19. April 2019

The Dead Don’t Die

What, are we improvising here?

Es würde immer schwerer, Finanzierung für Filme, die etwas ungewöhnlich oder nicht den Erwartungen entsprechen, zu erhalten – so klagte Jim Jarmusch im Jahr 2013 hinsichtlich seiner Vampir-Ballade Only Lovers Left Alive. Für seinen neuen Film The Dead Don’t Die dürfte es leichter gefallen sein, ein Budget zu erhalten. Schließlich sind Zombie-Filme weiterhin en vogue. So laufen in 2019 neben dem japanischen Indie-Hit One Cut of the Dead genauso Little Monsters oder Zombieland: Double Tap an. Entgegen diesen fand Jarmusch mit seinem Beitrag zum Subgenre eher wenig Anklang, als zu fad und prätentiös wurde der Film von Kritikern erachtet. Dabei macht sich Jarmusch nur einen Spaß auf Kosten unserer Gesellschaft.

“This isn’t gonna end well”, prophezeit Officer Ronnie Peterson (Adam Driver) mehrfach. Immerhin fängt es schon nicht gut an, wenn er und Chief Cliff Robertson (Bill Murray) wegen vermeintlichen Hühner-Diebstahls den lokalen Eremiten Bob (Tom Waits) im Wald konfrontieren und beschossen werden. Nur ein Vorgeschmack für den Horror, der sie die nächsten 48 Stunden erwartet. Die Welt scheint aus dem Ruder, nicht zuletzt, weil es selbst nach 20 Uhr noch taghell im Örtchen Centerville ist. Der Polizeifunk macht Faxen, Handys haben keinen Akku mehr, obschon frisch aufgeladen. Die Gründe scheinen menschengemacht, als Folge der Umweltsünden. “Polar Fracking” führt zur Achsenstörung der Erde. Wir ernten, was wir säen.

Seitens der Regierung wird das alles unterdessen bloß als wissenschaftliche Spinnerei verschrien, Unwetter und Klima-Katastrophen nicht ernst genommen. Das geht nicht gut aus – das ahnen auch drei Insassen in der nahe gelegenen Jugendstrafanstalt, die das Unheil im Fernsehen verfolgen. Den Braten gerochen hat auch Eremit Bob vor langer Zeit – und sich zurück zu seinen Wurzeln orientiert. Gierig nach mehr seien die Menschen, das ändert sich später auch nicht, als sie aus dem Leben scheiden und zu Untoten werden. Gratis Fernsehen, WLAN-Empfang, Kaffee, Xanax oder Mode – auf zynische Weise und im Stile von George A. Romero lässt Jarmusch seine Zombies selbst im Tod weiter dem Materialismus huldigen.

“They're all still around us”, singt derweil Sturgill Simpson in “The Dead Don’t Die”. Lebend oder untot – für die Zombies kein Unterschied, während sich die Gesellschaft buchstäblich selbst zerfleischt. Keine originäre Sozialkritik, was aber auch nicht bedeutet, dass sie an Aktualität eingebüßt hat. Jarmusch nutzt seinen Genrefilm somit zum einen für eine Breitseite gegen die Klimazerstörung und die damit einhergehende Ignoranz. Zum anderen für Kritik an der amerikanischen Rechten. In MAGA-Manier trägt Farmer Frank (Steve Buscemi) da einen “Keep America White Again”-Hut und bezichtigt Eremit Bob des Hühner-Diebstahls. Nicht wahrhaben will er, dass der wahre Übeltäter vielleicht lediglich ein Fuchs sein könnte.

“Fox, my ass”, ätzt er, während Jarmusch subtil gegen den gleichnamigen konservativen Sender schießt. Frank ist nicht der einzige in Centerville, der womöglich etwas zu weit rechts steht, um das Bild in Gänze sehen zu können. Über “infernal hipsters and their irony” schimpft auch der lokale Motel-Betreiber, als drei Großstädter (u.a. Selena Gomez) auf der Durchreise im Örtchen Halt machen. Was fremd ist, wird skeptisch beäugt. Das schließt auch die neue Leichenbestatterin (Tilda Swinton) mit ein, die seltsam, da schottisch, ist – aber auch buddhistischer Samurai-Schwertkunst frönt. Einen wirklichen Durch- oder Überblick besitzt kaum jemand in The Dead Don’t Die, außer eventuell denjenigen, die vorab das Drehbuch lesen durften.

Denn teils streut Jarmusch eine Prise Meta-Humor in seinen Film ein, wenn die Charaktere den Titel-Song des Films würdigen und ihn sogar für $12 auf CD erstehen dürfen. Aber auch sonst gibt es subtile amüsante Momente, sei es wenn Adam Driver das Polizeiradio auf die Frequenz 91.1 FM einpendelt oder Kindern jemanden mit den Worten “eat me” anherrschen. “We kind of can see you”, sagt Chief Robertson beim Besuch von Eremit Bob. Und könnte im Grunde The Dead Don’t Die meinen. Ein ulkiger Spaß mit Star-Besetzung – in Nebenrollen tauchen Chloë Sevigny, Danny Glover und Iggy Pop auf –, der Jarmusch die Chance für ein paar Seitenhiebe auf seine Landsleute bietet und dem Zuschauer Gelegenheit, sich darüber köstlich zu amüsieren.

Für manches Feuilleton war das ein „müder Zombie-Ball“, der „denkfaul“ Genre-Zitate zusammenpuzzelt. Ein Eindruck, der auf der unauffälligen, lakonischen Inszenierung fußt, deswegen aber nicht zwingend mit Lethargie gleichzusetzen ist. Das Ergebnis ist erwartungsgemäß skurril sowie schrullig und verquickt dabei geschickt klassische Zombie-Tropen mit Meta-Momenten und bissiger Persiflage auf die amerikanische Rechte. Insofern ist The Dead Don’t Die also vielmehr ein launiger Genre-Beitrag, bei dem sich selbst Bill Murray mehrfach das Lachen verkneifen muss und der am Ende das ist, was von einem Jim-Jarmusch-Zombie-Film zu erwarten war. Oder wie Sturgill Simpson singt: “Old friends walking ’round, in a somewhat-familiar town.”

7.5/10

5. April 2019

Kamera o tomeru na! [One Cut of the Dead]

Action!

Über 50 Jahre ist es her, seit George A. Romero den Zombie als reanimierten Kannibalen salonfähig machte. Seither treiben die Untoten munter ihr Unwesen, egal ob im Schnee (Dead Snow), Zug (Train to Busan) oder auf dem Schulball (Dance of the Dead). Umso beachtlicher, dass Ueda Shin’ichirō in seiner No-Budget-Komödie Kamera o Tomeru na! [One Cut of the Dead] dem Genre etwas Originelles abgewinnt. Ueda drehte den Film für eine fünfstellige Summe in acht Tagen mit einem Schauspieler-Workshop. Die technisch eher geringere Qualität spielt seinem Indie-Charme voll in die Karten und tat dem Erfolg keinen Abbruch. In Japan avancierte der Film zu den Hits des Jahres und spielt fast das Tausendfache seiner Kosten ein.

Oft müssen Überlebende in der Zombie-Apokalypse einen transformierten Liebsten zur Strecke bringen. So wie Aika (Akiyama Yuzuki), die sich hier zu Beginn ihres zombiefizierten Freundes Kamiya (Nagaya Kazuaki) erwehren muss. Sie fleht, weint, schluchzt – doch es hilft alles nichts. Zumindest wenn es nach dem Regisseur geht. Die Auftaktszene von Uedas Film entpuppt sich nämlich als Film-im-Film. Ein Zombie-Drama inmitten einer verlassenen Fabrikhalle. Wirklich glücklich ist Regisseur Higurashi (Hamatsu Takayuki) allerdings nicht mit Aikas Darbietung. Es mangele ihr an Authentizität, die Angst wirke nicht echt, herrscht er die junge Schauspielerin an. Eine kurze Drehpause soll helfen, dass sich alle beteiligten Personen wieder sammeln.

Doch der wahre Horror folgt erst: Aus heiterem Himmel taucht ein echter Zombie am Set auf und attackiert die Crew. Life imitates art sozusagen, bangen Aika, Kamiya und Co. plötzlich um ihr echtes Leben, ohne so recht zu wissen, wie ihnen geschieht. Mittendrin Higurashi, der die Ereignisse dazu nutzt, seinen Zombie-Film ins Cinéma Vérité zu verkehren und die Kamera weiterhin munter draufhält, allen Gefahren zum Trotz. Kamera o Tomeru na! bedeutet in etwa „Hör nicht auf zu filmen!“. Jene Anweisung, die Higurashi zuerst seinem Kameramann übermittelt und im Anschluß selbst befolgt, als dieser irgendwann zum Opfer wird. Quasi in bester Found-Footage-Manier à la Cloverfield, wo die Kamera weiterläuft, selbst wenn die Welt untergeht.

Indem Higurashi sich seine Dreharbeiten nicht von externen Kräften – in diesem Fall: Zombies – diktieren lassen will, wohnt dem Szenario ein subtiles Meta-Element inne. Egal wie gut ein Schauspieler ist, nichts schlägt echte Furcht. So ohrfeigte zum Beispiel auch William Friedkin seinerzeit bei The Exorcist einen seiner Darsteller, um eine authentischere Reaktion von diesem zu erhalten. Die Show respektive Dreharbeiten müssen also für den Regisseur weitergehen. Der Film selbst, so viel mag man sich zu diesem Zeitpunkt denken, wird sich dann irgendwie später im Schnitt finden – nicht unähnlich der modernen Arbeitsweise eines Terrence Malick. Für Aika, Kamiya und Co. avanciert ihr Regisseur quasi zum weiteren Antagonisten.

Was kann sich ein Regisseur im Dienste der Kunst also alles erlauben? Friedkin ohrfeigte einen echten Priester, Alfred Hitchcock ließ in The Birds reale Vögel auf Tippi Hedren los, sodaß ihre Panik nicht gespielt ist. Alles sei erlaubt, solange die Schauspieler nicht verletzt werden, meinte Friedkin mal. Eine Zusicherung, die sein Kollege in Uedas Film seiner Crew nicht macht. Im Gegensatz zum Film-im-Film gerät Kamera o Tomeru na! zur Komödie in der Tradition von Shaun of the Dead oder Zombieland. Zugleich inszeniert Ueda sein Werk nicht als typischen Zombiefilm. Am Ende des ersten Akts gibt es einen kleineren Twist, der den Verlauf von Uedas Film in eine ungewöhnliche Richtung für das Genre lenkt, die womöglich nicht jedem gefallen wird.

Gerade in der zweiten Filmhälfte, auf die nicht näher eingegangen, sondern die besser selbst ohne Vorkenntnis erlebt wird, entwickelt Kamera o Tomeru na! eine gänzlich erfrischende Dynamik. Das zuvor Ges(ch)ehene wird reflektiert und ergänzt den Humor um eine weitere Note. In seiner Summe ist Uedas Werks eine Liebeserklärung an den Zombiefilm und zugleich an das Independent-Kino und Filmemachen generell. Nicht unähnlich den Anfängen dieses Subgenres, dem Romero in Night of the Living Dead half, in neue cineastische Sphären vorzustoßen. Ueda Shin’ichirō gelingt damit einer der amüsantesten Filme des Jahres – so etwas kommt heraus, wenn der Regisseur volle Kontrolle über seine Arbeit hat. Mit Zombie oder ohne.

8/10