16. April 2008

Before the Devil Knows You’re Dead

May you be in heaven half an hour, before the devil knows you’re dead.

Er zählt zu den Altmeistern, der gute Sidney Lumet, und ist mit seinen 84 Jahren auch bereits recht rüstig. Vor fünfzig Jahren beeindruckte er mit seinem ersten Kinofilm 12 Angry Men und lieferte die Vorlage für verschiedene Remakes unterschiedlicher Nationen. Seinen Ruf bekräftigte er die folgenden Jahrzehnte mit Werken wie Network, Dog Day Afternoon und Serpico. Doch in den letzten Jahren baute Lumet etwas ab, inszenierte Filme wie Gloria mit Sharon Stone oder Find Me Guilty mit Vin Diesel. An seinem Zenit angelangt schien der viermal für den Regie-Oscar nominierte Lumet, der im Jahr 2005 den Ehrenoscar der Academy erhielt. So kam es, dass er zum ersten Mal seit vierzig Jahren wieder für das Fernsehen inszenierte, das Medium, welches einst seine Karriere eingeleitet hatte.

In der Serie 100 Centre Street experimentierte er dann mit den neuen HD-Kameras, mit welchen er auch seinen aktuellen Film drehen sollte. Auf einer Pressekonferenz im vergangenen Jahr hielt er dann zugleich eine Grabrede auf den 35mm-Film, bezeichnete die Arbeit mit diesem als „pain in the ass“ und sah das Ende des Zelluloid-Zeitalters gekommen, wenn sich Verleiher und Vorführer endlich auf ein Projektionsformat einigen könnten. In der Tat lässt sich Before the Devil Knows You’re Dead als Anknüpfung an die guten alten Zeiten des Regisseurs verstehen, auch wenn der Film nicht die Tiefe eines Angry Men oder Spannung von Serpico aufbauen kann, im Vergleich zu den Arbeiten seiner letzten 15 Jahre ist der Film dennoch eine positive Kehrtwendung. Diese Bestätigung wird weitläufig geteilt, die Kritiken sind meist sehr gut.

Die Geschichte, die der Film erzählt, ist relativ simpel und doch so vielschichtig, dass man fast nichts über sie sagen kann, wenn man nicht zu viel von dem Handlungsverlauf verraten möchte. Es ist die Geschichte zweier Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch soviel gemeinsam haben. Auf der einen Seite gibt es Andrew Hanson, Andy genannt und vom Oscarpreisträger Philip Seymour Hoffman wie man es von ihm gewöhnt ist glaubwürdig und solide porträtiert. Andy hat sich in seiner Bank nach oben gearbeitet, ist Anzugträger und besitzt Geld. So könnte man jedenfalls meinen, doch Andy hat ein teures Hobby: Heroin. In einem Edel-Loft trifft er sich mehrmals die Woche mit seinem Dealer und lässt sich einen Schuss verpassen - scheinbar das einzige, was ihm noch Lust bereitet.

Denn in seiner Ehe mit Gina, ebenfalls von einer Oscarpreisträgerin, Marisa Tomei, dargestellt, läuft es nicht mehr wie gehabt. Andy erzählt seiner Frau nicht nur weniger Dinge als früher, auch das Sexleben hat darunter zu leiden, daran konnte auch ein romantischer Urlaub in Rio de Janeiro nicht wirklich etwas ändern. Gina ist gefrustet, fühlt sich von ihrem Mann nicht mehr begehrt, die Ehe kriselt, auch wenn die erste Szene des Filmes diesen Eindruck verschleiert. Das Geld für seine Drogensucht hat Andy von der Arbeit abgezweigt, gerät jedoch in die Bredouille, als eine Steuerprüfung ins Haus steht. In kurzer Zeit braucht er möglichst viel Geld und kommt anschließend scheinbar nur zu einer Lösung, die letzten Endes eine Tragödie griechischen Ausmaßes initiieren wird.

Auf der anderen Seite gibt es Hank, Andys Bruder. Hank lebt geschieden von seiner Frau Martha, hier dargestellt von der letztjährigen Nebenrollenkönigin und oscarnominierten Amy Ryan. In Marthas Augen, auch in denen seines Bruders, ist Hank ein Loser, der finanziell knapp bei Kasse ist, seiner Ex-Frau drei Monate Unterhalt für die gemeinsame Tochter schuldet. Da sie ihr Geldmangel eint, weiht Andy seinen Bruder in den großen Plan ein, wahrscheinlich nur, um sich nicht selbst die Hände schmutzig zu machen. Er schiebt eine fadenscheinige Ausrede vor und schickt Hank, um den gemeinsamen Plan auszuführen. Hierbei handelt es sich um einen Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft. Jedoch nicht irgendein Juweliergeschäft, sondern das Geschäft von Hank und Andys Eltern Nanette und Charles (Albert Finney).

Ethan Hawke gelingt es großartig Hanks Unsicherheit und Naivität einzufangen, sodass er selbst Hoffman in den gemeinsamen Szenen gelegentlich überstrahlt und fraglos eine seiner stärksten Karriereleistungen abliefert. Hank fühlt sich sichtlich unwohl bei dem Gedanken das elterliche Geschäft zu überfallen, weswegen er auch den Kleinkriminellen Bobby aufsucht und um Unterstützung bittet. Es wird schließlich auch Bobby sein, welcher den Überfall aktiv ausführt, während Hank im Wagen wartet und sich zu „Schwuchtel“-Musik - wie es Bobby lapidar bezeichnet - versucht zu beruhigen. Doch wider Erwarten geht der geplante Coup schief und löst eine Welle von Ereignissen aus, die am Ende das Leben aller Beteiligten für immer Umkrempeln wird.

Das Drehbuch zu Before the Devil Knows You’re Dead wartete ganze acht Jahre auf seine Verfilmung und entstammt dem Theaterautoren Kelly Masterson. Dieser machte einst eine ungewöhnliche Wandlung durch, war er früher Franziskaner Bruder, der sich kurz vor der Weihe dann doch noch für das Theater entschied. Der Titel zum Film entstammt dem oben angeführten Zitat, welches seinem Ursprung her ein irischer Trinkspruch ist. Lumet inszeniert Mastersons Skript über die meiste Zeit in einem äußerst ruhigen Erzähltempo, durchzogen von verschiedenen Zeitsprüngen, dabei die Geschichte aus dem Blickwinkel von Hank, Andy und ihrem Vater Charles erzählend. Stück für Stück erhält man Einblicke in die Leben dieser drei Männer und in ihre Beziehung zueinander, manche Szenen werden hierbei von Lumet gänzlich ohne musikalische Untermalung unterlegt.

Es ist eine Familientragödie, die erzählt wird, daran besteht kein Zweifel und es erklärt auch, wieso auf die polizeiliche Komponente kein Wert gelegt wird. Trotz des ruhigen Tons baut der Film unterschwellig eine hohe Spannung auf, steuert auf die finale Konfrontation hin, getragen von den Veränderungen in den beiden Hauptcharakteren von Finney und Hoffman. Hier findet sich das Problem, von Lumets gut gemachtem Thriller, denn gerade diese beiden Figuren entwickeln sich am Schluss in eine Richtung, die nicht wirklich nachvollziehbar ist, im Gegenteil sogar in den Momenten zuvor nicht verständlich vorbereitet wurde. Das Ende ist dabei äußerst unsäglich geraten und zieht den guten Film dann etwas runter. Ganz an die alte Klasse vermag Lumet also leider nicht anzuknüpfen.

6/10

1 Kommentar:

  1. Ich bin großer Lumet-Fan. Freu mich doch sehr auf seinen neuen Film.

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