22. Dezember 2007

Little Children

You couldn't change the past. But the future could be a different story.

Bereits im Jahre 2001 konnte Todd Field mit In the Bedroom beweisen, dass er es versteht mit familiären Themen umzugehen. Damals sollte eine Affäre eines Studenten mit einer verheirateten Frau zwei Familien in eine Tragödie stoßen. Es gab damals nicht nur drei Oscarnominierungen für die Schauspieler, sondern auch zwei für Todd Field selber, sowohl für den besten Film, als auch das beste adaptierte Drehbuch. In diesem Jahr erschien eine neuerliche Romanadaption von Todd Field, in der ebenfalls wieder Affären das Familienleben beeinflussen. Field adaptierte gemeinsam mit dem Romanautor Tom Perrotta dessen 2004 erschienenen gleichnamigen Roman und erhielten dafür dieses Jahr eine weitere Oscarnominierung, ebenso wie Kate Winslet und Jackie Earle Haley. Es möchten sich unweigerlich Vergleiche mit dem thematisch ähnlichen American Beauty aufdrängen, dennoch erzählt Little Children eine andere, eigenständige, aber nicht weniger dramatische Geschichte, jedoch ohne an den Witz und Humor von American Beauty anknüpfen zu können. Dafür ist der Subplot, der sich um Kindesmisshandlung dreht, viel zu ernst, als dass Field sich hier humoristische Töne erlauben würde – auch wenn der Film dennoch dieses ernste Thema, wie die meisten Filme, nicht zentral ins Licht rückt, sondern sogar im Vergleich zur Romanvorlage beschneidet.

In einer kleinen amerikanischen Vorstadt treffen sich die Hausfrauen mit ihren Kindern beinahe täglich im Park und während die Kinder spielen, wird unter den desperate housewives der neueste Klatsch ausgebreitet. Sowohl dazugehörend, als auch Außenseiterin ist dabei die feministische Sarah (Kate Winslet), die mit ihrer Tochter Lucy oftmals überfordert zu sein scheint. Abschätzige Blicke erhält sie insbesondere von der erzkonservativen Mary Ann. Aufregung bildet sich unter den Frauen nur, wenn der „Abschlussballkönig“ Brad (Patrick Wilson) mit seinem Sohn den Park betritt. Obschon Grundlage für viele Tagträume der Frauen, hat noch keine der Damen je mit ihm geredet. Da Sarah die anderen verklemmten Frauen ohnehin überdrüssig sind, geht sie zu Brad und beginnt ein Gespräch, welches schließlich in einen kurzen Kuss zur Abschreckung der anderen mündet. Doch der Augenblick will beiden nicht aus dem Kopf und da sowohl Sarah, als auch Brad in seiner Ehe mit der Dokumentarfilmerin Kathy (Jennifer Connelly) unglücklich sind, beginnt das Interesse der beiden aneinander zu wachsen und endet in täglichen kleinen Refugien im städtischen Bad. Zur selben Zeit wird in die Gemeinde der entlassene Kinderschänder Ronnie (Jackie Earle Haley) entlassen, der fortan nicht nur von der Gemeinde, sondern auch vom frühpensionierten Polizisten Larry (Noah Emmerich) unter Beobachtung steht.

Das Highlight von Fields Little Children ist, dass er sich eines allwissenden Erzählers bedient, der hin und wieder das Seelenleben oder Hintergrundinformationen über die Figuren ans Publikum übermittelt. Bedauerlicherweise nimmt dies zum Ende, wenn die Handlung in ihre dramatische Phase eindringt, etwas ab. Trotz allem verleiht gerade dies der Geschichte einen besonderen Charakter und verleiht dem ganzen eine gewisse Erzählstruktur. Zum Teil entpersonalisiert es auch die Figuren in der Geschichte, wirkt aber nie fehl am Platze. Verwendung findet dieser Kniff zumeist dann, wenn etwas erzählt werden soll, was zu viel Platz einnehmen würde, wenn man es ausführlich darstellen würde. Dies trifft zum Beispiel auf Sarahs Ehemann Richard zu, der für die Handlung nur eine untergeordnete Rolle spielt und lediglich als Impuls für Sarahs Verhalten dargestellt wird. Wenn Richard in seinem Büro sitzt und sich auf seinem Rechner Pornos der verruchten Hausfrau Slutty Kay ansieht oder in seinem Arbeitszimmer zu Hause mit einem getragenen Höschen auf dem Kopf von Sarah beim Masturbieren unterbrochen wird, entbehrt dies natürlich nicht einer gewissen Komik. Symbolisch steht es natürlich für die Entfremdung der beiden innerhalb ihrer Ehe, wenn keiner der Partner mehr das bekommt, wonach er sich eigentlich sehnt. Während es bei Richard das Ventil der Pornographie ist, schaltet Sarah bei einem Spaziergang ab.

Mit Sehnsucht findet sich auch das übergeordnete Thema von Little Children, denn jede der Figuren sehnt sich nach etwas in ihrem Leben, nach einem Zustand, den sie einst innegehabt, dann jedoch irgendwann verloren haben. Bei Sarah scheint dieser Wandel mit der Geburt ihrer Tochter eingesetzt zu haben, welche sie die meiste Zeit vernachlässigt und nicht wirklich auf sie eingeht. Die Wünsche und Bedürfnisse von Lucy kollidieren in den meisten Fällen mit denen von Sarah, wenn sich diese nur ein paar Minuten Ruhe für ihre Literatur wünscht. In einer Szene begutachtet Sarah im Bad lieber ihre Haut, als ihrer Tochter die Tür zu öffnen, welche den ganzen Tag damit verbracht hatte ihr ein Geschenkt zu basteln und es ihr übergeben wollte. Erst später soll Sarah herausfinden, wie viel sie tatsächlich für Lucy empfindet. Ebenso wie Richard bleibt auch Kathy eher im Hintergrund. Das Problem in der Ehe zwischen Brad und Kathy liegt darin, dass Kathy diejenige ist, die durch ihre Arbeit das Geld verdient, während Brad, der bereits zweimal durch die Zulassungsprüfung für Anwälte gefallen ist, das Heimchen gibt. Unter Druck gesetzt fühlt er sich dabei von seiner Frau, die nicht zu verstehen scheint, dass er eigentlich gar kein Anwalt sein will. So endet sein nächtlicher Weg zur Bibliothek immer am örtlichen Skaterpark, wo er stundenlang den Jugendlichen bei ihrer Leichtigkeit zusieht.

Während die Feministin Sarah gegen das eheliche Gebilde erfolglos rebelliert und schließlich in Brad ihren innerlichen Aufschrei, ganz wie Emma Bovary, findet. Die Analyse des Romans von Gustave Flaubert wird in einer Buchgruppenreflexion direkt auf den Zustand von Sarah übertragen. Brad hingegen findet in Sarah Aufmerksamkeit und Verständnis für seine eigenen Wünsche und Sehnsüchte. Sarah erkennt sofort, dass Brad nicht glücklich damit ist, Anwalt zu werden und unterstützt ihn im Gegensatz zu Kathy bei seinen nächtlichen Football-Spielen mit Larry und seinen Polizistenfreunden. Klimatischer Gipfelpunkt ist ein Essen zwischen beiden Familien, bei welchem Sarah überrascht reagiert, als sie etwas über Brad erfährt, was sie vorher nicht wusste. Mit ihrer Reaktion bewirkt sie den ersten Verdachtsmoment bei Kathy. Sowohl Brad als auch Sarah fühlen sich also in der konservativen Vorstellung der Familie gefangen, unberücksichtigt und eingeschränkt. Dies mündet in einer großartigen Szene, als sich Sarah einen Badeanzug bestellt, damit sie mit Lucy in das öffentliche Bad gehen kann, von dem sie weiß, dass Brad mit seinem Sohn öfters dort ist. Und tatsächlich treffen sich die beiden, jedoch hinreißend geplant zufällig. Die täglichen Treffen im Freibad bilden für beide ein erstes Ventil, welches sich jedoch im körperlichen Kontakt Luft verschaffen muss. Wie Field und Perrotta dies ganz allmählich aufbauen lässt sich nur als sagenhaft beschreiben, von einer beeindruckenden Ehrlich- und Glaubwürdigkeit.

Sehnsüchte haben auch Larry und Ronnie. Larry, der einst durch ein Missverständnis einen Teenager erschossen hat, leidet unter seinem Trauma und musste in Frühpension bei der Polizei gehen. Dabei vermisst er seinen Job so sehr, dass er sich der Nachbarschaftspolizei anschließt und sich nach Bedeutung in seinem Leben sehnt, sei dies in der Sicherung der Nachbarschaft oder beim Footballspielen. Da kommt ihm der entlassene Kinderschänder Ronnie gerade recht, der wieder bei seiner Mutter eingezogen ist. Im Gegensatz zur Romanvorlage hat Ronnie im Film die Sehnsucht einfach ganz normal zu sein und lässt sich sogar von seiner Mutter zu einem Blind Date breitschlagen, welches er zu Beginn auch noch ganz gut meistert, ehe es am Ende aus dem Ruder läuft. Die Außenseiterrolle Ronnies gipfelt in der wahrscheinlich besten Szene des Filmes, wenn Ronnie mit Flossen und Schnorchel das Freibad aufsucht und unter Wasser an einem heißen Sommertag die tollenden Kinder beobachtet. Als die Mütter ihn schließlich erkennen, mündet dies in einer hastigen Rettungsaktion aller Kinder aus dem Becken, als befände sich ein weißer Hai darin. Während Ronnie wie dieser seine Runde unter Wasser dreht, stehen die Mütter mit ihren Kindern gaffend am Beckenrand, ehe die Polizei Ronnie aus dem Freibad entfernt. Und sofort als er aus dem Becken ist, löst sich die drückende Stimmung wie ein dunkler Schleier.

Gerade diese kleinen Details sind es, die Little Children so besonders machen, was es bei Brad bewirkt, wenn sein Sohn beim Anblick seiner Mutter seinen Lieblingshut davon schmeißt, oder Sarahs erwartungsvoller Blick, als sie ihren Badanzug in den Händen hält und darin ihre Hoffnung wiederspiegelt. Wie bereits in In the Bedroom liefert Todd Field ein demaskierendes Bild der glücklichen (amerikanischen) Familienidylle, ohne humoristisch-künstliche Kniffe wie Sam Mendes in American Beauty. In Little Children sagen Blicke mehr wie tausend Worte und besonders Kate Winslet kann sich durch ihre Verkörperung der Sarah wieder einmal hervortun. Wann schenkt man dieser Frau endlich ihren langverdienten Oscar, fragt man sich beim Betrachten, genauso wie es Paul Bettany eigentlich geschafft hat, diese atemberaubende Jennifer Connelly zu seiner Frau zu machen. Todd Field zeigt ebenfalls wieder sein Talent und sein Gespür für ruhige Dramen, auch wenn das Ende wieder typisch amerikanische Züge annimmt, selbst wenn es für die Entwicklung der Charaktere steht. Einziger Wermutstropfen ist, dass wie nur allzu oft in Hollywood-Produktionen das Thema der Kindesmisshandlung, wie in Mystic River oder Gone Baby Gone, lediglich als Aufhänger für den Narzissmus der Erwachsenen dient. Denn dafür ist das Thema an sich eigentlich viel zu ernst und dramatisch.

8.5/10

1 Kommentar:

  1. Hab ich heute von Amazon bekommen. Mal sehen, ob er mir auch so gut gefällt.

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