30. April 2016

Little Shop of Horrors [Director’s Cut]

Well, that’s an unusual story and a fascinating plant.

Wenn es um Feel-Good-Movies geht, dann ist ein Musical über eine Alien-Invasion, in deren Verlauf – unter anderem – der Held sowie sein Love Interest sterben, wohl eher nicht das, was einem in den Sinn kommt. Und dennoch gehört Frank Oz’ Little Shop of Horrors zu den Filmen, die zumindest bei mir, vielleicht auch wegen meines leicht misantropischen Charakters, stets für gute Laune sorgen. Und einer der Filme, die durch ihren Director’s Cut gegenüber der Kinofassung gewinnen. Dabei handelt es sich im Grunde nur bedingt um einen „Director’s Cut“, angesichts dessen, dass dieser lediglich dem Finale der Broadway-Vorlage von Alan Menken und Howard Ashman treu bleibt, das für die Kinofassung editiert werden musste.

“The audiences were upset that the plant wins”, berichtet Oz zu den damaligen Testvorführungen. Die Reaktionen waren derart negativ, dass Little Shop of Horrors ein Happy End erhielt – offensichtlich sind die Befindlichkeiten von Broadway- und Kinopublikum nicht identisch. Das Happy End bricht dem Film natürlich nicht das Genick, der ursprüngliche Handlungsverlauf wirkt dennoch konsequenter für den generellen Ton der Geschichte. Die ist wenig hoffnungsvoll, nicht nur aufgrund ihrer Verortung in die Innenstadt (downtown). “Downtown, where depression’s just status quo”, singt unser Protagonist Seymour (Rick Moranis) hier zu Beginn des Films, der in diesem nur eine von vielen verlorenen Figuren darstellt.

Als Waisenjunge, der von seinem jetzigen Arbeitgeber, Florist Mr. Mushnik (Vincent Gardenia), aufgenommen wurde, hat es Seymour nicht leicht, aber wie Kollegin Audrey (Ellen Greene) zeigt, kann es einen auch noch schlechter treffen. Sie wird von ihrem Freund, Zahnarzt Orin (Steve Martin), misshandelt. “If he does this to me when he likes me, imagine what he’d do if he ever got mad”, sinniert diese, als sie ein Trio von Straßenteens auf ihre Lage anspricht. “That poor child suffers from low self-image”, realisieren diese sogleich das Problem. Dieses ist es auch, dass eine Romanze zwischen Seymour und Audrey zuerst erschwert. Weniger die Tatsache, dass Seymour nicht gut genug für Audrey ist, als dass diese es andersherum sieht.

Generell ist das Leben in Downtown nicht leicht (“You put in eight hours for the powers that have always been”, singt eine Arbeiterin in “Skid Row”), als Folge floriert auch das Blumengeschäft von Mr. Mushnik nicht. Das soll sich ändern, als Seymour eine neue exotische Pflanze – Audrey II (Stimme: Levi Stubbs) getauft – ins Schaufenster stellt, die er jüngst für $1.95 während einer Sonnenfinsternis erworben hat. “Excuse me, I couldn’t help noticing that strange and interesting plant”, taucht sogleich ein Kunde (Christopher Guest) im Laden auf. Doch der neue Erfolg des Geschäfts kommt nicht ohne Preis daher, wie Seymour schon bald feststellt. Denn Audrey II verlangt es nach menschlichem Blut, um ihrerseits weiter wachsen zu können.

“A lot of folks deserve to die”, macht Audrey II in der Folge Seymour zu ihrem Mittäter. Und Mr. Mushniks Geschäft zum “little shop of horrors”. Dabei hatte ein Chorus eingangs noch gewarnt: “everybody better beware”, doch wie in einer griechischen Tragödie war alles vergebens. Der Niedergang der Menschheit wird von Ashman und Menken dabei herrlich komisch inszeniert, von Seymours „gescheitertem“ Mordversuch an Orin und dann dessen Leichenbeseitigung per Stadtbahn bis hin zu Audrey IIs intrigantem Spiel (in einer Szene ruft sie ihre Namensvetterin an und überprüft das Telefon anschließend auf Restgeld). Kleine Highlights sind auch die Cameos von John Candy als Radiomoderator und Bill Murrays masochistischer Zahnarztpatient.

Star des Films, neben den herausragenden praktischen Effekten von Audrey II, welche die Puppe gemeinsam mit Levi Stubbs’ Synchronisation zu einer authentischen Figur im Ensemble machen, sind aber natürlich die grandiosen Songs von Alan Menken. Diese überzeugen einerseits durch ihre gefälligen und variationsreichen Kompositionen wie im Falle von “Da-Doo”, aber auch durch deren Verbindung mit den Lyrics sowie der Lyrics mit der Handlung und ihren Charakteren. “You’ll be a dentist”, singt Rock-Zahnarzt Orin da auf seinem Motorrad in “Dentist!”, während er seine „Origin Story“ für uns reflektiert. “You have a talent for causing things pain.” Menken untermauert hier, dass ein Musicalfilm wahrlich nur so gut wie seine Songs ist.

Zugleich stellt das Remake von Roger Cormans 1960er Original gegenüber diesem klar eine Verbesserung dar – was allerdings auch nicht sonderlich schwer ist. “The original (…) began almost as a joke”, erinnert sich Corman. Innerhalb von zwei Tagen auf einem bereits existierenden Set gedreht, repräsentiert The Little Shop of Horrors jenes preisgünstige und effiziente Arbeiten, das Cormans Karriere ausmachte. Frank Oz’ Broadway-Adaption kam nun pompöser und mit einem Millionen-Budget ausgestattet daher – und avancierte 1986 zum moderaten Erfolg. Wenn auch nicht ganz so bedeutsam wie ein Vertreter Seymour gegenüber um Audrey II wirbt. “This could be bigger than Hula-Hoops”, hofiert der um die Vertriebsrechte.

Wo hier in der Kinofassung nun der Showdown zwischen Seymour und Audrey II den klassischen Filmverlauf nimmt, gerät die Ursprungsfassung respektive der Director’s Cut sehr viel „depressiver“. Wie schon Audrey ergibt sich auch Seymour quasi seinem Schicksal, während “the mean green mother from outer space” in einer epischen Zerstörungsorgie das Kommando über die Erde an sich reißt. Selten – abgesehen von Roland Emmerichs Filmen – war der Untergang der Welt wohl unterhaltsamer inszeniert. Und das zeichnet Little Shop of Horrors aus: dass er sich so gut anfühlt, obwohl das, was passiert, nicht wirklich gut ist. Zumindest der Zuschauer entkommt auf diese Weise für anderthalb Stunden seinem depressiven Status quo.

8.5/10

23. April 2016

Event Horizon

Where we’re going, we won’t need eyes to see.

Es war John F. Kennedy, der in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts das New Frontier vom Westen der USA in das Weltall hinein verlagerte. Nur dort könnten und würden noch unentdeckte Welten auf die Menschheit warten und Überraschungen sowie neue Reichtümer bereithalten. Doch was der Mensch nicht kennt, das macht ihm Angst. So war es schon immer. Insofern kann das Weltall – welches ohnehin über eine menschenfeindliche Umgebung verfügt – nur als potentielle Gefahr gesehen werden. Sei es eine tödliche außerirdische Rasse oder einfach nur der blanke Wahnsinn. Innerhalb dieses Kanons ist Paul W.S. Andersons Event Horizon eher ein Schwarzes Schaf. Von den Kritikern gebrandmarkt, von den Fans geliebt.

Der gesamte Film ist dabei gespickt mit verschiedenen Genreübergreifenden Filmreferenzen, angefangen mit der bildlichen Überleitung vom Paramount Logo in die eigentliche Handlung wie man es aus der Indiana Jones-Reihe kennt. Dies setzt sich im Laufe des Films dann fort, wenn Querverweise zu 2001: A Space Odyssey, Alien oder Vertigo eingebaut werden. Am offensichtlichsten ist Paul W.S. Andersons zweiter Kinofilm jedoch eine Weltraumvariante von Stanley Kubricks The Shining – etwas, das der Film jedoch auch zu keinem Punkt bestreitet. Neben einer Blutwelle finden sich zum Beispiel auch Elemente wie die tote Frau im Bad oder der Wahnsinn eines Mannes durch seine besessene Umgebung in Event Horizon wieder.

Aber auch außerhalb der Referenzen spielt Anderson viel mit Symbolik. Man nehme allein die Form der „Event Horizon“, die der eines Kreuzes entspricht. Oder die Szene, in welcher Kathleen Quinlans Figur ihrem kranken Sohn in einen Gang folgt, der die Kontur eines Sarges hat. Grandios auch Andersons mehrfach angewendete Pupilleneinstellung, wo Pupille und Antrieb der „Event Horizon“ miteinander verschmelzen. Die Effekte überzeugen, selbst wenn ihre Künstlichkeit gerade in der Blu-Ray ziemlich deutlich wird. Hinsichtlich eines Budgets von gut 70 Millionen Dollar erstaunt dies doch etwas, bedenkt man, dass ein Film wie X-Men, der drei Jahre später erschien, bei einem ähnlichen Budget sehr viel überzeugender aussieht.

Bereits zu Beginn wird eine Verbindung zwischen dem Schiff und seinem Konstrukteur, Dr. Weir (Sam Neill), hergestellt. Dies setzt sich in der Figur von Miller (Laurence Fishburne) fort, dessen Äußerungen (“This place is a tomb”) ähnlich wie Justins (“Looks like a meat grinder”) die bevorstehenden Ereignisse vorwegnehmen. Was es genau mit der „Event Horizon“ auf sich hat, bleibt unklar, außer, dass sie über ein künstliches Schwarzes Loch in eine andere Dimension, in der Chaos herrscht, reiste. “The most destructive force in the universe... and you’ve created one?”, fragt Starck (Joely Richardson) verstört. Hier schlägt Anderson die Brücke zu Oppenheimer und Colt, deren Erfindungen nicht minder zum Tod von Menschen geführt haben.

Da mag man es dem Film verzeihen, wenn er hin und wieder etwas aus der Bahn gerät. Sei es die  etwas konstruiert wirkende „liberate me/liberate tuteme“-Szene oder der Aspekt, dass das Schiff seiner Crew ihre Sünden vorhält, nachdem es in einer Welt des Chaos’ abgetaucht war. Die Atmosphäre stimmt dennoch, die „Event Horizon“ ist düster, kalt und mit Blut und Eingeweiden besudelt. Ein dämonisches Schiff, hinterlegt von den unentwegt tobenden Stürmen des Saturns. Die Spannung steigt mit der Öffnung des Antriebes und Justins Unfall. Zwar ist der Wandel von Weir nicht wirklich überraschend, aber sieht man sich Danny Boyles Sunshine an, doch nachdrücklich. Gegen Ende geht der Handlung allerdings etwas die Luft raus.

Das große Finale wirkt abgekupfert und die finale Einstellung orientiert sich wieder am stilbildenden Horror-Kino. Mit seinen großen Vorbildern von Kubrick und Scott kann sich Anderson mit Event Horizon zwar nicht messen, aber ein Meistwerk wollte sein Film sicher auch nie sein. Den Kultstatus, welchen der Film nach seiner DVD-Veröffentlichung erfuhr, wird er da schon eher gerecht. Zwar sind die Effekte teilweise stark künstlich, doch ordnen sie sich der Handlung unter. Von dem Schauspielerensemble stechen wenig überraschend speziell Fishburne und Neill heraus, die beide sehr engagiert bei der Sache sind. Insgesamt ist Event Horizon ein liebenswerter kleiner Horrorfilm, den man in sein Herz schließt, auch wenn er seine Fehler hat.

7/10

16. April 2016

Vorlage vs. Film: Stand by Me

The Body (1982)

Stephen King gehört zu den ganz großen Schriftstellern der Geschichte – zumindest wenn es um die Anzahl von filmischen Umsetzungen geht. Da sind die Werke von Shakespeare, Dickens, Chekhov und Co. ordentlich dabei, aber eben auch der 68-Jährige aus Maine. Über 50 Filme basierend auf seinen Arbeiten führt Wikipedia, allein die Hälfte davon entstanden in den 90er Jahren. Erstaunlich für einen Mann, der bis heute 54 Romane verfasst hat – aber eben auch fast 200 Kurzgeschichten. Eine solche ist auch The Body, die 1982 gemeinsam mit Rita Hayworth and Shawshank Redemption in dem Sammelband Different Seasons erschien. Auf rund 72 Seiten erzählt King darin die Coming-of-Age-Story vierer Jungs während eines Sommers.

Die Handlung beginnt relativ harmlos und doch dramatisch zugleich: Kurz vor Ende der Sommerferien im Jahr 1960 erfahren im fiktiven Ort Castle Rock die vier Freunde Gordie, Chris, Teddy und Vern von dem Aufenthaltsort eines vermissten Jungen. Der soll von einem Zug überfahren einige Meilen entfernt im Wald liegen, wo ihn Verns älterer Bruder mit einem Kumpel fand. “So when a boy dies out in the forest, it’s a chance to see something they have never seen in their lives: a dead body”, heißt es in der Einleitung. “Their journey will teach them as much about life as about death”. Die Jungen, an der Grenze vom Kind zum Jugendlichen stehend, lernen innerhalb weniger heißer Tage, was es bedeutet, erwachsen zu werden.

Zwei Tage lang eisen sich die Vier von ihrer Familie los, um den Bahngleisen zur Leiche ihres Altersgenossen zu folgen. Dabei macht Gordie als Erzähler klar, dass die Clique durchaus etwas gespalten ist, indem Teddy und Vern offen als dumm bezeichnet werden, während Chris als Delinquent daherkommt. Hierbei ist die Geschichte direkter und weniger emotional als es die Verfilmung von Rob Reiner sein sollte. “Your friends drag you down, Gordie. Don’t you know that?”, macht Chris da seinem intelligenteren Freund deutlich, dass sich ihre Wege trennen werden. “You can’t save them. You can only drown with them.” Eine Ansprache, nicht unähnlich zu der Rede, die Ben Affleck Jahre später Matt Damon in Good Will Hunting geben würde.

Im Gegensatz zum Film spielt auch Gordies Bruder Dennis eine kleinere Rolle. Wo dieser im Film zum Vorbild stilisiert wird, ist seine Rolle bei King etwas ausgearbeiteter und doch passiver. Es wird erwähnt, dass Gordies Eltern keine Kinder bekommen konnten, ehe die Mutter plötzlich mit Dennis schwanger wurde. Fünf Jahre später kam dann noch Gordie hinzu. “For my parents, one gift from God was enough”, so Gordie. Die Beziehung zu Dennis war nicht minder unterkühlt, nicht zuletzt aufgrund des Altersunterschieds. “We rarely did things together”, erzählt der kleine Bruder. Dennis’ Tod berührt ihn daher nur bedingt, weshalb die Geschichte auch ohne die Basecap-Szene mit Ace Merrill und “Eyeball” Chambers auskommt.

Generell tauchen Ace und seine Gang nur im Off auf, ehe beide Gruppen schließlich die Leiche von Ray Brower inmitten eines heraufziehenden Sturms finden. Wo Reiners Film die Androhungen der Gang nach versagter Leichenüberführung schlussendlich ins Leere laufen lässt, berichtet Stephen King durchaus von den Konsequenzen der vier Freunde. So hagelte es für Gordie und Chris gebrochene Knochen, für Teddy und Vern immerhin üble Abreibungen. Obendrein findet The Body ein so abruptes wie düsteres Ende, denn Ray Brower wird nicht die einzige Leiche bleiben. Zusätzlich zu Chris sterben auch Teddy und Vern jung. Nur Gordie überlebt die sechziger Jahre und blickt mit 34 Jahren auf die Ereignisse aus der Jugend zurück.

Eine echte Sympathie mit Gordie will sich während der Lektüre nicht wirklich einstellen, wozu auch seine distanzierten Beschreibungen von Dennis über Teddy und Vern beitragen. Nur zu Chris scheint er eine echte Beziehung zu haben. Das Ende der Geschichte ist nichtsdestotrotz tragisch, da bis auf Gordie alle Figuren als gescheitert betrachtet werden müssen. Sie alle leb(t)en jenes “loser’s life”, von dem Gordie sprach, welches er jedoch vermied. Inwieweit die Ereignisse um Ray Browers Tod in jenem Sommer sie geformt oder beeinflusst haben, bleibt dabei unklar. Außer, dass sie Jahre später Gordie für eine Kurzgeschichte dienen würden. “Some people drown”, heißt es da gegen Ende betrübend, die Worte von Chris reflektierend.


Stand by Me (1986)

«Have gun will travel reads the card of a man,
a knight without armor in a savage land.»


Wer im Kindesalter Filme mit Gleichaltrigen sieht, wird zu diesen vermutlich eine ganz eigene Bindung aufbauen. Egal ob dies nun The Goonies betrifft oder Stand by Me. Was beide Filme eint, ist das Erleben eines Abenteuers, wie es für Kinder in dem Alter – zumindest für ihr Empfinden – nicht ungewöhnlich ist. Auch wenn die „wahren“ Abenteuer sich nicht um Piratenschiffe oder das Finden einer Leiche drehen. “I was twelve going on thirteen the first time I saw a dead body”, berichtet uns ein Erzähler (Richard Dreyfuss) zu Beginn des Films. Das Ganze geschah im Sommer des Jahres 1959. “A long time ago – but only if you measure it in terms of years.” Auslöser ist eine weitere Leiche: die eines guten Freundes jener Zeit.

Reiner nimmt in seiner Verfilmung den Tod von Chris (River Phoenix) vorweg, ehe wir die Figur überhaupt kennenlernen. Seine Ermordung gut 26 Jahre nach den Ereignissen des Films führt zur Reflexion des alten Gordie an sein jüngeres Ich (Wil Wheaton). Der war einer jener spärlichen 1.281 Einwohner von Castle Rock “but to me it was the whole world”. Vielleicht weil sich der Sommer dem Ende neigt und sie sowieso nichts besseres zu tun haben, beschließen Chris, Gordie sowie Teddy (Corey Feldman) und Vern (Jerry O’Connell) sich die Leiche von Ray Brower anzusehen, nachdem Vern seinen älteren Bruder belauscht hat. Abgesehen von der Einleitung des älteren Gordie folgt Reiner vom Aufbau her praktisch haargenau Kings Vorlage.

Mit einigen Ausnahmen, geht der Regisseur doch an manchen Stellen ins Detail, die King nur oberflächlich berührt hat. Hier ist Widersacher Ace (Kiefer Sutherland) weitaus präsenter im Film als in der Kurzgeschichte und erhält früh ein Gesicht zu seinem Namen. So unterbricht Reiner das Abenteuer von Gordie und Co. für Szenenwechsel zu Ace und seiner Gang und unterstreicht das Draufgängertum von Ace. Zudem lässt er ihn eingangs direkt mit Gordie und Chris zusammenstoßen und verbindet diese Szene mit einer weiteren Vertiefung, die King aussparte: der Beziehung von Gordie zu seinem älteren und wenige Monate zuvor unglücklich verstorbenen Bruder Dennis (John Cusack) sowie dessen Schatten auf seinen kleinen Bruder.

Die Umstände von Dennis’ Bevorzugung aus der Vorlage fehlen im Film. Reiner macht ihn einfach zum Lieblingssohn, für den im Gegensatz zu den Eltern Gordie nicht unsichtbar ist. Er liest und schätzt die Kurzgeschichten seines Bruders und schenkt ihm seine Mütze, die Gordie später von Ace entwendet wird. Die familiäre Situation ist es auch, die Gordie im Verlauf in einer Albtraumszene verfolgt, die King in der Vorlage auf die Beziehung der Freunde münzte. So wärmer das Band zu Dennis Gordie hier auch zeichnet, irritiert die eher unterkühlte Wahrnehmung des Brudertodes. Film-Gordie scheint emotional ähnlich wenig betroffen von Dennis’ kürzlichem Ableben wie Buch-Gordie. Was die Basecap-Episode folglich etwas unnütz macht.

Generell erscheint die vielfache Integration von Ace nicht wirklich notwendig, nur um die Figur fieser und bedrohlicher zu gestalten. Stattdessen hätte Reiner die Zeit aufwenden können, um die Freundschaft der Jungs zu vertiefen. Zumindest werden diese nicht im selben Maße denunziert wie bei King, Stand by Me lässt eher seine Bilder sprechen. Allerdings ähnlich wie bei Dennis’ Hintergrund Details aussparend. So gelingt es King, den emotional unstabilen Teddy mit wenigen Zeilen tiefgründiger zu zeichnen als dem Film, der Teddys Übermut (“Train dogde. Dig it?”) als Charaktereigenschaft darstellt. Insgesamt ist es bedauerlich, dass sowohl Stephen King als auch Rob Reiner mit Teddy die wohl komplexeste Figur etwas vernachlässigen.

Auch der Film fokussiert sich primär auf die Beziehung von Gordie und Chris, und den drohenden Abschied der Clique voneinander, indem sie bald unterschiedliche Bildungs- und Karrierewege wählen. Wenn sowohl Kings Geschichte als auch Reiners Film daher Gordie sagen lassen “We knew exactly who we were and exactly where we were going”, stellt das natürlich eine Selbstlüge dar. Von ihnen allen scheint sich höchstens Chris mit der Zukunft zu befassen – und das auch nur insofern, als dass er sich aufgrund seines biografischen Hintergrunds bereits abgeschrieben hat. Die Geschichte dreht sich vielmehr um jene Zeit, ehe sich der Selbstfindungsprozess ankündigt, der einen womöglich begleitet, bis man um die 30 Jahre alt ist.

Insofern fängt Stand by Me besser als The Body die letzten Tage kindlicher Unschuld ein (“You think Mighty Mouse could beat up Superman?”), von Reiner exemplarisch in der Lagerfeuerszene eingefangen. Hier wird PEZ mit Kirschgeschmack als lebenslange Nahrung erkoren und Gordie darf eine Kurzgeschichte nicht nur andeuten, sondern in Person von “Lard Ass” auch auserzählen (als Geschichte in der Geschichte einer Geschichte). Da ist es ironisch, dass diese ähnlich abrupt endet wie Kings The Body – was auch von den übrigen Jungs entsprechend kritisiert wird. Zugleich sorgt die Lard-Ass-Geschichte für einen Moment der Aufheiterung inmitten einer Handlung, die sonst – wenn auch etwas unscheinbar – reichlich dramatisch daherkommt.

Von Teddys Bestreben, einem Zug ausweichen zu wollen (wovor ihn im Film Chris, bei Stephen King allerdings Gordie bewahrt), über die riskante Brückenüberquerung, die Gordie und Vern nur knapp überstehen, bis hin zu Gordies „Flucht“ vor Hund Chopper (“Chopper, sic balls!”) und Teddys anschließendem Zusammenbruch. Von allen Vieren ist Vern der einzige, der sich keinen Dämonen stellen muss, während Gordie, Chris und Teddy mit ihren Vätern sowie ihrer Stellung in ihrer Umwelt hadern. Die Suche nach einem zwölf Jahre alten Leichnam, eigentlich als vergnügliches Abenteuer geplant, gerät für die Freunde immer emotionaler. “Maybe it shouldn’t be a party”, realisiert auch Gordie kurz bevor sie Rays Leiche entdecken.

Ähnlich wie bei Teddys Zugausweichen ändert Reiner im Finale wieder ein paar Details. Den Sturm, der während der Konfrontation mit Ace und Co. aufzieht, spart der Regisseur aus. Und lässt Teddy und Vern weitaus früher vor den älteren Jungs das Weite suchen. Hier ist es nun Gordie und nicht Chris, der den Revolver, den Letzterer sich von seinem Vater ausgeborgt hat, auf Ace richtet. Wenn man so will eine Art Rache für den Basecap-Diebstahl zuvor. Das Ende ist dann etwas versöhnlicher, lässt Reiner doch nicht nur die Tracht Prügel unter den Tisch fallen, sondern auch Vern und Teddy mit dem Leben davonkommen. Selbst Chris wird nicht während seines Jura-Studiums umgebracht, sondern erst Jahre später, wenn er bereits Anwalt ist.

Nachvollziehbare Änderungen, die einen weniger bedrückt zurücklassen und somit Stand by Me mehr etwas von einer positiven Erinnerung verleihen. Der Film profitiert dabei fraglos von seinem starken Ensemble, allen voran die Jungdarsteller um River Phoenix und Corey Feldman sind perfekt besetzt und bringen ihre Charaktere authentisch rüber. Mit den passenden Hit-Songs jener Epoche ist Stand by Me eine überaus gelungene Adaption (auch King favorisiert sie unter all seinen Verfilmungen), die absolut nostalgisch gerät. Vielleicht auch, weil man mit ihr aufwuchs, wo jeder Film noch besonders wirkte. Sodass man ein Zitat des Films ummünzen könnte: I never had any films later on like the ones I had when I was twelve. Jesus, does anyone?

9.5/10

9. April 2016

Anomalisa

I want to be the one who walks in the sun.

Gemeinsam einsam wäre so ein Spruch, der ziemlich treffend das Schaffen von Drehbuchautor Charlie Kaufman beschreibt. Themen wie Einsamkeit, Beziehungen, Liebe und personelle Leere ziehen sich durch dessen Œuvre von Being John Malkovich über Adaptation und Eternal Sunshine of the Spotless Mind bis hin zu seinem meisterhaften Regiedebüt Synecdoche, New York. Sieben Jahre nach dessen Veröffentlichung erscheint nun in Anomalisa endlich der neuste Beitrag aus Kaufmans Filmografie. Mittels Stop-Motion-Technik und Puppen aus dem 3D-Drucker widmet sich der Auteur hier wieder mal kongenial seinen klassischen Themen, wenn er einen verlorenen Motivationsredner bei einem Geschäftsausflug nach Cincinnati begleitet.

Wenn er doch schon in der Stadt sei, solle er sich den Zoo ansehen, wird Michael Stone (David Thewlis) von seinem Taxifahrer empfohlen. Auch die städtische Chili-Variante dürfe er nicht verpassen: “You should check it out.” Stattdessen ordert Michael in seinem Hotelzimmer vom Room Service und nach einem kurzen Anruf zu Hause bei Gattin und Sohn wählt er die Nummer seiner Ex-Freundin Bella, die er vor elf Jahren überraschend verließ. “Fuck you. Just fuck you”, verabschiedete diese ihn in einem Brief seinerzeit – und ist über das überraschende Wiedersehen wenig erbaut. Er sei einfach sehr einsam, erklärt Michael. “And we had something. And I thought maybe we could figure out what it was”, so die Hoffnung des gebürtigen Engländers.

“There’s something wrong with me”, weiß Michael. Nur was, ist ihm nicht gewiss. Die Figur scheint am Fregoli-Syndrom zu leiden, die alle Menschen als eine einzelne Person wahrnimmt. Als Folge haben Charlie Kaufman und sein Co-Regisseur Duke Johnson den anderen Figuren abseits von Michael dasselbe Gesicht verliehen, wie sie alle – egal ob Mann, Frau oder Kind – von Tom Noonan gesprochen werden. Umso erstaunter reagiert Michael dann, als er von seinem Zimmer aus eine andere, weibliche Stimme wahrnimmt. Die gehört wiederum zu Lisa (Jennifer Jason Leigh), die ein paar Zimmer weiter mit ihrer Freundin und Kollegin Emily eingemietet ist, weil sie als Fans von ihm eigens aus Akron für Michael Vortrag am Folgetag angereist sind.

Michael sucht daraufhin den Kontakt und schafft es auch kurz darauf, mit Lisa allein zu sein, in deren Stimme er sich verliebt. “They’re all one person”, erklärt er der schüchternen Kundenservice-Angestellten. “Everyone is one person but you and me.” Hierin liegt seine Faszination von Lisa, die so überrascht wie erfreut von seinem Interesse an ihr ist. Sie selbst war seit acht Jahren in keiner Beziehung mehr und scheint körperlich wie bildlich gebrandmarkt. Zu ihren Lieblingsliedern gehört Cyndi Laupers “Girls Just Wanna Have Fun” und wenn Lisa in Michaels Hotelzimmer eine A-cappella-Version des Lieds anstimmt (“oh mama dear we're not the fortunate ones”), berührt das nicht nur ihr Gegenüber, sondern auch den Zuschauer.

“I want to be the one who walks in the sun”, verrät Lisa und man möchte ihr Puppenkorsett nur noch in den Arm nehmen. Michael ist da schon einen Schritt weiter, und auf und dran von seiner Paranoia eingeholt zu werden. “I lose everyone”, äußert er seine Befürchtung, die sich kurz darauf bewahrheitet und Lisa als jüngstes Glied in eine lange Kette gescheiterter Bekanntschaften einreiht. Nun wird deutlicher, wieso seine Beziehung zu Bella scheiterte und wieso die Ehe mit Gattin Donna ebenfalls im Argen liegt. “I’ve been running for a long time now”, gesteht der demotivierte Motivationsredner. Inzwischen nur noch ein Schatten seiner selbst. “What is it to be human?”, fragt sich die Figur zum Schluss. “What is it to ache?”

Am Rande, wenn auch nur minimal, brechen Kaufman und Johnson im Verlauf von Anomalisa eine weitere Ebene ein, wenn Michael hinter die artifizielle Kulisse seines Daseins zu blicken scheint und sich in einer Szene buchstäblich selbst demaskiert. Zugleich gerät die Zusammenstellung der Puppen bisweilen leicht irritierend, da ihre Linien im Gesicht gerade bei Michael teils den Eindruck erwecken, er würde eine Brille tragen. Ohnehin wäre es der Geschichte vielleicht zum Vorteil gereicht, wenn Kaufman sie nicht als Puppentheater inszeniert, sondern eine Realverfilmung angestrebt hätte. Ungeachtet dessen ist die Umsetzung mit den 3D-Puppen prinzipiell jedoch gelungen und auch über weite Strecken durchaus voller Details.

Obschon eher von tragikomischer Note findet sich im Film auch vereinzelt klassischer Kaufmanscher Humor. Beispielsweise wenn Michael während seiner Taxifahrt das “Flower Duet” aus Léo Delibes’ Oper Lakmé pfeift und der Taxifahrer darauf besteht, es handele sich um British Airways. Oder auch, wenn er auf der Suche nach einem Spielwarengeschäft stattdessen in einem Sex-Shop landet. Bezeichnend ist auch eine Szene, als Michael im Hotelflur zur Eismaschine geht und vor dem Fahrstuhl ein frischvermähltes Ehepaar trifft, dass sich primär mittels der Phrase “Fuck you” unterhält. Um Beziehungen ist es in der Welt eines Charlie Kaufman wahrlich nicht gut bestellt. Wirkich glücklich ist im Universum von Anomalisa keine Figur.

Das ist natürlich ein ausgesprochen düsteres Bild – oder wäre es, würde der absurde Humor des Auteurs nicht für erhellende Momente sorgen. Tonlich wie thematisch reiht sich Anomalisa dabei grundsätzlich nahtlos an Charlie Kaufmans Vorgänger wie Adaptation und Eternal Sunshine of the Spotless Mind ein. Jennifer Jason Leigh ragt klar aus dem soliden Voice Cast heraus, indem sie Lisa eine herzliche Wärme und Menschlichkeit schenkt. Mit rund 80 Minuten ist der Film zugleich erfrischend kurzweilig und lädt wie alle Werke Charlie Kaufmans zu Wiederholungssichtungen ein, die sein Erfassen verstärken. Und wenn nicht, auch halb so wild, wie Michael in einer Szene selbst bemerkt: “Sometimes there’s no lesson. That’s a lesson in itself.”

8/10

2. April 2016

Bitch Planet #6-7

You shit the bed, Mack.

Die Zeit berichtete zuletzt von Wissenschaftlern, laut denen Männer in gerechteren Gesellschaften über eine höhere Lebensqualität verfügen würden. Hätte das mal einer dem Patriarchat in Bitch Planet mitgeteilt, dann würden sich dort vielleicht weitaus mehr Männer für Feminismus einsetzen als nur Makoto Maki. Der ist Architekt und Vater von Meiko Maki, einer der Insassen von Bitch Planet, auch bekannt als Auxiliary Compliance Outpost. Überraschend kam Meikos Tod am Ende eines Megaton-Übungsspiels in Ausgabe #5 – auch, weil die Figur drei Ausgaben zuvor offenbarte, dass sie ein wertvolles Mitglied eines potentiellen Fluchtversuchs sein könnte. In Ausgabe #6 wird Meiko nun wie zuvor Penny (#3) eine Rückblende beschert.

Sie widmet sich aber nicht nur Meiko, sondern auch ihrem Vater Makoto aka “Mack”. Der erweist sich durchaus als Feminist, der mit Gattin Yume versucht, sich gegenüber dem Protectorate subversiv zu geben. So unterrichtet Yume Mädchen unter dem Vorwand des Musikunterrichts tatsächlich Mathematik. Und Mack kriegt zwar automatisch die SMS-Nachrichten seiner Töchter zum Lesen – tut dies aber nicht. “I figure if there’s anything in there I need to know, you’ll tell me”, schenkt er Meiko Vertrauen. Und bezieht diese auch in seine rebellischen (Bau-)Pläne ein, die ihm schließlich um die Ohren fliegen und letztlich mitverantwortlich sind, dass Meiko im Gefängnis landete, statt Gleichberechtigung zu erfahren.

“The world is so broken”, klagt Yume, während Meiko im Verlauf ihres Lebens wiederholt Opfer von „einsamen“ Männern wird, die ihre Einsamkeit über die Rechte der Frau stellen. “The soul supports the structure”, vergleicht Meiko den weiblichen Körper mit dem einer Violine. “It keeps the body from collapsing under the pressure.” Wie sich im Auftakt zu Ausgabe #7 zeigt, ist jedoch nicht nur Feminismus ein Thema von Kelly Sue DeConnicks und Valentine De Landros Bitch Planet, sondern auch Rassismus. Bereits in den letzten Ausgaben waren Vorurteile gegen Farbige Thema, in der jüngsten Ausgabe noch direkter, wenn ein weißer Sicherheitsbeamter den Mord an drei schwarzen Schulkindern anordnet (“Yeah… they look sketchy to me”).

Nicht mehr als eine kurze Episode in jener Ausgabe – und somit quasi eine zynische Analogie auf die Realität. Ansonsten teilt sich die Handlung auf in Makotos Besuch von Bitch Planet, wo er für Father Josephson innerhalb von sechs Wochen ein Megaton-Feld bauen soll. “They’re expecting record engagement for the first off-world match, so there’s a lot riding on this”, weiß Mack. Und hofft auf ein Wiedersehen mit Meiko, über deren Mord er noch nicht unterrichtet wurde. Kamau treibt wiederum ihre Nachforschungen über die Einrichtung und ihr Ausmaß voran, während sie und die restlichen Häftlinge den Bau des Spielfelds beginnen. Und Aufseherin Whitney sieht sich mit weitreichenden Konsequenzen für den Tod von Meiko konfrontiert.

Inhaltlich tut sich also weiter bedingt wenig und vermutlich wird die Handlung auch erst anziehen, wenn sich das Megaton-Match nähert. Zumindest das Feminismus-Thema wird sich in Person von Makoto etwas stärker gewidmet. “This book does not offer answers”, räumt Kelly Sue in ihrem Editorial zur Ausgabe #6 ein. “What we have, are questions.” Am zentralsten wird das Thema des Comics immer noch in den Essays der Gastautorinnen und im Dialog mit Leserbrief-Schreibern diskutiert. Weshalb beide leider immer stärke Ausmaße annehmen. Mit 30 Prozent entfallen fast ein Drittel jeder Ausgabe auf Essays (sowie Strickanleitungen im NC-Design) und Leserbriefe. Letztere nehmen allein elf Prozent ein. Etwas arg viel.

In der Folge wirkt Meikos Rückblende wie Pennys zuvor etwas schnell abgehackt, ohne sich tiefer der Figur zu widmen. Allgemein ist enttäuschend, dass die Leser bisher keinen wirklichen Zugang zu den Charakteren erhalten (nicht einmal Kamau), jenseits der Tatsache, dass sie als Frauen unterdrückt werden. So kann man sich mit dem Thema identifizieren, mit den Frauen, die dieses tragen, allerdings nur bedingt. Was etwas schade ist und angesichts dessen, dass auch Ausgabe #7 weiterhin primär Exposition betreibt, meine Anteilnahme – oder: engagement – leicht ausbremst. Will sich also durch Bitch Planet eine höhere Lebensqualität zumindest in meinem Fall einstellen, sollten DeConnick und De Landro langsam mal in die Puschen kommen.

6.5/10