Time waits for no one.
„Ich mache kaum Fehler, die ich im Nachhinein bereue“, ist sich die junge Oberschülerin Makoto (Naka Riisa) in der Mitte des ersten Akts von Hosoda Mamorus Anime-Adaption Toki o Kakeru Shōjo ziemlich sicher. Wo man im Westen skeptisch Sequel- und Remake-Manien beäugt, gehören sie in Japan irgendwie zum guten Ton. Angefangen von den unzähligen Gojira-Filmen bis hin zu verschiedenen Adaptionen von Tsutsui Yatsutakas Toki o Kakeru Shōjo, die von November 1965 bis Mai 1966 in Magazinen veröffentlicht wurde und zu verschiedenen Adaptionen fürs Kino und Fernsehen geführt hat. Dabei ist Hosoda-sans Film mehr ein Sequel zu Tsutsui-sans Geschichte, denn weitere Adaption oder Remake/Reboot.
Die Protagonistin des Film ist Tomboy Makoto, ein lebensfrohes Mädchen, das seine Freizeit am liebsten mit ihren beiden Mitschülern Kôsuke (Itakura Mitsutaka) und Chiaki (Ishida Takuya) beim Baseball spielen verbringt. „Wenn heute ein ganz normaler Tag wäre, dann wäre nichts passiert“, lautet dann die Einleitung zu Makotos kommenden Erlebnissen. In der Schule stößt sie auf einen walnussförmigen Apparat und als sie auf dem Heimweg nicht mit ihrem Fahrrad bremsen kann und von einer Bahn überfahren zu werden droht, springt sie zu ihrer eigenen Überraschung einige Sekunden in der Zeit zurück. Zuerst perplex ob der neugewonnenen Fähigkeit, beginnt Makoto schon bald darauf Gefallen an dieser zu finden.
„Mädchen in deinem Alter passiert das häufig“, versichert Makoto ihre Tante Kazuko (Hara Sachie) amüsiert. Und die muss es schließlich wissen, immerhin ist sie die ursprüngliche Heldin in Tsutsui-sans Geschichte (daher der Fortsetzungscharakter des Films). Makoto wiederum nutzt ihre Zeitreisen fortan zur alltäglichen Bequemlichkeit. Der zuvor vermasselte Mathetest wird nun perfekt bestanden, der abendliche Hunger mit dem Essen vom Vortag gestillt und ein Malheur im Kochunterricht umgangen, indem man es jemand anderem in die Schuhe schiebt. Makotos vorherige euphemistische Bemerkung, dass sie kaum Fehler mache, die sie im Nachhinein bereut, erhält durch die Zeitreisen eine völlig neue Bedeutung.
Über die Konsequenzen ihres Handelns denkt Makoto nicht nach. „Hat man Pech, bleibt es kleben, heißt es“, sagt sie zu Beginn und eine These von Kazuko bestätigt dies. Denn was Makoto sich erspart, fällt stattdessen Anderen zu. Sei es der Unfall im Kochunterricht, eine vermasselte Liebeserklärung oder das Bremsversagen ihres Fahrrads. Wenn Chiaki ihr eines Abends seine Gefühle gesteckt, springt Makoto einfach so lange zurück, bis sie seine Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema lenkt. Einen zynischen Vorschlag ihrer Tante, doch eine Zeit lang mit Chiaki und Kôsuke zu gehen und bei fehlendem Erfolg einfach zurück in die Vergangenheit zu reisen und es zu lassen, lehnt diese wiederum brüsk ab.
Für Matoko spielt sich ihr Leben im Hier und Jetzt ab, ist sie doch niemand, der sich allzu große Gedanken macht. Als Kôsuke, der Medizin studieren will, sie im ersten Drittel fragt, was sie denn später gerne werden möchte, antwortet Matoko in infantiler Gleichgültigkeit „Hotel- oder Erdölmagnat“. So kommt es, dass sie erst den Sinn und Zweck ihrer Zeitsprünge zu hinterfragen beginnt, als die Personen in ihrer unmittelbaren Umgebung unter Makotos Aktionen leiden müssen, darunter zum Teil auch Matoko indirekt selbst. Dementsprechend entwickelt sich die Schülerin im Laufe dieses coming of age-Prozesses zu einer reiferen Person, ohne zugleich die Sensibilität und Infantilität ihres wahren Alters zu verlieren.
Infolgedessen interessiert sich Toki o Kakeru Shōjo weniger für die Möglichkeiten seiner Zeitreisethematik, als für die Entwicklung seiner Hauptfigur. Deren wiederholte Zeitsprünge, um vergangene Ereignisse nach ihrem Gusto umzubiegen, haben einen charmanten Groundhog Day-Charakter, wenn Makoto beispielsweise Probleme hat, Kôsuke und eine seiner Schwärmerinnen zu verkuppeln. Eine spezielle Dramatik wird von Hosoda dann im dritten Akt aufgebaut, wenn Makoto irgendwann ihren letzten Sprung verbraucht hat, aber es noch gilt, eine bedrohliche Situation zu entschärfen. Yoshida Kiyoshis oft minimalistische Untermalung mit dem Piano fängt dabei die dem Finale innewohnende Melancholie exzellent ein.
Auch die Visualisierung der Geschichte (für die eine Anime-Adaption prädestiniert war) ist sehr stimmig geraten. Wenn die Figuren in einer distanzierten Totale aufgenommen werden, machte man sich nicht mal die Mühe, ihnen Augen zu zeichnen und auch ihre Haare sind einfache farbige Konturen. Eine Detailverliebtheit wie bei Pixar und Co., wo jede Haarsträhne und jeder Grashalm distinktiv herausragen müssen, benötigt Toki o Kakeru Shōjo ebenso wenig wie pop-kulturelle Anspielungen und dumpfe Gags. Die Prämisse von Tsutsui-sans Geschichte verbunden mit dem Charme von Okudera Satokos Drehbuch verleihen Hosoda-sans Film eine Wärme, Magie und Einzigartigkeit, wie man sie nur selten erlebt.
Zugleich verfügt der Film über eine plakative Geschichtsmoral im mehrfach verkündeten: Time waits for no one. Eine Erfahrung, die Makoto am eigenen Leib macht, wenn sie zuerst Chiakis Liebesgeständnis „verhindert“ und sich später danach sehnt. Okudera-san greift das Ganze am Ende sehr schön wieder auf, wenn Kôsuke Makoto daran erinnert, beim Laufen nach vorne zu schauen. Seinen Erfolg verdankt der Anime jedoch nicht nur Okudera und Hosoda, sondern auch dem gelungenen Voice Cast, aus dem besonders Naka Riisa Stimme herausragt. So ist Toki o Kakeru Shōjo am Ende nicht nur ein grandioser Anime, sondern auch ein grandioser Film, der keine Fehler macht, die er bereuen müsste.
10/10