(No Country for Old Men, p. 234)
Wer noch nichts über den Inhalt des Filmes weiß, dem sei nunmehr folgende Einleitung gegeben: der pensionierte Vietnamkriegsveteran und leidenschaftliche Jäger Llewelyn Moss (Josh Brolin) findet in der texanischen Einöde mehrere leerstehende Pickups und dazugehörige Leichen. Nebst einer Menge mexikanischen Heroins stößt er auch auf einen Handkoffer voller Millionen von Dollar. Sein Schicksal kommen sehend, steckt er das Geld dennoch ein und muss alsbald um sein Leben fürchten und seine Frau Carla Jean (Kelly MacDonald) zu ihrer Mutter nach Odessa schicken. Einer der vielen Männer die hinter Llewelyn her sind ist Anton Chigurh (Javier Bardem – im übrigen nicht sonderlich hübsch, hab ich gelesen), ein psychopathischer Auftragskiller. Auf der Spur von Chigurh befindet sich der zuständige Sheriff Ed Tom Bell (Tommy Lee Jones), der hinter dessen Leichen aufräumen darf, während mit Carson Wells (Woody Harrelson) ein weiterer Auftragskiller angeheuert wird, der Chirgurh ausschalten soll. Während Moss mit nach einem blutigen Aufeinandertreffen mit Chigurh nach Mexiko flieht, versucht Bell bei Carla Jean auf Informationen zu stoßen, die ihm helfen könnten Llewelyn vor seinem unausweichlichen Schicksal zu retten, während Chigurh die Schlinge um alle Beteiligten etwas enger zieht. Immer dabei sein Bolzenschussgerät und seine Münzen, dies alles in einem Land, das wahrlich kein Land mehr ist für alte Männer, ein Land voller Gewalt und Drogen.
Zurück zu Frau Kruttschnitt, die, nachdem sie eine halbe Seite lang über Bardems Aussehen geurteilt hat, schließlich noch in zwei Sätzen ihre Meinung zu No Country for Old Men kundtut, dabei in dem Satz kulminiert, dass „die halsbrecherische Flucht vor einem Hund“ schon alleine „das Eintrittsgeld lohnt“ und dem Film dann doch nur vier von fünf Sternen vergibt. Ob Brolins Flucht vor einem Hund – welche an sich nicht einmal eine solche ist, da er vielmehr vor den Mexikanern mit den Schrottflinten flieht – tatsächlich das Eintrittsgeld wert ist, das sei den Mann-flieht-vor-Hund-Filmfetischisten überlassen. Es finden sich jedoch auch sonst kaum schlechte Worte, über das neueste Werk von Joel Coen und seinem Bruder Ethan Coen, die vergangene Woche mit drei Oscars (bzw. eigentlich sechs) ausgezeichnet wurden. Manch ein Blogger beschreibt den Film, als „das sehnlich erhoffte Meisterwerk“, ein anderer hingegen meint er „ist schlichtweg perfekt“ und „hebt sich (…) bisweilen meilenweit von seinen Kollegen ab“. Förmlich überschlagen sich die Lobpreisungen für die Adaption von Pulitzerpreisträger Cormac McCarthys 2005 erschienenem Western-Thriller des gleichen Namens, auch wenn mancher einer der begeisterten Blogger eine „recht lose Verfilmung“ gesehen haben will. Dabei haben sich die Coens ziemlich exakt an McCarthys Vorlage gehalten, neben ganzen Dialogen auch die Chronologie des Romans übernommen, dabei gut zweieinhalb Seiten pro Minute auf Zelluloid gebannt.
Erstaunlich, dass der in Rhode Island geborene US-Autor sein Werk im typischen texanischen Slang geschrieben hat, dabei ein überaus dialoglastiges und mitunter nichtssagendes Werk erschaffend, welches doch versucht ein Statement abzugeben über ein Land, eine Generation, eine Zeit. Kein Land für alte Männer, geschrieben von einem solchen alten Mann, hierbei einen anderen alten Mann, Sheriff Ed Tom Bell, als Erzähler inthronisierend. Seine Sätze wirken oft ärmlich konstruiert, durch die unglaubliche vielfache Verwendung des Bindegliedes „und“ zusammengehalten. Dabei gelingt es McCarthy eine starke, umklammernde Atmosphäre zu schaffen, Llewelyn auf seiner Flucht und Chirgurh auf seiner Jagd begleitend. Jedes Kapitel wird eingeführt durch die Gedankenspielereien von Sheriff Bell, die sich meist überhaupt nicht mit dem Fall Moss/Chigurh beschäftigen, sondern mit dem Verfall der Sitten und Bells Privatleben. Seine Geschichte lebt vor allem von dem trockenen Humor von Llewelyn Moss (“The point is there aint no point.“, p. 227) und der Kaltblütigkeit von Chigurh, Bell selbst spielt kaum eine bis gar keine Rolle, ist lediglich der alte Mann im falschen Land, die persona rationalis der Geschichte mit der sich der Zuschauer verbunden fühlen kann. In einer Szene, im Film wie im Buch, referiert Bell einen Zeitungsartikel über ein Pärchen, dass Rentner umbrachte und erst überführt werden konnte, als eines der Opfer mit Hundehalsband vom Grundstück floh. Aus reiner Ungläubigkeit muss Bell hier lachen, wie wohl die meisten rationalen Menschen verzweifelt mit dem Kopf schütteln mögen und sich fragen, wo das mit unserer Gesellschaft eigentlich noch hinführen soll.
Sein lediglich 306 Seiten langer Roman – ohnehin mit sehr großzügigem Zeilenabstand und Schriftgröße gedruckt – bricht dann schließlich in seinen letzten vierzig Seiten ein, als McCarthy seine eigentliche Geschichte erzählt hat und nur noch vor sich hin schwadroniert. Man entfernt sich von der Handlung und Bell fokussiert die Geschichte auf sich selbst, ein zusammenhangloses Geheimnis seiner Vergangenheit entlüftend. Ein überdurchschnittlicher Roman wird hier von seinem Autor gegen die Wand gefahren und gerade diese Facette, die der Vorlage das Genick bricht, wird von den Coens glücklicherweise ausgelassen. Bells philosophische Auswüchse werden auf ein Minimum reduziert, seine Vergangenheit und sein Privatleben bleiben im Grunde unangetastet. Der Fehler den die beiden Brüder allerdings begehen, ist die Dialogen der Geschichte zu kürzen. Die Geschichte, die eigentlich von ihren Dialogen lebt (Herzstück ist dabei der Dialog zwischen Llewelyn und einem weiblichen Tramper, deren Figur im Film ganz fehlt), wird hier im Grunde massakriert. Die großartigen Gespräche von Llewelyn mit seiner Frau, Carson Wells und dem weiblichen Tramper, zwischen Ed Tom Bell und seinem Deputy oder zwischen ihm und Carla Jean, all diese wunderbaren Dialoge – die im Endeffekt keinen Inhalt haben und doch durch ihre Inhaltslosigkeit einen solchen versprühen – sind im Film auf ein Mindestmaß, auf ihre Essenz komprimiert. Die Coens begrenzen die Dialoge auf den Inhalt, den sie eigentlich erfüllen und schreiten zur nächsten Szene fort.
Dies führt dazu, dass das, was in der Vorlage das Herz der Geschichte war (auch wenn es mit der Geschichte selbst nichts zu tun hatte, diese jedoch zusammenhielt), dem Film völlig abgeht. Was die Coens erschaffen haben, ist ein technisch perfekt gemachter Film, um wieder auf ein Zitat eines Bloggerkollegen zurückzugreifen, No Country for Old Men ist „wie zwei Stunden in einem Filmwissenschaftsseminar zu sitzen“. Licht, Kamera, die Einstellungen, Ausleuchtung, alles stimmt, man könnte nicht wirklich etwas kritisieren – auch das Fehlen jeglicher Musik bemerkt man nicht wirklich, da sie eigentlich nicht notwendig ist. Was dem Film schließlich fehlt, ist eine Seele und dies liegt nicht an Anton Chigurh oder der Brutalität der Geschichte, sondern daran, dass man die Geschichte des Filmes leblos erzählt, ohne Emotion, ohne Hingabe. Viel wichtiger scheint dem Regisseur-Autoren-Produzenten-Brüderpaar die visuelle Umsetzung gewesen zu sein, die reine Formalität von McCarthys Geschichte adaptierend und ebenjene essenziellen Dialoge auslassend. Da jene wie angesprochen das Herz der Geschichte sind, fehlt dem Film der Coens eben dieses Herz. Er ist kalt, leb- und lieblos, berührt einen nicht und wird einem nach einer gewissen Zeit schnurzegal. Die Figuren erhalten keine Tiefe, so wie man Carson Wells einbaut, braucht man ihn eigentlich auch gar nicht einbauen, seine Charakterisierung, die sich vor allem im finalen Dialog mit Chigurh findet, wird hier von den Coens umgeändert, ähnlich wie es später in der Szene mit Carla Jean der Fall sein wird. Durch das Umschreiben beider Figuren geht auch ein wichtiger Hinweis zum Verständnis von Chigurhs Person verloren.
Vergleicht man No Country for Old Men mit den früheren Filmen der Coens, so fällt einem merkbar auf, dass ihnen bei ihrem letzten Werk die Liebe gefehlt zu haben scheint, zu dem, was sie da erschaffen haben. Dagegen ist gerade Fargo eine Liebeserklärung an seine Figuren und seine Geschichte, wie es auch bei Barton Fink, The Big Lebowski oder selbst dem grausigen Ladykillers-Remake der Fall war. No Country for Old Men ist einfach nur ein Film, nicht mehr und nicht weniger, es gelingt zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche Beziehung zu seinen Charakteren aufzubauen. Die Oscarverleihung der letzte Woche reflektierend lässt sich sagen, dass es eigentlich nur einen Oscargewinner als Besten Film geben konnte und das war der Film der Coens. Schließlich wählt die Academy seit Jahren traditionell den überbewertesten Film zum Preisträger, sodass in der Tat nur There Will Be Blood noch ernsthafte Konkurrenz war. Wie es im Jahr zuvor der Fall war, durften die Coens ihren lang verdienten Oscar als beste Regisseure für einen durchschnittlichen Film entgegennehmen und die Ironie setzt sich auch bei der Auszeichnung für das beste adaptierte Drehbuch fort, welches wie selbstverständlich nicht an die gelungeneren Atonement oder Le scaphandre et le papillon ging. Hübsch ist Javier Bardem gewiss nicht, eine Aussage, die wirklich falscher nicht sein könnte. Bardem ist ohne Frage hübsch und er ist ohne Frage ein guter und überzeugender Schauspieler, reflektiert man seine Leistung in No Country for Old Men, ist es ein kleiner Skandal, dass der überzeugendere Casey Affleck für seine Leistung in The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford übergangen wurde. Aber was ist man von der Academy schon anderes gewohnt? Und mit den Lieblingsworten von Sheriff Ed Tom Bell aus McCarthys Roman endend: “That’s that to that“.
6.5/10