Jean-Jacques Rousseau schrieb einst: „Das süßeste Glück, das es gibt, ist das des häuslichen Lebens, das uns enger zusammenhält als ein andres. Nichts identifiziert sich stärker, beständiger mit uns, als unsere Familie, unsere Kinder.“ Das stille Familiendrama beherrscht vielleicht kaum ein Land so gut wie Japan, das Heimatland von Ozu Yasujirō und seinem filmgeistigen Nachfolger Kore-eda Hirokazu. Letzterer liefert mit seiner Manga-Adaption Umimachi Diary – in Deutschland als Unsere kleine Schwester vertrieben – ein neues Meisterstück ab. Ein beobachtendes Dokument einer von Frauen bestimmten Familie, ihren Beziehungen zueinander als Individuen, aber auch als Kollektiv. Und zugleich eine Geschichte über Zerfall und Zusammenhalt.
Als Erstgeborene/r hat man es nicht leicht, liegt die Erwartungshaltung doch auf den Schultern der Ältesten. Das merkte in Kore-edas Vorgänger Aruitemo aruitemo auch der zweitälteste Sohn, nachdem sein großer Bruder starb und der elterliche Anspruch an diesen plötzlich auf ihn übertragen wurde. In Umimachi Diary ist es der Vater, der stirbt, und damit die Handlung in Gang bringt. Einst verließ er seine Frau und ihre drei gemeinsamen Töchter, zeugte mit seiner Affäre ein neues Kind und heiratete als Witwer später erneut. Plötzlich also hat das Schwestern-Trio um Sachi (Ayase Haruka), Yoshino (Nagasawa Masami) und Chika (Kaho) nicht nur einen toten Vater, sondern auch eine kleine Schwester – von der sie zuvor gar nichts wussten.
Aus einer Art familiärem Pflichtbewusstsein heraus bietet die Älteste, Sachi, der Jüngsten, Suzu (Hirose Suzu), an, zu ihren älteren Halbschwestern zu ziehen. „Die Tochter der Frau die eure Familie zerstört hat?“, wird die Entscheidung von der Großtante (Kiki Kirin) der Schwestern skeptisch gesehen. In der Tat liegt der Verdacht nahe, dass durch die Anwesenheit des personifizierten Ehebruchs der Haussegen der Schwestern schiefhängen könnte. Doch selbst wenn Kore-edas Fach das Drama ist, interessiert sich der Regisseur nicht für Drama à la Hollywood. Vielmehr kommt Umimachi Diary ein beobachtendes Element zu Gute, wenn der Film beliebig in den Alltag von Suzu und ihrer großen Schwestern eindringt und wieder abschweift.
Eine besondere Beziehung fällt dabei Sachi und Suzu zu. Beide mussten durch ihren Vater ein Stück ihrer Kindheit opfern. Sachi, um die jüngeren Geschwister aufzuziehen, nachdem ihre Mutter nach der Trennung das Weite suchte. Und Suzu, da sie den kränkelnden Vater pflegte, weil ihre Stiefmutter mit dieser ehelichen Pflicht überfordert war. Entsprechend reif sei Suzu für ihr Alter, wie im Film mehrfach bemerkt wird. „Reifer als wir“, stellt auch die dem Alkohol nicht abgeneigte Yoshino gleich zu Beginn fest. Wo sich Suzu gegenüber Sachi etwas verpflichteter fühlt, geht die 13-Jährige gerade in Gegenwart der etwas infantileren Chika mehr auf. Doch auch wenn Suzu in gewisser Weise die Hauptfigur ist, werden die anderen nicht vergessen.
So hadert die junge Chika teils damit, dass sie weder an den Vater noch an die Mutter, die ebenfalls ihre Töchter verließ, richtige Erinnerungen hat. Auch beruflich und beziehungstechnisch ist es bei den Schwestern nicht zum Besten bestellt. Yoshino hat Pech mit ihrem Freund und Sachi verkommt selbst zu einer „anderen Frau“, als sie eine Affäre mit einem verheirateten Kollegen eingeht. Nicht zuletzt deswegen, gemeinsam mit dem Aspekt der verlorenen Kindheit, nimmt ihre Beziehung zu Suzu eine Sonderstellung ein. Dass Umimachi Diary hierbei trotz einer Laufzeit von zwei Stunden keine wirkliche Geschichte erzählt, liegt wohl auch daran, dass es sich um die Verfilmung von Yoshida Akimis Comic-Serie Umimachi Diary handelt.
Insofern begleitet Kore-eda Hirokazu mit seinem jüngsten Film mehr Szenen aus dem Leben seiner vier Charaktere als dass er einer kohärenten Dramaturgie folgt. Es geht nicht darum, Konflikte zu lösen, sondern schlicht darum, den Zuschauer am Leben seiner Figuren teilhaben zu lassen. Gerade auch an den nichtigen Momenten, beispielsweise wenn Suzu im Regen nach Hause läuft oder zum neuen Schuljahr prüft, in welcher Klasse sie gelandet ist. Erfrischend unaufgeregt und hinreißend natürlich ist das Ergebnis, ein weiteres, (be-)ruhig(end)es Meisterstück von Kore-eda-san. Weshalb man nach zwei Stunden beinahe etwas traurig ist, das Schwesternquartett um Sachi, Yoshino, Chika und Suzu schon wieder verlassen zu müssen.
Als Erstgeborene/r hat man es nicht leicht, liegt die Erwartungshaltung doch auf den Schultern der Ältesten. Das merkte in Kore-edas Vorgänger Aruitemo aruitemo auch der zweitälteste Sohn, nachdem sein großer Bruder starb und der elterliche Anspruch an diesen plötzlich auf ihn übertragen wurde. In Umimachi Diary ist es der Vater, der stirbt, und damit die Handlung in Gang bringt. Einst verließ er seine Frau und ihre drei gemeinsamen Töchter, zeugte mit seiner Affäre ein neues Kind und heiratete als Witwer später erneut. Plötzlich also hat das Schwestern-Trio um Sachi (Ayase Haruka), Yoshino (Nagasawa Masami) und Chika (Kaho) nicht nur einen toten Vater, sondern auch eine kleine Schwester – von der sie zuvor gar nichts wussten.
Aus einer Art familiärem Pflichtbewusstsein heraus bietet die Älteste, Sachi, der Jüngsten, Suzu (Hirose Suzu), an, zu ihren älteren Halbschwestern zu ziehen. „Die Tochter der Frau die eure Familie zerstört hat?“, wird die Entscheidung von der Großtante (Kiki Kirin) der Schwestern skeptisch gesehen. In der Tat liegt der Verdacht nahe, dass durch die Anwesenheit des personifizierten Ehebruchs der Haussegen der Schwestern schiefhängen könnte. Doch selbst wenn Kore-edas Fach das Drama ist, interessiert sich der Regisseur nicht für Drama à la Hollywood. Vielmehr kommt Umimachi Diary ein beobachtendes Element zu Gute, wenn der Film beliebig in den Alltag von Suzu und ihrer großen Schwestern eindringt und wieder abschweift.
Eine besondere Beziehung fällt dabei Sachi und Suzu zu. Beide mussten durch ihren Vater ein Stück ihrer Kindheit opfern. Sachi, um die jüngeren Geschwister aufzuziehen, nachdem ihre Mutter nach der Trennung das Weite suchte. Und Suzu, da sie den kränkelnden Vater pflegte, weil ihre Stiefmutter mit dieser ehelichen Pflicht überfordert war. Entsprechend reif sei Suzu für ihr Alter, wie im Film mehrfach bemerkt wird. „Reifer als wir“, stellt auch die dem Alkohol nicht abgeneigte Yoshino gleich zu Beginn fest. Wo sich Suzu gegenüber Sachi etwas verpflichteter fühlt, geht die 13-Jährige gerade in Gegenwart der etwas infantileren Chika mehr auf. Doch auch wenn Suzu in gewisser Weise die Hauptfigur ist, werden die anderen nicht vergessen.
So hadert die junge Chika teils damit, dass sie weder an den Vater noch an die Mutter, die ebenfalls ihre Töchter verließ, richtige Erinnerungen hat. Auch beruflich und beziehungstechnisch ist es bei den Schwestern nicht zum Besten bestellt. Yoshino hat Pech mit ihrem Freund und Sachi verkommt selbst zu einer „anderen Frau“, als sie eine Affäre mit einem verheirateten Kollegen eingeht. Nicht zuletzt deswegen, gemeinsam mit dem Aspekt der verlorenen Kindheit, nimmt ihre Beziehung zu Suzu eine Sonderstellung ein. Dass Umimachi Diary hierbei trotz einer Laufzeit von zwei Stunden keine wirkliche Geschichte erzählt, liegt wohl auch daran, dass es sich um die Verfilmung von Yoshida Akimis Comic-Serie Umimachi Diary handelt.
Insofern begleitet Kore-eda Hirokazu mit seinem jüngsten Film mehr Szenen aus dem Leben seiner vier Charaktere als dass er einer kohärenten Dramaturgie folgt. Es geht nicht darum, Konflikte zu lösen, sondern schlicht darum, den Zuschauer am Leben seiner Figuren teilhaben zu lassen. Gerade auch an den nichtigen Momenten, beispielsweise wenn Suzu im Regen nach Hause läuft oder zum neuen Schuljahr prüft, in welcher Klasse sie gelandet ist. Erfrischend unaufgeregt und hinreißend natürlich ist das Ergebnis, ein weiteres, (be-)ruhig(end)es Meisterstück von Kore-eda-san. Weshalb man nach zwei Stunden beinahe etwas traurig ist, das Schwesternquartett um Sachi, Yoshino, Chika und Suzu schon wieder verlassen zu müssen.
9/10