24. Juli 2015

While We’re Young [Gefühlt Mitte Zwanzig]

Are you filming this?!

Man muss nicht zwingend in seinen Vierzigern sein, um sich mit Noah Baumbachs jüngstem Werk While We’re Young – bei uns als Gefühlt Mitte Zwanzig vertrieben – identifizieren zu können. Ich selbst bin zwar gefühlt Mitte 30 und auch nicht mit Naomi Watts verheiratet, dennoch kann ich gut nachempfinden, was Baumbach hier seinen Figuren – wie bereits in Frances Ha – auf den Leib geschrieben hat. Ben Stiller und Naomi Watts spielen in While We’re Young die Eheleute Josh und Cornelia, sie Anfang, er quasi Mitte Vierzig. Alle ihre Freunde schieben inzwischen Kinderwägen durch New York und besuchen verquere Kita-Musik-Sessions. Nicht so Josh und Cornelia, die in der Vergangenheit bereits zwei Fehlgeburten zu bewältigen hatten.

Beide versuchen das Beste draus zu machen. “I like our life”, meint Josh. Wenn sie wollten, könnten sie morgen spontan nach Europa, hebt Cornelia hervor. Gut, man müsste wohl doch eher einen Monat vorplanen, räumt Josh ein. “A month is still in the realm of spontaneity”, resümiert die Gattin. Eine neue Dynamik gewinnt ihr Leben, als Dokumentarfilmer Josh in einer seiner Hochschulklassen das junge hippe Twen-Ehepaar Jamie (Adam Driver) und Darby (Amanda Seyfried) kennenlernt. Die nehmen Josh und Cornelia bald mit auf Spaziergänge durch U-Bahn-Tunnel, zu Hip-Hop-Tanzkursen oder Partys mit Halluzinogenen, Kotzkübeln und dem Blade Runner-Soundtrack. In Gesellschaft des jungen Paars fühlen sie sich nun selbst wieder jung.

Zugegebenermaßen betreibt Baumbach diesen Kontrast der Paare etwas mit der Holzhammer-Methode. Wo Cornelia ein eBook liest, blättert Darby durch ein echtes, Jamie schaut VHS-Kassetten, Josh die “Daily Show” auf seinem Smartphone, das alte Ehepaar spielt auf dem iPad, die Jungen derweil mit Brettspielen. Als den Vier ein Wort nicht einfällt, will es Josh per Handy googeln. “No, that’s too easy”, meint Darby. “Let’s try and remember it.” Vielleicht nicht zwingend ein Hipster, besticht Jamie doch neben VHS-Tapes mit einer riesigen Vinyl-Sammlung und schreibt auf einer Schreibmaschine. “It’s like their apartment is full of everything we once threw out, but it looks so good the way they have it”, bemerkt Cornelia später an einer Stelle.

Josh bewundert, wie das junge Paar im Moment lebt, weniger an Erfolg orientiert wie er selbst. Seit acht Jahren arbeitet er an seinem zweiten Dokumentarfilm, der viel zu komplex und kompliziert gerät. Entsprechend harsch fällt die Kritik seines Schwiegervaters (Charles Grodin) aus, selbst ein renommierter Dokumentarfilmer. Joshs bisherige Schnittfassung sei “a 6½ hour film that feels 7 hours too long”. Hinzu kommt, dass jene Doku-Idee, die Jamie entwickelt, sich wider Erwarten Erfolg versprechend entwickelt. Josh kämpft derweil mit Weitsichtigkeit und Arthritis. “It’s weird, you know? I’m at the age where the things you think were only going to happen when you’re older are actually happening.” Der Kinderwunsch erwacht von neuem.

Insofern ist While We’re Young gewissermaßen ein Coming-to-Age-Film, ein Abfinden mit dem eigenen Alter und dem Leben, dass dieses mit sich bringt. “You’re an old man with a hat”, wirft Josh einer seiner Freunde dessen Jugendwahn vor. Und wie sich zeigt, ist die Freundschaft der beiden Paare unterschiedlicher Generation für keines der zwei wirklich gesund, entwickelt sich doch speziell im dritten Akt des Films eine neue Dynamik zwischen den Figuren, die von Diskussionen rund um Waiting for Superman und anderen Dokumentationen inspiriert scheint. Dies wirkt jedoch etwas gezwungen und bringt nicht vollends harmonisch das zu einem Abschluss, was Baumbach in der Stunde zuvor mit viel Charme überzeugend auf die Leinwand bannte.

Etwas zwiespältig gerät da auch der Schluss, so nachvollziehbar er wohl die Katharsis der Figuren begleiten soll. Generell ist While We’re Young aber eine gelungene Komödie über das Älter sein geworden und die Zweifel, die damit einhergehen. Eine konsequente Fortführung von Baumbachs bisherigen Arbeiten wie Kicking and Screaming, Greenberg oder Frances Ha. Vermutlich dürften Zuschauer wie ich, deren Altersgenossen gerade Familien gründen und/oder Häuser bauen sich am meisten in While We’re Young und seinen Hauptfiguren wiederfinden. Aber auch „Erwachsene“ dürften an diesem jovial-juvenilen Selbstfindungstrip ihren Spaß haben, wenn sie sich noch mal wie Mitte Zwanzig fühlen wollen, selbst wenn sie bereits etwas älter sind.

7/10

18. Juli 2015

Die Top 5: Community

Cool. Cool, cool, cool.

Ted Turner sagte mal: “Just because your ratings are bigger doesn’t mean you’re better.” Und das ist wohl war – auch im Falle von Dan Harmons Sitcom Community. Jene Show über eine Volkshochschule, die wie so viele Shows jährlich um ihr Überleben kämpfte. Ähnlich wie bei Parks and Recreation war die Verlängerung um eine weitere Staffel eine jährliche Hängepartie, während die Einschaltquote sank und sank. Von 2009 bis 2015 lief Community, davon die ersten fünf Staffeln auf NBC, ehe der Sender die Serie einstellte. Aufgrund ihres Kultfaktors und treuen Fangemeinde nahm sich Yahoo der Show an und schenkte ihr 13 weitere Folgen. Der Wunsch von Harmon und der Fans (“Six seasons and a movie”) lebt somit weiter.

Seinen Anfang nahm alles in der Tatsache, dass Anwalt Jeff (Joel McHale) seinen Bachelor-Titel am Greendale Community College nachholen will. Dort macht er der Kommilitonin und politischen Aktivistin Britta (Gillian Jacobs) schöne Augen, was dann wider Willen in einer Spanisch-Lerngruppe endet. Zu dieser gehören der TV- und Filmfan Abed (Danny Pudi), der infantile High School Footballer Troy (Donald Glover), die religiöse Mutter Shirley (Yvette Nicole Brown), der alte Firmenerbe Pierce (Chevy Chase) und der Kontrollfreak Annie (Alison Brie). Aus Fremden wurden im Laufe der Zeit Freunde, die sich ihrem schrulligen Rektor, Dean Pelton (Jim Rash), und ihres wahnsinnigen Lehrers Señor Chang (Ken Jeong) erwehren müssen.

Insgesamt 110 Episoden regierte der Wahnsinn in Greendale – auch hinter den Kulissen. So musste Schöpfer Dan Harmon im vierten Jahr gehen und die Autoren David Guarascio sowie Moses Port gaben die Showrunner, ehe Harmon in Staffel 5 zurückkehrte. Dafür verließen Chase und Glover die Serie, genauso Brown im letzten Jahr. Der Community-Formel tat dies nur bedingt einen Abbruch, Harmon verstand es gekonnt, mal mit Jonathan Banks in Season 5, dann wieder mit Paget Brewster und Keith David in Season 6 der Gruppe neues Leben einzuhauchen. Solange Community in Greendale spielte, schien alles im Lot zu sein. Das College und seine inhärente Inkompetenz war der eigentliche Star in der Serie als solcher.

Was die Serie stets auszeichnete, waren ihre pop-kulturellen Anspielungen und ihre kreative Bereitwilligkeit für Konzeptepisoden – beides in der Regel von Danny Pudis Figur ausgehend. Exemplarische Episoden waren hier die Weihnachts- und Halloween-Folgen, aber auch jene Paintball-Geschichten, die der Show zu Fernsehruhm verhalfen. Community scheute sich nicht, eine ganze Folge in Claymation oder 2D-Animation zu erzählen, oder sich ganz und gar einem Kind gleich ihrer gespielten Realität hinzugeben. Hierin lag mit die enorme Kreativität der Serie begründet, die wie keine Zweite die Grenzen des Machbaren im Fernsehen auslotetet – und dabei zumeist reüssierte. Auch wenn sie dies selten konsequent durchzuhalten vermochte.

Honorable Mention: A Fistful of Paintballs (Season 2, Episode 23/Joe Russo)
Was die Show außergewöhnlich machte lobte ich seinerzeit schon in der ersten und zweiten Staffel. Jede Folge besaß zumindest ein, zwei tolle Momente – aber nur wenige waren durchgehend überdurchschnittlich. Am überzeugendsten geriet dabei die fünfte Staffel, womöglich auch deshalb, weil Harmon hier nur halb so viele Episoden zur Verfügung standen wie in den ersten drei Jahren. Somit bot sich weniger Gelegenheit, sich zu verlieren und das vorhandene Material kam gebündelter und kompakter daher. Der Serie half das wenig, mit durchschnittlich nur noch drei Millionen Zuschauern zog NBC die Reißleine – Community verabschiedete sich somit wie Parks and Recreation auf dem Höhepunkt aus dem Fernsehen (und ging ins Internet).

Auch dort funktionierte die Serie zumindest in ihren ersten und finalen Folgen weiterhin. Nicht zuletzt wegen ihrer Darsteller und deren unvergleichbarer Hingabe zu ihren Figuren und dem Konzept der Show. Insbesondere Danny Pudi, Alison Brie, Ken Jeong und Jim Rash lieferten oft schauspielerische Parforceritte ab, die ihresgleichen suchten (man denke nur an VCR Maintenance and Educational Publishing). Insofern geht der Kultfaktor von Community in Ordnung und wünscht man der Serie ihren filmischen Abschluss als letztes Hurra. Bis dahin bleibt mir nur auf die aus meiner Sicht fünf gelungensten Episoden der vergangenen sechs Jahre zurückzublicken, die mir den größten Unterhaltungswert boten:


5. Cooperative Calligraphy (Season 2, Episode 8/Joe Russo): Steht hier stellvertretend für all jene Episoden, die keine Konzeptfolgen darstellen. Als einer von Annies Kugelschreibern verschwindet, sieht sich die Gruppe gezwungen, buchstäblich blank zu ziehen, da der vermeintliche Dieb sich nicht zu erkennen geben möchte. Dabei wollen alle viel lieber zu einer Welpen-Parade. Communitys erste Bottle-Episode fördert dabei nicht nur die individuellen Charaktere der Gruppe exzellent zutage, angefangen von Annies Kontrollwahn, sondern auch verborgene persönliche Geheimnisse.

4. Geothermal Escapism (Season 5, Episode 5/Joe Russo): Der Abschied von Troy steht bevor und Abed schenkt seinem besten Freund eine Runde Hot Lava, die natürlich wieder ganz Greendale ins verspielte Chaos stürzt. Die Folge überzeugt dabei zum einen fraglos als eine Bewältigungstherapie für Abed sowie Brittas penetrantes – aber erfolgreiches – Psychologisieren, zuvorderst aber natürlich wegen der zahlreichen postapokalyptischen Referenzen à la Mad Max und Waterworld: von Changs Hook-zitierenden Locker Boys bis hin zu dem Angriff der Chair Walker auf Shirley Island.

3. Pillows and Blankets (Season 3, Episode 14/Tristram Shapeero): Als sie sich nicht einigen können, ob sie eine Kissen- oder Deckenburg bauen sollen, befeuert von John Goodmans manipulativem Vice Dean Laybourne, eskaliert der Disput zwischen Troy und Abed schließlich in eine ganz Greendale ergreifende Kissenschlacht, die in bester Manier einer PBS-Dokumentation – sogar mit Keith David als Erzählstimme – daherkommt. Gespickt mit vielen tollen Ideen wie Britta als inkompetente Kriegsfotografin, Pierce als Kissen-Doomsday-Device oder auch den diabolischen Changlorious Basterds.

2. App Development and Condiments (Season 5, Episode 8/Rob Schrab): Wie so oft ist es auch hier ein kleiner Umstand, der große Auswirkungen hat. Die Social App MeowMeowBeenz führt zu einer dystopischen Kastenbildung in Greendale, die Jeff Anreiz bietet, sich von einer 1 zur 5 hochzuschleimen, ehe er sich dann doch in einem Ego-Konkurrenzkampf mit Shirley verliert. Britta akzeptiert derweil ihre Rolle als Mustard Face Savior und Mother of Ones und startet eine Revolution, die Jeff aber schnell im Keim erstickt, weil es immerhin Samstag ist. Das Koogler-Tag bildet den krönenden Abschluss.

1. Modern Warfare (Season 1, Episode 23/Justin Lin): Wenn es um Konzept-Folgen geht, geht in Community nichts über Paintball (wie die Show selbst in der soliden Season-6-Paintball-Folge Modern Espionage bemerkt). Allesamt sehenswerte Episoden, in denen der Wahnsinn in Greendale Blüten trägt und das Ensemble sich voll ins Konzept reinhängt, ist dieser Auftakt, in dem Dean Pelton fataler Weise Erstregistrierung als Paintball-Preis auslobt, der Auftakt zu farblichem Chaos. Der Höhepunkt ist dabei die Hommage an John Woos Hard Boiled, wenn Señor Chang im Lernraum Britta und Jeff konfrontiert.

16. Juli 2015

Omoide no Mānī [Erinnerungen an Marnie]

She whines like an old goat.

Kaum ein Studio leistete über so viele Jahre derart bahnbrechende visuelle Arbeit wie das japanische Studio Ghibli rund um Miyazaki Hayao. Der verabschiedete sich im Jahr 2014 mit Kaze Tachinu leider in die Rente, was auch nicht ohne Folgen für Ghibli blieb. Dieses wiederum erklärte als Konsequenz, erstmal eine Produktionspause einlegen zu wollen – eine Rückkehr scheint nicht unwahrscheinlich, aber zum derzeitigen Zeitpunkt keineswegs sicher. Daher könnte Omoide no Mānī (bei uns: Erinnerungen an Marnie), der jüngste Film des Studios, womöglich auch der letzter Ghibli sein. Und sollte es so kommen, gibt es wahrlich schlechtere Filme, die am Ende einer ruhmreichen Filmografie wie der von Ghibli stehen könnten.

Erneut ließ sich das Animationsstudio dabei literarisch vom Westen inspirieren. Griff Miyazaki für Gake no Ue no Ponyo teils auf Hans Christian Andersens „Die kleine Meerjungfrau“ zurück, verwertete Yonebayashi Hiromasa für seinen Debütfilm Kari-gurashi no Arietti vor einigen Jahren Mary Nortons Kinderbuch-Klassiker „Die Borger“ (1952). Und auch für Omoide no Mānī ließ sich Yonebayashi wieder inspirieren, indem er Joan Robinsons Roman „Damals mit Marnie“ (1967) adaptierte. Der Film erzählt von der 12-jährigen Anna (Takatsuki Sara), die von Asthma geplagt ein Außenseiter-Dasein fristet. Selbstauferlegt, ist sie doch von Selbsthass geplagt, beschreibt sich als hässlich, dumm, widerwärtig und mürrisch.

Einst sei sie gefühlvoll gewesen, verrät ihre Pflegemutter Yoriko (Matsushima Nanako) eingangs nach einer Asthmaattacke Annas Arzt. Das introvertierte Verhalten der Tochter kann sie sich nicht recht erklären, schickt diese zur Erholung aber an die Küste zur Verwandtschaft. Eher widerwillig fügt sich Anna, wird jedoch an ihrem Urlaubsort sogleich von einem mysteriösen Anwesen auf der anderen Uferseite angezogen. Angeblich seit Jahren leerstehend, macht Anna nicht nur gegen Abend Lichter in dem Haus aus, sondern auch ein blondes Mädchen in ihrem Alter. Annas Neugier führt zu einer Begegnung mit Marnie (Arimura Kasumi), die sich alsbald intensiviert. „Ich kann es kaum erwarten, dich näher kennenzulernen“, freut sich Marnie.

Sie lebt ähnlich zurückgezogen wie Anna – allerdings nicht aus freien Stücken. Beide Mädchen stehlen sich die nächsten Tage bei Einbruch der Dämmerung aus ihren Häusern und verbringen die Nächte zusammen. „Du bist mein kostbares Geheimnis“, sagt Marnie zu Anna. Und versichert ihr: „Ich liebe dich mehr als jedes andere Mädchen, das ich je kannte.“ Eine Wertschätzung, die der kurzhaarigen 12-Jährigen sichtlich gut tut. Anna blüht in Marnies Gesellschaft etwas auf, wird zu dem gefühlvollen Mädchen, das Yoriko eingangs beschrieben hat. Doch Eifersucht und familiäre Widrigkeiten bedrohen die Freundschaft der beiden Mädchen, während der Zuschauer nach und nach tiefere Einblicke in Annas private Probleme erhält.

Spät gibt es Indizien für Annas Verhalten zu Filmbeginn, die im Zeichen ihrer Identitätskrise und Selbstfindung stehen. Inhaltlich beschreitet Ghibli mit Omoide no Mānī trotz der Kinderbuchvorlage mal wieder reichlich erwachsene Wege, die die Animations-Konkurrenz von Disney über Pixar bis DreamWorks so keineswegs ebenso wählen würde. Die 2D-Animation ist dabei so wunderschön und detailreich wie man es von den Japanern seit jeher gewohnt ist, erinnert dabei aber durchaus mehr an Yonebayashis Vorgänger als an die Werke Miyazakis. Speziell zum Schluss packt Ghiblis jüngster/letzter Film dann eine emotionale Wucht aus, wenn dramatische Entwicklungen über Anna hereinprasseln, die durchaus berührend geraten.

Omoide no Mānī erzählt davon, sich selbst zu finden, gerade in einer Umwelt, von der man sich zugleich losgelassen fühlt. Marnie und Anna avancieren dabei zu Projektionsflächen voneinander, die sich zuerst Halt geben, dann wiederum zur Stütze werden, wenn es gilt, auf eigenen Beinen zu stehen und in Einklang mit ihrer Vergangenheit zu kommen. Es ist eine melancholische und doch hoffnungsvolle Geschichte über Liebe, Familie und Freundschaft und in seiner Summe – sollte es so kommen – ein fraglos ergreifender Abschluss unter Ghiblis beeindruckendes Portfolio. Dieses wird hoffentlich auch ohne Miyazaki-san wirklich nach nur einer kurzen Pause fortgesetzt. Für die cineastische Rente ist es schließlich noch zu früh.

7.5/10

12. Juli 2015

Ant-Man

Like... a whistling. You know what I’m sayin’? To, like, blend in.

Sie haben es, bei aller Kritik an ihnen, nicht unbedingt leicht, die Joss Whedons, Alan Taylors und Co. Jene Regisseure, die ein Auge darauf haben müssen, dass Marvels Avengers-Universum im Kino sowohl aufeinander aufbaut und ineinander überleitet als auch so konstruiert zu sein, dass das Ergebnis an den Kinokassen Reibach macht. Etwas müde belächelt waren da die Pläne des Studios, nun in der so genannten Phase 2 auch noch etwas obskurere Franchises wie Guardians of the Galaxy und Ant-Man auf die Leinwand zu bringen. Dabei beweisen beide Filme, dass es auch anders geht – wenn nicht sogar besser. Gerade indem sie, über weite Strecken, einfach sie selbst sein können, anstatt nur Teil einer Abfertigungsreihe zu sein.

Wo im einen Abenteuer Waschbären und Baumwesen das Weltall retten müssen und damit zum dritterfolgreichsten Film des Jahres wurden, geht es in Ant-Man nun um einen Helden, der per Anzug auf Ameisengröße geschrumpft wird. Weitaus mehr Wirbel als um den Film an sich gab es dabei im Vorfeld um den Rücktritt von Edgar Wright vom Regieposten, nachdem er und Marvel sich wohl nicht auf Augenhöhe befanden. Stattdessen wurde Peyton Reed geholt, was wenig Gutes für Ant-Man versprach. Daher ist es umso überraschender, dass das Endresultat nicht nur ordentlich ausgefallen ist, sondern sogar zu Marvels besseren Filmen gehört. So endet deren Phase 2 nach dem grottigen Avengers: Age of Ultron doch auf einer positiven Note.

Inhaltlich geht es um die versuchte Wiederherstellung des Pym Partikels, mit dem Dr. Hank Pym (Michael Douglas) einst die Distanz zwischen Atomen beeinflusste – und so zum Ant-Man werden konnte, ehe er seinen Schrumpfanzug zu den Akten legte. Nun versucht sein ehemaliger Protegé Darren Cross (Corey Stoll) dasselbe, um entsprechende Anzüge ans Militär zu verkaufen. Was Pym und seine Tochter Hope (Evangeline Lilly) verhindern wollen. Hierfür ersucht der Wissenschaftler die Hilfe des Ex-Häftlings und Einbrechers Scott Lang (Paul Rudd). Der wiederum hat aber ganz andere Probleme, wird ihm doch der Kontakt zu seiner Tochter von deren Mutter (Judy Greer) und ihrem Polizei-Verlobten (Bobby Cannavale) untersagt.

Nunmehr soll Scott den Ant-Man-Anzug überstreifen und den Prototypen von Cross’ eigenem Anzug sowie dessen wissenschaftliche Daten zerstören, nachdem er dessen Firma infiltriert hat. Grundsätzlich erzählt Ant-Man somit eine Heist-Story, die sich weitaus näher am Genre orientiert als Guardians of the Galaxy, in dem ebenfalls verschiedene solche Elemente vorkamen. Zwei Drittel des Films beschränken sich dabei bloß auf die Vorbereitung zur Durchführung des Einbruchs in jenes Unternehmen, das einst Pym leitete, ehe ihn Cross und Hope aus dem Aufsichtsrat mobbten. Hopes Verhältnis zu ihrem Vater ist durch den Tod ihrer Mutter vorbelastet, der ähnlich wie das Pym Partikel die Distanz zwischen Hank und seinem Nachwuchs beeinflusste.

Ein verbindender Aspekt zwischen Scott und Pym – beides Väter, die das Beste für ihre Töchter im Blick haben. Und die ein vorbelastetes Verhältnis zu diesen unterhalten. Insofern sieht Pym in Scott nicht nur seinen Nachfolger als Ant-Man, sondern kann ihm zugleich die Chance auf Wiedergutmachung als Vater bieten, die ihm bei seiner Tochter lange verwehrt blieb. “To earn that look in your daughter’s eyes, to become the hero that she already thinks you are”, wie Pym den Ex-Häftling an einer Stelle überzeugt. Im Kern von Ant-Man findet sich folglich eine durchaus persönliche Geschichte von zwei nicht unähnlichen Männern, die ihre Fehler aus der Vergangenheit mit kathartischen Aktionen in der Gegenwart zu korrigieren gedenken.

Dabei ist die Gefahr, die von Widersacher Cross ausgeht, im großen Ganzen natürlich global. Weshalb Scotts erster Vorschlag auch lautet, man solle doch die Avengers alarmieren. Doch auch im Falle von Cross gibt es eine persönliche Komponente, sah Pym doch in diesem einst so etwas wie einen Ziehsohn, ehe die Beziehung zwischen beiden – ähnlich der zwischen Pym und Hope – Schaden nahm. Ein Hauch von Tony Stark und Ultron, wenn man so will. Ansonsten ist Cross jedoch ein relativ typischer Marvel-Bösewicht, motiviert von Macht, Geld und der Idee, sich die Erfindung des Gegenspielers zum eigenen Nutzen zu machen. Auch dies kennt der Zuschauer bereits von Tony Stark und dessen Gegnern aus Iron Man sowie Iron Man 2.

Generell darf man auch Ant-Man vorwerfen, dass die Skizzierung der Charaktere – selbst bei den Hauptfiguren – trotz zweistündiger Laufzeit rein oberflächlich bleibt. Mit hehren Zielen wollte Scott einst zu einer Art Robin Hood werden – und landete im Gefängnis. Das macht noch keinen Meisterdieb, selbst wenn die Figur, wie in einer Szene zum Ende des ersten Akts zu sehen ist, durchaus das Talent besitzt. Die daraus resultierende Entfremdung zur Mutter seiner Tochter wirkt insofern ebenso überzogen wie Hopes – nicht erklärte – Entscheidung, ihren Vater aus seiner eigenen Firma zu mobben, nur weil er ihr nicht die Wahrheit über den Tod ihrer Mutter sagt. Und auch Pyms spätere Erläuterung dieser Umstände wirkt reichlich halbgar.

Das Drehbuch von Edgar Wright und Joe Cornish, mit Ergänzungen von Paul Rudd selbst sowie Adam McKay, beschränkt sich darauf, uns nur so viel über die Figuren zu erzählen, wie für den Verlauf der Geschichte notwendig ist. Bösewicht will Böses, Helden müssen sich vereinen und in Aktion treten. Was etwas schade ist, da der Film im Gegensatz zu anderen Marvel-Filmen doch weitaus entschleunigter daherkommt. Und sich generell in seinen besten Momenten weniger wie ein Werk vom Fließband anfühlt als schlicht wie ein gelungener Action-Spaß. Dies hängt, ähnlich wie in Guardians of the Galaxy, damit zusammen, dass die Figuren – mit Ausnahme von Hope – trotz der existierenden Gefahr dem Geschehen mit humorvoller Lockerheit begegnen.

Dies liegt nicht zuletzt auch daran, dass die Handlung durch drei weitere Schmalspurganoven ergänzt wird, von denen aber eigentlich nur Scotts ehemaliger Zellenmitbewohner Luis (Michael Peña) erwähnenswert ist. Zu dritt sind sie als Sidekicks zwar zuviel des Guten und nicht zwingend notwendig, Peyton Reed setzt den Fokus aber bewusst meist auf Peñas etwas verpeilten Luis. Der verkommt in der Folge beinahe zum heimlichen Highlight des Films, gerade dann, wenn er als Voice-over-Erzähler für Expositionen dient und sich dabei in unwichtigen Details verliert. Dass Luis allerdings ebenso wenig wie Hope zu unterschätzen ist, dürfen beide Figuren in verschiedenen Action-Situationen eindrucksvoll unter Beweis stellen.

Überraschender ist dagegen schon, dass Paul Rudds bereits in den Trailer vorweggenommenen Einzeiler im Film selbst wenig bis gar nicht zünden wollen. Was am Charme der Figur und der Sympathie für diese wenig ändert, genauso wie am Humor des Films. Gerade im Schlussakt wartet Ant-Man mit ein paar wirklich gelungenen visuellen Gags auf, wie auch die finale Auseinandersetzung zwischen Cross und Scott – selbst wenn sie in ihrer Minigröße nicht immer übersichtlich gerät – mal etwas anderes aus dem sonstigen Marvel-Einheitsbrei ist. Ohnehin wirken die Action-Set-Pieces hier originärer, was auch an dem verkleinerten Umfeld und der Einbindung der verschiedenen Ameisen als Helfershelfer für Scott und Co. liegen dürfte.

Die Spezialeffekte selbst wissen zu gefallen, auch wenn sie keinen Wow-Faktor mit sich bringen. Ant-Man gehört dabei zu Marvels eher günstigeren Filmen, mit einem geringeren Budget als selbst Iron Man vor sieben Jahren. Grundsätzlich hat man schon schlechtere VFX zu selben (wenn nicht höheren) Summen gesehen. Zumindest wirkt das Gezeigte glaubwürdiger als die CGI-Dinosaurier in Jurassic World, mit dem sich Ant-Man auch den neuen Hollywood-Trend zu teilen scheint, Judy Greer als Sideline Movie Mum zu besetzen. Greer bekommt dabei weniger zu tun als ihr Film-Verlobter Bobby Cannavale oder sogar dessen von Wood “Avon Barksdale” Harris gespielter Polizei-Partner. Hier wäre – wie so oft – weniger mal wieder mehr gewesen.

Ansonsten ist Ant-Man jedoch ein kurzweiliger Action-Spaß mit netten Figuren geworden, dem es zugute kommt, dass er keine Figur an die Avengers heran- oder weiterführen muss. Selbst wenn es im Mittelteil eine Action-Szene mit Anthony Mackies Falcon gibt, die dazu dient, Paul Rudd später in das Charakter-Event Captain America: Civil War einzubinden. Wenn alle humorig angehauchten Marvel-Filme über ihre schrulligen Randfiguren so erträglich ausfallen wie Ant-Man oder Guardians of the Galaxy, dann bitte mehr davon. Und dafür weniger semi-ernste Avengers-Sülze, die lediglich auf ausufernde Actionszenen aus ist. Oder einfach Michael Peña ab sofort in jedem Marvel-Film die Ereignisse mit eigener Stimme nacherzählen lassen.

6.5/10

6. Juli 2015

Manhunter vs. Red Dragon

Sowas nennt man dann wohl Liebe auf den zweiten Blick. Bereits 1986 war Thomas Harris’ Roman Red Dragon in einen Spielfilm adaptiert worden. Michael Manns Manhunter war hingegen nicht gerade ein Kassenknüller, selbst wenn er positive Besprechungen erhielt. Nachdem aber sowohl The Silence of the Lambs – sogar mehrfach Oscarprämiert – und Hannibal, die beiden Filmadaptionen von Harris’ Folgeromanen beim Publikum Anklang fanden und zusammen über 600 Millionen Dolar einspielten, muhte die Cash Cow auf Hollywoods grüner Wiese. Und so machte sich Brett Ratner daran, Red Dragon erneut zu melken. Die Story ist dabei natürlich dieselbe, obschon der charakterliche Aufbau für die 2002er Version geändert wurde.

Der Fokus wurde stärker auf Anthony Hopkins’ Dr. Hannibal Lecter gelegt, jener Figur, die Harris’ vierteiliger Romanreihe ihren Anker schenken sollte. Entsprechend wurde Hopkins auch auf den Postern zum Film prominent ins Licht gerückt – obschon innerhalb der Handlung von Red Dragon lediglich eine Nebenfigur. Der Erfolg des Remakes – oder Reimaginings – hielt sich vor 13 Jahren in Grenzen. Zweifelsohne finanziell einträglicher als Manhunter 16 Jahre zuvor, lief Red Dragon in den USA seinerzeit Filmen wie Santa Clause 2 oder Manhattan Love Story hinterher. Anlass genug, für eine neue Runde „Versus“ hier im Blog: Michael Manns Manhunter oder Brett Ratners Red Dragon, welcher der beiden Filme funktioniert für sich genommen besser?

The Detective

Bei Michael Mann ist Will Graham eine von ihrer Vergangenheit gezeichnete Figur. Rauchend und trinkend muss sie zu Beginn dazu überredet werden, nochmals für einen letzten Fall zurückzukehren in jene Welt, die sie fast das Leben gekostet hat. Ungekämmt, mit Drei-Tage-Bart und dem Kleidungsstil eines wahren Geschmacks-Legasthenikers – türkisfarbene Krawatte zu Bordeauxhemd mit schwarzem Jackett – ist dieser Will Graham im Grunde fertig mit sich und mit der Welt. Entsprechend verstörend geraten jene Szenen, in denen William Petersens Figur mit sich selbst als Platzhalter für den Serienmörder spricht (“It’s just you and me now, sport”). Dieser Graham ist quasi ein ermittelndes Opfer. Hard-Boiled-Detective-Faktor: 65%

Durch die Besetzung mit Edward Norton automatisch bubenhafter kommt derweil Brett Ratners Ermittler daher. Gerne in Nahaufnahme eingefangen wirkt dieser Graham weitaus sauberer – sowohl innerlich wie äußerlich. Was in der Natur der Sache liegt, ist er doch hier nur zweite Geige für Hopkins Kannibalen, den er – man sollte es nicht glauben – im Intro zu Beginn anhand eines Kochbuchs überführt. Eine Figur als Mittel zum Zweck, ohne echtes Profil. Da passt es, dass er im Finale nicht zu Hilfe eilen darf, sondern vielmehr seine eigene, an Cape Fear anmutende, Klimax erhält. Die Selbstgespräche wirken weniger peinlich als beim Kollegen – aber vielleicht nur, weil man sie gewohnt ist. Hard-Boiled-Detective-Faktor: 35%

The Serial Killer

Es dauert 75 Minuten, ehe der Zuschauer erstmals Francis Dolarhyde zu Gesicht kriegt, jenen Familienkiller, der sich als Tooth Fairy einen Namen macht. Tom Noonan gibt einen einsam wirkenden Soziopathen, der per se schon spinnert genug wirkt, auch ohne Netzmaske über dem Gesicht. Und wäre dieser eklige Faktor Eifersucht nicht, könnte man fast glauben, der Figur stünde eine Katharsis ganz gut, wo sie nun endlich die große Liebe gefunden hat. Wirklich zu fassen, trotz des atmosphärischen Openings, kriegt man Dolarhyde bzw. Tooth Fairy jedoch nicht. Dafür ist der Charakter zu wenig präsent. Und – mit Verlaub – im Vergleich zu einem Buffalo Bill auch nicht schräg genug inszeniert. Charles-Manson-Faktor: 55%

Die Tooth Fairy als Figur spielt in der 2002er Version eine untergeordnete Rolle gegenüber Francis Dolarhyde. Der wirkt von Stimmen geplagt und als vermeintliches Muttersöhnen wie ein Mix aus Psycho und The Cell. Die Hasenscharte muss als Auszeichnungsmerkmal reichen, die Bedrohlichkeit von Ralph Fiennes’ Charakter drückt sich in akustischen Halluzinationen aus. Als Spektakel wird da dann auch das Finale inszeniert, das vermeintlich im „heldenhaften“ Suizid endet – ehe dann noch das Nachklapp-Ende zwischen Prota- und Antagonist wartet. Wo Noonan schon per se ungewöhnlich wirkt, muss Fiennes etwas mehr Arbeit investieren. Das Ergebnis ist dann aber eher Norman Bates als Ted Bundy. Charles-Manson-Faktor: 45%

The Predecessor

Wer einen Verbrecher fangen will, muss sich in einen solchen hineinversetzen – so eine klassische Trope des Genres. Entsprechend sucht Graham Serienkiller-Rat bei einem Serienkiller. “Dream much, Will?”, fragt ein gegelter Brian Cox, der mit minimalistischem Spiel maximale Ergebnisse erzielt. Er hat noch ein Huhn zu rupfen mit diesem Will Graham, dem er aber durchaus mit Respekt begegnet. Dadurch wie sehr ihre erste Begegnung dem Ermittler nahe geht – er flüchtet schließlich aus dem Gebäude – wird genug verdeutlicht, welche Vergangenheit die Figuren teilen. Später auch vorzüglich in einem Supermarkt-Zwiegespräch zwischen Graham und seinen Sohn thematisiert. Weniger ist oft mehr. Caged-Monster-Faktor: 65%

Im Grunde ist Red Dragon ein einziges Prequel-Vehikel für Anthony Hopkins’ Darstellung des kannibalistischen Therapeuten. Seine Szenen eröffnen und beschließen den Film (das Ende dabei als peinlich bemühte Überleitung zu The Silence of the Lambs gedacht), bekommt auch im Mittelteil nochmal zwei Dialogszenen mit Nortons Figur. Statt neun Minuten im Original wird so die Anwesenheit des Doktors auf 23 Minuten gestreckt – ohne dass die Figur für die Handlung wirklich dermaßen von Bedeutung wäre. Das eingangs bebilderte Schlusskapitel der Lecter-Graham-Beziehung funktioniert im Original weitaus besser. Genauso wie Hopkins’ Spiel inzwischen nur noch gestelzt und ohne rechtes Leben wirkt. Caged-Monster-Faktor: 35%

The Love Interest

Liebe ist blind – im Falle von Reba McClane ist das sogar buchstäblich zu verstehen. Die Paarung von Joan Allen und Tom Noonan überrascht zwar optisch betrachtet, immerhin aber wirkt Allens Darstellung der blinden Frau durchaus selbstbestimmt. In ihrer Beziehung zu Dolarhyde scheint sie ein Katalysator zu sein, der seinen Wahnsinn zähmen könnte – selbst wenn dies im weiteren Verlaufe nicht gelingt. Etwas überhastet wird die Beziehung der beiden allerdings im Original erzählt. Kaum lernt sie der Zuschauer kennen, geht es auch schon zum Tiger-Date und ab nach Hause zum Beischlaf. Das verleiht der Figur bei aller emanzipatorischen Selbstbestimmung dann allerdings doch etwas Billiges. Damsel-in-Distress-Faktor: 60%

Etwas weniger leicht zu haben scheint derweil Emily Watson. Das erste Süße gibt es lediglich in Tortenform auf den Teller, später dann dafür zum Heimkinoabend einen Blowjob als Nachtisch. Immerhin scheint die Wirkung der Figur in der Neuauflage so ausgelegt, dass Dolarhydes Liebe zu ihr letztlich über seinen mordlüsternen Wahnsinn obsiegt. Im Gegensatz zum Original scheint die Gefahr dafür aber im Raum zu stehen. “What do you really know about the guy?”, fragt Ralph Mandy da zurecht, ehe ihn eine Kugel aus Dolarhydes Revolver erwartet. Optisch passen Fiennes und Watson zwar etwas besser zusammen, blass bleibt die englische Darstellerin im Vergleich zu Allen aber dennoch. Damsel-in-Distress-Faktor: 40%

The Journalist

Art imitates life sagt man wohl angesichts dessen, dass Journalisten ähnlich wie Politiker und Anwälte in Filmen wie im realen Leben nicht den allzu besten Ruf haben. Da unterscheidet sich Freddy Lounds nicht sonderlich vom Rest seiner Zunft und Stephen Lang vermag in seinen wenigen Szenen durchaus den Ekelfaktor des Tabloid-Reporters gemischt mit der aus der Vergangenheit resultierenden Animosität zwischen seiner Figur und Will Graham zu bündeln. Bei Mann sehen wir die Umstände des Lounds-Graham-Fotos und später auch, wie Lounds von Dolarhyde gezwungen wird, völlig aufgelöst, eine Gegendarstellung zu seinem Artikel zu diktieren. In der Summe hat Lang somit die Nase vorn. Klatschreporter-Faktor: 60%

Noch ein paar Jahre vor seinem Oscargewinn, aber bereits als veritabler Charakterdarsteller etabliert, wirkt Philip Seymour Hoffman speziell zu Beginn wie ein gelangweilter Fremdkörper. Mit einem darstellerischen Minimalaufwand gelingt es somit auch der Figur nicht, wirklich authentisch zu wirken. Erst später, in Dolarhydes Gewahrsam, setzt bei dem inzwischen verstorbenen Lounds-Darsteller das große Spiel ein. Obschon jedoch angemerkt werden muss, dass das Flehen um das eigene Leben von Lang ebenfalls überzeugender gespielt wird. Oder vielleicht auch nur so wirkt, weil die Figur weniger eindimensional erscheint, obschon der Charakter als solcher natürlich lediglich eine Karikatur ist. Klatschreporter-Faktor: 40%

The Boss

Wenn es um Jack Crawford geht, sind beide Filme zur Abwechslung mal auf Augenhöhe. Aus der Not geboren ruft Crawford seinen alten Weggefährten Will Graham um Hilfe. Dabei durchaus mit dessen Gewissen spielend, unter Androhung, dass die Tooth Fairy sonst erneut zuschlägt. Schließlich mordet Dolarhyde im Mondzyklus und dieser steht wieder ins Haus. Dennis Farina und Harvey Keitel füllen die Rolle beide mit ausreichend Leben aus, auch wenn Farina – womöglich allein wegen seines Schnauzers – etwas mehr Charisma zu verströmen scheint. Ansonsten ist Crawford allenfalls eine Randfigur, die speziell in der zweiten Hälfte nicht mehr sonderlich ins Film-Geschehen eingebunden wird. Angry-Captain-Faktor: jeweils 50%

The Wife

Ähnliches in den Hintergrund rücken wie bei Jack Crawford würde man sicherlich auch im Falle von Molly Graham erwarten: Wills Gattin, die zu Beginn der Geschichte „Lebevoll“ sagen muss, ehe es zum Ende des zweiten Akts zu einem Wiedersehen wider Willen kommt. Die unscheinbare Kim Geist spielt die Ehefrau, die wenig wohlwollend ihren Mann zurück in den Dienst lassen muss, überzeugend. Die Besorgnis untermauert Michael Mann zudem mit wiederholten Telefonanrufen und einer gefälligen Dock-Szene zwischen den Eheleuten als Übergang in den finalen Schlussakt des Films. Zwar fällt es Geist – dir zuvor schon in Miami Vice auftrat – selbst an Ausstrahlung, ihre Rolle zumindest wird mit solcher versehen. The-Good-Wife-Faktor: 65%

Ein Pluspunkt von Red Dragon für sich ist derweil sicherlich die Besetzung von Molly Graham mit der atemberaubenden Mary-Louise Parker. Umso bedauerlicher jedoch, dass auch ihre Rolle der ausufernden Screen Time von Hopkins’ Dr. Lecter zum Opfer zu Fallen scheint. Neben einem kurzen Abschied mit Schnute zu Beginn und einer wenig gelungenen Reunion-Szene im Mittelteil taucht sie zwar in der Cape Fear-Klimax erneut kurz auf, ist allerdings nie mehr als hübsches Beiwerk für einen Film, in dem das Testosteron das Temo bestimmt. Neben Harvey Keitel und Ralph Fiennes gehört Parkers Besetzung dennoch zu den wenig geglückten der 2002er Neuverfilmung von Thomas Harris’ Roman. The-Good-Wife-Faktor: 35%

The Tone

Es besteht kein Zweifel: Manhunter ist ein 80er-Film durch und durch. Das wird nicht nur durch das Plakat oder die Schriftart und -farbe des Titel ausgedrückt, auch die Farbgebung des Films – mit Blau- und Rottönen – und Mise-en-scene gehören dazu. Will Graham sieht aus wie eine abgehalfterte Version von Sonny Crockett und wird von Mann gerne in der Totalen oder Halbtotalen eingefangen. Eigentlicher Star von Manhunter ist derweil sein Soundtrack, der Songs wie “Strong As I Am” von den Prime Movers, Shriekbacks “The Big Hush” oder “Heartbeat” von Red 7 gekonnt einsetzt, um Szenen eine eigene Ausdrucksstärke zu verleihen. Kein Wunder gilt Manhunter unter Fans als Kultfilm. Got-the-Touch-Faktor: 75%

Brett Ratners Film hingegen fehlt es an jeglicher visueller Eigenständigkeit. Red Dragon ist eine reine Auftragsarbeit, die ziemlich offensichtlich bloß den Hopkins-Lecter-Hype bedienen soll. Infolgedessen versucht sich der Film von der Farbgebung her Ridley Scotts Hannibal anzugleichen, während er vom Art Design wiederum klar die Verbindung zu The Silence of the Lambs sucht. Infolgedessen begegnen sich Graham und Lecter hier wie zuvor/später Clarice Starling, sehen wir zugleich Anthony Heald und Frankie Faison ihre Rollen aus Jonathan Demmes Klassiker wiederholen. Red Dragon fehlt es somit an einer eigenen Stimme – was bleibt, ist ein lebloser Körper, der lediglich eine bloße Fassade darstellt. Got-the-Touch-Faktor: 25%

Fazit

Am Ende ist es eine klare Sache: Manhunter reüssiert überall dort, wo Red Dragon scheitert. Die Ursachen sind vielfältig und offensichtlich: Auf der einen Seite ein talentierter Regisseur, der eine Romanvorlage mit eigener Stimme auf die Leinwand bringt, selbst wenn er dabei durchaus in seiner Zeit verhaftet wirkt. Dem gegenüber steht eine Auftragsarbeit einer Regie-Drone, die lediglich nachäfft, was andere, größere Regisseure vor ihr bereits mit Erfolg krönten. Und sich hierfür eines Ensembles bedient, das entweder unterfordert oder schlicht fehlbesetzt ist. Manhunter ist keineswegs perfekt, mit viel gutem Willen halbwegs gut, aber dennoch klar Klassen – oder 8:1 Punkte – besser als Red Dragon. Winner by knockout: Manhunter.

1. Juli 2015

Filmtagebuch: Juni 2015

AFTER EARTH
(USA 2013, M. Night Shyamalan)
4.5/10

BANDE DE FILLES [GIRLHOOD]
(F 2014, Céline Sciamma)

6/10

CLOVERFIELD
(USA 2008, Matt Reeves)
2.5/10

THE COBBLER [COBBLER: DER SCHUHMAGIER]
(USA 2014, Thomas McCarthy)

4/10

COMMUNITY – SEASON 1
(USA 2009/10, Anthony Russo/Joe Russo)
7.5/10

COMMUNITY – SEASON 2
(USA 2010/11, Joe Russo u.a.)
7.5/10

COMMUNITY – SEASON 3
(USA 2011/12, Tristram Shapeero u.a.)
7.5/10

THE DICTATOR [DER DIKTATOR]
(USA 2012, Larry Charles)

1/10

ERIN BROCKOVICH
(USA 2000, Steven Soderbergh)
7/10

FEHÉR ISTEN [UNDERDOG]
(H/D/S 2014, Kornél Mundruczó)

4/10

FRIED GREEN TOMATOES [GRÜNE TOMATEN]
(USA 1991, Jon Avnet)

6.5/10

GAME OF THRONES – SEASON 5
(USA 2015, Miguel Sapochnik u.a.)
7/10

HOJE EU QUERO VOLTAR SOZINHO [HEUTE GEHE ICH ALLEIN NACH HAUSE]
(BR 2014, Daniel Ribeiro)

6.5/10

HOT GIRLS WANTED
(USA 2015, Jill Bauer/Ronna Gradus)
5/10

KINGSMAN: THE SECRET SERVICE
(UK 2014, Matthew Vaughn)
1.5/10

JURASSIC PARK
(USA 1993, Steven Spielberg)
8.5/10

JURASSIC WORLD
(USA 2015, Colin Trevorrow)
5.5/10

LILO & STITCH
(USA 2002, Dean DeBlois/Chris Sanders)
8/10

LILTING
(UK 2014, Hong Khaou)
6/10

LOUIE – SEASON 1
(USA 2010, Louis C.K.)
7/10

MANGLEHORN
(USA 2014, David Gordon Green)
6/10

A NIGHT AT THE ROXBURY
(USA 1998, John Fortenberry)
6/10

NOTHING TO LOSE [NIX ZU VERLIEREN]
(USA 1997, Steve Oedekerk)

5.5/10

RED ARMY
(USA/RUS 2014, Gabe Polsky)
6/10

ROMY AND MICHELE’S HIGH SCHOOL REUNION
(USA 1997, David Mirkin)
5/10

SAFETY NOT GUARANTEED
(USA 2012, Colin Trevorrow)
6.5/10

SAW
(USA/AUS 2004, James Wan)
2/10

SWITCHBACK
(USA 1997, Jeb Stuart)
7/10

TALLADEGA NIGHTS: THE BALLAD OF RICKY BOBBY
[RICKY BOBBY – KÖNIG DER RENNFAHRER]
(USA 2006, Adam McKay)

6/10

TANGLED [RAPUNZEL – NEU VERFÖHNT]
(USA 2010, Nathan Greno/Byron Howard)

8/10

TOP FIVE
(USA 2014, Chris Rock)
4.5/10

VEEP – SEASON 4
(USA 2015, Becky Martin u.a.)
7.5/10