31. Dezember 2014

Filmjahresrückblick 2014: Die Top Ten

Cinema is not an art which films life: the cinema is something between art and life.
(Jean-Luc Godard)


Während die internationalen Filmkritiker/innen teils schon seit Wochen ihre Bestenlisten für das Kinojahr 2014 publizieren, geschieht dies auf diesem bescheidenen Blog wieder mal erst kurz vor knapp. Immerhin wird der traditionelle Filmjahresrückblick auf Symparanekromenoi noch dieses Jahr und nicht wie 2013 erst am Neujahrstag über die Bühne gehen. Die alten Hasen unter meinen Lesern wissen wie es abläuft: es soll nicht nur ein persönliches Fazit mit Bestenliste gezogen werden, sondern auch ein Ausblick auf den internationalen Kinokonsum geben. Wer daran wenig Interesse hat, kann auch direkt nach unten zu meinen zehn favorisierten Filmen in diesem Jahr scrollen. Für alle anderen gilt derweil: Buckle up!

Ursprünglich hatte ich erwartet, dass sich mein Filmkonsum dieses Jahr auf dem Niveau von 2007 oder 2008 einpendelt. Was einerseits beruflich und andererseits mit der steigenden Frustration ob der Qualität der Kinofilme zu tun hat. Am Ende wurden es dann dennoch 152 Filme aus dem aktuellen Filmjahr, was in etwa so viele waren wie 2011. Immerhin 27 Filme weniger als im Vorjahr, was speziell den Kinosichtungen geschuldet ist. Waren es 2013 noch 40 Kinobesuche, so halbierte sich diese Zahl dieses Jahr. 133 der 152 Filme habe ich im Heimkino gesehen, also rund 87 Prozent. Von den 19 Kinobesuchen – im Grunde waren es 20, da ich Nightcrawler als einzigen Film dort zweimal sah – entfielen wiederum 12 auf Pressevorführungen.

In einer solchen sah ich auch jenen Film, der viele Kritiker spaltete und dennoch – insbesondere beim Publikum – sehr gut wegkam. Christopher Nolans jüngster Streich Interstellar hält in der Internet Movie Database (IMDb) zum Jahresende eine 8.9/10-Wertung (Stand: 31. Dezember) und liegt damit nun zwischen seinen anderen Filmen Inception und The Dark Knight. Mit leichtem Abstand folgt dann der absolute Kritikerliebling und Oscarfavorit Boyhood von Richard Linklater, der sich mit einer 8.4/10 vom Kinojahr 2014 verabschiedet. Knapp auf dem dritten Platz landete mit David Finchers Gone Girl der noch beste dieser drei Filme dank einer 8.3/10-Einstufung. Wie auch schon im Vorjahr liefen jedoch drei andere Filme weitaus erfolgreicher.

Auch wenn es sich stets nie jemand wirklich erklären kann, lockte Michael Bay erneut mit seinen sich prügelnden Riesenrobotern die Massen ins Kino. Wie bereits mit Dark of the Moon gelang es ihm auch mit Transformers: Age of Extinction die Milliarde-Dollar-Marke zu überschreiten. Damit war das vierte Hasbro-Abenteuer der einträglichste Film des Jahres. Mit etwas Abstand näherte sich über den Jahreswechsel gesehen Peter Jacksons neuerlicher Trilogieabschluss The Hobbit: The Battle of the Five Armies, während Marvels wenig bekannte Comicserie Guardians of the Galaxy zum überraschend erfolgreichen Space-Abenteuer avancierte, das in den USA erst im Nachhinein von The Hunger Games: Mockingjay – Part I überholt wurde.

Überraschend war auch der Erfolg des Märchenfilms Maleficent, der gerade bei den Südamerikanern aus Brasilien, Ecuador und Venezuela zum Jahressieger wurde, ebenso in Mexiko und in Italien. Derweil zeigten sich Bolivianer und Kolumbianer von Transformers: Age of Extinction beeindruckt, der ansonsten auch auf dem asiatischen Kontinent sehr gut lief und sowohl bei Russen wie Chinesen, aber auch in Thailand und Südafrika auf Platz Eins landete. In Japan rollte wiederum Frozen dieses Jahr wie eine Lawine durch die Kinosäle und spielte im Land der aufgehenden Sonne dreimal so viel ein wie der Zweitplatzierte. Von alledem unbeeindruckt blieb sich Südkorea treu und huldigte stattdessen mit Myeong-ryang einem einheimischen Film.

Dies wird seit Jahren auch traditionell in vielen europäischen Ländern so gehandhabt. Beispielsweise in der Türkei, wo sich Recep Ivedik 4 von der Konkurrenz absetzte. Nationale Filme liefen auch in Argentinien (Rotatos salvajes), Dänemark (Fasandraeberne), Finnland (Mielensäpahoittaja), den Niederlanden (Gooische Vrouwen II), Norwegen (Børning), Peru (A los 40), Polen (Bogowie) Serbien (Montevideo, vidimo se!), Spanien (Ocho apellidos vascos) und der Ukraine (Viy) am besten. In Frankreich begeisterte Qu’est-ce qu’on a fait au Bon Dieu? (hierzulande: Monsieur Claude und seine Töchter) die Massen, der nicht nur auch in der Schweiz die Nummer Eins ist, sondern es bis vor wenigen Wochen bei uns in Deutschland ebenso war.

Zumindest solange Peter Jacksons Trilogieabschluss The Hobbit: The Battle of the Five Armies nicht in wenigen Wochen über fünf Millionen Deutsche in die Lichtspielhäuser trieb. Ein erster Platz, der dem Film auch in Tschechien und bei den Briten gelang (die Australier zogen The Hunger Games: Mockingjay – Part I vor), wo kurz vor dem Ende noch The Lego Movie übertrumpft wurde. Ein anderer Animationsfilm lockte die Slowaken am häufigsten ins Kino: How to Train Your Dragon 2, was sie wiederum mit den Kollegen aus Ungarn gemein haben. Die Schweden solidarisierten währenddessen mit Japan und krönten Frozen zum Sieger, heißer her ging es in Kroatien und Uruguay, wo Rio 2 am Jahresende der König im Kino war.

Wer sich schon immer fragte, was Belgien und Österreich gemein haben (außer Fällen von Kindesentführung) findet in ihrer Begeisterung für Martin Scorseses The Wolf of Wall Street dieses Jahr die Antwort. Und da Ägypten kurzerhand Ridley Scotts Exodus nicht in den Kinos haben wollte, bleibt dort eben der neueste Godzilla-Film an der Jahresspitze. In alten Zeiten schwelgten dafür die Griechen, die sich von 300: Rise of an Empire vereinnahmen ließen. „Historisches“ stand auch in Bulgarien und Slowenien hoch im Kurs, wo die Konkurrenz gegen Darren Aronofskys Bibelepos Noah absoff. Stirnrunzeln rufen die ersten Plätze in Portugal und Nigera hervor, wo Lucy und Think Like a Man Too die Gunst des Publikums genossen.

Der unangefochtene Gewinner des Jahres ist wohl ohne Zweifel Matthew McConaughey, der sich vom RomCom-Schauspieler zum Oscarpreisträger gewandelt hat. Sein jüngster Wandel erhielt inzwischen sogar eine eigene Wortschöpfung (McConnaisance). Auch Christopher Miller und Phil Lord untermauerten mit The Lego Movie und 22 Jump Street ihren guten Ruf in Hollywood. Etwas schwerer hatte es dagegen Sony, die nicht nur trotz des veritablen Erfolgs von The Amazing Spider-Man 2 scheinbar das Vertrauen in das Reboot verloren haben, sondern im Zuge des Starts von The Interview auch noch einem Hacker-Angriff zum Opfer fielen. Damit befanden sie sich in guter Gesellschaft, was Jennifer Lawrence und Co. bestätigen können.

Und wo wir schon bei Matthew McConaughey waren, seine HBO-Serie True Detective avancierte zurecht zur TV-Show des Jahres, obgleich auch die Fernsehversion von Fargo überraschend überzeugen konnte. Dass sich dies auch von ihren beiden zweiten Staffeln sagen lässt, muss sich noch zeigen. Im Nachbeben der neuen Konsolen gab es derweil auf dem Videospielmarkt nichts, was mich wirklich gereizt hat in diesem Jahr, weshalb eine entsprechende Kür diesmal ausfällt. Ersatzweise kann ich an dieser Stelle Brian K. Vaughans und Fiona Staples Comicreihe Saga zum Comic des Jahres küren, dessen vierter Band schon bei mir bereitliegt und Anfang des neuen Jahres in einer ausführlichen Besprechung beleuchtet werden wird.

War auch die diesjährige Oscarverleihung vorhersehbar und langweilig wie selten zuvor, konnte ich mich dennoch mit vielen Preisträgern arrangieren. Trotz seines variablen Spiels in drei Rollen habe ich mich entschlossen, am Ende doch Jared Leto für seine gewinnende Leistung in Dallas Buyers Club den Vorzug vor Jake Gyllenhaal zu geben. Und so vergnüglich Tilda Swinton in ihren Darbietungen in den sonst enttäuschenden Snowpiercer und The Zero Theorem auch war, beeindruckte mich letzten Endes Dorothy Atkinson als Mauerblümchen in Mike Newells Mr. Turner doch eine Spur mehr. Bei den Newcomern geht meine persönliche Auszeichnung an Stacy Martin, für ihren mutigen und herausfordernden Einsatz in Lars von Triers Nymph()maniac.

Ansonsten setzte sich in diesem Jahr fort, was seit Jahren Trend ist: Sequels dominieren den Markt – siehe acht der zehn erfolgreichsten Filme in 2014 – und nach dem Erfolg von Guardians of the Galaxy steht eine noch größere Welle an Comicverfilmungen bevor. Während die an den Kinokassen abräumen, dominieren bei den Kritikern kleinere Filme wie Birdman oder Boyhood. Ein Art Zwei-Klassen-Gesellschaft, was zumindest hoffen lässt, dass trotz generischer Blockbuster auch Kreativität noch einen Platz findet. Und damit ohne weitere Umschweife nun zu meinen persönlichen zehn liebsten Filmen des Jahres – eine ausführliche Liste gibt es bei Letterboxd –, mit Runner Ups und der Flop Ten wie gewohnt in den Kommentaren:


10. Blended (Frank Coraci, USA 2014): Inzwischen regiert US-Comedian Adam Sandler nach eigenen Gesetzen wie seine Anarcho-Komödien à la That’s My Boy belegen. Was Blended von den meisten Sandler-Werken unterscheidet und ihn zugleich auszeichnet, sind die hier immer wieder eingestreuten kleinen emotionalen Momente in dieser vergnüglichen Patchwork-Safari. Unterm Strich handelt es sich um eine unterschätzte Komödie, die zugleich die Lachmuskeln zu bewegen und auf die Tränendrüse zu drücken vermag.

9. Citizenfour (Laura Poitras, D/USA 2014): Anderthalb Jahre ist es her, seit Edward Snowden der Öffentlichkeit offenbarte, dass die NSA im großen Stil unsere Kommunikation überwacht. Selbst vor Angela Merkel wird da kein Halt gemacht. Laura Poitras war im Juni 2013 mit der Kamera dabei, als Snowden in einem Hotelzimmer in Hong Kong zu dem wohl berühmtesten Whistleblower der Geschichte wurde. Trotz des bereits bekannten Ausgangs gelingt Poitras in Citizenfour einer der spannendsten Thriller des Jahres.

8. Borgman (Alex van Warmerdam, NL/B/DK 2013): Alex van Warmerdam macht sich in Borgman keine wirkliche Mühe, seine Filmhandlung für die Zuschauer näher zu erklären. Vielmehr lässt er in seiner Dekonstruktion eines beschaulichen Familienidylls die Bilder für sich sprechen und Fragen bereitwillig im Raum stehen. In gewisser Weise ist dieser Film ein modern-düsteres Märchen, dabei weder Thriller, noch Drama, Horror oder Fantasy. Sondern von allem eine Melange, die zu überzeugen und gefallen weiß.

7. Rich Hill (Andrew Droz Palermo/Tracy Droz Tragos, USA 2014): Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten fristen die jugendlichen Protagonisten in Rich Hill zwischen Energy Drinks und Zigaretten ein trostloses Dasein am Rande der Gesellschaft. Dabei schaffen es Andrew Droz Palermo und Tracy Droz Tragos gekonnt, das White-Trash-Stigma für ihre Figuren zu umschiffen und sie mit würdevoller Zuneigung in ihrer Gesellschaftsnische zu begleiten. Am Ende bleibt ein intimer Einblick in das toughe Leben von drei Außenseitern.

6. The Guest (Adam Wingard, UK 2014): Nach dem enttäuschenden You’re Next liefert Adam Wingard nun mit The Guest nicht nur den genialsten Soundtrack des Jahres ab, sondern zugleich einen Mix aus Home-Invasion-Thriller und Actionfilm, der sich bei mehrmaligem Sehen als wahres Brett entpuppt. Die Coolness seiner charismatischen Hauptfigur überträgt Adam Wingard mit einer erstaunlichen Lockerheit auf den gesamten Film, dessen so stylisches wie ironisches Finale ihm das Prädikat zum Kultfilm offen hält.

5. Schnee von gestern (Yael Reuveny, D/IL 2013): Die Rückkehr ins Land der Täter ist wohl für wenige Shoa-Überlebende und deren Familie erträglich. Zu groß ist der Schmerz, den der Verlust von geschätzt 5,6 Millionen Opfern hinterließ. Auch für die Familie der Israelin Yael Reuveny. Umso größer war deren Unverständnis als sie erfahren, dass der Großonkel nach dem Krieg in Deutschland blieb. Reuveny gelingt mit Schnee von gestern eine bewegende Reise in die Vergangenheit, die gleichzeitig Hoffnung für die Zukunft macht.

4. Finding Vivian Maier (John Maloof/Charlie Siskel, USA 2013): In ihrer Dokumentation über ein Kindermädchen, das sich erst nach seinem Tod als eine der besten Straßenfotografinnen des 20. Jahrhunderts entpuppt, gelingt John Maloof und Charlie Siskel ein faszinierender Einblick in eine schwer zu greifende Persönlichkeit. Für die Künstlerin Vivian Maier aber bekommen die Zuschauer dagegen ein besseres Gespür. Maiers Bilder zeugen dabei von einer künstlerischen Qualität, die auch Finding Vivian Maier selbst innewohnt.

3. Enemy (Denis Villeneuve, CDN/E 2013): In der Folklore gilt ein Doppelgänger als Vorbote von Unglück und als Todesomen für die Person, die ihn sieht. In Enemy adaptierte Denis Villeneuve den Roman „Der Doppelgänger“ von José Saramago – allerdings von Villeneuve weitaus mystischer aufgeladen und mit viel Interpretationsspielraum. Kryptische Traumsequenzen bitten den Zuschauer um Wiederholungssichtungen, aber eine definitive Antwort auf alle offenen Fragen werden auch diese vermutlich nicht bereithalten.

2. Jodorowsky’s Dune (Frank Pavich, USA/F 2013): Wer schon mal Alejandro Jodorowsky in einem Audiokommentar gehört hat, weiß, dass dieser Mann geboren wurde, um Geschichten zu erzählen. Und welche eignet sich besser als die jenes Films, der zum Prophet einer eigenen Religion werden sollte. Frank Pavich vermittelt hier einen Eindruck, wie Jodorowskys Adaption von Frank Herberts „Dune“ ausgesehen hätte. Und wie Jodorowsky’s Dune zeigt, wurde diese auch ohne ihre Entstehung zu einer Art von Kino-Prophet.

1. Nightcrawler (Dan Gilroy, USA 2014): Eine fast ähnlich große Ambition wie Alejandro Jodorowsky in seinem Dune-Projekt legt der scharfzüngige Lou Bloom in Dan Gilroys Debütfilm Nightcrawler an den Tag. Jake Gyllenhaal liefert als soziopathisch veranlagter Unfallreporter die Darbietung seines Lebens ab, während seine Figur um sich herum einen für ihre Umwelt destruktiven Malstrom erschafft. Dan Gilroy gelingt ein mitreißender Urban-Media-Thriller, der im Finale nochmals die Spannungsschraube andreht.

26. Dezember 2014

The Guest

All gave some. Some gave all.

Schon Goethe wusste: wo viel verloren wird, ist manches zu gewinnen. Vielleicht öffnet auch deswegen Laura Peterson (Sheila Kelley) bereitwillig an jenem Tag die Tür zu ihrem Haus, als der charmante David (Dan Stevens) vor ihr steht. Er habe gemeinsam mit ihrem im Krieg gefallenen Sohn gekämpft, erklärt David. Und habe diesem versprochen, dass er nach dem Rechten sehen werde. Es mag der Kummer sein, der die Mutter schließlich dazu bewegt, David für einige Tage im ehemaligen Zimmer ihres Sohnes nächtigen zu lassen. Während David schon bald Beziehungen zu den anderen Familienmitgliedern aufbaut, allen voran den in der Schule gemobbten Luke (Brendan Meyer). Nur dessen Schwester Anna (Maika Monroe) ist skeptisch.

Adam Wingard hält sich in seinem jüngsten Film The Guest gar nicht lange mit einer Exposition auf. Die Geschichte beginnt sogleich mit Davids Ankunft und lässt früh erahnen, dass mit dem Ex-Militär nicht alles im Reinen ist. Auch Familienvater Spencer (Leland Orser) hat zuerst seine Zweifel ob möglicher PTSD-Folgen, doch sind diese nach ein paar Bier beiseite geräumt. Davids aalglattes Erscheinungsbild irritiert derweil weiterhin Anna, die sich zugleich zumindest körperlich zu dem Beau hingezogen fühlt. Am meisten Einfluss hat David jedoch auf Lukes Leben, indem er dessen Bullys in einer Bar konfrontiert. Nicht zuletzt hier zeigt sich hinter seiner coolen Fassade, dass David eine ernstzunehmende Gefahr darstellt. Auch für die Petersons?

In gewisser Weise ist The Guest eine Art Home Invasion-Thriller, auch wenn Davids charmante Art diesen Eindruck nicht wirklich entstehen lässt. Aus einer Nacht werden schnell mehrere und ehe sich die Petersons versehen, agiert David wie ein eingefleischtes Familienmitglied. Seine Agenda bleibt dabei im Dunklen. Schaut er wirklich nur für einen gefallenen Kameraden in dessen Haushalt rein oder hat David eine tiefere MO? Fragen, die sich auch Anna stellt und per Telefon bei der Armee nachfragt. Was in Major Richard Carver (Lance Reddick) einen alten Weggefährten von David auf dessen Spur führt. Zur selben Zeit beginnen in der beschaulichen Kleinstadt der Petersons mehrere Leichen und Morde aus deren Umfeld für Aufsehen zu sorgen.

Die Coolness von David überträgt Wingard mit einer erstaunlichen Lockerheit auf seinen gesamten Film. Mit Dan Stevens hat er einen idealen Leading Man, der Davids Charme wie die von ihm ausgehende Bedrohung gekonnt zu transferieren versteht. Auch Maika Monroe hinterlässt Eindruck, während das übrige Ensemble seinen Dienst tut. Zweiter und heimlicher Hauptdarsteller ist hier jedoch der atmosphärische Soundtrack, der mit seinem 80’s-Flair Erinnerungen an Drive wachruft. Wenn während The Guest dann Survive mit “Hourglass”, Annie mit “Anthonio” oder F.O.O.L mit “Sahara” aus den Boxen schallen, weiß man nicht, ob man noch zuschauen oder schon mittanzen soll. Als Folge ist The Guest ein auditiver Hochgenuss – aber auch nicht makellos.

So wäre es wünschenswert gewesen, wenn sich Wingard etwas mehr den Beziehungen zwischen David und den Petersons gewidmet hätte. Gerade sein Verhältnis zum Familienvater wird kaum beleuchtet, abseits eines ersten Biergeschwängerten Abends. Wenn sich der Film auf diese psychologischen Komponente etwas mehr fokussiert hätte, anstatt im Schlussakt zum Action-Thriller zu mutieren, wäre auch die narrative Atmosphäre stärker geraten. Zwar kann man aufgrund von Davids Verhalten erahnen, dass er sich problemlos zu integrieren versteht, dennoch schadet sich The Guest hier zum Teil ein wenig selbst. Seine offenen Fragen um Davids Vergangenheit sind wiederum weniger problematisch und ausreichend angerissen.

Allerdings handelt es sich hierbei um Kritikpunkte, die womöglich bei Wiederholungssichtungen (für die er sich exzellent eignet) weniger schwer ins Gewicht fallen werden, wie sich der Film wohl ohnehin eher in der Tradition von Genre-Filmen aus den späten Achtzigern und frühen Neunzigern sieht. Unterhaltsam und mitreißend ist er auf jeden Fall und außer der fehlenden Tiefe im Drehbuch frei von Vorwurf. Nach dem enttäuschenden Meta-Horror You’re Next liefert Adam Wingard somit dieses Jahr wieder eine filmische Steigerung ab und auch wenn The Guest letzten Endes nicht der diesjährige Drive ist, so zählt er dennoch zu den stylischsten und lässigsten Vertretern des 2014er Jahrgangs. Auf jeden Fall ein Gewinn.

10/10

18. Dezember 2014

Citizenfour

Sometimes to do the right thing you have to break the law.
(Edward Snowdon)

Er selbst sieht sich als „Patriot“, der Außenminister seines Landes hingegen nennt ihn einen „Verräter“ – liegt die Wahrheit nun irgendwo dazwischen? Oder ist Edward Snowden vielmehr weniger als noch, sondern eher ein Liberalist, ein Freiheitskämpfer der Moderne? Wie dem auch sei, die Lawine, die der ehemalige Systemadministrator der CIA im Juni 2013 mit seiner Enthüllung auslöste, die NSA, sein damaliger Arbeitgeber, würden nicht nur die Bürger der ganzen Welt, sondern sogar die eigenen abhören, rollt bis in die Gegenwart. Ncht einmal das Handy der Bundeskanzlerin war vor dem US-Geheimdienst sicher. Laura Poitras’ Dokumentation Citizenfour begleitete Snowdens Aufdeckung dieser Vorfälle im vergangenen Jahr mit der Kamera.

Zuerst nahm Snowden als anonyme Quelle mit der Regisseurin Kontakt auf, in Form von Dialogen, die wie eine Mischung aus The Matrix und All the President’s Men klingen. Schließlich trafen sie sich gemeinsam mit Glenn Greenwald, Journalist des britischen The Guardian, im Juni 2013 in einem Hotel in Hong Kong. Hier würde Edward Snowden ihnen verraten, dass die NSA seit Jahren im großen Stil die Rechner von Internetfirmen anzapft, um sich dort Videos, Fotos, E-Mails und Kontaktdaten zugänglich zu machen. Das Ganze nicht nur außerhalb der USA, wo es aufgrund des US-Kampfes gegen den Terror zumindest für die Vereinigten Staaten legal ist, sondern auch in ihrem eigenen Land. Was die Bürgerrechte der Amerikaner verletzt.

Anschließend bereitete Greenwald die Enthüllung des NSA-Abhörskandals mit seinem Kollegen Ewen MacAskill für die Medien auf, während Snowden bald untertauchte. Citizenfour begleitet jene Tage, in denen der 29-jährige Amerikaner die vermutlich schwerste Entscheidung seines Lebens trifft. Sein altes Leben – und damit auch seine Freundin und Familie – zurückzulassen, um die Menschheit auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Gut überlegt habe er sich das, versichert Snowden da Poitras an einer Stelle. Nervös sei er nicht. Er nehme eine Gefängnisstrafe in Kauf, ihm seien seine Rechte und die aller anderen auf Freiheit und Privatsphäre wichtiger. Wie ein Held 2.0 wirkt Snowden dabei. Wie ein Jesus Christus der Hacker-Szene.

Sympathisch kommt er rüber, mit Ahnung von dem, worüber er spricht. Wirklich schlau wird das Publikum aber nicht aus ihm. So edel seine Motive, so wenig nah wirkt Snowden zugleich. Und Poitras hakt auch nicht nach, was seine Entscheidung, seinen Arbeitgeber – immerhin die Regierung – zu bestehlen und mit den Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen, für Folgen haben könnte. Der Mensch Edward Snowden erscheint in diesen Momenten sekundär, der Skandal überschattet alles – auch seine Person. Auch die Gefahr, in die sich Laura Poitras und Glenn Greenwald mit ihrer Berichterstattung begeben, wird allenfalls angerissen. Und bald weitet die Dokumentation dann ihre Spannweite auf andere Protagonisten aus.

Da wird in einer Szene auch kurz Julian Assange eingefangen, dessen Enthüllungsplattform WikiLeaks die Ausreise von Snowden nach Moskau geregelt hatte, ehe dort sein Pass eingezogen wurde. Und William Binney, ehemaliger Technischer Direktor der NSA und ebenfalls ein Whistleblower, darf in seinem Rollstuhl in den Bundestag einrollen. Unterdessen verschwindet Snowden in dem Moment wo er untertaucht auch aus Citizenfour – zumindest bis zu einem etwas konstruierten Epilog am Schluss. Und mit Snowden geht dem Film leider auch etwas von seiner Intensität verloren, die zuvor die Hotelszenen in Hong Kong bestimmt hatte – obschon man als Zuschauer bereits den Ausgang der damaligen Ereignisse kennt.

Und dennoch liegt auch hier zum Teil die Krux, denn mit anderthalb Jahren „Verspätung“ ist der Bedeutung der Dokumentation ein wenig der Wind aus den Segeln genommen. Der NSA-Abhörskandal ist keine Neuigkeit, nicht mal mehr Skandal, sondern aufgrund der politischen Untätigkeit wieder zum Alltag geworden. Insofern bietet Citizenfour am ehesten eine Art „Behind-the-Scenes“ einer der größten Enthüllungen der letzten Jahre, die in ihren besten Momenten packender ist als jeder John-le-Carré-Thriller und mit Edward Snowden eine auf Märtyrer getrimmte Figur hat, die sich als „Held“ dieser Geschichte praktisch aufdrängt. Weswegen Regisseur Oliver Stone die Geschichte im Jahr 2016 nochmals Hollywoodgerecht aufbereiten will.

7.5/10

12. Dezember 2014

Kreuzweg

Als Christen sind wir für die Schlacht geboren.

Wer eine Armee rekrutiert, fängt am besten damit bei den Jüngsten an. „In unserem Herzen tobt eine Schlacht zwischen Gut und Böse“, sagt Pater Weber (Florian Stetter) am Anfang von Dietrich Brüggemanns Kreuzweg im Firmungsunterricht seiner Gemeinde. Täglich sei man 100 Versuchungen ausgesetzt in der Schlacht zwischen Gott und dem Teufel, erklärt er einer Gruppe Jugendlicher. Mit ihrer Firmung würden sie ihrer Umwelt zeigen: „Dieser Mensch ist ein Soldat Jesu Christi.“ Es gilt, den Versuchungen zu widerstehen, Verzicht zu üben. Einen besonderen Eindruck hinterlässt die Rede bei der 14-jährigen Maria (Lea van Acken), die sich fortan in den Kopf setzt, für Gott den größten Verzicht anzustreben: den auf ihr Leben.

Dabei ist die Jugendliche hin und hergerissen zwischen den Erwartungen ihrer Eltern, Kirchengemeinde und von Gott sowie ihren eigenen Gefühlen. Als sie in der Schulbibliothek ein Gespräch mit ihrem Mitschüler Christian (Moritz Knapp) beginnt, der sie in seinen Kirchenchor einlädt, stürzt das die 14-Jährige in ein Dilemma. Schließlich singt Christians Chor nicht nur Bach, sondern auch Gospel und Soul. Beide werden von Pater Weber und Marias Mutter (Franziska Weisz) als „dämonische Rhythmen“ angesehen. Ein neuerlicher Streit entbrennt beim Vesper der sechsköpfigen Familie. „Meinetwegen könnten wir einfach eine glückliche Familie sein“, keift die Mutter ihre älteste Tochter an, die unterdessen in Tränen ausbricht.

Dietrich Brüggemann zeichnet in seinem jüngsten und auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären für das beste Drehbuch prämierten Film das Bild einer schrecklich christlichen Familie. Die scheint seit langem von Spannungen durchzogen, auch da das jüngste Kind, der vierjährige Johannes, an einer unbekannten Krankheit zu laborieren scheint. Er müsse nicht von Maria auf den Arm genommen werden, herrscht die Mutter sie bei einem Ausflug ins Grüne an – und verfrachtet den Vierjährigen stattdessen dafür in einen Kinderwagen. „Der Tag kann noch so schön sein, Maria findet immer einen Grund für schlechte Laune“, ist dann die nächste Breitseite aus dem Mund der Mutter, als Maria für ein anschließendes Familienfoto nicht lächeln will.

Einen wirklichen Zugang erfährt man als Zuschauer dabei nicht zur problematischen Beziehung zwischen Maria und der Matriarchin. Widerworte duldet diese nicht, weder von ihrer Tochter noch vom Kindermärchen Bernadette (Lucie Aron). Ihr Ehemann scheint das schon längst eingesehen zu haben und lässt die Gattin schalten und walten wie sie möchte. Die angespannte Situation zu Hause mit ihrem kleinen Bruder, der immer noch nicht gesprochen hat, und ihr gleichzeitiger Wunsch, zumindest ansatzweise ein Leben wie ihre Mitschüler zu haben, bilden den Rahmen für Marias fortwährende Passion, die Dietrich Brüggemann mit den 14 Stationen des Kreuzwegs Jesu Christi auf seinem Weg zum Kalvarienberg kontrastiert.

Hierbei bedient sich Brüggemann in seinen Einstellungen – bis auf zwei Ausnahmen mit Dolly Shot und Kranfahrt – einer unbewegten Kamera, was den Szenen etwas Theatralisches verleiht. Aber zugleich wirkt eine derartige Mise-en-scene auf Dauer auch anstrengend, da oftmals nur minimale Aktionen die Szenen bestimmen. Im Vordergrund steht das Spiel von Lea van Acken und ihre Interaktion mit ihrer Umwelt. Darunter auch mit Mitschüler Christian, der versucht, sich ihr zu nähern. „Ich weiß genau, was ich will“, erklärt diese ihm, als im Sportunterricht das Gerücht die Runde macht, Christian sei in sie verliebt. „Ich will zu Gott“, blockt sie Christian ab. „Dabei stör ich dann wohl“, räumt dieser wie alle resignierend das Feld.

Als Parallele zu den letzten Tagen Jesu ist Kreuzweg bisweilen zwar ganz nett, vermag aber nicht wirklich unter die Oberfläche vorzudringen – insofern man die Geschichte nicht als reines Spiegelbild von Jesu Handeln liest. Marias Weg scheint vorherbestimmt – weniger von einer göttlichen Macht als von ihr selbst. Die Ohnmacht ihrer Umwelt ist etwas erstaunlich, das Ende des Films zugleich vorhersehbar. Der dargestellte Wahnsinn, der Christliche im Speziellen wie der Religiöse im Allgemeinen, wird in Kreuzweg nicht hinterfragt. Zumindest im Ansatz wäre dies vielleicht geschickter gewesen, so bleibt einem als Zuschauer nur, einer Figur dabei zuzusehen, wie sie für eine Nichtigkeit ihr Leben opfern will. Eben wie ein echter Soldat.

6/10

6. Dezember 2014

Momo e no Tegami [Ein Brief an Momo]

Ja, das waren noch Zeiten.

Andere Länder, andere Sitten. Ein bekanntest Sprichwort, das sich zugleich genauso oft bewahrheitet wie es sich vermutlich ins Gegenteil verkehrt. Dennoch lässt sich festhalten, dass japanische Zeichentrickfilme durchaus anders sind, als ihre – insbesondere – US-Kollegen. Das Phantastische wird bereitwilliger in den Alltag integriert, dazu gehören speziell Geister oder Fabelwesen. Sie sind oft unabdingbarer Teil der Werke von Miyazaki Hayao und seinem Studio Ghibli, von Tonari no Totoro bis hin zu Sen to Chihiro no kamikakushi. Mystisch-magisch schickt sich auch Okiura Hiroyukis Momo e no Tegami (bei uns als Ein Brief an Momo vertrieben) an, in dem ein kleines Mädchen über den plötzlichen Verlust ihres Vaters hinwegkommen muss.

Als Folge des Ablebens des Vaters ziehen die elfjährige Momo (Karen Miyama) und ihre Mutter (Yuka) von Tokio auf die Insel Shio zu Verwandten. Eher widerwillig fügt sich Momo in ihre neue Umgebung, während ihre Mutter sie tagsüber alleine lässt, um zur Arbeit zu gehen. Dann nimmt die Elfjährige obendrein noch Geräuschen wahr, die sich nach und nach als drei Yōkai zeigen. „Meine Mama ist nicht Zuhause und Geister erscheinen. Das Leben ist echt nicht einfach“, stöhnt Momo angesichts der Umstände auf. Nachdem sie sich zuerst sträubt, arrangiert sie sich bald mit den drei Yōkai in ihrem Haus. Und fragt sich vielmehr, was ihr Vater ihr in jenem Brief sagen wollte, den er vor seinem Tod bis auf die Anredezeile nicht fertigstellen konnte.

Okiura bedient sich in Momo e no Tegami eingestreuter Rückblenden, um die Beziehung zwischen Momo und ihrem Vater zu beleuchten. Im Streit gingen die beiden auseinander, weil Momo die Familie mit Konzertkarten überraschen wollte, der Vater jedoch bereits Pläne für den Abend gemacht hatte. Nun, da der Vater tot ist, macht sich Momo Vorwürfe, fehlt ihr doch ein emotionaler Abschluss. Und wie sich zeigt, sind die Yōkai nicht von ungefähr auf der Bildfläche erschienen, sondern es besteht zwischen ihrem Auftauchen und dem Tod von Momos Vater ein Zusammenhang. Ein Problem des Film ist allerdings, dass sich das alles weitaus ergreifender lesen lassen mag, als es dann letztlich in Momo e no Tegami tatsächlich rüberkommt.

Der Streit mit dem Vater allein wegen Konzertkarten wirkt selbst aus Sicht einer Elfjährigen enorm aufgebauscht, um wirklich als Basis für das emotionale Fundament zu funktionieren. Letztlich hätte er auch einfach von der Arbeit eingespannt und dadurch selten daheim sein können, um ebenso wirksam eine Sehnsucht zwischen Tochter und Vater zu rechtfertigen. Dass für diesen Abschluss-Prozess von Momo fast zwei Stunden aufgewendet werden, ist dann mehr als großzügig bemessen. Infolgedessen kommt Momo e no Tegami nicht um Längen herum, eher der Film nach einem vor sich hin plätschernden zweiten Akt in einem Finale endet, das die Elemente der Geschichte nur bedingt sinnig mit sich ins Reine zu bringen vermag.

Die Folgen auf eine Familie nach dem Tod des Vaters hat man nicht zuletzt im vergangenen Jahr mit Hosoda Mamorus Ōkami Kodomo no Ame to Yuki besser gesehen, auch Miyazakis Tonari no Totoro überzeugte mehr mit der gefühlsmäßigen Darstellung, welche Schatten ein kränkliches Elternteil auf seine Kinder wirft. Durch die Integration der Yōkai wirkt Momo e no Tegami teils wie eine Mischung aus verschiedenen Miyazaki-Werken, nur erreicht Okiuras Film (zu) selten die Klasse und Emotion des Kollegen oder eines Hosoda-san. Stattdessen tauchen immer wieder mal unpassende Szenen auf, sei es ein Yōkai, der Momos Bein ableckt oder ein anderer, der während einer ausufernden Fluchtsequenz versucht, sich durch Gefurze zu behelfen.

Momo e no Tegami deswegen als zweitklassigen Animationsfilm abzukanzeln, wäre sicher zu viel des Guten. Okiuras Film hat seine humorvollen wie auch berührenden Momente, aber nicht genug davon sowie ein konsequenteres Drehbuch. Wenn sich da der Postbote als ehemaliger Schulkamerad von Momos Mutter herausstellt, ahnt man schnell, in welche Richtung der Hase laufen wird. Und trotz der Länge des Films räumt Okiura seiner Protagonistin keine Zeit ein, um mit irgendeiner der Figuren wirklich eine tiefere Beziehung einzugehen. Insofern gibt es viel verschenktes Material, welches  sich Momo e no Tegami zu nutzen machen könnte. Vielleicht lernt Okiura jedoch daraus, denn wie lautet ein anderes Sprichwort? Übung macht den Meister.

6/10

1. Dezember 2014

Filmtagebuch: November 2014

22 JUMP STREET
(USA 2014, Phil Lord/Christopher Miller)
4/10

ABOUT TIME [ALLES EINE FRAGE DER ZEIT]
(UK 2013, Richard Curtis)

6/10

LA BELLE ET LA BÊTE [DIE SCHÖNE UND DAS BIEST]
(F/D 2014, Christophe Gans)

4/10

BORGMAN
(NL/B/DK 2013, Alex van Warmerdam)
7.5/10

BOYHOOD
(USA 2014, Richard Linklater)
3/10

COLD IN JULY
(USA/F 2014, Jim Mickle)
6/10

THE CORE
(USA/D/CDN 2003, Jon Amiel)
3.5/10

DOG DAY AFTERNOON [HUNDSTAGE]
(USA 1975, Sidney Lumet)

6/10

THE DOG
(USA 2013, Allison Berg/Frank Keraudren)
6/10

EXHIBITION
(UK 2013, Joanna Hogg)
5/10

FINDING VIVIAN MAIER
(USA 2013, John Maloof/Charlie Siskel)
8/10

FRIENDS – SEASON 2
(USA 1995/96, Michael Lembeck u.a.)
8/10

FRIENDS – SEASON 3
(USA 1996/97, Robby Benson u.a.)
7.5/10

THE GRAND BUDAPEST HOTEL
(USA/D/UK 2014, Wes Anderson)
6.5/10

GREZELI NATELI DGEEBI [DIE LANGEN HELLEN TAGE]
(GE/D/F 2013, Nana Ekvtimishvili/Simon Groß)

6.5/10

IDA
(PL/DK/F/UK 2013, Pawel Pawlikowski)
5/10

IN FEAR
(UK 2013, Jeremy Lovering)
6.5/10

JIGOKU DE NAZE WARUI [WHY DON’T YOU PLAY IN HELL?]
(J 2013, Sion Sono)
7/10

KAZE TACHINU [WIE DER WIND SICH HEBT]
(J 2013, Miyazaki Hayao)
6/10

THE KILL TEAM
(USA 2013, Dan Krauss)
7/10

LOST IN SPACE
(USA 1998, Stephen Hopkins)
4/10

ME, MYSELF & IRENE [ICH, BEIDE & SIE]
(USA 2000, Bobby Farrelly/Peter Farrelly)

3.5/10

MISS VIOLENCE
(GR 2013, Alexandros Avranas)
6/10

MOMO E NO TEGAMI [EIN BRIEF AN MOMO]
(J 2011, Okiura Hiroyuki)

6/10

A MOST WANTED MAN
(UK/USA/D 2014, Anton Corbijn)
6/10

NORTE, HANGGANAN NG KASAYSAYAN [NORTE, THE END OF HISTORY]
(RP 2013, Lav Diaz)

5.5/10

QU’EST-CE QU’ON A FAIT AU BON DIEU?
[MONSIEUR CLAUDE UND SEINE TÖCHTER]
(F 2014, Philippe de Chauveron)

6.5/10

RICH HILL
(USA 2014, Andrew Droz Palermo/Tracy Droz Tragos)
8/10

A RIVER CHANGES COURSE
(K 2013, Kalyanee Mam)
6.5/10

SAKASAMA NO PATEMA [PATEMA INVERTED]
(J 2013, Yoshiura Yasuhiro)

5.5/10

THE SIGNAL
(USA 2014, William Eubank)
4/10

STARRED UP [MAUERN DER GEWALT]
(UK 2013, David Mackenzie)

7/10

SUNSHINE
(UK/USA 2007, Danny Boyle)
9/10

VI ÄR BÄST! [WE ARE THE BEST!]
(S/DK 2013, Lukas Moodysson)

6/10

LE WEEK-END
(UK/F 2013, Roger Michell)
7/10

WESTEN
(D 2013, Christian Schwochow)
6/10

WONDERS OF THE SOLAR SYSTEM
(UK 2010, Michael Lachmann)
7.5/10

WONDERS OF THE UNIVERSE
(UK 2013, Chris Holt u.a.)
7/10

24. November 2014

Finding Vivian Maier

I’m surprised she didn’t get shot.

Schon Theodor Fontane sagte: „Zufall ist der gebräuchlichste Deckname des Schicksals“. Da verwundert es nicht, dass vor sieben Jahren der damalige Immobilienmakler John Maloof bei einer Auktion eine Kiste erstand, dessen Inhalt es ihm angetan hatte. “This insane amount of negatives” lockte ihn, plante er doch ein Buch über Chicago zu illustrieren. Hierzu dienten die hunderttausende Negative zwar nicht, dafür begann Maloof zu recherchieren, um wen es sich bei deren Fotografin – Vivian Maier – handelte. Nur fand er keine Informationen im Internet. Und intensivierte seine Bemühungen. Diese führten ihn letztlich bis nach Frankreich, wie Maloof und Co-Regisseur Charlie Siskel in ihrer Dokumentation Finding Vivian Maier rekapitulieren.

Es stellt sich heraus, dass Vivian Maier ein ehemaliges Kindermädchen aus New York war, dass sich seine Freizeit damit vertrieb, auf Chicagos Straßen Menschen zu fotografieren. Wovon aber niemand wusste, hortete sie doch wie eine “pack rat” ihre Bilder und andere Besitztümer. Ehe sie von Maloof gefunden wurden. Einige ihrer bemerkenswerten Fotografien schaffen es natürlich auch in Finding Vivian Maier und selbst wer – wie ich – wenig für die Kunst der Fotografie übrig hat, dürfte die Schönheit von Maiers Bildern anerkennen sowie ihren Blick für das Alltägliche. “Who is behind the work?”, fragte sich John Maloof – und nahm schließlich Kontakt mit einigen Familien auf, für die Maier in der Mitte des 20. Jahrhunderts gearbeitet hat.

Musste der Beobachter zuvor Rückschlüsse auf Maier mittels ihrer Fotografien ziehen, zeichnen ihre ehemaligen Arbeitgeber und die von ihr betreuten Kinder ein genaueres Bild. “She came across as unusual”, formuliert die eine Person höflich. Und eine andere erinnert sich an das klassische Erscheinungsbild von Maier: “always the camera around her neck”. Stets hatte das Kindermädchen seine Rolleiflex griffbereit und knipste neben dem Straßenalltag auch Selbstporträts oder drehte Videos von ihren Gastfamilien. Über Maier selbst wussten diese wenig – nicht ungewollt. Brachte das Kindermädchen ihre Filme zum Entwickeln, gab sie regelmäßig einen anderen Namen an. Und war quasi ein identitätsloses Wesen.

Amüsant wird es, wenn zwei gegeneinander geschnittene Talking Heads darüber debattieren, ob Maiers französischer Akzent falsch war oder nicht. Während Maloof selbst nach Frankreich in eine Kleinstadt nahe der Alpen reist, von wo Maiers Mutter herstammte. Vivian Maiers Bilder sind zu diesem Zeitpunkt bereits in den Hintergrund gerückt. “I find the mystery of it more interesting than her work itself”, sagte zuvor schon eine Frau, die für Maier ihre Bilder entwickelt hat. Fragt sich Finding Vivian Maier an einer Stelle noch, wieso das Kindermädchen Bilder machte, die es nie jemandem zeigte, verraten Talking Heads bald darauf Maloof und Siskel eine andere Seite jener zurückgezogenen Frau, die 2009 im Alter von 83 Jahren verstarb.

“There was a dark side to her”, beschreibt eines der von Maier betreuten Kinder. Manche von ihnen wurden gewaltsam gefüttert, andere in Stadtteilen zurückgelassen – stets um ihnen eine Lektion zu erteilen. Während die einen sie aber als eher kaltherzige Frau bezeichnen, war sie für einige andere wiederum ein Mutterersatz. Wer und wie genau Vivian Maier tatsächlich war, kann auch die Dokumentation nicht klären. Ähnlich wie sich manche Gesprächspartner um ihren Akzent streiten, heißt es sowohl, sie habe in den Straßen die Menschen darum gebeten, zu posieren, als auch, dies sei nicht der Fall gewesen. Der Person Vivian Maier ist der Zuschauer somit nur begrenzt näher gekommen – sie bleibt ein menschliches Mysterium.

Für die Künstlerin hat man dagegen ein besseres Gespür bekommen. Ihre Bilder sprechen von einer künstlerischen Qualität, die auch Finding Vivian Maier innewohnt. Streckenweise erinnert der Film an den thematisch nicht unähnlichen Bill Cunningham New York, mit einer Prise Personenrecherche wie man sie zuletzt in Searching for Sugar Man sah. “She would have been a famous photographer”, lobt die Fotografin Mary Ellen Mark zu Beginn die Arbeiten Maiers. Und auch wenn sie es vermutlich selbst nicht gewollt hätte, ist Vivian Maier nach ihrem Tod nun tatsächlich zu einer solchen geworden – mit weltweiten Ausstellungen. Aber schon Plinius der Jüngere schrieb in seinen Epistulae, Ruhm müsse folgen und darf nicht erstrebt werden.

8/10

18. November 2014

The Signal

Did I find what I was looking for?

Bisweilen gibt es Filme, so sagen Stimmen, in/an die geht man am besten unbefleckt. Mit so wenig Informationen wie möglich. Jüngst war Christopher Nolans Interstellar so ein Fall, wo alleine der Name des Regisseurs Anlass genug für eine Sichtung sein sollte. Auch bezüglich William Eubanks The Signal, hört man, sollte man möglichst unwissend den Zugang suchen. Sicher eine Eigenheit von Mystery-Filmen, deren höchstes Gut ihr innewohnendes Geheimnis ist, welches es bis zur finalen Auflösung zu sichern gilt. Allerdings kann sich so mancher Filmemacher auch selbst ein Bein stellen, wenn das, was folgt, nicht das ganze Aufhebens rechtfertigt. So wie in Nolans Interstellar der Fall. Und in gewisser Weise auch in The Signal.

In diesem befinden sich drei Studenten eingangs auf einem Road Trip. Nic (Brenton Thwaites) und Jonah (Beau Knapp) begleiten Nics Freundin Haley (Olivia Cooke) auf ihrem Umzug von der Ost- and die Westküste der USA. Unterwegs wollen Nic und Jonah, die am MIT studieren, einem Hacker namens NOMAD nachgehen, der an ihrer Hochschule für Aufruhr gesorgt hat und – so zeigt sich – den Kontakt mit beiden sucht. Der kleine Abstecher zu seiner vermeintlichen Adresse verläuft aber alles andere als geplant und plötzlich sieht sich Nic in einem weißen Raum mit dem in einem Schutzanzug auftretenden Dr. Wallace Damon (Laurence Fishburne) konfrontiert. Und allerlei Fragen, darunter was eigentlich passiert ist und gerade vor sich geht.

Wie die Figur wird der Zuschauer dabei im Unklaren gelassen, erst allmählich werden Nic und ihm Puzzlebrocken dargereicht, die er zusammenführen darf/soll. Das Problem von The Signal ist: dies geschieht nicht sonderlich geschickt. Früh zeigt sich hier, dass ein Mystery-Film nur so gut ist, wie das Mysteriöse in ihm. Und hier dürften sich im Falle von Eubanks Film die Geister scheiden, je nachdem, wie groß das eigene Interesse an den gezeigten Vorgängen ausfällt. Zwar gibt Damon eine knappe Erklärung zu den Vorfällen, hieraus ergibt sich aber anschließend nicht sonderlich viel. An Fahrt gewinnt der Film erst zum Ende des zweiten – und weitestgehend verschenkten – Akts, wenn ein Wechsel der Szenerie vorgenommen wird.

Für Eubanks ist sein Film nach eigener Aussage eine Metapher für den Konflikt, Entscheidungen auf rationale und emotionale Weise zu treffen. Dies wiederum geht in The Signal jedoch fast durch die Bank hinweg unter, dafür kommt der Film viel zu gewöhnlich daher. Spätestens wenn nach anderthalb Stunden die Auflösung über den Bildschirm flackert, zeigt sich, dass The Signal ein klassischer Sci-Fi-Film ist, der nur durch seine Umsetzung aus Genrekollegen herauszustechen vermag. Ob das Finale all den Trubel zuvor rechtfertigt – sowohl für das Publikum wie innerhalb der Geschichte – wäre in Zweifel zu ziehen. Gänzlich befriedigend fällt es jedenfalls nicht aus, passt sich insofern aber der drögen Exposition an. Konsequent enttäuschend quasi.

Fans solcher Indie-Genre-Filmen wie sie The Signal, Europa Report und Co. darstellen, mögen sich daran vermutlich nicht stören. Bekanntes in neuer Form kann irgendwie ja auch zufrieden stellen. Wo The Signal in seiner Geschichte nur bedingt heraussticht, gelingt es Eubank dafür, in seiner technischen Umsetzung zu überzeugen. Immer wieder findet er erfrischende und gefällige Einstellungen, gerade im dritten Akt wartet er zudem mit träumerischen Bildmotiven auf, von denen man sich mehr gewünscht hätte. Zumindest von technischer Seite, einschließlich der Trickeffekte, setzt The Signal also Zeichen und gewinnt eine eigene Identität, die zu seiner größten Stärke verkommt. Unterm Strich ist dies aber dennoch nicht ausreichend.

Neben den Bildern verleiht auch Nima Fakhraras Musik dem Film eine eigene Note. Die allesamt sehr jungen Darsteller wiederum geben ebenfalls keinen Grund zum Tadel und auch Laurence Fishburne, sicherlich der profilierteste Beteiligte am Projekt, fügt sich gut in sein Umfeld ein. Somit ist es wohl nur zu bedauern, dass trotz dieser zahlreichen vielversprechenden Umstände aus The Signal kein gelungenerer Film geworden ist, weil ihm dies seine Handlung versagt. Oder genauer gesagt: sein ins Leere verlaufende Mysterium. Womöglich hätte es The Signal also ganz gut getan, wenn er bereits früher, zum Beispiel zur Mitte des zweiten Akts hin, mit offenen Karten gespielt hätte. Aber das hätte man wohl vorher wissen müssen.

4/10

Blu-Ray
Im Gegensatz zum Film weiß dessen Blu-ray zu beeindrucken. Der HD-Transfer wird den oft schön von Eubank eingefangenen Bildern mehr als gerecht, er ist scharf und deutlich im Detail. Auch der DTS-HD-Sound überzeugt, die Dialoge sind klar verständlich und wo Effekte nötig sind, treten diese hervor. Als Extras warten geschnittene Szenen und ein Behind-the-Scenes mit Making-of-Einblick sowie ein Audiokommentar, in dem die Macher auf ihre Einflüsse eingehen (der aber runder hätte sein können). The Signal erscheint am 21. November auf Blu-ray und DVD.

12. November 2014

Borgman

Is het al zover?

Der Fremde im Dorf ist in der Literatur ein durchaus beliebtes Szenario, um Zwietracht zwischen eine Gemeinde zu säen. Stephen King schickte in „Needful Things“ gleich den Teufel in Menschengestalt nach Maine, Asterix und Obelix bekamen es innerhalb kürzester Zeit gleich zwei Mal mit solchen Gesellen zu tun. Zuerst mit dem manipulativen Tullius Destructivus in „Streit um Asterix“, wenige Bände später dann in „Der Seher“ mit dem verlogenen Lügfix. Das Resultat ist dasselbe: die Gemeinde geht sich selbst an die Gurgel. Alex van Warmerdam konzentriert das genannte Geschehen in seinem Film Borgman von der Gemeinde auf eine Familie. Die wird wider Willen und zugleich doch recht zufällig von einem Nachtalb heimgesucht.

Zu Beginn wird dieser, Anton (Jan Bijvoet) genannt, von einem Priester und zwei Männern aus seinem Wald-Unterschlupf verjagt. Kurzerhand sucht Anton ein wohlhabendes Stadtviertel auf, klingelt dort an Villentüren, um das Bad aufzusuchen. Wird der erste Versuch noch abgeschmettert, schafft er es, an der Haustür von Richard (Jeroen Perceval) und Marina (Hadewych Minis) seine Duftmarke zu hinterlassen. Auf Anspielungen in Richtungen Marina folgt Schläge von ihrem Gatten. “One thing led to another”, wird Richard später sagen. Marina wiederum bringt aus Schuldgefühlen Anton im Gasthaus unter. Aus einem Bad und einer Mahlzeit werden mehrere Tage und aus diesen entwickelt sich schließlich ein ganz eigenes Szenario.

Van Warmerdams Borgman macht sich dabei keine wirkliche Mühe, seine Handlung näher zu erklären. Die Bilder sprechen für sich und Antworten finden sich erst nach und nach und selbst dann bleiben Fragen offen. Was genau Anton und seine Kumpanen Ludwig (Alex van Warmerdam) und Pascal (Tom Dewispelaere) sind, bleibt offen. Zumindest vollends menschlich sind sie nicht, darauf lässt schon die Tatsache schließen, dass sie eingangs von einem bewaffneten Priester gejagt werden. Auch der Sinn ihrer diabolischen Taten wird erst zum Schluss „deutlich“. Zumindest auf den Reichtum, den Richard und Marina mit ihrem durchgestylten Wohngelände und Lebenstil repräsentieren, scheinen es Anton und Co. nicht abgesehen zu haben.

Ihr Einfluss auf das gutbürgerliche Ehepaar und seine drei Kinder sowie das Kindermädchen macht sich jedoch bald bemerkbar. Marina kommt nicht umhin, Anton helfen zu wollen und wird dann von Träumen häuslicher Gewalt geplagt. Dies wiederum wirkt sich auf ihre Beziehung zu Richard aus – was ihr bisweilen gewahr wird. “Sometimes everything seems unreal to me”, gesteht sie und bittet ihren Mann: “We must trust each other.” Sie weiß sehr wohl, dass etwas nicht stimmt, dass die Familie nicht alleine ist. “The shell of something that means harm” sei anwesend – nur realisiert Marina nicht, dass sie über Anton spricht. Dessen Plan ist bereits in Aktion getreten und beginnt sich nun auch auf Richard und Marinas Umfeld auszuwirken.

Mit welcher Nonchalance Anton und seine Truppe vorgehen, sorgt für unterschwelligen Humor. Sei es beim Entledigen unliebsamer Personen oder wenn das Desinteresse nach erreichten Etappenzielen die Familienmitglieder vor den Kopf stößt. Dabei kommt Borgman jedoch nicht umhin, manche Wendung etwas arg zu strapazieren. Da wird dann sogar der Freund des Kindermädchens zum Sohn von Richards Vorgesetzten – und alles nur für zusätzliches Drama. Auch andere Szenen wie ein nächtliches Theaterstück oder ein Ausflug mit den Kindern wirken etwas unnötig aufgebläht. Infolgedessen gerät Borgman in seiner Dekonstruktion eines Familienidylls etwas zu lang, vermag es aber dennoch, die Spannung aufrecht zu erhalten.

Zwar hätte man sich ein größeres Spektrum von Antons Einflussnahme gewünscht, mit einem stärkeren Fokus auf Richard, die Inszenierung des Geschehens alleine weckt aber auch so das Interesse. In gewisser Weise ist Borgman somit ein modernes Märchen – nur eben mit dem düsteren Charakter, wie sie Märchen früher einst besaßen. Dabei ist der Film weder Thriller, noch Drama, Horror oder Fantasy, vielmehr von allem eine Melange, die überzeugt und gefällt. Die Konzentration der Geschichte in ein pompöses Familienhaus und die niederländische Kultur spielen van Warmerdams Film ebenfalls in die Karten. Und letztendlich bestätigt Borgman somit, dass fremden Leuten mit Vorsicht zu begegnen ist. Dem Film dagegen nicht.

7.5/10

6. November 2014

Bai Ri Yan Huo [Feuerwerk am hellichten Tage]

Nur Heulen bringt nichts.

Zwei Polizisten, ein wiederkehrender Serienmord-Fall, der sie auch nach Jahren nicht loslassen will – ein Stilmittel, welches im Thriller-Genre kein Unbekanntes ist. Aus dem asiatischen Raum kennt man es beispielsweise aus Bong Joon-hos Salinui chueock (aka Memories of Murder), nicht unähnlich findet es sich nun in Diāo Yìnáns Bai Ri Yan Huo (dt. Feuerwerk am hellichten Tage) wieder, der im Frühjahr auf der Berlinale den Goldenen Bären mit nach Hause nahm. Darin erzählt der Regisseur von Mordfällen im Norden Chinas, die sich von 1999 bis 2004 erstrecken und das Leben einer Handvoll Figuren für immer verändern werden. Allen voran natürlich das von zwei Polizisten, die der Fall in jenen fünf Jahren nicht loslassen wird.

Der eine von ihnen ist Zhang (Fan Liao), den wir zu Beginn dabei beobachten, wie er einen sexuellen Übergriff auf seine gerade von ihm geschiedene Ex-Frau zu verüben versucht. Er und sein Kollege Wang (Ailei Yu) werden auf den Plan gerufen, als in mehreren Kohleanlagen Leichenteile entdeckt werden. Die Spur führt sie alsbald zu einem Verdächtigen, doch bei der Festnahme sterben zwei Beamte, Zhang wird obendrein verletzt. Daraufhin scheidet er aus dem Dienst aus, heuert als Sicherheitswachmann an und verfällt dem Alkohol. Bis ihn fünf Jahre später Wang aufsucht, als neue Leichen auf der Bildfläche erscheinen. Was sie verbindet: Alle Opfer hatten eine Affäre mit der Reinigungsangestellten Wu (Gwei Lun-Mei).

Deren Mann Liang Zhijun (Wang Xuebing) war obendrein eines der Opfer von 1999, doch hinter der Mordserie scheint weitaus mehr zu stecken, als es den Anschein hat. „Wer mit der was anfängt, den erwischt es“, kommentiert Wang trocken in Bezug auf Wu. Was Zhang nicht davon abhält, mit der introvertierten Frau nach und nach eine Romanze zu beginnen. Seine Motivation hierzu ist vielschichtig. Einerseits, weil sich der einsame Mann vielleicht tatsächlich zu ihr hingezogen fühlt, andererseits, weil er bestrebt ist, mit den traumatischen Ereignissen von 1999 ein für allemal abzuschließen. „Ich suche nur nach irgendwas, was ich tun kann“, sagt er an einer Stelle zu seiner Involvierung. „Sonst wäre mein Leben absolut sinnlos.“

Nach und nach gibt Bai Ri Yan Huo tiefere Einblicke in den vorliegenden Fall, wenn sich die Schlinge um den vermeintlichen Täter enger zu ziehen scheint. Gegenüber anderen Genrefilmen kommt Diāo Yìnáns Beitrag weitaus ruhiger und geerdeter daher, losgelöster als Bongs Salinui chueock und auch weniger atmosphärisch dicht wie Finchers Se7en oder Zodiac. Bisweilen, was allerdings auch der Kamera geschuldet ist, wirkt es, als würde man einen chinesischen Tatort sehen, selbst wenn der Film gerade in seiner zweiten Hälfte mit schönen Farb- und Bildmotiven spielt. Wirklich mitreißen wollen einen die Handlung und seine oftmals fragwürdig agierenden Figuren jedoch nicht. Gerade der laxe Umgang mit Tatverdächtigen bleibt hier nie folgenlos.

Fan Liao, ebenfalls bei der Berlinale ausgezeichnet, gibt dabei einen leicht lethargischen aber überzeugenden Protagonisten ab. Der Film selbst wartet bisweilen zudem mit amüsanten Auflockerungen auf, sei es, wenn plötzlich ein Pferd mitten im Revier steht oder Zhang im Suff sein Motorrad gestohlen wird und er fortan mit dem Roller des Diebs durch die verschneiten Straßen brettert. Auch der Schluss passt sich dem irgendwie an, selbst wenn er inhaltlich verzichtbar gerät und das Ende der Szene zuvor nicht minder, wenn nicht gar besser geeignet gewesen wäre, um einen Schlussstrich unter die Handlung zu ziehen. Ungeachtet dessen verfügt Bai Ri Yan Huo über eine ganz eigene Qualität, die ihn wiederum mit anderen Berlinale-Siegern eint.

Ähnlich wie sich Oscarpreisträger gleichen, zieht sich auch durch Preisträger des Goldenen Bären ein roter Faden. Gleich ob dieser nun Grbavica (2006), La teta asustada (2009), Jodaeiye Nader az Simin (2011) oder Poziția Copilului (2013) heißt. Eine Art Film, die nicht jedermanns Sache ist, keineswegs für ein Massenpublikum, aber auch innerhalb der Arthouse-Sparte oftmals durchaus speziell. Durchweg überzeugend fällt keiner dieser Filme dabei aus, auch nicht Bai Ri Yan Huo, insbesondere innerhalb seines Genres. Zu blass bleiben die Antagonisten, zu leblos die Hauptfigur. Wirklich überraschen mag da auch die Auflösung nicht. Zumindest den Zuschauer lässt dieser Serienmordfall also relativ einfach wieder aus seinen Fängen.

6/10

5. November 2014

Interstellar

This... data makes no sense.

Vor dem Filmstart erfuhr man kaum etwas über Christopher Nolans Interstellar – doch der Name des Regisseurs bürgt nach Gesamt-Einspielergebnissen von mehr als drei Milliarden Euro inzwischen für kommende Umsatzrekorde. Den Erfolg seines neuen Films wird also dessen mangelnde Qualität auch nicht gefährden.  Bereits mit seinen beiden letzten Batman-Filmen überwand Regisseur Christopher Nolan jeweils die Eine-Milliarde-Dollar-Marke an den Kinokassen, mit Inception bewegte er sich ebenfalls in ähnlichen Sphären. Kein Wunder also, dass ihm seitens Warner Bros. bereitwillig weitere Hunderte Millionen Dollar zur Verfügung gestellt wurden, um seine nächste geistige Film-Grütze zu inszenieren.

Nolans Ansehen ist derart groß, daß er seine Werke in 2D in die Kinos bringen kann, wo doch jeder andere Blockbuster in 3D konvertiert wird. Sogar ein Science-Fiction-Drama darf das neue Werk sein – ein lange eher verschmähtes Genre für große Filme. An Filmen wie 2001: A Space Odyssey wollte sich Nolan orientieren, am Ende kamen da noch weit mehr Einflüsse ins Spiel. Der Film erzählt von einer Zukunft, in der den Menschen die Lebensmittel ausgehen. Weizen lässt sich schon lange keiner mehr anbauen, Mais vielleicht noch ein paar Jahre. Sandstürme fegen über das Land, auch über die Farm von Cooper (Matthew McConaughey). Der war einst Astronaut und Ingenieur, doch für beides ist in dieser neuen Welt kein Platz mehr.

Eines Tages machen Cooper und Tochter Murph (Mackenzie Foy) eine seltsame Entdeckung in deren Schlafzimmer. Eine Gravitationsanomalie führt sie per verschlüsselten Koordinaten zu den im Geheimen arbeitenden Überbleibseln der NASA rund um Coopers alten Mentor Prof. Brand (Michael Caine) und dessen Tochter Amelia (Anne Hathaway). Beide berichten Cooper, dass jemand nahe des Saturns ein Wurmloch platziert hat, das in eine andere Galaxie mit erdähnlichen Planeten führt. Dort sucht die NASA nach einer bewohnbaren neuen Heimat für die Menschen. Cooper, der einerseits immer von einer derartigen Mission träumte und andererseits das Leben und die Zukunft seiner Kinder retten will, soll den passenden Planeten finden.

Wie diese Welt wurde, wie sie ist und warum man keine Ingenieure braucht und Geräte wie MRT-Maschinen in Rente versetzt hat, erklärt Interstellar nicht. Die Trostlosigkeit spricht für sich und dient als Motivation der Hauptfigur, nach einer Dreiviertelstunde an der eigentlichen Handlung zu partizipieren. Was wiederum etwas ungeschickt geschieht, selbst wenn Nolan später versucht, der Exposition einen Sinn zu geben. Im Verlauf zeigt sich, dass die Welt des Filmbeginns noch eine der kreativeren Ideen von Nolan und Bruder Jonathan, mit dem er das Drehbuch schrieb, war. Sobald Cooper, Amelia und Co. zu ihrer jahrzehntelangen Mission aufbrechen, werden jegliche originellen Ideen sattsam bekannten Genre-Elemente geopfert.

Inwieweit der Film dabei (astro-)physikalisch korrekt ist, lässt sich schwer sagen. Zwar war mit Kip Thorne ein theoretischer Physiker als Ratgeber an Bord, die meisten Szenen in der fernen Galaxie wirken für den normalen Zuschauer allerdings hanebüchen, wie auch die gesamte NASA-Mission nicht sonderlich kompetent durchdacht scheint. Immer wieder blendet Nolan dabei von Coopers Mission zurück zur Erde, wo seine nun erwachsene Tochter Murph (jetzt: Jessica Chastain) versucht, mit dem Abschied ihres Vaters zurechtzukommen. Jene Vater-Tochter-Beziehung, die bisweilen an Robert Zemeckis Contact erinnert, ist ein essentieller Bestandteil des Films. Murph repräsentiert dabei in Nolans Intention letztlich die gesamte Menschheit.

In einem Film, der mit fast drei Stunden viel zu lang ist, übersteigert sich Nolan in einem Finale, das der bereits zuvor stellenweise haarsträubenden Handlung nochmals die Krone aufsetzt – und das man in dieser Form bereits zu Beginn so befürchtet hat. Es ist fast erschreckend, wie wenig Nolan in Interstellar an eigenständigen Ideen zustande bringt. Am Ende steht eine Handlung, die selten sinnig erscheint, und Figuren, in die das Publikum keine sonderlichen Einblicke erhält. Zumindest weiß die Musik von Hans Zimmer zu gefallen, wie auch die Kameraarbeit von Hoyte Van Hoytema und die Tatsache, dass Nolan nicht nur in 2D, sondern auch auf 35mm gedreht hat. Für einen nennenswerten Beitrag zum Genre ist das aber zu wenig.

3.5/10