(The Crow, Book Two: Fear, Chapter: Velocity)
Im Comicgenre herrscht im Grunde fast so etwas wie ein Duopol, sind immerhin DC Comics und Marvel die beiden alles überragenden Marktführer. Hier bestätigen Ausnahmen wie Dark Horse natürlich die Regel. Ein weitestgehend unbekanntes Label gebar 1989 einer der weitestgehend bekannten Comics. James O’Barr veröffentlichte in diesem Jahr in Caliber Comics – einem Verlag, der sich im selben Jahr erst gegründet hatte – seine über mehrere Jahre ausgearbeitete Geschichte The Crow. Eine düstere und melancholische Liebeserklärung, basierend auf wahren Begebenheiten und eigenen traumatischen Erlebnissen. Elf Jahre zuvor starb O’Barrs Freundin bei einem Autounfall, der von einem alkoholisierten Fahrer verursachte wurde. Nachdem O’Barr der Armee beigetreten war, begann er 1981 die Arbeiten an The Crow, um mit dem Verlust jener Freundin klar zu kommen. Eine weitere maßgebliche Inspirationsquelle war der Mord an einem Pärchen in Detroit, O’Barrs Heimatstadt, ausgelöst durch einen Ring im Wert von zwanzig Dollar. Ausgelegt als persönliche Katharsis verarbeitete der Autor all seinen inneren Schmerz in seinem Comic. Einem Comic, das im Vergleich zu einigen seiner Genrevertreter dem Anspruch eines contemporary piece gerecht wird.
Ein Jahr nach seiner Ermordung kehrt Eric Draven von den Toten zurück. Eine übersinnliche Krähe ruft ihn wieder ins Leben, um sich an jener Straßengang zu rächen, die ihn und seine Verlobte, Shelley, auf dem Gewissen haben. In aller Ruhe müssen die einzelnen Gangmitglieder Tin Tin, Top Dollar, Tom Tom, Funboy und T-Bird dran glauben, während Eric die restliche Zeit in jenem Haus verbringt, das Shelley und er einst renovieren wollten. Für die Gestaltung seines Comics ließ sich O’Barr stark von den Liedtexten der Gruppe Joy Division beeinflussen, während auch Gedichte von Arthur Rimbaud Einzug in das Comic fanden. Eric selbst wird in der gegenwärtigen Handlung als zynischer Punk portraitiert, versehen mit der inzwischen klassischen weißen Gesichtsfarbe, die ihm seinen gespenstischen Charakter verleihen. Die Rückblenden der Figur kleidet O’Barr dagegen in freundlichere Töne, die wie ein Auszug aus einem Musikvideo wirken. Grandios, wie die Gesichtszüge von Eric in den unterschiedlichen Panels abweichen. Ist sein Gesicht in den Rückblenden stets von Wärme, Liebe und Glück gezeichnet, birgt das Angesicht des auferstandenen Eric nichts als Kummer, Wahnsinn und Zorn. Durch die Verschmelzung von Rückblenden und Gegenwart lässt sich mitunter wahrhaft mit einem Auge beobachten, unter welchem emotionalen Schmerz O’Barr seinerzeit gelitten haben muss.
Die Verortung von The Crow in die achtziger Jahre ist natürlich schon alleine im Styling von Eric und Shelley gegeben, weiß aber auch durch einige location shots ins Auge zu springen, die an Coppolas Rumble Fish erinnern. Es ist ohne Frage ein gewalttätiges Comic, das liegt im Grunde schon in seiner Selbstjustiz-Thematik begründet. Dennoch wird die Gewalt nie ausufernd dargestellt, obschon sich eine gewisse Genüsslichkeit in ihrer Darstellung kaum negieren lässt. Man merkt es The Crow durchgehend an, dass es sich hierbei um eine emotionale Last handelt, die auf Papier gebannt wurde. Dabei ist O’Barrs Werk nicht unbedingt ein Meisterwerk, dafür bleiben hinsichtlich der Stringenz der Handlung zu viele Fragen offen. Warum konnten T-Bird und Co. nicht durch Captain Hook das Handwerk gelegt werden? Inwiefern wählt die Krähe ihre Proteges aus? Ganz zu Schweigen davon, dass hier noch nicht (offensichtlich) etabliert wurde, dass Erics Kräfte mit dem Wohlbefinden der Krähe stehen und fallen. Wobei sich diese ohnehin weniger als Begleiter denn als Wegweiser präsentiert. Hiermit soll aber nicht abgestritten werden, dass The Crow von einer faszinierenden poetischen Schönheit beseelt ist, was angesichts ihrer trostlosen und elenden Umgebung umso paradoxer erscheinen muss.
Es sollte bittere Ironie werden, dass auch die Verfilmung von O’Barrs Comic von emotionaler Trauer begleitet wurde. Am 31. März 1993 verstarb Hauptdarsteller Brandon Lee, Sohn des legendären Bruce Lee, am Set von Alex Proyas’ The Crow. Die Umstände seines Todes sind von besonders tragischer Natur. Vorab hatten Crewmitglieder mit Kugelattrappen aus einem Revolver geschossen. Hierbei handelt es sich um Kugeln, die kein Schießpulver enthalten. Als eine Szene mit Lee gedreht werden sollte, wurde der Revolver mit Platzpatronen geladen. Unwissentlich war jedoch eine der Kugelattrappen im Revolverlauf steckengeblieben. Durch das Abfeuern der Platzpatrone von Funboy-Darsteller Michael Massee wurde diese Kugelattrappe losgelöst und drang anschließend – da aus naher Entfernung abgefeuert – in Lees Abdomen ein. An seinen inneren Blutungen verstarb Lee schließlich zwölf Stunden später im Krankenhaus. Sicherlich trug Lees Tod viel zum Kultstatus von The Crow bei, der anschließend anhand digitaler Effekte und eines Doubles zu Ende gedreht werden konnte. In Folge der Ereignisse nahm sich Massee ein Jahr eine Auszeit von der Schauspielerei. Der australische Regisseur, für den The Crow sein zweiter Film darstellte, sollte mit Dark City erst vier Jahre später erneut hinter der Kamera Platz nehmen.
In seiner Adaption von The Crow nimmt Proyas nun einige Änderungen vor. Obschon die Verfilmung nur vier Jahre nach Veröffentlichung des Comics stattfand, wurde die Handlung des Filmes sichtbar in die Neunziger verlegt. Vorbei somit der achtziger Jahre Look von Eric Draven (Brandon Lee) und seiner Verlobten Shelley (Sofia Shinas). Und mit dem Look verschwindet auch die ganze schöne Melancholie von Joy Division, die dementsprechend ihren Platz auf dem Soundtrack an rabiatere Bands wie Nine Inch Nails, Rage Against the Machine oder Pantera abtreten müssen. Ohnehin spielt sich die gesamte Handlung ausschließlich im selben heruntergekommenen Viertel ab, was primär dazu dient, aufzuzeigen, dass hier nicht das Gesetz in Person von Sergeant Albrecht (Ernie Hudson) regiert, sondern Unterweltboss Top Dollar (Michael Wincott). Ungemein lächerlich im Übrigen, dass man die Reihenfolge der Gangmitglieder so änderte, dass Top Dollar zum finalen Gegner wird und nicht T-Bird. Offensichtlich hielt das Studio T-Bird für einen weniger autoritären Namen wie Top Dollar, sodass Wincott in dessen Rolle schlüpfen durfte. An seiner Seite stets die mysteriöse Myca (Bai Ling), die für die Handlung unerheblich ist und sicher nicht von ungefähr an Mortianna aus Robin Hood: Prince of Thieves erinnert.
Zudem regnet es aus unerfindlichen Gründen ständig im Film, was hinsichtlich der Tatsache, dass die Hauptfigur weiße Gesichtsfarbe trägt, eine ziemlich dämliche Entscheidung ist, da Lee gerade im Finale eigentlich unmaskiert auftritt. „Can’t rain all the time“, ist hier nur die vielzitierte Antwort von Eric bzw. Sarah (Rochelle Davis). Wahrscheinlich soll der Regen die Trostlosigkeit und Düsternis der Umgebung des Viertels fördern, was jedoch fraglich ist, da O’Barr denselben Effekt in seiner Vorlage auch ohne Regen hinbekommen hat. Allgemein missfällt die Ausstattung und das Produktionsdesign, welches sich zu Beginn des Filmes fast schon post-apokalyptisch in der Devil’s Night anbiedert, um im Finale dann sein an Notre-Dame de Paris erinnerndes Ende zu finden. Lediglich Gideons Pfandleihe weiß etwas wie Atmosphäre zu erwecken, während die übrigen Lokalitäten nicht wirklich zur Handlung passen wollen. Am wenigsten die Kirche zum Schluss. Dabei zeigt Proyas gelegentlich, dass ihm die Treue zur Vorlage am Herzen gelegen zu haben scheint. Sowohl die Morde an Tin Tin (Laurence Mason), als auch an Funboy (Michael Massee) sind neben der Gideon-Sequenz sehr dicht an O’Barrs Geschichte orientiert.
Ansonsten ist der Film jedoch eine sehr freie Adaption, die leider in ihren Neuerungen nicht an die poetische Tiefe der Vorlage heranreicht. Die Handlung ist unzureichend ausgearbeitet und in ihrer Komposition nicht wirklich nachvollziehbar. Im Gegensatz zum Comic hat Top Dollar nichts mit dem Mord an Shelley und Eric zu tun, weshalb dieser auch keinen Groll gegen ihn hegt. Umso unverständlicher, weshalb sich Top Dollar widersetzt, Skank (Angel David) – den Ersatz von Tom Tom – an Eric auszuliefern, ist Skank für ihn doch bedeutungslos. Obschon für Eric seine Katharsis mit Skanks Tod und seiner eigenen Flucht abgeschlossen ist, provoziert Top Dollar unsinnigerweise die finale Klimax, in welcher Eric nochmals als Retter von Sarah auftreten kann. Bai Ling soll in dem ganzen Szenario wohl lediglich etwas Weiblichkeit einbringen, bedenkt man dass Shinas nur in kurzen Rückblenden zu sehen ist und Davis als Kind kaum das Zielpublikum anspricht. Auch die vermehrten Szenen zwischen Eric und Sarah sowie Albrecht bringen die Handlung nicht unbedingt voran, verwundern eher, bedenkt man, dass beide Figuren relativ gelassen auf einen Untoten in ihrer Umgebung reagieren. Es liegt jedoch an der Vernachlässigung von Erics Trauer und Schmerz, dass The Crow nicht die Melancholie von O’Barrs Werk erreicht. Zwar ist der Ansatz interessant, die Rückblenden in starken Farben als Kontrast zu den ausgebleichten Bildern der Gegenwart zu präsentieren, doch sind die Rückblenden stets so kurz geraten, dass das Publikum keinen Eindruck von dem gewinnt, was Eric verloren hat.
Weder die Atmosphäre, noch die Musik wollen also wirklich überzeugen und dies setzt sich auch im Schauspielerensemble fort. Die gesamte Gang, angeführt von T-Bird (David Patrick Kelly), ereifert sich im ausufernden overacting, während Wincott, Bai Ling und Co. in ihren überspitzen Charakteren kein Fundament zu finden scheinen. Selbiges trifft an sich auch auf Brandon Lee zu, der mit seiner Figur schlichtweg überfordert gewesen zu sein scheint. Selten trifft er den richtigen Ton und auch seine Blicke gehen meist am Ziel vorbei. Erst zum Ende hin schafft Lee es, etwas in die Spur zu geraten. Regisseur Proyas wiederum weiß mit einigen netten Kamerafahrten aufzuwarten, doch letztlich bleibt der Film nichts als eine Fingerübung für Dark City, der vier Jahre später erstehen sollte. Grundsätzlich scheitert The Crow an seiner Ignoranz vor dem Schmerz, sowohl dem des Autors O’Barr als auch – konsequenterweise – dem von Eric selbst. Die Vernachlässigung der Rückblenden als Kontrast und Verständnis zur Gegenwart lassen den Film im Nachhinein nur zu einem durchschnittlichen Selbstjustiz-Actioner geraten – wenn auch mit stark düsterer Note. Eventuell weiß Stephen Norrington mit dem Reboot der Reihe, das für 2011 geplant ist, näher an die Vorlage zu gereichen. Es wäre ebenso wünschenswert wie die Vermeidung einer weiteren Tragödie, die scheinbar mit The Crow einhergeht.