Shut up and bleed.
Für viele Fans der Szene ist es die Mutter aller Comics: Will Eisners The Spirit, zum ersten Mal erschienen am 2. Juni 1940. „Es gibt niemanden wie Will Eisner“, sagte Comic-Legende Alan Moore 1986. „Es gab nie jemanden und an meinen schlechten Tagen bezweifele ich, dass es je einen geben wird“. Eisner hat den Comic per se nicht erfunden, sowohl Superman als auch Batman waren damals schon aktiv. Die Meinung der Experten ist jedoch, dass Eisner das Genre neu erfunden hat. Revolutioniert. Für Legenden wie Alan Moore wäre die heutige Comic-Landschaft nicht denkbar ohne Eisner, unabhängig von all den Verdiensten eines Bob Kane, Stan Lee oder Jack Kirby. „What we’re doing is building upon the solid groundwork that Eisner has been laying down“, erläuterte Moore und ergänzte: „He’s THE BOSS, and we know it“. Was genau war so revolutionär an The Spirit, Eisners Superhelden-Geschichte, die dieser nie als solche konzipiert hatte? Ein Jahr vor der ersten Veröffentlichung trat 1939 Busy Arnold an Eisner heran. Er beauftragte den Zeichner für die Sonntagsausgabe von Zeitungen eine Comicserie zu erschaffen.
„Something that had never been done before“, erinnerte sich Eisner noch im Jahr 2000. Der 23-Jährige durfte eine Figur erschaffen, zeichnen und gestalten – alles auf eigener Verantwortungsbasis. Eisner konzipierte seine Geschichte als Detektivroman, sein Held – Privatermittler Denny Colt – sollte menschlich und glaubwürdig erscheinen. Eines Tages erhielt Eisner dann einen Anruf von Busy Arnold, der wissen wollte, ob Colt auch ein Kostüm tragen würde. „Every comic-book hero today has a costume“, beharrte er, sonst könnte man die Geschichte nicht verkaufen. Eisner gab nach, verpasste Colt, den er The Spirit nannte, eine Maske und Handschuhe. Ironischerweise sollte Colt weder das eine noch das andere in seinem ersten Abenteuer, The Origin of The Spirit (2. Juni 1940), tragen. Mit seiner damals meist 7-seitigen Serie lotete Eisner die Grenzen des Genres neu aus. In der einen Woche war The Spirit in eine Detektiv-Geschichte involviert, in der anderen in eine Geister-, Piraten-, Liebesgeschichte oder gar Komödie.
Mit einer Unterbrechung von drei Jahren – Eisner diente von 1942 bis 1945 in der Armee – war der Amerikaner insgesamt neun Jahre an The Spirit beteiligt. Die Serie lief von 1940 bis 1952. Ein Problem der frühen Abenteuer war fraglos die Tatsache, dass Eisner nur eine beschränkte Anzahl an Einzelbildern (panels) zur Verfügung standen. Zwar bewies der junge Zeichner durchaus Brillanz, indem er zusätzliche Bilder überlappend über zwei Panels platzierte – eine Maßnahme, die inzwischen längst zum Alltag geworden ist -, doch ändert dies nichts daran, dass die Serie aus heutiger Sicht unwahrscheinlich schlecht gealtert ist. Gerne hätte Eisner ausführliche Handlungen etabliert, nur hatte er hierfür keinen Platz. So wirken viele der Abenteuer unglaublich hastig, wird das Problem von Colt innerhalb weniger Panels – meist um die neun – gelöst und dadurch teilweise unglaubwürdig. Dabei besitzt die Reihe fraglos ihren Charme und Colt Wiedererkennungswerte. Er ist ein Frauenmann, der es besonders Ellen Dolan, der Tochter des Polizeichefs Dolan, angetan hat.
Auszug aus The Mastermind Strikes (6. Oktober 1940)
Es ist jener Polizeichef, der als Einziger um die wahre Identität von The Spirit weiß. Seine Abenteuer begeht Colt dabei stets mit einer Portion Humor, ohnehin ein Aspekt, den Eisner nicht vernachlässigen wollte. So kommt es in The Prom beispielsweise dazu, dass The Spirit Ellen den Hintern versohlt, als diese ihn fälschlicherweise in einen Mordfall hineinziehen will. Als Kind seiner Zeit sind Colt und andere Charaktere jedoch auch klar stereotyp gezeichnet. Der Detektiv selbst ist ein Narzisst und über alle Maße von sich selbst überzeugt. Ein gewisser Chauvinismus schlägt auch durch. Frauen wie Ellen Dolan oder Sand Saref verkommen zu Klischeebildern. Die eine himmelt ihren starken Liebhaber an und bereitet ihm meist Probleme, die andere ist hauptsächlich an schimmernden Dingen orientiert und strebt nach Schmuck und Reichtum.
Beides sind Aspekte die Comicautor Frank Miller – eine eigene Legende innerhalb der Szene – in seine Verfilmung The Spirit eingebaut hat. Vor vier Jahren dann stieß Miller zum Projekt und machte sich an die Arbeit die Kultreihe zu verfilmen. Einen Aspekt hat er dabei bewusst ausgelassen: Ebony White. Man mag es auf die Epoche schieben – Martin Luther King Jr. sollte mit seiner Reformbewegung noch 28 Jahre auf sich warten lassen -, aber Eisners The Spirit ist zweifelsohne rassistisch. Eine Woche nach seiner Erstehung wurde Ebony in The Return of Dr. Cobra eingeführt. Er ist ein afroamerikanisches Straßenkind, von Eisner mit großen weißen Augen und einem übergroßen Schmollmund gezeichnet. Zudem offenbart sich die Figur noch durch ihre Sprache, die gegenüber der Ausdrucksweise der anderen (beziehungsweise weißen) Figuren weit primitiver war. Schon bald verkommt Ebony zum Sidekick vom Spirit, wird sein Stammtaxifahrer und Begleiter. Immerhin lässt sich sagen, dass Colt nie sonderlich despektierlich mit Ebony umgeht, was am Rassismus gegenüber der Figur (allein der Name spricht für sich) jedoch nichts ändert.
„I intend to be extremely faithful to the heart and soul of the material, but it won't be nostalgic”, erklärte Miller im Frühjahr 2007. Während Eisners Reihe vom visuellen Hintergrund eher in einer Liga mit Kollegen wie The Phantom oder The Shadow spielte, adaptierte Miller die Geschichte anhand seines eigenen visuellen Stils, den Robert Rodriguez bereits in Sin City oder auch Zach Snyder in 300 angewandt hatte. Während in der Filmversion die Figur von Ebony White wegfiel, arbeitete Miller andere Charaktere wie The Octopus und Silken Floss ein wenig aus. Eisners The Spirit ist sicherlich keine Comicserie, die sich schwer adaptieren lassen würde und dennoch hat es Miller geschafft, diese Aufgabe in den Sand zu setzen. Anstatt „faithful to the heart and soul of the material“ zu sein, hat Miller einen Film geschaffen, der quasi eine Frank Miller Interpretation von The Spirit ist und letztlich daherkommt, als hätte der Amerikaner einen Band seiner eigenen Sin City-Reihe verfilmt.
Miller beginnt den Film vielversprechend, indem er sich nämlich nicht die Mühe macht die Entstehung seiner Figur als Einführung zu verwenden. Ein Einsatz ruft und The Spirit (Gabriel Macht) ist auf dem Weg. Er rennt über die Häuserdächer und dies mit artistischer Präzision. Als es ihm zu langsam geht, übernimmt er einen vorbeifahrenden Polizeiwagen (Auftritt von Miller als Polizist). Am Einsatzort wartet eine verwundete Person und murmelt etwas von einer wunderschönen Frau. Es folgt der Auftritt des Octopus (Samuel L. Jackson), der bei den Fans der Vorlage für Kontroversen sorgen dürfte. Während Eisner seinen Octopus als Nemesis von Colt erschuf, der abgesehen von seinen Handschuhen nie zu sehen war, inszeniert Miller den Oberschurken als durchgeknallte Kanaille, die von Jackson mit Freude überspielt wird. Was folgt ist ein minutenlanger Kampf zweier Männer, die scheinbar keinen Schmerz verspüren. Irgendwann nimmt der Octopus eine Keramiktoilette (wo er diese mitten in einer Sumpflandschaft her hat erfahren wir nicht) und knallt sie Spirit über den Kopf. „Come on! Toilets are always funny!“, schreit der Octopus und dies weniger an Spirit gerichtet, als vielmehr ans Kinopublikum selbst.
Jene Szene steht exemplarisch für den gesamten Film, wenn Miller seine Zuschauer durch den Film selbst anweisen muss, wie sie zu reagieren haben. Der Kampf und die Szene allgemein haben keinen tieferen Sinn, dienen der Klimax des Filmes, die später kommt und dramatisch sein soll, es jedoch letztlich nicht ist. In Millers Film dreht sich alles um diese Beziehung zwischen dem Octopus und Spirit. „We’re two of a kind“, trällert ihm der Bösewicht entgegen und regt den Held zum Nachdenken an. Kurz darauf findet sich eine neue Leiche und wieder wird diese auf eine schöne Frau zurückgeführt. Es stellt sich heraus, dass Sand Saref (Eva Mendes) wieder in Central City ist. Wie es scheint, macht sie gemeinsame Sache mit dem Octopus. Doch Colt weiß es besser, hat er doch eine eigene Vergangenheit mit Sand. Diese wiederum wird zwar sehr schön inszeniert, allerdings wirkt sie nicht minder konstruiert beziehungsweise platziert wie alle anderen Elemente in Millers Film. Auf den ersten Blick hat The Spirit nicht mehr viel mit Eisners ursprünglicher Geschichte (zumindest in ihrer Anfangszeit) zu tun. Miller verändert die Figuren nach seinem eigenen Belieben. Aus Denny Colt, dem Detektiv im obligatorischen blauen Anzug wird Denny Colt, der Straßenpolizist, in Schwarz mit übermenschlichen Kräften. Mehrere Schusswunden heilen innerhalb weniger Minuten. Aus dem ehemals menschlichen Helden ist bei Miller der Superheld schlechthin geworden.
Die Entstehungsgeschichte der Figur ist verloren gegangen, wurde stattdessen mit dem Octopus verwoben. Dieser ist weniger Octopus als vielmehr Samuel L. Jackson in Reinform. Bevorzugt inszeniert von Miller in schrillen Kostümen in noch schrillerer Ausstattung. Eine unsägliche Figur und ganz speziell eine unsägliche Interpretation von Jackson. Doch immerhin erträglicher als die Bodyguards des Octopus, eine geklonte Armee von Louis Lombardi. Das ganze kulminiert dann in einer der nervigsten Szenen der letzten Jahre, wenn der Octopus in seinem Labor sitzt und einen springenden Lombardi-Fuß klont, dem alle fasziniert beiwohnen. Die Figureninterpretation von Miller ist somit bedenklich und insbesondere zwiespältig. Während Lombardi und Jackson wie Störfaktoren wirken, können Mendes als Sand Saref und auch Sarah Paulson als Ellen Dolan überzeugen. Scarlett Johansson liefert eine eigene Interpretation von Silken Floss, bei der deren Sinn und Zweck nie wirklich erläutert wird. Von der Nuklearphysikerin und brillanten Chirurgin ist im Film nichts zu sehen. Enttäuschenderweise wird auch sonst keine Agenda für die junge Frau eingeführt, die lediglich als kalkulierte Assistentin des Octopus aufwartet. Die DarstellerInnen des Filmes und ihre Besetzung sind somit streitbar, jedoch nicht das Manko des Filmes. Dieses liegt ganz klar auf der inhaltlichen und visuellen Ebene von The Spirit.
Die meiste Zeit über ist der Film an einem aufgehellten schwarz-weiß Ton orientiert, wie man ihn auch in Sin City oder Sweeney Todd findet. Die Bilder sind dunkel und düster, Central City selbst erinnert fraglos an Basin City oder Burtons Gotham City. Eine Gegend, in der man sich Nachts nicht freiwillig rum treiben möchte und zugleich doch die Stadt des Helden. „Walk down the right alley in Sin City and you can find anything“, säuselte Marv in Millers Eigenwerkadaption. Hier darf Colt seine nie in Frage gestellte Liebe zu seiner Stadt bekunden: „My city screams. She is my mother. She is my lover“. Dass Colt statt einem blauen einen schwarzen Anzug trägt, hängt wohl mit Millers Inszenierungsstil zusammen. So kann er die Figur mit dem ohnehin schwarzen Hintergrund verschmelzen lassen und dadurch die Betonung auf Colts rote Krawatte legen. Abgelöst werden die ausgebleichten Bilder dann hin und wieder stets von kräftigen und satten Farben, die oftmals als Hintergrundpanels dienen.oder für die Hervorhebung von Details verwendet werden. Miller setzt sie bei Sand Sarefs Abschied in Jugendjahren ein, am häufigsten jedoch wenn der Octopus im Bild ist.
Gerade in dessen Hauptquartier treibt es der Regisseur sprichwörtlich kunterbunt. Hier ist mit Miller ohne Zweifel das Pferd durchgegangen. Ohnehin sind die Szenen, die sowohl den Octopus als auch Silken Floss enthalten, derartig schrill und gewollt schräg, dass einem der Kopf zu schmerzen droht. Seinen stilistischen Höhepunkt findet das Ganze dann, wenn Jackson und Johansson in SS-Uniformen zu „Deutschland, Deutschland über alles“ dem Spirit den „Twist“ des Filmes offenbaren. Was Miller mit jener Szene bezwecken will, bleibt einem ebenso fremd wie die Intention des gesamten Werkes. Dieses verfügt weder über eine eigene (visuelle) Seele, noch über eine stringente Geschichte. Vielmehr ist The Spirit nur eine Aneinanderreihung von hübsch photographierten Sequenzen, die optisch etwas hermachen, jedoch völlig frei von Inhalt sind. Dass Miller nicht im Stande war, Eisners Geschichte auf eine andere Art und Weise zu erzählen, als Miller es mit seinen eigenen Geschichten handhabt, spricht diesem im Grunde die Tatsache sich „Regisseur“ zu nennen ab. Der unerfahrene Zuschauer wird nicht feststellen könne, ob er hier einer missratenen Sin City-Fortsetzung beiwohnt oder einer Verfilmung von Eisners Kultcomic.
Dennoch verfügt der Film auch über einige wenige gelungene Aspekte. Gelegentlich findet man die humoristischen Elemente aus Eisners Comic, einige Einstellungen wissen trotz ihrer Sin City-Verwandschaft zu gefallen. Klare Stärke und größter Stimmungsmacher sind jedoch die Einzeiler, die auf den Weg gestreut werden. Viele von ihnen fanden bereits Einzug in die Trailer oder Werbekampagne zum Film („Do I look like a good girl?“) und wissen durchaus auch in ihrem Kontext zu gefallen. Gelegentlich entwickelt The Spirit auch etwas Zug, nimmt an Fahrt auf und wirkt kurzzeitig homogen. Meist werden diese gelungenen Augenblicke dann jedoch von weiteren überkandidelten Spielereien von Miller korrumpiert. Das Experiment Eisner Comic in das Gewand von Millers Comic zu packen, muss als gescheitert angesehen werden. Die Struktur von Eisners Geschichte passt nicht mit Millers visuellem (Erzähl-)Stil zusammen, wirkt hier eher störend. Etwas mehr Tiefe hätte Millers Film nicht geschadet, genauso wenig wie eine Reduzierung der weiblichen Riege, die mit Ellen Dolan, Sand Saref, Silken Floss und Lorelei Rox zu überfüllt wirkt. Auch die Entscheidung dem Octopus ein Gesicht zu geben und dieses mit Samuel L. Jackson zu besetzen war ein Fehler des Regisseurs. Einige nette Schauwerte und Momente ausgenommen ist The Spirit somit zu einer großen Enttäuschung verkommen, die Laien ein falsches Licht auf Eisners Comic und ein schlechtes auf Miller selbst wirft. Sein Inszenierungsstil wirkt bereits jetzt verbraucht und inwieweit die kommenden beiden Sin City-Fortsetzung funktionieren werden, bleibt abzuwarten.
4.5/10
30. Januar 2009
Panel to Frame: The Spirit
27. Januar 2009
The Curious Case of Benjamin Button
Er ist Hollywoods Thriller-Mann, der selbst unter unüblichen Begebenheiten in das Business gelangte. David Fincher drehte Musikvideos für Madonna, als man ihm 1992 anbot, das Alien-Franchise zu übernehmen. Zuvor hatten Ridley Scott und James Cameron imposante Genrebeiträge mit jenem extraterrestrischen Parasiten abliefern können. Ganz wie gewünscht verlief die Zusammenarbeit dann jedoch nicht und auch heute stehen Einige Finchers Debütfilm noch sehr ambivalent gegenüber. Mit The Curious Case of Benjamin Button liefert er nun seinen ersten Film mit Freigabe ab zwölf Jahren ab. Ein Indiz dafür, dass Finchers siebter Film nicht problemlos in sein bisheriges Œuvre einzugliedern ist. Denn im Gegensatz zu seinen düsteren Filmen, die von einer tödlichen Gefahr erfüllt sind, ist Benjamin Button ein verträumtes Liebesepos.
„I was born under unusual circumstances“, erklärt Benjamin Button (Brad Pitt) dem Publikum zu Beginn. Seine Geschichte ist selbst nur eine Geschichte innerhalb einer Geschichte. Denn während das eine Leben beginnt, vergeht ein anderes. In der Gegenwart liegt Daisy (Cate Blanchett) im Sterben. An ihrer Seite: Ihre Tochter Caroline (Julia Ormond), die in Benjamins Tagebuch dessen Leben Revue passieren lässt. Geboren am Ende des Ersten Weltkrieges, ist Benjamin Button anders als andere Säuglinge. Mit Blindheit, Taubheit und Arthritis geschlagen, erweckt er den Eindruck eines 85-jährigen Mannes. Sein Vater Thomas Button (Jason Flemyng) ist sichtlich geschockt, unter anderem auch deshalb, weil seine Frau im Kindbett verstarb. Button gibt den Jungen weg, der schließlich ironischerweise in einem Seniorenheim bei der dortigen Bediensteten Queenie (Taraji P. Henson) landet. Da diese selbst keine Kinder bekommen kann, nimmt sie sich des Jungen kurzerhand an.
Die Stärke der ersten Stunde liegt in der bizarren Konstellation, dass ein junger Geist in einem alten Körper gefangen ist. Sehnsüchtig beobachtet Benjamin abends auf der Veranda seine Altersgenossen, wie sie auf den Straßen spielen. Kurz darauf scheucht ihn Queenie wieder ins Haus. Die Straßen seien zu gefährlich für den alten, gebrechlichen Mann. Allerdings hat der Aufenthalt im Seniorenheim auch etwas für sich, wird Benjamin doch hier die Vergänglichkeit des Lebens bewusst. Denn während er selbst immer jünger wird, sterben seine Zimmergenossen um ihn herum allmählich weg. Es sei Bestimmung, dass wir die Menschen verlieren, die wir lieben, wird Benjamin später von einer älteren Frau erklärt. Denn wie würden wir sonst wissen, wie viel sie uns tatsächlich bedeuten?
Erst als der alte Benjamin die junge Daisy (Elle Fanning) kennenlernt, blüht er auf. Endlich ist jemand im Haus, mit dem er spielen kann. Doch die äußerliche Altersdifferenz ist offensichtlich und schiebt der Beziehung der beiden einen Riegel vor. Im Gegensatz zu ihrer Großmutter merkt Daisy allerdings sehr wohl, dass Benjamin weitaus jünger ist als er aussieht. In diesen Szenen beeindruckt Hauptdarsteller Brad Pitt und hat seinen Spaß daran, dem alten Mann pubertärer Züge zu verleihen. So gesehen ist Eric Roths Geschichte in ihrem ersten Viertel größtenteils Coming-of-Age-Film, wenn Benjamin innerlich erwachsen wird, während er äußerlich verjüngt. Dies erzeugt zahlreiche amüsante Szenen, beispielsweise wenn der Greis zum ersten Mal betrunken nach Hause kommt und sich schließlich in Queenies Anwesenheit plötzlich übergibt.
Jene Liebesgeschichte zwischen dem jünger werdenden Benjamin und der älter werdenden Daisy bildet den eigentlichen Rahmen für The Curious Case of Benjamin Button. Innerhalb der nächsten Jahrzehnte werden sich die beiden immer wieder begegnen und dabei oft unverrichteter Dinge wieder auseinander gehen müssen. Dieser romantische Aspekt unterscheidet Roths Adaption von F. Scott Fitzgerald gleichnamiger Kurzgeschichte aus dem Jahr 1921. Diese fokussiert sich vielmehr auf die sozialen Widerstände, denen Benjamin sowohl seinem Vater, als auch seiner Umwelt gegenüber, begegnen muss. Bereits vor zehn Jahren sollte Fitzgeralds Novelle verfilmt werden, damals noch unter der Regie von Ron Howard und mit John Travolta in der Hauptrolle. Auch die Konstellation Steven Spielberg/Tom Cruise war zeitweilig im Gespräch gewesen.
Ein großes Manko von Finchers Film ist zweifellos seine Überladenheit. Die Laufzeit gerät Benjamin Button nicht sonderlich gut, was man speziell im zweiten Drittel merkt. Hier verdingt sich Benjamin als Matrose und gerät in einem verschneiten russischen Hafen schließlich an die Frau eines britischen Spions. Es erschließt sich dem Publikum nicht, welchen Zweck Elizabeth Abbott (Tilda Swinton) hier erfüllt, außer dass sie eine Affäre mit unserem Protagonisten eingehen kann. In dieser Phase des Filmes – die noch in eine Konfrontation mit den Achsenmächten mündet – gerät Fincher sichtbar mit seinem Erzählfluss ins Stocken und verläuft sich kurzzeitig. Erst als die Handlung wieder „synchron“ läuft, nimmt die Geschichte erneut an Tempo auf. Ähnlich überflüssig ist außerdem auch die retrospektive Erzählung über Caroline im Krankenhaus. Hier wird unnötig unterbrochen, ohne dass einem jene Unterbrechung mit wirklichem Inhalt vergolten wird.
Mit seinem siebten und ungewöhnlichsten Film hat es David Fincher geschafft, am meisten Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dass der Film dabei nicht ohne Schwächen ist, bedeutet nicht, dass es dem Regisseur mitunter durchaus gelingt pure Kinomagie auf die Leinwand zu zaubern. Denn dass The Curious Case of Benjamin Button ein großer Film ist, steht außer Frage. Ob es ein guter Film ist, dürfte die Zuschauer mal wieder in zwei Lager spalten. Auf jeden Fall handelt es sich hierbei um ein Seherlebnis, dass man sich ob seiner epischen Breite und von Romantik geschwängerten Geschichte nicht ohne Weiteres entgehen lassen sollte. Wer weiß, ob Fincher nochmals solche eine epochale Romanze inszeniert.
7.5/10
25. Januar 2009
Classic Scene: Airplane! - "Huh?"
INT. COCKPIT
- NIGHT
GROUND CONTROLLER: (voice-over) Flight two-zero-niner, you are cleared for takeoff.
OVEUR: Roger.
MURDOCK: (turning to Oveur) Huh?
Oveur throws console lever into second gear.
GROUND CONTROLLER: (voice-over) L.A. departure frequency two-point-niner.
OVEUR: Roger.
MURDOCK: (turning to Oveur) Huh?
BASTA: (to tower) Request vector...over.
OVEUR: (turning to Basta) What?
GROUND CONTROLLER: (voice-over) Flight two-zero-niner, cleared for vector three...two four.
MURDOCK: We have clearance, Clarence.
OVEUR: Roger, Roger. What's our vector, Victor?
Oveur throws console lever into third.
EXT. RUNWAY
- NIGHT
Flight 209 takes off, flying erratically.
BASTA: (voice-over) Tower radioed clearance, over.
OVEUR: (voice-over) That's Clarence Oveur...over.
BASTA: (voice-over) Roger.
MURDOCK: (voice-over) Huh?
TOWER: (voice-over) Roger, over.
OVEUR: (voice-over) What?!
MURDOCK: (voice-over) Huh?
24. Januar 2009
Ghost Town
6.5/10
South Park - Season Nine
What seems to be the officer, problem?
Viel muss ich hoffentlich nicht mehr schreiben zu South Park, der Serie, die vor einigen Wochen ihre zwölfte Staffel hinter sich gebracht hat. Erschaffen von Matt Stone und Trey Parker, eine herrliche Basis für Promi- und Filmgebashe, hinreißende Hommagen und unglaublicher Sozialkritik, die sonst nicht überall in den USA Einzug in die Medien findet. South Park eben. Vor vier Jahren lief die neunte Staffel, die wie immer mit 14 Episoden versehen wurde. Während ich zu den gelungenen Staffeln Acht und Zwölf schrieb, dass das Tolle an dem Format war, dass es konstant gut ist, musste ich mich in gewisser Weise bei der neunten Staffel eines Besseren belehren lassen.
Zwei Folgen hatte ich noch in guter Erinnerung, aber erst beim neuerlichen Sehen – es dürfte sich hierbei um die dritte Sichtung handeln – fiel mir auf, wie schwach doch manche Folgen dieses Mal sind. Speziell Wing und Erection Day stechen hier heraus, wobei Ginger Kids auch nur grad so noch die Kurve bekommen hat. In Wing wird zum einen Sylvester Stallone verarscht, zum anderen sich über (Musik-)Castingsshows lustig gemacht. In Erection Day hingegen geht es um ungewollte Erektionen während der Pubertät und in Ginger Kids lassen Stone und Parker mal wieder Cartman einen Genozid anstreben. Was allen drei Folgen fehlt, ist der Pep und vor allem etwas Kritik an dem Thema, dessen sie sich annehmen. Viel zu harmlos verkommen diese drei Folgen, aber auch einige andere.
Episoden wie Free Willzyx oder Bloody Mary sind recht spannungsarm und müßig inszeniert, bieten dafür allerdings teilweise geniale Momente („Save the wales, mothafucka!“). Aber auch hier schöpft man nicht das volle Potential aus den Themen Walrettung und Heilungsglauben. Selbst in einer Episode wie Follow the Egg, in der es um das viel diskutierte Thema der gleichgeschlechtlichen Ehen geht, gelingt es nicht die Story über den Durchschnitt zu heben. Das versackt mir alles viel zu sehr, gerade da auch die Hintergrundstory mit den Eiern etwas lahm ist. Dagegen weiß Die Hippie, Die immerhin durch amüsante Verarschungen von Ghostbusters und The Core mitunter zu gefallen.
Richtig aus dem Vollen schöpfen Parker und Stone dann in drei anderen Folgen. Den Beginn macht Mr. Garrison’s Fancy New Vagina, eine Episode, die sich ausgiebig mit dem Sinn von Schönheitsoperationen beschäftigt und sich hierbei über Trinidad, Colorado („the Sex Change Capital of the World“) lustig macht. In The Day Before the Day After Tomorrow ziehen die beiden Komiker genüsslich die aufkommende Angst vor der Globalen Erwärmung und insbesondere auch Roland Emmerichs Film in den Dreck. Ähnlich wie bereits in All About the Mormons? (Staffel 7) beschäftigt sich South Park eingängiger mit einer der neuen Religionen/Sekten. Trapped in the Closet stellt Scientology an den Pranger, speziell deren Glauben, dass der außerirdische Tyrann Xenu für das Leid der Menschen verantwortlich ist. Zudem dient die Folge dazu sich mit viel Wortwitz über Tom Cruise und das Gerücht er sei homosexuell lustig zu machen.
Hier wird die Sozialkritik der Serie augenscheinlich, birgt allerdings dennoch keine wirklichen Brüller. Es sind daher zwei andere Folgen, sehr viel unscheinbarer, welche die Höhepunkte der neunten Staffel ausmachen. In Best Friends Forever, die zu Recht einen Emmy gewonnen hat, wird Kenny auf Anordnung des Himmels getötet, um die Armee Satans als „Keanu Reeves“ zu vernichten. Subversiv findet hier auch das Thema der Lebenserhaltung Einzug ins Geschehen. Fast noch gelungener ist aber Marjorine, in welcher die Jungs Butters Tod vortäuschen, um an eine Geheimwaffe der Mädchen zu kommen. Diese spielen „Himmel oder Hölle“, was die Jungs nicht verstehen und daher Butters als Mädchen tarnen. Allein das Ende der Folge ist Gold wert und der Höhepunkt der Staffel.
Nun ist auch die neunte Staffel der Kultserie nicht wirklich schlecht, selbst wenn die vorangegangenen Zeilen diesen Eindruck erweckt haben mögen. Die Serie bricht nicht ein, keineswegs. Aber sie verliert etwas an Konstanz, wirkt nicht spritzig und frisch genug. Dies mag eventuell an dem Jahr 2005 gelegen haben, sollten sich in den USA nicht genug Ereignisse gefunden haben, die einer Persiflage wert waren. Nichtsdestotrotz ziehen die schwächeren Folgen den Gesamteindruck etwas herunter. Aber wie man durch Staffel Zwölf bereits weiß, ist/war dies kein Zustand für immer, sondern eine Momenterscheinung der Serie. Die folgenden zwei Staffeln dürften sicherlich wieder an Qualität dazu gewonnen haben.
7.5/10 - erschienen bei Wicked-Vision
21. Januar 2009
Changeling
Sein Name beherrscht wie fast kein anderer die Landschaft der Auszeichnungen in Hollywood des aktuellen Jahrzehnts. In den letzten fünf Jahren war Clint Eastwood sieben Mal für einen Academy Award nominiert. Zweimal konnte er die Trophäe mit nach Hause nehmen, wo er bereits zwei Exemplare für seinen Western-Abgesang Unforgiven stehen hat. Mit Filmen wie Mystic River, Million Dollar Baby und Letters from Iwo Jima hat sich Eastwood, der raubeinige Schauspieler des vergangenen Jahrhunderts, einen Namen als ernstzunehmender Drama-Regisseur gemacht. Und wie es den Anschein hat, macht er mit Changeling gerade da weiter, wo er zuletzt aufgehört hat. Dabei ist das period piece nur einer von zwei Eastwood-Filmen, die in den nächsten Wochen im Kino laufen. Während er sich in Gran Torino eher vom Darstellerdrama entfernt, beginnen die Vorbereitungen für The Human Factor, in welchem er sich mit Morgan Freeman in der Hauptrolle der großen Persönlichkeit Nelson Mandela widmen möchte.
In Changeling wird die wahre Geschichte von Christine Collins (Angelina Jolie) erzählt. Diese lebte 1928 gemeinsam mit ihrem Sohn Walter in Los Angeles. Als Collins an einem Wochenende unerwartet arbeiten musste, lässt sie Walter allein zu Hause. Bei ihrer Heimkehr abends ist der Junge verschwunden und kein Anzeichen seines Verbleibs zu finden. Es vergehen mehrere Monate, die Collins in Ungewissheit verbringen muss. Nach beinahe einem halben Jahr meldet sich die Polizei in Person von Captain Jones (Jeffrey Donovan) bei ihr. Man habe ihren Sohn gefunden. Das erste Wiedersehen am Bahnhof verläuft suboptimal. Zwar ist sich Collins sicher, dass der Junge, den man ihr präsentierte, nicht ihr Sohn ist. Aus gutem Willen lässt sie sich für den Pressekonvoi jedoch lächelnd ablichten. Doch die Gewissheit nimmt zu, dass es sich bei dem Jungen nicht um ihren Sohn Walter handelt. Für Jones hingegen ist der Fall abgeschlossen. Ein Junge wurde vermisst und ein vermisster Junge wurde zurückgebracht. Gemeinsam mit dem Radioprediger Gustav Briegleb (John Malkovich) beginnt Collins einen Sysyphos-Kampf gegen die Polizei Los Angeles’.
Während die Mitte des Filmes relativ ruhig daherkommt, zeichnen sich besonders Anfang und Ende des Filmes durch die unsägliche Komposition von Clint Eastwood aus. Speziell die Inszenierung von Christine Collins Heimkehr exemplifiziert das Manko des Filmes. Zu übertrieben pathetischer Musik bildet sich auf dem Gesicht Jolies bereits die Gewissheit ab, ehe sie überhaupt durch die Haustür geschritten ist. Anschließend präsentiert Eastwood ein elterliches Unverständnis, dass die Polizei Vermisstenmeldungen erst nach 24 Stunden aufnimmt. Zu keinem Zeitpunkt wird während des Filmes jedoch das Handeln von Collins an jenem Tag hinterfragt. Wieso hat sie ihren Sohn alleine zu Hause gelassen? Zwar erwähnt sie Walter gegenüber, dass die Nachbarn nach ihm sehen werden, doch als sie nach Hause gelangt und ihren Sohn nicht vorfindet, kommt ihr nicht der Gedanke, zuerst zu eben jenen Nachbarn zu gehen. Vielmehr rennt sie die Nachbarschaft rauf und runter.
Es gibt mehrere Gründe, aufgrund derer Changeling nicht funktioniert. Zum einen die viel zu pathetische und überzogene Musikuntermalung des Regisseurs selbst, zum anderen auch die Fehlbesetzung seiner Figuren. Unter anderem Reese Witherspoone und Hilary Swank hatten sich für den Part von Christine Collins beworben. Den Zuschlag erteilte Eastwood schließlich Jolie, weil sie seiner Ansicht so aussah, als hätte sie aus den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammen können. So kommt es, dass Angelina Jolie die meiste Zeit über nicht nur mit mehr Schminke als Alice Cooper durch die Gegend stolziert, sondern oft auch gnadenlos überspielt. Nicht weniger deplatziert wirkt John Malkovich in der Rolle des nach Recht strebenden Presbyteriers. Auch hier war es eine oberflächliche Entscheidung des Regisseurs, der Malkovich gegen den Strich besetzen wollte. Lediglich Donovan und Amy Ryan in einer Nebenrolle wissen zu überzeugen, die meiste Zeit hindurch gehört die Aufmerksamkeit jedoch Newcomer Jason Butler Harner in der Rolle von Gordon Northcott.
Eastwood versucht das Experiment, in seinem neuesten Film nicht nur ein Familiendrama zu erzählen, sondern zugleich auf einer Nebenspur einen Serienmörder-Thriller abzuspielen. Im Laufe des Filmes bedient sich Drehbuchautor J. Michael Straczynski immer mehr der Details der Wineville Hühnerstall Morde. Die Vermischung der beiden Handlungen gereicht Changeling jedoch keineswegs zum Vorteil. Stattdessen wird der Film unnötig in die Länge gezogen und ist unter dem Strich gesehen gut eine Stunde zu lang geworden. Es wäre empfehlenswert gewesen, wenn sich Eastwood und Straczynski entweder auf Collins oder aber auf Northcott beschränkt hätten. Die Geschichten von beiden zusammen verkommen zu einem spannungsarmen, langatmigen und überzogenen Drama, welches zu keinen Zeitpunkt Zug oder Atmosphäre entwickeln will. Sein Potential schöpft die Geschichte somit prinzipiell nie wirklich aus und ist insgesamt nicht mehr als ein überkandideltes period piece.
5.5/10
18. Januar 2009
Valkyrie
Im Verständnis der Allgemeinheit ist Claus von Stauffenberg aus heutiger Sicht ein Held. Anhand der einfachen Formel: wer Hitler töten wollte, der kann nur ein Held sein. Denn der Feind von meinem Feind ist mein Freund. Oder so ähnlich. Die Wahrheit liegt hier wie immer im Auge des Betrachters. Es ist diskutabel, ob Stauffenberg Hitler stürzen wollte, weil ihm der Genozid der Juden gegen den Strich ging oder weil er lediglich realisiert hatte, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war und er Schadensbegrenzung betreiben wollte. Wie alle Verschwörer des 20. Juli ist Stauffenberg eine ambivalente Figur, bei der eine Kategorisierung zwischen Schwarz und Weiß nicht möglich zu sein scheint. Ein eindeutige Klassifizierung als Held geht somit nicht ohne einen Anflug von Nachgeschmack von statten.
Für viel Aufheben sorgte im Vorfeld dann die Hollywood-Produktion Valkyrie, die sich mit ebenjenem Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 beschäftigt. Glaubt man FAZ-Chefredakteur Frank Schirrmacher, dann geht es jetzt mit Deutschland wieder aufwärts. Viele andere hingegen missbilligten, dass ein deutscher „Held“ von einem Scientology-Mitglied verkörpert wird. Eine Dreherlaubnis für den historischen Ort der Hinrichtung im Bendlerblock wurde untersagt, später dann doch gestattet. Der Starttermin des Filmes wurde von Sommer auf Herbst und von Herbst auf Frühjahr verschoben. Was für Hauptdarsteller Tom Cruise als langersehntes Sprungbrett zum ersten Academy Award gedacht war, versucht sich nun in Schadensbegrenzung. Dabei erklärte Regisseur Bryan Singer vorab in einem Interview mit Christine Kruttschmitt vom stern (Ausgabe 2/2009) bereits, dass der Film „keine Filmbiographie über Stauffenberg, sondern ein Verschwörungsthriller mit real existierenden Figuren und Ereignissen“ darstellen soll. Singer betont, dass Valkyrie ein Unterhaltungsfilm sei und keine „historische Abhandlung“.
Betrachtet man das Ergebnis, ist Singer zuzustimmen. Glücklicherweise verzichtet der Regisseur zu Beginn des Filmes diesen mit dem obligatorischen „Nach wahren Begebenheiten“ einzuleiten. Die Verifizierung, dass es sich bei Valkyrie um keine Filmbiographie handelt, gab Singer zu Recht, wie bereits die ersten Minuten deutlich machen. In Tunesien philosophiert Oberst Stauffenberg (Tom Cruise) in seinem Zelt über die Lage der Nation. So geht das nicht weiter, Hitler zerstört Deutschland und der Judenmord ist auch nicht okay. „Es muss sich etwas ändern“, resümiert der Graf, der sich selbst stets als Abkömmling der Staufer und Ottonen sah (dabei jedoch lediglich dem Dienstadel entstammte). Da trifft es sich gut, dass Stauffenberg kaum aus dem Zelt raus schon gleich einen Befehl des Führers widerlegt. Schließlich müssten dabei nur unnötige Soldaten sterben und alles was er, der Graf, wolle, sei „so viele Männer wie möglich lebend nach Hause“ zu schaffen. Widerstand gegen den Befehl des Führers. Eigentlich begeht Stauffenberg schon hier Hochverrat. Sein Vorgesetzter nickt das ganze dann ab. Ein Angriff der Alliierten macht den Plan zunichte.
Schwer verletzt – Stauffenberg verliert sein linkes Auge, zwei Finger der linken und die gesamte rechte Hand – wird der Oberst nach München zurückgebracht. Dort erwartet ihn bereits General Friedrich Olbricht (Bill Nighy). Olbricht zählt zu einem illustren Kreis von Verschwörern rund um Generalmajor Henning von Tresckow (Kenneth Branagh) und Ludwig Beck (Terence Stamp). Vergeblich hatten diese zuvor versucht Hitler (David Bamber) zu töten. Als einer ihrer Mitverschwörer aus ihren Reihen scheidet, soll er durch Stauffenberg ersetzt werden. Hitler muss beseitigt werden, das steht fest. Doch die Frage ist „wie?“. Stauffenbergs erster Besuch bei Frau Nina (Carice van Houten) und Kindern bringt ihm die Erleuchtung. Die Kleinen spielen Wagners Walkürenritt und Stauffenberg dämmert ein Licht. Hitler soll mit seinen eigenen Waffen geschlagen werden, die Operation Walküre dafür sorgen, dass der Staatsstreich ohne blutigen Niederschlag gelingt. Hierzu müssen jedoch General Friedrich Fromm (Tom Wilkinson), Chef der Ersatzarmee, und General Erich Fellgiebel (Eddie Izzard) gewonnen werden. Während von Tresckow an die Front versetzt wird, übernimmt Stauffenberg allmählich das Kommando über die Operation.
Ein neutraler Blick auf Valkyrie fällt dem deutschen Betrachter schwer. Schließlich hat man das Attentat vom 20. Juli schon etliche Male durchgenommen, sei es in der Schule oder in etwaigen Dokumentation und ZDF-Fernsehspielen. Am eindringlichsten bekannt sein dürfte die deutsche Produktion mit Sebastian Koch als Stauffenberg vor einigen Jahren. Dem Deutschen entlocken somit Szenen wie Stauffenbergs Gedankenblitz beim Hören von Wagners Musik während eines Luftangriffs ein leichtes Lächeln. Für internationale Zuschauer könnte die Szene wiederum ein plausibles Mosaik in einem komplexen Puzzle sein. In seinen Details lässt sich die Planung zur Operation Walküre nicht in einem zweistündigen Film abhandeln. Bedenkt man somit das, was Singers Film sein möchte, und betrachtet das, was Singers Film letztlich geworden ist, können die Macher halbwegs zufrieden sein. Dass Valkyrie ein amerikanischer Film ist – trotz deutscher Nebendarsteller wie Matthias Schweighöfer, Christian Oliver und Wotan Wilke Möhring -, merkt man diesem stets an.
Alle Figuren, allen voran Stauffenberg, bleiben eindimensional. Das Muster ist klar gestrickt, es gibt die Guten und die Bösen. Da es sich bei den Bösen um Nazis handelt, bedarf es keiner weiteren Erläuterungen für die Motive der Guten. Und weil amerikanische Zuschauer ein prägnantes Gesicht brauchen, eine Identifikationsfigur, fokussiert sich die Handlung weitestgehend auf Stauffenberg. Dieser wird Minute um Minute von Singer und den Drehbuchautoren Christopher McQuarrie und Nathan Alexander zentraler in das Komplott verstrickt. Für ein Charakterportrait ist keine Zeit, die heldenhafte Intention wird stattdessen durch pathetische Platituden bestärkt. Dass es eine Reihe von Verschwörern war und Stauffenberg nur einer von ihnen, dafür ist in einem Hollywood-Film kein Platz. Das Publikum wäre nicht bei der Sache, wenn es fünf oder acht unterschiedlichen Figuren folgen müsste. Daher schreiben McQuarrie und Alexander Stauffenberg die entscheidende Rolle zu, die teilweise schon messianische Züge annimmt, wenn Tresckow der Überzeugung ist, dass Stauffenberg Deutschland im Alleingang retten könne.
Ein differenziertes Bild der historischen Figur Stauffenberg erhält man nicht. Soll man aber auch nicht. Singer möchte einen Verschwörungsthriller erzählen und dies gelingt ihm über weite Strecken. Lediglich die teilweise fast unerträglich pathetischen Szenen trüben das Gesamtbild. Hätte man die Figuren etwas vielseitiger und kantiger, beziehungsweise authentischer, gestaltet, wäre für Valkyrie noch weitaus mehr drin gewesen. Inszenatorisch ist Singer auf formaler Eben nämlich kein Vorwurf zu machen. Newton Thomas Sigels Kamera ist ordentlich, die musikalische Untermalung von John Ottman gelungen. Das Szenenbild, die Ausstattung und die Kostüme wirken glaubwürdig. Lediglich die Darsteller gehen etwas unter. Cruise gibt Stauffenberg akzeptabel, allerdings wirkt sein Spiel recht l(i)eblos. Branagh und Stamp überzeugen in ihren wenigen Szenen, während man Nighy, Wilkinson, Thomas Kretschmann und Christian Berkel keinen rechten Vorwurf machen kann.
Dass Valkyrie den Ruf der deutschen Nation international verbessert, darf bezweifelt werden. Zumindest nicht in dem Ausmaß, wie Schirrmacher dies behauptet hat. Die Diskussionen im Vorfeld, auch hinsichtlich eines Tom Cruise (dessen Glaube, Xenu hin Spaghettimonster her, für Filme keine Rolle spielen sollte), haben dem Werk sicherlich geschadet. Nichtsdestotrotz ist Bryan Singer ein solider und ordentlicher Thriller gelungen, der zwar nicht sonderlich herausragend ist, jedoch auch nicht so schlecht, wie ihn einige bestimmt reden werden. An der filmischen Verklärung von Stauffenberg zum strahlenden Helden kann man sich stoßen. Fraglich wie ein Deutschland ausgesehen hätte, wenn der erklärte Demokratiefeind Stauffenberg (für den die Demokratie eine „Gleichheitslüge“ war), siegreich gewesen wäre. Eventuell würden wir heute dann in einem Militärstaat leben. Eventuell auch nicht. Vielleicht wird es Zeit, sich jemandem filmisch zuzuwenden, der wirklich als Held angesehen werden kann.
5.5/10 – erschienen bei Wicked-Vision
15. Januar 2009
Man On Wire
Manchmal steht man auf dem Schlauch. Philippe Petit steht auf dem Kabel. Nicht irgendein Kabel, ein Kabel zwischen den beiden Türmen des World Trade Centers. Ein französischer Hochseilkünstler schießt mit einem Bogen ein Kabel vom Süd- zum Nordturm des damals neu gebauten WTC in New York City. Es ist Viertel nach sieben Uhr morgens am 7. August 1974. Während der nächsten 45 Minuten läuft er die Distanz zwischen beiden Türmen achtmal. Zwei Polizisten schauen ihm dabei zu, denn einschreiten können sie kaum. Erst als man droht ihn mit einem Polizeihubschrauber einzusammeln, verlässt Petit das Kabel und steht mit beiden Beinen auf dem Boden. Die ganze Aktion fand sechs Tage vor dem 26. Geburtstag des Franzosen statt und für die Beteiligten ist es so, als sei das Ganze erst gestern gewesen.
Zahlreiche Preise hat Man on Wire, die Dokumentation von James Marsh, inzwischen gewonnen. Speziell beim Sundance Festival. Bei Rotten Tomatoes gehört der Film zu den best-besprochenen aller Zeiten, mit einer unfehlbaren Empfehlung von 100 Prozent. Für Regisseur Marsh handelte es sich bei dem Stoff weniger um eine Dokumentation, als vielmehr um ein Heist-Movie. Und in der Tat inszeniert Marsh seinen Film über lange Strecken auch als solchen, unterlegt eine Szene mal mit Walter Murphys A Fifth of Beethoven und konzentriert sich weniger um den halsbrecherischen Akt Petits selbst, als vielmehr auf die Vorbereitungsphase für den wagemutigen Stunt. Einen Helikopterflug hatte der Franzose gemacht, um die Abstände zwischen den Türmen einschätzen zu können. Mehrfach hatte er sich in das WTC geschlichen, einmal getarnt als französischer Journalist.
Es wurde observiert, Kostüme hergestellt und Ausweise gefälscht. Alles im ganz großen Stil und mit dem Ziel auf dem Dach des WTC auf einem Kabel zu balancieren. In 417 Metern Höhe. Die Idee kam Petit sechs Jahre zuvor, als er in einer Zahnarztpraxis von dem Bau des WTC erfuhr. Seitdem wollte er von dem einen Turm zum anderen laufen. Vor seinem Stunt in New York hatte Petit bereits Hochseilakte im Pariser Notre Dame und der Harbour Brücke in Sydney vollführt. Man mag sich fragen, wieso ein Mensch ein Seil oder Kabel zwischen zwei Objekten spannt und dann darüber läuft. Aber wenn man so anfängt, kann man sich vieles fragen. George Mallory fragte man weshalb er den Mount Everest besteigen wolle und Mallory antwortete den berühmten Satz: „Weil er da ist“.
Marsh erzählt seine Dokumentation anhand verschiedener Stilmittel. Den Hauptteil machen Interviews mit den Beteiligten Personen jener Zeit aus, allen voran Philippe Petit selbst. Die restlichen Bilder sind zum einen Photographien von damals oder aber Videoaufnahmen, sowie teilweise auch nachgestellte Szenen. Letztere sind jedoch eher die Ausnahmen von der Regel. Unterlegt wird dies musikalisch von Michael Nyman, unterstützt von Klassikern wie Edvard Griegs In the Hall of the Mountain King, der scheinbar in keiner Dokumentation fehlen darf. Mit Man on Wire liefert Marsh fraglos ein Denkmal für jenen französischen Hochseilartisten ab, das wenig in Frage stellt und umso mehr zelebriert. Dabei legt der Regisseur den Fokus nicht auf das „was“, sondern das „wie“. Das Resultat ist ein Film, der zwar eine phantastische Aktion schildert, selbst jedoch nicht unbedingt phantastisch ist. Dafür weiß Marsh zu wenig die Magie des Augenblicks einzufangen.
Wenn einer der Polizisten erzählt, dass er sich sicher war so etwas nie wieder mit eigenen Augen zu sehen, ist dies die Intensität, die der Film gerne erreichen würde. Und in der Tat ist Man on Wire in jenen Szenen am stärksten, die sich tatsächlich mit dem 7. August und den Bildern von Petit auf dem Kabel befassen. Die nacherzählte Spannung von ihm und seinem Freund, die sich unter einer Decke vor dem Wachmann verstecken mussten, will dagegen nicht so recht auf den Zuschauer überspringen. Zwar funktioniert Marshs Film bisweilen durchaus als Heist-Movie, doch wäre es Man on Wire sehr viel besser gereicht, wenn der Regisseur sich mehr mit dem Drahtseilakt selbst als dessen Vorbereitung beschäftigt hätte. Die Euphorie von Petit für seine Passion merkt man ihm an und Marsh schafft es diese zu übertragen. Doch wie angesprochen bedarf es für eine phantastische Dokumentation weitaus mehr, als nur ein phantastisches Thema.
7.5/10
12. Januar 2009
Revolutionary Road
Das Time Magazin wählte Richard Yates’ Roman Revolutionary Road vor rund drei Jahren zu den 100 besten englischsprachigen Romanen der neuesten Geschichte. Bereits 1961 wollte John Frankenheimer ihn ehe er sich für The Manchurian Candidate entschied. Nun, beinahe ein halbes Jahrhundert später, wird Yates’ Geschichte doch noch verfilmt – womöglich etwas zu spät, angesichts seiner Thematik. Nach Filmen wie Ang Lees The Ice Storm oder Todd Fields Little Children sowie Sam Mendes’ eigenem American Beauty sind dysfunktionale Ehen in Vorstädten nichts Neues. Man kommt also mitunter nicht umhin, während Revolutionary Road gelegentlich gedanklich abzuschweifen, ob der bereits bekannten Elemente dieser anderen Werke.
“You’re the most interesting person I’ve ever met”, erklärt April (Kate Winslet) 1948 ihrem Freund Frank. Auf einer Party hatten sich die ambitionierte Schauspielerin und der Kriegsveteran kennen gelernt. Beide lachen und philosophieren über Paris. Jene Stadt, der Frank seit dem Zweiten Weltkrieg verfallen ist und die er wieder besuchen möchte. Dort seien die Menschen noch frei, versichert er seiner Freundin. Doch es kommt alles anders als geplant. April wird schwanger und Frank nimmt einen Job in der alten Firma seines Vaters an. Er mag den Job nicht und es beschämt ihn, wie sein Vater geendet zu haben. Dies gesteht er an seinem 30. Geburtstag, einer Sekretärin seiner Firma, mit der er anschließend Sex hat.
Glaubt man US-Dramen, muss das Leben in der Vorstadt grauenhaft sein. Auch, da Eltern darin zum eigenen Nachwuchs eine gestörte Beziehung unterhalten. Grundsätzlich unterscheidet die Ehe der Wheelers wenig von Hoods, Pierces oder Burnhams. Man lebt weitestgehend nebeneinander und nicht miteinander. Ob man immer alles tot diskutieren müsse, will April in einer Szene wissen, und findet später erst dann etwas Privatsphäre, als sie in den Wald flüchtet. Was genau schief gelaufen ist zwischen den netten Wheelers aus der Revolutionary Road kann man nur erahnen. Sicher ist jedenfalls, dass das Vorstadtleben wie ein goldener Käfig empfunden wird. Vielmehr noch von April, welche die eigentliche Hauptperson ist.
Eine unbeschwerte junge Frau wird schwanger und Anfang der 1950er in die Hausfrauenrolle gedrängt. Dass sie nach Paris will, um dort als Sekretärin alleine für ihre Familie zu sorgen, findet seine Begründung sicher weniger in ihrer Liebe zu Frank und dem Wunsch dessen Selbstverwirklichung zu ermöglichen. Stattdessen geht es eher darum, dass April sich selbst endlich wieder lebendig fühlt, sich als individuell und nicht Teil einer Maschinerie wahrnimmt. Exemplarisch zu sehen, als sie nachts allein mit Shep (David Harbour), dem Kriegskameraden und besten Freund ihres Mannes, wie losgelöst tanzt. Für April bedeutet die dritte Schwangerschaft ein weiteres Gewicht an ihren Fußfesseln. Sie ist die Person, die eigentlich im Fokus steht.
Regisseur Sam Mendes präsentiert in Revolutionary Road ein trostloses Bild von der Gesellschaft, die keine Bindung zu ihren Kindern hat. Immerhin bringen Helen Givings (Kathy Bates) und ihr Mann dem eigenen Sohn, John (Michael Shannon), noch Liebe entgegen. Der Mathematiker, kurz zuvor aus dem Sanatorium entlassen, behandelt seine Erzeuger dafür weniger glimpflich. Die Klimax der Ehrlichkeit erreicht der Film bei einem Treffen dieser beiden Familien, als John einen gnadenlosen Schlussstrich unter die Auswanderungspläne der Wheelers zieht. John gebiert sich dabei als Verrückter, der als einziger die Wahrheit zu erkennen scheint. Oder vielleicht muss man womöglich auch verrückt sein, um die Wahrheit zu erkennen?
An einigen Stellen wirkt die Musik von Thomas Newman recht nervig, fügt sich die meiste Zeit jedoch sehr stimmig mit den wunderbar ausgeleuchtete Bildern von Roger Deakins zusammen. Sam Mendes’ period piece fehlt wie bereits oben angerissen letztlich jedoch narrativ das Besondere, das ihn aus der Masse des Genres heraushebt. So ist er nicht unbedingt schlecht, aber dennoch ein wenig beliebig. Oscar-Preisträger Mendes versammelte für Revolutionary Road dabei erneut das Titanic-Trio um Leonardo DiCaprio, Kate Winslet und Kathy Bates. Während Letztere in der Rolle der verschüchterten Nachbarschaftsglucke richtig aufgeht, harmoniert es zwischen “Baby Face” DiCaprio und der Kette rauchenden Winslet nicht so wirklich.
Für das Ehepaar Winslet-Mendes ist die Prämisse kalter Kaffee, waren beide doch an den sehr ähnlichen Filmen American Beauty und Little Children beteiligt. DiCaprio hingegen passt einfach nicht so recht in die Rolle des 30-jährigen frustrierten Familienvaters, auch wenn er seine Momente hat, beispielsweise wenn Frank seinen Kindern apatisch beim Spielen zusieht. Nichtsdestotrotz ist Revolutionary Road ein über weite Strecken von seinen Darstellern getragenes Drama der bisweilen herausragenden Sorte. Allerdings leidet er unter einigen Längen, gelegentlichem Overacting von allen Beteiligten und der Tatsache, dass Richard Yates’ Geschichte irgendwie nicht so neu ist, wie Sam Mendes seinem Publikum weißmachen möchte.
7.5/10
9. Januar 2009
The Godfather: Part III
Wahrscheinlich die beste Lösung für alle Beteiligten, stand zeitweise doch im Raum, Sylvester Stallone nicht nur eine Rolle im Film zu geben, sondern ihm sogar die Regie anzuvertrauen. Doch bevor man Coppola an die Arbeit ließ, äußerte das Studio zwei unveränderbare Anforderungen. Die erste war, dass der Film Weihnachten 1990 in die Kinos kommen sollte. Weniger als Analogie zum Start-Termin des zweiten Teils, sondern damit Paramount noch einen Hit für ihren 1990er Aktienkurs generieren konnte. Die andere Forderung wird ein Regisseur in Hollywood weder damals noch heute besonders oft zu Ohren bekommen haben: der fertige Film dürfe nicht weniger als 140 Minuten Laufzeit haben. In Zeiten wo Ridley Scott seine fertigen Schnitte stets nur auf DVD rausbringen darf, mutet dies fast wie eine Legende an. Obschon Coppolas Name Coppolas durch seine Filme der 80er etwas gelitten hat, lockte The Godfather weiterhin eine Vielzahl von Hollywoods Schauspielern.
Als Wunschbesetzung für die Rolle von Mary Corleone hatte Coppola stets Julia Roberts im Blick. Zweimal wurde Roberts der Part angeboten – beide Male war sie anderweitig beschäftigt. Stattdessen wurde Winona Ryder engagiert, ehe das eintrat, was dem Film das Genick brechen sollte. Ryder sagte ihr Engagement für Edward Scissorhands ab – nur 24 Stunden vor ihrem ersten Drehtag. Statt auf vom Studio favorisierte Darstellerinnen wie Madeline Stowe auszuweichen, besetzte Coppola die Rolle von Michael Corleones Tochter mit der besten Schauspielerin, die er sich denken konnte (O-Ton Coppola): seiner Tochter Sofia. Die heutige Oscarpreisträgerin für ihr Drehbuch zu Lost in Translation war keine ausgebildete Schauspielerin und ihre Besetzung für die Medien ein mittlerer Skandal. Auch Al Pacino und Diane Keaton äußerten ihren Missmut und was folgte, bezeichnet Regisseur Coppola im Nachhinein als „Verschwörung“ gegen seine Person.
Die attraktivste Rolle neben der von Al Pacino war Vincent Mancini, Sonnys unehelicher Sohn und neuer Protege des Don. Unter anderem Alec Baldwin, Charlie Sheen und Val Kilmer hatten für die Rolle vorgesprochen, die letztlich an Andy Garcia ging. In Nebenrollen sind außerdem Bridget Fonda und Eli Wallach zu sehen. Aufgrund finanzieller Differenzen wurde Robert Duvall aus dem Drehbuch geschrieben, da er dieselbe Gage wie Al Pacino gefordert hatte. Innerhalb von sechs Wochen schrieb Coppola mit Mario Puzo das Drehbuch und nach vier Monaten Drehzeit war der dritte Teil der Trilogie im Kasten. The Godfather: Part III spielte in den USA gerade einmal seine Kosten wieder ein, weltweit waren es 130 Millionen Dollar. Kein finanzieller Reinfall, aber nicht der erhoffte Blockbuster. Obschon die Kritiker den Film geißelten, erhielt er im Jahr darauf sieben Oscarnominierungen, darunter als bester Film sowie für Regie und Drehbuch – er ging jedoch leer aus.
Seine Trilogie bezeichnet Coppola selbst als zwei Filme und einen Epilog. Dementsprechend beginnt dann auch der dritte Teil, den der Regisseur nie The Godfather: Part III sondern lieber The Death of Michael Corleone nennen wollte. Das alte Anwesen am Lake Tahoe ist überflutet, die Corleones wohnen längst nicht mehr hier. “The only wealth in this world is children”, erklärt Michael (Al Pacino) aus dem Off, während man auf einem Foto seine Kinder sieht. Dann folgt ein Schnitt und der Film beginnt zu sein, was er im Grunde ist: ein Remake. Eine religiöse Prozession bildet den Auftakt für das Geschehen, in New York erhält Michael das St. Sebastians-Kreuz vom Vatikan. Die Zeremonie wird in das Loft der Familie verlegt. Zu den Klängen einer italienischen Tarantella empfängt Michael verschiedene Bittsteller und Geschäftspartner. Darunter auch der langjährige Familienfreund Don Altobello (Eli Wallach), aber auch Straßenganove Joey Zasa (Joe Mantegna).
Zasa ereifert sich gegenüber Michael bezüglich dessen Neffe Vincent Mancini (Andy Garcia), der aus der Liaison zwischen Sonny und der Brautjungfer seiner Schwester hervorgegangen ist (obschon dies chronologisch laut Puzo nicht möglich ist). Die Animositäten zwischen allen Beteiligten werden offensichtlich und des Nachts wartet auf Vincent auch schon ein Mordkommando zu Hause. Dem kann er zwar entgehen, doch der Konflikt ist noch nicht begraben. Als Michael das Familiengeschäft endlich legitim machen will, eröffnet er Erzbischof Gilday (Donal Donnelly) seine Offerte von 600 Millionen Dollar um der finanzschwachen Vatikanbank und deren Unternehmen Immobiliare auf die Beine zu helfen. Als er seinen Mafiakollegen das Stück vom Kuchen versagen will, insbesondere Zasa, kommt es zum Eklat. Zwar überlebt der Pate das Attentat auf seine Person, doch der Niedergang aller Beteiligten hat hier erst seinen Anfang gefunden.
Der Film selbst ist, wie es Gabriele Weyand treffend schreibt, „eine Wiederholung bereits gesehener Ereignisse“ (vgl. Weyand, S. 201). Noch weitaus offensichtlicher als bereits The Godfather: Part II kopiert Coppola die Handlung des Originals. „Der Film quillt über vor inhaltlichen Entsprechungen mit den vorhergehenden Teilen“, resümiert Weyand (ebd.). Dies fängt an beim Beginn der italienisch geprägten Zeremonie mit Geschäftsterminen und mündet im Familienfoto, das erst geschossen wird, als der „alte“ Don den designierten Don hinzuholt. Während Pacino den Part von Marlon Brando aus dem ersten Teil übernimmt, schlüpft Garcia in die Rolle von Pacino. Die bewusste Kopie des Originals geht sogar so weit, dass Coppola den Mord von Vincent an Zasa genau an dieselbe (zeitliche) Stelle setzt, wie Michaels Ermordung von Sollozzo in The Godfather. Jene Mordszene wiederum findet ihren Ursprung im zweiten Teil, wenn Zasa wie einst Don Fanucci bei einer religiösen Festivität in seinem eigenen Viertel erschossen wird.
Auch die Bittsteller der Bewohner des Viertels an Vito im zweiten Teil finden ihr Echo, wenn Martin Scorseses Mutter auf Vincent zugeht und sich über den Zustand in der Nachbarschaft beklagt. Andere Parallelen wie Vincents Rachemord für den Anschlag auf den Paten und die Verstimmung des Paten auf jene von ihm nicht bewilligte Tat sind ebenso augenscheinlich. Dass im Finale die obligatorische Montageszene der zahlreichen Liquidierungen nicht fehlen darf, versteht sich bei den vorangegangen Ausführungen von selbst. Coppola und Puzo waren nicht in der Lage, mit einem neuen Grundgerüst aufzuwarten, weder für den zweiten noch für den dritten Teil – ein Zeichen der Schwäche der Fortsetzungen gegenüber dem Original. Zwar lobt Tookey, dass der dritte Film “plotwise, the most grandiose of the Godfather trilogy” sei (vgl. Tookey, S. 307), jedoch trifft dies nur dahingehend zu, dass man sich nicht in etwaigen parallelen Erzählsträngen zu verlieren droht.
Dabei ist von allen Godfather-Teilen der dritte sicher der Persönlichste des Regisseurs. “I at this point was very much like Michael Corleone”, gesteht Coppola im Audiokommentar. Und zumindest die familiären Parallelen sind unübersehbar. Nicht nur wird Michaels Tochter Mary Corleone von Coppolas eigener Tochter Sofia gespielt, sondern Michael Schwester Connie wird erneut von Coppolas wirklicher Schwester Talia Shire portraitiert. Somit übernimmt Michael quasi den Part, den Coppola für sich selbst vorbehalten hatte. Ohnehin hatte dieser die Godfather-Werke stets als Filme von einer Familie über eine Familie angesehen. Die Inspiration für die verbotene Liebesbeziehung zwischen Mary und Vincent findet ihren Ursprung somit selbstverständlich auch im Stammbaum der Coppolas. Seine Urgroßmutter hatte sich einst ihre Nase beim Stricken infiziert, weil sie sich mit der Häkelnadel zu kratzen pflegte. Als die Nase amputiert werden musste, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Cousin zu heiraten (was seine Ursache im traditionellen maritimen Familienbrauch im 20. Jahrhundert findet).
Das erklärt, wieso Coppola wenig missbilligend diese „verruchte“ Affäre bewertet. Auch Michaels Diabetes ist kein zufälliger Aspekt, sondern an die Erkrankung von Augusto Coppola angelehnt, Francis’ Großvater, der dadurch schließlich erblindete. Zum letzten Mal komponierte Carmine Coppola für The Godfather: Part III die Musik, ehe er an einem Herzinfarkt verstarb. Coppola zufolge sei dies während der Oscarverleihung 1991 geschehen, als Carmine bei der Auszeichnung übergangen wurde. Die letzte tragische Analogie findet sich im Finale des Films, wenn Michael vor dem toten Körper seiner Tochter ausharrt und vor seelischen Schmerzen schreit. Vier Jahre zuvor hatte Coppola seinen ältesten Sohn Gian-Carlo bei einem Motorboot-Unfall verloren. Der stolze und bisweilen narzisstische Italo-Amerikaner nutzt somit – wie so oft – seine Filme für eine Art innerliche „Beichte“ oder Bewältigung.
Den Großteil der Kritik entfiel auf Coppolas Besetzung seiner eigenen Tochter. Ganz speziell erregte dies die Gemüter, da Sofia Coppola keine ausgebildete Schauspielerin war. Dass sie Coppola als Inspiration für die Figur der Mary Corleone gedient hatte, ändert an ihrem nicht vorhandenen Talent wenig. “It’s a decision that I never regret”, blickt der Regisseur auf seine Entscheidung damals zurück. Diese lässt sich, wie all sein Lob für seine Tochter im Audiokommentar zweifelsohne auf die Liebe eines Vaters für sein Kind zurückführen. Eine rationale Bewertung scheint ihm hier nicht möglich. Den Film jedoch aufgrund von Sofias Leistung schlecht zu reden und ihr zwei Goldene Himbeeren zu verleihen, ist des Missmuts etwas zu viel. Tookey erkennt zurecht, dass das große Problem weniger in ihrem Schauspiel liegt, als daran, dass ihre Figur “grievously undercharacterized” ist (vgl. Tookey, S. 307). Während ihr Bruder Anthony (Franc D’Ambrosio) seinen Unmut gegenüber den Geschäften seines Vaters zum Ausdruck bringt, erfährt man von Mary nicht, was sie über dessen Mafia-Aktivitäten denkt.
Weitaus gravierender ist da nur noch die Tatsache, dass der Zuschauer nicht erklärt bekommt, was Mary eigentlich zum rabiaten Vincent hinzieht. Die Affinität scheint einfach da zu sein und führt schließlich zu jener Konstellation, die für alle Beteiligten ein dramatisches Ausmaß erreicht. Wie erwähnt trifft es dabei durchaus zu, dass Sofia Coppola in den meisten Szenen offen an den Tag legt, dass sie kein Talent für die Schauspielerei besitzt, jedoch ist ihre Rolle für den Grundgehalt des Films so minimalistisch und unbedeutend – Vincent und Michael nehmen den Großteil der Handlung in Anspruch –, dass der Film selbst nicht an ihr scheitern könnte. Es war sicherlich das Beste für die Kinolandschaft, dass Sofia Coppola keine Schauspielkarriere anstrebte, wer sein Urteil über den Film jedoch anhand ihrer Darstellung fällt, tut niemandem einen Gefallen.
Großes Lob verdient jedoch die Einbindung des Skandals um die Vatikanbank von 1979 in das Godfather-Universum. Inwieweit hier von Authentizität gesprochen werden kann, sei dahingestellt, seinen Zweck erfüllt die Idee allemal. Nach Vergebung lechzend zeugt es von bitterer Ironie, dass ausgerechnet die Kirche ihm den letzten Schlag versetzen soll, wenn alle Spieler zum Finale hin ihre Position einnehmen. Dass Coppola hierbei erneut den Fehler begeht, Michael durch seine Antagonisten positiver darzustellen als ihm gebührt, trübt jedoch erneut ein wenig das Bild. Immerhin gehen diese beiden Handlungselemente Hand in Hand, sodass ein stimmigeres Bild erzeugt werden kann, als noch beim Vorgänger der Fall. Unterstützt wird dies insbesondere durch die Darstellungen von Donal Donnelly (Gilday), Raf Vallone (Lamberto), Helmut Berger (Keinszig) und Enzo Robutti (Lucchesi).
Wie auch schon in den Vorgängern bekommt auch Diane Keaton ihre Momente, in denen sie ihr Talent abrufen konnte – allerdings erhält sie hier erneut wenig Leinwandzeit. Al Pacino überzeugt als müder und kränkelnder Don, der des Geschäfts überdrüssig wird, während Eli Wallach und Andy Garcia durch ihr übertriebenes Spiel glänzen. Dies ist im Falle von Wallach noch relativ gemäßigt, nimmt bei Garcia jedoch oft lachhafte Ausmaße an. Der Virgin Film Guide spricht von “one of the most frustrating films of 1990” (vgl. Virgin, S. 292) und vergibt nur die Hälfte der Punktzahl der Vorgänger. Möglich, dass Frustration hier mit Enttäuschung verwechselt wurde, ist The Godfather: Part III per se kein schlechter Film. Schauspielerisch solide und inhaltlich durchaus packend muss man ihm lediglich zum Vorwurf machen, dass er versucht, nichts Neues zu erzählen und stattdessen zu einem „Best Of“ der Vorgänger verkommt. So ist der Abschluss der Trilogie besser als sein Ruf, aber dabei zugleich nicht sonderlich herausragend.
7.5/10
Verwendete Literatur:
• Audiokommentar von Francis Ford Coppola, The Godfather: Part III –The Coppola Restoration, Paramount Pictures 2008.
• Tookey, Christopher: The Critic’s Film Guide, London 1994.
6. Januar 2009
Seven Pounds
„You know it's Big Willie style, baby”, trällerte der Rapper aus Philadelphia einst durch die Musikboxen. Und in der Tat scheint das, was sich seit geraumer Zeit in Hollywood abspielt dem Big Willie style zu entsprechen. Denn Will Smith hätte sich durchaus den Spitznamen „Der 100 Millionen Dollar Mann“ verdient, spielten doch siebzig Prozent seiner Filme allein in den USA mehr als einhundert Millionen Dollar ein und dies bereits konstant seit sieben Jahren hintereinander. Im letzten Jahr war Smith dann auch das einträglichste Zugpferd der Traumfabrik. I am Legend und Hancock gehörten zu den fünf erfolgreichsten Filmen des vergangenen Kinojahres. Somit brachte Smith alleine seinen Produzenten über 1,2 Milliarden Dollar ein. Overbrook Entertainment wird sich freuen, produzierten diese immerhin sieben der letzten acht Filme aus Smiths Filmographie. Für Seven Pounds unterstellt sich der Afroamerikaner erneut dem Italiener Gabriele Muccino, der ihm bereits in The Pursuit of Happyness eine Oscarnominierung als bester Hauptdarsteller einbrachte.
Smith verkörpert einen Steuerfahnder namens Ben Thomas, der scheinbar eine eigene Agenda hat. Zu Beginn des Filmes ruft Thomas bei der Hotline einer Fleischvertriebskette an. Er spricht mit dem Telefonisten Ezra (Woody Harrelson) und macht sich über diesen lustig als er erfährt, dass dieser blind und ein Vegetarier ist. Als Ezra trotz der Beleidigungen ruhig und konsterniert bleibt, legt Ben wütend auf und beginn eine Liste zu verfassen. Wenig später sitzt Ben im Büro des Leiters einer Pflegeabteilung. Der Mann bittet Ben um finanzielle Unterstützung, Ben ist reserviert und sucht kurz darauf eine der Patientinnen auf. „Es steht in meiner Macht die Lebensumstände dieses Mannes drastisch zu beeinflussen“, erläutert Ben der alten Dame. „Sagen Sie mir, ist er ein guter Mensch?“, fragt er sie dann. Was treibt dieser Steuerfahnder und wieso sucht er fremde Menschen auf? Wir sehen Ben in einem Krankenhaus bei einem älteren Mann sitzen, so wie Ben auch mehrfach Ezra aufsucht und in einem anderen Krankenhaus die Herzschwache Emily (Rosario Dawson) verfolgt. „Würden Sie sich selbst als guten Menschen bezeichnen?“, fragt er Emily in einer Szene. Als er ihr für ihre 56.000 Dollar Staatsschulden einen Aufschub gewährt entgegnet sie mit der Gegenfrage „Wieso habe ich das Gefühl Sie haben mir soeben einen riesigen Gefallen getan?“. Ben lächelt wissend und geht. Die Agenda dieses Mannes wird deutlicher.
Hin und wieder präsentiert Muccino seinem Publikum Rückblenden aus Bens Leben. Er arbeitete als Raumfahrtsingenieur und hatte ein großes Haus am Meer mit einer hübschen Frau an seiner Seite. Mehr erfährt man über sein Privatleben nicht, Gespräche mit seinem besten Freund Dan (Barry Pepper) oder großen Bruder (Michael Ealy) verlaufen meist einseitig. Details blockt Ben ab, er sagt nur das Nötigste, spricht meist einsilbig. Unentwegt blickt Smith dabei wie ein geprügelter Hund in die Kamera, speziell in den Momenten, wo er Emily näher kommt. Was als Formalität begann, entwickelt sich hier langsam zu mehr. Wieso die junge Frau so viele Sympathien für den Mann hegt, der gekommen ist, um über fünfzig Tausend Dollar von ihr einzutreiben, wird nicht ganz klar. Als sie einen Schwächeanfall leidet ist es Ben, den sie vom Krankenhaus aus anruft. Nachts kommt dieser vorbei und wird dabei weder vom Personal aufgehalten als er Emilys Zimmer betritt noch als er die ganze Nacht in diesem zubringt. Einer Verabredung folgt die nächste und allmählich beginnt Bens Agenda zu wackeln. Während die Rückblenden vorschreiten nimmt das Bild schärfere Proportionen an. Dabei war die Prämisse des Filmes von Beginn an klar, die Agenda von Ben so offensichtlich, wie das Ende vorhersehbar ist.
So wie Muccino Seven Pounds inszeniert muss man davon ausgehen, dass er sein Publikum für dümmer hält, als dieses in Wirklichkeit ist. Der Plottwist zum Ende, wenn endlich aufgeklärt wird, welchen Zweck Ben betreibt, ist im Grunde kein solcher. Vorab deckten Interessierte im Internet auf Foren wie IMDb bereits die Struktur des Filmes auf, mit keiner anderen Vorkenntnis als dem zuvor veröffentlichten Trailer. Ein schwacher Zug eines durchschnittlichen Filmes. Die Leichtigkeit mit der Ben während des Filmes Zugang zu allerlei Personen und Einrichtungen gewinnt, wirkt so unglaubwürdig, wie sein ganzes Planspiel naiv. „Ich habe etwas schreckliches getan und mein Leben wird nie wieder so sein wie es vorher war“, schreit Ben einmal betroffen heraus. Smith spielt die leblose Figur dabei mit meist zwei Nuancen: einem leichten Lächeln und einen gequälten Gesichtsausdruck. Eine Oscarnominierung dürfte dieses Mal unwahrscheinlich sein, denn viel zu gewöhnlich ist sein Spiel, wie es auch die gesamte Handlung des Filmes ist.
Sehr löblich hingegen spielt Rosario Dawson den Part der todkranken Emily, lediglich das Verhalten ihrer Figur ist nicht immer nachvollziehbar. Grundsätzlich scheitert Seven Pounds jedoch an seiner wenig inhaltsstarken Handlung, die zudem äußerst wenig Spannung und Zug entwickelt, da sie die ganze Zeit hindurch absehbar ist. Hier wäre es empfehlenswerter gewesen, wenn Muccino die Karten zu Beginn offen gelegt hätte. Anstatt ein Brimborium um die Intention seiner Hauptfigur zu inszenieren, hätte man sich dann mehr auf dessen Innenleben konzentrieren können. Ein Charakterprofil wäre hier wünschenswerter und mannigfaltiger gewesen. Nichtsdestotrotz dürfte der Film in den USA weiterhin in Smiths Erfolgsspur fahren. Die Botschaft, die der Film in seinem Finale vermittelt, ist aufgrund ihrer moralischen Fragwürdigkeit dann ein ganz anderes Thema.
4/10 - erschienen bei Zelluloid
3. Januar 2009
Righteous Kill
Sie sind Filmlegenden und sie sind Freunde. Nachdem Al Pacino und Robert De Niro zwar beide 1974 in The Godfather: Part II aufgetreten sind, jedoch nicht gemeinsam vor der Kamera stehen konnten, vereinte Michael Mann die beiden Oscarpreisträger 1995 in seinem Actionthriller Heat. Wie schon der Coppola ist auch der Film von Mann mit den beiden zum Kultfilm avanciert. Ein Grund mehr für die beiden italienisch-stämmigen „Greise“ erneut vor eine Kamera zu treten. Seit Jahren haben sie nach einem passenden Skript gefunden. Gefunden haben sie es schließlich in Russell Gewirtz’ Righteous Kill über einen Serienmörder innerhalb der Polizei. Inszeniert wurde das ganze dann von Jon Avnet, der mit Pacino bereits 88 Minutes gedreht hat. Jener Echtzeitthriller, der mit Ach und Krach weltweit seine Kosten wieder eingespielt hat und bei Rotten Tomatoes starke 5% hält hat bei Pacino scheinbar bessere Eindrücke hinterlassen als beim Rest der Welt. Insofern dürfte er auch mit Righteous Kill ziemlich zufrieden sein.
Das amerikanische Justizsystem ist eine Sache für sich. Über die Eigenheiten kann man Enzyklopädien schreiben und gerecht geht es in den seltensten Fällen zu. Daher werden auch oft Verbrecher laufen gelassen, weil die Beweislage zu gering ist. Das gefällt dem polizeilichen Ermittler Turk (Robert De Niro) nicht sonderlich. Ohnehin ist er ein Hitzkopf und sein aggressionsgeiles Betthäschen, die Leichenbeschauerin Karen (Carla Gugino), macht es auch nicht grade besser. Daher macht Turk Jagd auf die zu Unrecht nicht vom Recht belangten Kriminellen. Vierzehn Stück habe er getötet, lässt er zu Beginn des Filmes auf einer Videoaufzeichnung verlauten, während Avnet beginnt die Geschichte vom Gedichtskiller aufzurollen. Jener Killer, der Verbrecher jagt und zur Strecke bringt, hinterlässt stets ein Gedicht. Gemeinsam mit seinem langjährigen Partner Rooster (Al Pacino) ermittelt Turk in dem Fall. Bald schon stellt sich heraus, dass jener Killer auch in den Arbeitsbereich der Kollegen Riley (Donnie Wahlberg) und Perez (John Leguizamo) fällt. Als das Quartet entdeckt, dass der Killer ein Cop ist, beginnt sich für Turk die Schlinge enger zu ziehen.
Avnets Film hält sich für ungemein schlau, speziell dann, wenn er zum Schluss seine dramatische Wendung nimmt, mit der – so hoffen sie Macher – wohl keiner gerechnet hat. Dabei ist das gesamte Geschehen von vorne bis hinten unglaubwürdig und ohne Hintersinn inszeniert. Ein wohlhabender Vergewaltiger wird in seinem Appartmenthaus, das über einen Concierge verfügt erschossen. Dem Täter ist es dabei gelungen an den Videokameras vorbei zur Wohnung vorzudringen. Auch die übrigen Toten fallen allesamt eher unergründlichen Umständen zum Opfer. Ein pädophiler Priester wird ermordet, doch die Ursache dafür, dass dies erst jetzt, nach all den Jahren geschieht, löst der Film nicht auf. Ohnehin gibt sich Gewirtz’ Drehbuch keine sonderliche Mühe auf Ausarbeitung weder der Charaktere noch der Handlung. Die Dialoge sind bisweilen flacher als Keira Knightleys Brust und schmerzen ob ihrem Dilettantismus (beispielsweise die Brady-Bunch-Referenzen).
Die Irrelevanz der Filmhandlung kommt am besten durch die überflüssige Figur von Spider (Curtis „50 Cent“ Jackson) zum Ausdruck, ergänzt durch die nicht minder unnotwendige Anwältin Jessica (Trilby Glover). Glover war ebenfalls an dem Avnet-Pacino-Vehikel 88 Minutes beteiligt. Im Grunde lässt sich für das gesamte Schauspielensemble kaum ein gutes Wort finden, lediglich Wahlberg sticht etwas hervor. Weder Pacino noch De Niro wissen zu irgendeinem Zeitpunkt ihr (ehemaliges) Potential abzurufen. Vielmehr begnügen sie sich mit einer Mindestanzahl an Gesichtsmimiken die von „böse dreinschauen“ (Turk) bis zu „verschmitzt lachen“ (Rooster) reicht. Bedenkt man dass sowohl der Eine (Dog Day Afternoon, The Godfather) als auch der Andere (Brazil, Raging Bull) früher in Filmen mit starken Drehbüchern auftrat, ist man geradezu schockiert, für was sich die beiden Altstars hier im Grunde prostituieren. Beide warten in den vergangen Jahren mit zahlreichen miesen Filmen auf und scheinen auf Teufel komm raus weiterhin auf der Leinwand präsent sein zu wollen. Mit diesem spannungsarmen, inhaltsschwachen und schlecht gespielten Thriller haben sich De Niro und Pacino weder selbst einen Gefallen getan, noch dem Publikum.
1.5/10