Der „kleine Mann“ ist eine wirkungsvolle Sozialfigur, die zur Identifikation einlädt. Die Zeche, so eine oft neuinterpretierte Redewendung, zahlt zum Beispiel immer der kleine Mann. Auch passend wäre der englische Ausspruch von “shit rolls downhill” – Verantwortung wird nach unten durchgereicht. So verwundert es nicht, dass im Zuge der weltweiten Finanzkrise von 2007 und 2008 auf dem Hypothekendarlehenmarkt weder Goldman Sachs noch Bear Stearns, JP Morgan oder Deutsche Bank und Co. wirkliche Konsequenzen für ihr Handeln fürchten mussten. “Too big to fail”, lautet die systemrelevante Begründung hierfür. Nicht so jedoch die kleine New Yorker Bank Abacus Federal Savings, die im Mai 2012 für ihre Verwicklungen vor Gericht landete.
“Small enough to jail”, kommentiert es der Journalist Matt Taibbi – und leiht Regisseur Steve James damit den Untertitel für dessen dokumentarische Aufarbeitung des Falls. Abacus: Small Enough to Jail widmet sich dabei nicht sonderlich intensiv der Finanzkrise als solcher und der Rolle von Abacus innerhalb dieser. Vielmehr beleuchtet James die Bank selbst und ihre Ursprünge. Thomas Sung gründete sie einst Mitte der 1980er Jahre im New Yorker Stadtteil Chinatown speziell für die Bewohner des Viertels, wo die Immigranten aus der fernöstlichen Republik ihr Geld anlegen konnten. Mit der Zeit wuchs die Bank um ein paar Filialen, später stießen auch Sungs zwei älteste Töchter Jill und Vera zu dem Finanzunternehmen dazu.
Im Vorfeld der Finanzkrise geschah nun bei Abacus, was auch bei anderen Banken geschah: Es wurden Hypotheken an Fanny Mae in Millionenhöhe verkauft. Der Unterschied war, dass Abacus von dem Betrug seitens ihres Mitarbeiters Ken Yu erfuhr und ihn den Behörden meldete. “To make sure this didn’t happen again”, wie Journalist David Lindorf sagt. Als Dank erwartete die Bank der Sungs eine Anklage der Staatsanwaltschaft New Yorks. Wo die anderen Banken als zu systemrelevant (“too big to fail”) angesehen wurden, als dass man sie strafrechtlich verfolgen konnte und sie daher mit Bußgeldern belegte, negierte der Staat dies Abacus. So entsteht der Eindruck, als solle an der kleinen Bank ein Exempel statuiert werden.
“This is an attack on a community”, findet dagegen der Chinatown-Aktivist Don Lee. “We’re easy prey.” Dabei wird jedoch nicht wirklich klar, inwieweit der ethnische Hintergrund von Abacus tatsächlich eine Rolle – und wenn ja, inwiefern – gespielt hat. Stattdessen erscheint es so, dass der kleinen Bank schlicht die Systemrelevanz fehlte, damit ihr die Fehler vergeben werden, die auch all die anderen gemacht haben. Was natürlich nicht fair ist, Steve James’ Doku über die prinzipiell sehr sympathisch gezeichnete Familie Sung jedoch einen gewissen David-gegen-Goliath-Faktor verleiht. Der Regisseur ist dabei wie gewohnt sehr nah dran an seinen Protagonisten und konstruiert seinen Blick auf die Finanzkrise via einer persönlichen Geschichte.
Als solche stehen die Sungs eher im Vordergrund wie das Schicksal ihrer Bank oder dessen Kunden. Zum Beispiel wenn wir mit Chantarelle die Jüngste kennenlernen, die ursprünglich in der Staatsanwaltschaft New Yorks tätig war, bis diese Anklage gegen ihre Schwester und Vater erhob. Vielleicht wäre es nie zu einer Anklage gekommen, wenn Abacus den Betrug seines Angestellten nicht selbst gemeldet hätte. Was das juristische Verfahren nur noch unfairer macht. Zugleich wird das sehr altruistische gezeichnete Bild der Sungs in Mitleidenschaft gezogen, durch ein Verhalten, mit dem diese augenscheinlich nichts zu tun haben. Aber natürlich als Bankleitung dennoch die Verantwortlichkeit tragen. Am Ende die als Sündenbock für die Krise.
Derart tief in die Materie wie ein Inside Job dringt Abacus: Small Enough to Jail nicht ein. Schafft aber aufgrund seines Fokus’ auf die Menschen hinter der Krise respektive in diesem Fall einer für die Krise verantwortlich gemachten Bank eine Sicht auf die Dinge, die anderen Dokumentationen zum Thema abgeht. Dass mit Abacus Federal Savings zugleich eine ganze Gemeinschaft – hier: Chinatown – mitbetroffen werden könnte, treibt die Ironie der Folgen der Finanzkrise letztlich in gewisser Weise auf die Spitze. Der kleine Mann zahlt somit irgendwie tatsächlich doch am Ende die Zeche. Wenn auch nicht immer, wie der Schluss von Abacus: Small Enough to Jail zeigt. Auch wenn es nicht ganz das Ende von It’s a Wonderful Life wurde.
“Small enough to jail”, kommentiert es der Journalist Matt Taibbi – und leiht Regisseur Steve James damit den Untertitel für dessen dokumentarische Aufarbeitung des Falls. Abacus: Small Enough to Jail widmet sich dabei nicht sonderlich intensiv der Finanzkrise als solcher und der Rolle von Abacus innerhalb dieser. Vielmehr beleuchtet James die Bank selbst und ihre Ursprünge. Thomas Sung gründete sie einst Mitte der 1980er Jahre im New Yorker Stadtteil Chinatown speziell für die Bewohner des Viertels, wo die Immigranten aus der fernöstlichen Republik ihr Geld anlegen konnten. Mit der Zeit wuchs die Bank um ein paar Filialen, später stießen auch Sungs zwei älteste Töchter Jill und Vera zu dem Finanzunternehmen dazu.
Im Vorfeld der Finanzkrise geschah nun bei Abacus, was auch bei anderen Banken geschah: Es wurden Hypotheken an Fanny Mae in Millionenhöhe verkauft. Der Unterschied war, dass Abacus von dem Betrug seitens ihres Mitarbeiters Ken Yu erfuhr und ihn den Behörden meldete. “To make sure this didn’t happen again”, wie Journalist David Lindorf sagt. Als Dank erwartete die Bank der Sungs eine Anklage der Staatsanwaltschaft New Yorks. Wo die anderen Banken als zu systemrelevant (“too big to fail”) angesehen wurden, als dass man sie strafrechtlich verfolgen konnte und sie daher mit Bußgeldern belegte, negierte der Staat dies Abacus. So entsteht der Eindruck, als solle an der kleinen Bank ein Exempel statuiert werden.
“This is an attack on a community”, findet dagegen der Chinatown-Aktivist Don Lee. “We’re easy prey.” Dabei wird jedoch nicht wirklich klar, inwieweit der ethnische Hintergrund von Abacus tatsächlich eine Rolle – und wenn ja, inwiefern – gespielt hat. Stattdessen erscheint es so, dass der kleinen Bank schlicht die Systemrelevanz fehlte, damit ihr die Fehler vergeben werden, die auch all die anderen gemacht haben. Was natürlich nicht fair ist, Steve James’ Doku über die prinzipiell sehr sympathisch gezeichnete Familie Sung jedoch einen gewissen David-gegen-Goliath-Faktor verleiht. Der Regisseur ist dabei wie gewohnt sehr nah dran an seinen Protagonisten und konstruiert seinen Blick auf die Finanzkrise via einer persönlichen Geschichte.
Als solche stehen die Sungs eher im Vordergrund wie das Schicksal ihrer Bank oder dessen Kunden. Zum Beispiel wenn wir mit Chantarelle die Jüngste kennenlernen, die ursprünglich in der Staatsanwaltschaft New Yorks tätig war, bis diese Anklage gegen ihre Schwester und Vater erhob. Vielleicht wäre es nie zu einer Anklage gekommen, wenn Abacus den Betrug seines Angestellten nicht selbst gemeldet hätte. Was das juristische Verfahren nur noch unfairer macht. Zugleich wird das sehr altruistische gezeichnete Bild der Sungs in Mitleidenschaft gezogen, durch ein Verhalten, mit dem diese augenscheinlich nichts zu tun haben. Aber natürlich als Bankleitung dennoch die Verantwortlichkeit tragen. Am Ende die als Sündenbock für die Krise.
Derart tief in die Materie wie ein Inside Job dringt Abacus: Small Enough to Jail nicht ein. Schafft aber aufgrund seines Fokus’ auf die Menschen hinter der Krise respektive in diesem Fall einer für die Krise verantwortlich gemachten Bank eine Sicht auf die Dinge, die anderen Dokumentationen zum Thema abgeht. Dass mit Abacus Federal Savings zugleich eine ganze Gemeinschaft – hier: Chinatown – mitbetroffen werden könnte, treibt die Ironie der Folgen der Finanzkrise letztlich in gewisser Weise auf die Spitze. Der kleine Mann zahlt somit irgendwie tatsächlich doch am Ende die Zeche. Wenn auch nicht immer, wie der Schluss von Abacus: Small Enough to Jail zeigt. Auch wenn es nicht ganz das Ende von It’s a Wonderful Life wurde.
6.5/10
Info: Abacus: Small Enough to Jail ist gratis bei PBS: Frontline streambar (OV).