Es heißt ja so schön, der Teufel stecke im Detail. Im Falle der Spanischen Inquisition in Miloš Formans
Goya’s Ghosts nehmen die Figuren das allerdings durchaus wörtlich. Häretiker seien Leute, die sagen, Materie bestünde aus Atomen. Darauf weist Bruder Lorenzo (Javier Bardem) seine Agenten hin, als er sie auf die Suche nach Kryptojuden und Mauren schickt. Und wer „Tempel“ statt Kirche sagen würde, wäre ebenso ein Jude –
“or even worse, a Protestant“. Augen auf heißt es auch beim Urinieren, sollte sich dort einer das Geschlecht mit der Hand verdecken. Vermutlich ist er beschnitten. Laut Lorenzo gilt in allen Fällen:
“Get his name“.
Eingerichtet im Jahr 1478 von Ferdinand II. und Isabella I. hatte die Spanische Inquisition zum Ziel, die Identifikation von Kryptojuden (falsche Konvertiten) und Mauren auf der Iberischen Halbinsel zu erreichen. Sie folgte somit nahezu im Anschluss an die fast 800 Jahre andauernde Reconquista der iberischen Länder von den Mauren, die 1492 vollzogen wurde. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte, die Spanische Inquisition fand ihr Ende erst im 19. Jahrhundert, sorgten die Methoden der Inquisition für Angst und Schrecken. Denn wer im Verdacht stand, konnte bis zu zwei Jahre eingesperrt bleiben, ehe man seinen Fall verhandelte.
Nicht unähnlich also der US-Militärbasis Guantánamo, wo zur Geständnisgewinnung auch gerne Folter angewandt wird. Eine weitere Parallele zur Inquisition, wo mit der
toca bereits eine Protoform des Waterboardings stattfand. Auch üblich, und in
Goya’s Ghosts integraler Bestandteil, war das
strappado, in welchem die Hände hinter dem Rücken gefesselt wurden und der Körper mit einem Seil in die Höhe gehoben wurde. Ziel und Zweck war damals wie heute die Wahrheitsgewinnung – von Folter will dabei keiner reden.
“Put to the question“, nennt es Lorenzo euphemistisch. Der verdächtigten Person würden lediglich Fragen gestellt.
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Folterszenario der Inquisition, gemalt von Bernard Picard 1716 (oben) und die Methode des strappado umgesetzt in Miloš Formans Goya’s Ghosts (unten). |
Eine Frage wird in
Goya’s Ghosts auch der jungen Kaufmannstochter Inés (Natalie Portman) gestellt, als sie in einer Taverne dabei beobachtet wird, wie sie Schweinefleisch abgelehnt hat. Fortan als Kryptojüdin gebrandmarkt, landet sie in den Verliesen der Inquisition. Weil sie zuvor als Muse für den spanischen Hofmaler Francisco de Goya (Stellan Skarsgård) tätig war und dieser wiederum auch das Porträt des Inquisitionsbruders Lorenzo malte, bittet Inés’ Vater (José Luis Gómez) Goya um Intervention. Trotz Bestechung behält die Inquisition Inés jedoch in Haft, sodass ihre Familie Lorenzo anschließend selbst „eine Frage stellt“.
Im Grunde ist Formans Film, nach einem Drehbuch von Jean-Claude Carrière, je nach Fokus seiner Figur einem anderen Genre zuordenbar. Obschon im Titel der Name Goyas auftaucht, so ist das Produkt
“not even a film about Goya“, wie Forman in den Extras versichert. Der spanische Maler sei eher
„ein Beobachter“, wie Carrière findet.
“Just an eye“, so der Autor über die Figur, die nicht in die Handlung des Films involviert sein will. Vielmehr sieht sie sich in einer aus der Handlung gelösten Rolle, eben die, des Beobachters. Und damit nicht unähnlich der des Zuschauers selbst, der ebenfalls nur Mitansehen kann, welche Tragödie sich hier entwickelt.
Dennoch ist Goya keine passive Figur, vielmehr eine, die, wie viele „Helden“, erst eine Katharsis durchmachen muss, um zur treibenden Kraft zu werden.
Goya’s Ghosts, der im Jahr 1792 beginnt, springt für die zweite Hälfte des Films 15 Jahre in die Zukunft. Scheinbar keine willkürlich gewählten Jahre, bezeichnete das zuerst genannte doch jenes Jahr, in dem Goya sein Gehör zu verlieren begann, und 1807 wiederum den Beginn der Napoleonischen Kriege auf der Iberischen Halbinsel. Verfolgte der Spanier den Krieg noch als
„bloßes Auge“, seine berühmten Grafiken „Die Schrecken des Krieges“ halten ihn fest, beginnt er nun zu agieren.
Durch den Einfall der Franzosen findet die Inquisition ein jähes Ende, die Gefangenen in den Verliesen werden freigelassen. Darunter auch die sichtlich mitgenommene Inés, die nach 15 Jahren Gefangenschaft vor den Trümmern ihrer Existenz steht. Nur noch angetrieben von der Suche nach ihrer im kirchlichen Kerker mit Lorenzo gezeugten Tochter, sieht sich Goya aufgrund seiner Gewissensbisse verpflichtet, ihr zu helfen. Ebenso wie die Schrecken des Krieges zählt auch Inés zu den Geistern des Malers, die dieser nicht abzuschütteln vermag. Immerhin steht das Mädchen doch für all die von der Inquisition verübten Verbrechen dieser spanischen Epoche.
Die „Rückkehr“ von Inés bringt zugleich die Rückkehr von Lorenzo mit sich, der, nachdem er von der Kirche wegen der
strappado-Affäre entlassen wurde, nun mit den französischen Revolutionären heimkehrt. Hier schwingt er sich zum Richter über die ehemaligen „Richter“ der Kirche auf, belehrt und propagiert wie eh und je. Und wenn es ausgerechnet Lorenzo ist, der verkündet
“there will be no liberty for the enemies of liberty“, dann hat dies schon etwas Zynisches. Nun ist er es, der den Konvertierten gibt, aber der Strafende bleibt. Dabei ist Lorenzo für Carrière jedoch kein Bösewicht,
“he really wants the world to get better“.
Und damals wie heute hat er durch Inés seinen Ruf zu verlieren, was sie wiederum zur Leidtragenden macht. Ohnehin sind im Prinzip alle Figuren in
Goya’s Ghosts Leidtragende, teils ihres eigenen Verhaltens, teils des der Anderen. Lorenzo scheitert daran, seine eigenen Wünsche nicht mit seiner Umwelt vereinbaren zu können, Goya dagegen, dass er sich zu einem Zeitpunkt distanzierte, wo Nähe weitaus effektiver gewesen wäre, als später. Und hinsichtlich der Tatsache, dass die Spanische Inquisition mit über 300 Jahren keine Einrichtung von gestern war, hätte auch Inés wachsamer sein können, als in der Öffentlichkeit Zweifel zu erregen.
Wo Formans Film im Falle von Goya zumindest subtil auch Biografie ist (und sich damit in eine Reihe zu seinen semibiografischen
The Man on the Moon,
The People vs. Larry Flynt und
Amadeus gesellt) und Inés Geschichte durch und durch zur Tragödie avanciert, beschreibt die Episode um Lorenzo historische Verwicklungen. Von der Spanischen Inquisition bis zur Aufklärung und den Napoleonischen Kriegen. Infolgedessen hat der Film schon beinahe etwas Episodenartiges, was ihn somit bisweilen etwas überladen ausfallen lässt. Gleichzeitig Biografie, Tragödie und Historienfilm zu sein, gereicht
Goya’s Ghosts folglich nicht immer zum Vorteil.
Dennoch gelingt es Forman in seiner Summe seine ganzen Themen überzeugend miteinander zu verweben. Ein weiteres, allumfassendes Thema ist dabei die Frage nach der Wahrheit.
“Tell me what the truth is“, erbittet Inés während ihrer Folterung um die gewünschte Antwort. In den Mittelpunkt rückt hier stets die subjektive Wahrheit, genauso wenn Goyas akkurates Porträt der Königin (Blanca Portillo) auf Missfallen stößt und er aus diesem Fehler umgehend lernt, wenn er das grausige Violinenspiel von König Karl IV. (Randy Quaid) mit Lob bedeckt. Die Wahrheit, so macht uns der Film klar, liegt immer in der Beurteilung von dem, der sie hören will.
Zugleich verkneift es sich Forman auch nicht, Parallelen zu den USA aufzuzeigen. Die Kryptojuden von damals sind die Guantánamo-Insassen von heute – was wahr und gerecht ist, verschwimmt zwischen Folter und Chauvinismus. Als derart vielsagendes soziokulturelles Werk, abgerundet durch seine opulente Optik an Ausstattung, Kostümen und Maske sowie den überzeugenden (Skarsgård), eindrucksvollen (Bardem) und fast brillanten (Portman) Darstellerleistungen fällt
Goya’s Ghosts somit überaus gelungen aus.
“I didn’t expect this kind of Spanish Inquisition”, heißt es in einem von Monty Pythons populärsten Sketchen. Aber wer tut das schon?