bank schneiden die Werke des Briten beim Endverbraucher besser ab. Dabei ist Snatch nicht unbedingt eine Weiterentwicklung seit Lock, Stock – muss es aber auch nicht. Der Film lebt wie sein Vorgänger von seiner Inszenierung, während der Inhalt nicht wirklich dazu einlädt, eine Runde Schlittschuh drauf zu laufen. Sonst bestünde die Gefahr, dass man einbricht. Allerdings beherrscht Ritchie die Bildkomposition und Soundtrack-Auswahl hier schon eine Spur besser. Das fetzt, das passt, das biedert sich so an, dass man nicht anders kann, als irgendwie das Gesehene ziemlich gut zu finden. Seine Klimax findet dies schließlich in der Bareknuckle Fight Sequenz zu Beginn, wenn Ritchie „Golden Brown“ von The Stranglers ertönen lässt, während Tommy (Stephen Graham) sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand steht. Tränen auf den Wangen, da die ”fuckin’ pikeys“ entscheiden, ob sie ihn die Radieschen von unten ansehen lassen soll. Kudos, Mr Ritchie.

Jetzt ist die Kacke am Dampfen, denn Gorgeous George ist erst mal am Arsch. Ritchie nutzt die Atmosphäre, um genüsslich mit Box-Spitznamen zu spielen. Schließlich können George weder John „The Gun“ noch „Mad Fist“ Willy ersetzen. The Gun hat sich erschossen und Mad Fist sitzt in der Klapse. What's happening with them sausages, Charlie? Im Gegensatz zu seinem Debüt präsentiert Ritchie nunmehr einen Ensemble-Film. Zwar ist Turkish (Jason Statham) irgendwie der Held der Geschichte, aber letztlich ist auch er nur ein Rädchen im großen Uhrwerk von Snatch. Und sowieso, der Star des Filmes ist Brad Pitt als nuschelnder Zigeuner, der eine Affinität zu Hunden hat. Das Schauspiel des Hollywood-Stars lässt jedoch bisweilen zu wünschen übrig, da weiß sein Traumfabrik Pendant Benicio del Toro als Fuckin’ Franky Four Fingers (Viva Las Vegas!) doch besser zu gefallen. Aber wenn man schon so anfängt, kann man gleich für jeden der Charaktere in Snatch ein eigenes Spin-Off drehen. So herrlich schräg sind sie, die Ausgeburten von Ritchies Phantasie.

Bedenkt man, dass die Handlung in Mary ‚Fucking’ Poppins London spielt, sind die zufälligen Begegnungen aller Protagonisten hier doch etwas stark überzogen. Zumindest trägt das Gros an Figuren nicht sonderlich zur Glaubwürdigkeit bei. Generell verfügt Snatch zwar über ein schnelleres Tempo als Lock, Stock, doch wird dieses wiederum von den vielen einzelnen Handlungen gebremst. Im Nachhinein ergibt sich so eine Art Gleichgewicht, dass den Film über Wasser hält, allerdings meist auch nicht mehr schafft. Es wirkt oft so, als habe sich Ritchie an nicht unbedingt versucht weiterzuentwickeln, sondern eher probiert, das was er schon kann, noch etwas auszufeilen. Neben einigen Selbstzitaten (Bullet Tooth Tony scheint ein Verwandter von Big Chris zu sein) gefällt speziell auch die Hasenjagd-Szene. Hier stellt Ritchie die Jagd der beiden Hunde auf den Hasen der Jagd von Errol auf Tyrone (Ade) gegenüber (phänomenal untermalt von Mirwais „Disco Science“). Und was passiert, wenn der Hase geschnappt wird? Er wird gefickt, und zwar bevor „ze Germans“ auf der Bildfläche erscheinen.

Weitaus mehr als Lock, Stock lebt Snatch von seinen Figuren, die allesamt zum Verlieben sind. Seien es Bullet Tooth Tony (Vinnie Jones), Boris the Blade a.k.a. Boris the Bullet Dodger (”Because he dodges bullets, Avi”) oder Tyrone, der gerne mal Kleinlaster übersieht, wenn sie im toten Winkel stehen. Zudem hat man wohl selten einen bedrohlicheren Untergrundboss gesehen als Alan Fords Brick Top. Somit sollte Ritchies zweiter Film als bloße Fingerübung betrachtet werden, ein Vorgeschmack auf mehr. Nur kam anschließend nicht wirklich mehr. Eher weniger. Besser machen sollte es der Brite dann mit Revolver, der zwar im Prinzip an inhaltlicher Tiefe gewinnt, dafür jedoch seine brillanten Dialoge und liebenswürdigen Charaktere vernachlässigt. Da war RocknRolla vielleicht der einzig richtige Schritt, ehe nun mit Sherlock Holmes ein neues Genre auf ihn wartet. Zuletzt sei gesagt, dass Snatch nicht sonderlich gut altert (von dem schlechten Bild der deutschen DVD einmal abgesehen). Die siebte Sichtung zeigte einige Schwächen auf, sodass man sich das Teil lieber nur alle paar Schaltjahre geben sollte. Dann fetzt es auch besser. What's happening with them sausages, Charlie?

8/10

Swept Away

Ritchies dritter Spielfilm hält bei Rotten Tomatoes starke 5% und sowieso liest man eigentlich nur, dass das Teil scheiße sein soll. Wenn man sich dann mal die DVD einlegt, ist man doch überrascht, beginnt der Brite den Film nämlich sehr ordentlich. Eingeleitet von Goldfrapps „Lovely Heads“ erinnert die Eröffnung fast schon an die Bond-Reihe. Und wenn ich dann Namen wie Bruce Greenwood und Elizabeth Banks lese – letztere spielt übrigens grandios eine Paris Hilton-Persiflage -, steigt meine Laune doch schon mal. Und bis die Leighton (Madonna) und Guiseppe a.k.a Pepe a.k.a Pipi a.k.a Guido (Adriano Giannini) auf der einsamen Insel crashen, ist Swept Away auch okay. Belanglos, aber nun auch kein Verbrechen an der Menschlichkeit. Das ändert sich schließlich für den restlichen Verlauf des Filmes. Aber mahalo.

Den Schachzug Madonna als reiche, versnobbte, arrogante, narzisstische Schlampe zu besetzen (sie spielt sich also praktisch selbst), ist von der Idee her in Ordnung. Das Problem ist nur, dass Madonna nicht schauspielern kann. Selbst ein gesichtsamputiertes Kapuzineräffchen würde da mehr Glaubwürdigkeit erzeugen. Wenn ich’s mir recht überlege, wäre mit ein solches gesichtsamputiertes Äffchen in der Rolle auch lieber gewesen. Zwar zeigt die rüstige Frührentnerin hier und da ihre Nippel, doch kann sie Zeitzeugen ihrer Musikkarriere damit niemanden mehr hinter dem Busch hervorlocken. Höhepunkte des Filmes sind dann bezeichnenderweise jene Szenen, in denen Giannini Ritchies Ehefrau eine schmieren darf. Von solchen Momenten hätte man sich mehr gewünscht.

Auf der Insel geht dann alles den Bach runter. Zwar amüsiert es zu Beginn noch, dass Guiseppe den Spieß umdreht und Madonna schuften lässt, doch rutscht das Ganze nach einigen Minuten dann auf ein „Szenen einer (italienischen) Ehe“-Niveau. Die Botschaft ist auch recht bedenklich, berücksichtigt man, dass Madonna sich schließlich in Giannini verliebt, als dieser sie wie den letzten Dreck behandelt. So sind sie halt, die Südländer. Oder die Frauen. Wahrscheinlich beide. Eventuell wollte Ritchie sich auch nur mal ein bisschen austoben, weil er Daheim nie die Hosen anhatte. Man weiß es nicht, scheint aber noch am plausibelsten. Denn was der Brite mit diesem Film bezwecken wollte, erschließt sich wahrscheinlich niemandem. Eine Konstante birgt Swept Away dann aber doch: der Soundtrack passt und die Bilder sind sehr hübsch photographiert. Und grundsätzlich hat Ritchie den Film auch gut besetzt (man beachte Alec Baldwin-Klon David Thornton). Dennoch fraglos der schlechteste Film vom ehemaligen Werbefilmer Ritchie. Aber mit Madonna ist es jetzt ja vorbei, sodass etwas derartiges nie wieder vorkommen dürfte.

2/10

Revolver

Fick dein Ego, bevor dein Ego dich fickt. So ließe sich in etwa Guy Ritchies Versuch beschreiben, wie Phönix aus der Asche zu steigen. Nach seinem Flop mit Swept Away bildet Revolver die Rückkehr ins Gangster-Milieu. Allerdings so ganz ohne Humor dieses Mal. Bei der ersten Sichtung war ich müde und hatte ein, zwei Gläser Wein getrunken. Keine guten Voraussetzungen für Ritchies Letzten. Kaltduscher meinte, besser zweimal als einmal schauen. Ich habe das beherzigt. Ich wurde belohnt. Irgendwie. Denn Revolver ist zugleich viel und im Prinzip doch so wenig.

Die erste Stunde ist stark inszeniert, sehr kompromisslos, einfach und doch komplex. Die Geschichte von Jake Green (Jason Stafam) und dem Casinobesitzer Macho, auch bekannt als Mr. D (Ray Liotta) entfaltet sich allmählich, während die beiden Kredithaie Avi (Andre 3000) und Zach (Vincent Pastore) ihr eigenes mindfuck-Süppchen mit dem Briten kochen. Das alles funktioniert bisweilen recht gut, Ritchies „Kabbala – The Movie“. Der Übergang zum dritten Akt gelingt dann auch noch verhältnismäßig passabel, immerhin hat The Stath hier endlich die Chance etwas zu schauspielern. Auch das Farbspiel zelebriert Ritchie hier recht ordentlich und verstärkt damit bis ins Finale hinein die Intention des Regisseurs.

In der letzten halben Stunde rutscht Revolver dann aber etwas ab. Hier wird offensichtlich, dass Ritchie mal eben auf die Schnelle The Usual Suspects und Fight Club vermischen wollte, nur schafft er es leider mit seiner Auflösung wer Sam Gold ist, und um was es in seiner Geschichte eigentlich geht, nicht wirklich auf dieselbe Metaebene zu gelangen, wie in Finchers Meisterwerk geschehen. Sein prätentiöser Abspann reitet ihn da nur noch mehr in die Scheiße hinein. Da wird dann groß einer auf dicke Hose gemacht und einige Beckenrandschwimmer gezeigt, die sich viel zu sehr in Freuds Thesen versteifen, diese grenzenlos überinterpretieren und bestimmt kurz nach Veröffentlichung mit der DVD in die Mensa gerannt sind, um den Kollegen zu zeigen, was sie doch für geile Stecher sind.

Was mit einer gespaltenen Persönlichkeit funktioniert, klappt recht schlecht mit irgendwelchen ominösen (oder bösen) unterbewussten Elementen. Wie bereits gesagt: fick dein Ego, bevor es dich fickt. Trotz des schwachen Finales ist Revolver jedoch ein enormer Schritt in die richtige Richtung, auch wenn hier nicht alles Gold ist was glänzt. The Stath, Ritchies Haus- und Schoßhund, spielt hier mit depperten langen Haaren und Truckerbart ordentlich, aber ähnlich wie Liotta eher auf Durchzug. Dabei wirken sie jedenfalls überzeugender als Rapper Andre 3000, den ich immer noch nicht gerne in Filmen sehe. Da soll er lieber mit Justin ein neues Album aufnehmen. Star des Filmes, der zugleich die besten Szenen beansprucht, ist vielmehr Mark Strong als Auftragskiller Solter. Strong muss man im Auge behalten, der ist inzwischen ganz groß im Kommen. Ähnlich wie Southland Tales ist Ritchies Letzter also ein Film, den man besser mehrmals goutiert. Wie Oma schon sagte, zweimal gekaut ist besser verdaut.

7/10