If I want to be the game, the game will also want to be me.
(David Cronenberg)
Jenes Zitat von David Cronenberg
[1] bezüglich seines Science-Fiction-Filmes
eXistenZ ist im Grunde nur eine Variation von Nietzsches berühmter Anekdote aus
Jenseits von Gut und Böse, umreißt jedoch ganz gut die Prämisse seines letzten Filmes des 20. Jahrhunderts. Dabei war 1999 ein recht existenzialistisches Filmjahr, das innerhalb weniger Monate neben Cronenbergs Beitrag auch noch
The Matrix,
Abre los ojos und
The Thirteenth Floor produzierte. Im direkten Vergleich mit den ersten beiden bescheinigte der enttäuschte Filmkritiker James Berardinelli
eXistenZ schließlich nur ein „wannabe“
[2] zu sein, während Andere das Werk liebevoll als „Cronenberg Lite“
[3] oder euphorisch als „Cyberspektakel“
[4] ansahen. Letztlich ist man sich einig, dass man sich nicht einig ist. „Likely to appeal especially to computer game players“
[5], vermutete Roger Ebert etwas engstirnig, wohingegen sein Kollege Manfred Riepe „alles andere als ein naturalistisches Abbild der Cyber-Welt”
[6] auszumachen glaubt. Der Virgin Film Guide konstatierte, „reality is rapidly catching up with Cronenberg’s warped imagination“
[7] und David Stratton sah in dem Film seiner Zeit in Variety primär „an outrageously over-the-top, at times blood-soaked, comedy“
[8].
Im Nachhinein beherbergt Cronenbergs 15-Millionen-Dollar-Spektakel
[9] sicherlich ein wenig (in manchen Fällen mehr) von allem, ist hierbei zugleich Mitschwimmer, auf einer damals kursierenden Existenzialismus-Welle und steht doch auch ganz in der Tradition des kanadischen Regisseurs. Sieht Dreibrodt in dessen früheren Filmen „eine Gratwanderung zwischen (…) Science-fiction und (..) Horror“
[10], kategorisiert er seine späteren Werke dagegen als „körperbezogene[n] Horror“
[11]. In gewisser Weise ist
eXistenZ wohl beides, eine Mischung aus Science-Fiction und körperbezogenem Horror. Dass es dem Torontoner gelingt – wie auch Alejandro Amenabar, Josef Rusnak und den Wachowskis -, trotz der drei Genrekollegen desselben Kinohalbjahrs (s)eine Eigenständigkeit zu erhalten, lässt sich
eXistenZ unter besonderer Berücksichtigung nähern. Zwar sieht Berardinelli in dem Film hauptsächlich „a warning about the addictive nature of games“
[12] – was Cronenberg durchaus auch anspricht -, doch ist das übergeordnete Thema sicherlich die existenzialistische Fragestellung, die im Endeffekt in der finalen Ein- und Fragestellung kulminiert: „Are we still in the game?“
In einer kargen, verlassenen Kirche hält die Computerfirma Antenna Research einen Test-Run ihres neuen Spieles „eXistenZ“ ab. Als wären die eingeladenen SpielerInnen nicht schon wuschig genug, kündigt der Moderator (Christopher Ecclestone) auch noch an, dass die berühmte Programmiererin und Entwicklerin von „eXistenZ“, Allegra Geller (Jennifer Jason Leigh), nicht nur anwesend sei, sondern auch die Spielrunde selbst leiten würde. Zwölf Freiwillige werden ausgewählt, die sich wie ihre apostolischen Vertreter um ihren Messias, Allegra Geller, positionieren. Am Eingang der Kirche dient Marketing-Azubi Ted Pikul (Jude Law) heute als Türsteher. Einem verspäteten jungen Besucher versichert er, dass dieser sein eigenes Game-Pod nicht brauchen würde. Antenna Research stellt neben den notwendigen Metaflesh Game-Pods auch die dazugehörigen UmbryCords zur Verfügung. Doch der Abend läuft nicht wie geplant. Der Besucher stellt sich als Mitglied des terroristischen Realist Undergound heraus, tötet den Moderator und verwundet Gellar selbst mit einer Knorpelpistole, die menschliche Zähne abfeuert. Pikul kann Geller retten, reagiert jedoch überrascht, als diese eröffnet, dass er ihr von Antenna als Leibwächter zugeteilt worden sei und Geller selbst aus Misstrauen keinen Kontakt mit ihrer Firma aufnehmen will. Auch Teds organisches Pink-Fon muss dran glauben, was die beiden vollkommen abgeschottet von der Gesellschaft zurücklässt.
Unerwarteter Weise wurde Allegras eigene Spielankündigung („It’s going to be a wild ride“) zur Realität. Die plötzliche Unterbrechung – wohl gleichzusetzen mit einem Absturz eines Computers – könnte ihrem Pod und damit dem Spiel geschadet haben. Schließlich befindet sich die einzige Version von „eXistenZ“, immerhin in fünf Jahren Entwicklungszeit für 38 Millionen Dollar entstanden, in Allegras Pod. Doch um rauszufinden, ob das System noch funktioniert, muss sie das Spiel mit jemandem spielen. Hinsichtlich der vorangegangenen Ereignisse mit jemand, der ihr freundlich gesinnt ist. „Are you friendly?“, becirct sie Ted, der sich zuerst wehrt. Er habe keinen Bioport, der als Verbindungsstelle im Rücken mit der UmbryCord und dem Game-Pod als Spielkonsole fungiert. Der Gedanke, dass sein Körper penetriert wird, verschreckt ihn und führt bei Allegra selbst zu Spott. Wie kann jemand, der in der Game-Szene arbeiten will, keinen Bioport haben? Notgedrungen willigt Ted ein, doch woher kriegt man um Mitternacht noch einen Bioport? In einer der in der Gegend gelegenen ländlichen Tankstellen, entgegnet ihm die Programmiererin, die ihn daraufhin zu einer solchen Tankstelle bringt, die auch genauso heißt und von einem Wart betrieben wird, der der Einfachheit halber lediglich Gas (Willem Daffoe) genannt wird.
An dieser Stelle deutet sich bereits an, dass das, was Allegra und Ted für ihre Realität halten, nicht die Realität ist. Dabei ist der Ausflug zur Tankstelle nur ein Bindeglied für den weiteren Verlauf der Geschichte. Der infizierte Bioport sorgt für den Tod von Allegras Game-Pod und die Weiterreise zu ihrem Mentor und Materialexperte Kiri Vinokur (Ian Holm). Welchen Stellenwert die Computerspiele in der Gesellschaft haben, wird durch Teds Kommentar, dass Vinokurs Tarnung als Ski-Reparatur in einer schneefreien Waldgegend etwas naiv sei von Allegra gekontert. „Nobody physically skis any more“, meint sie amüsiert. Die vereinnahmende Spielkultur hat somit alle Freizeitaktivitäten absorbiert. Wieso wirklich Ski fahren, wenn man es virtuell machen kann? Warum sich einem realen Risiko aussetzen, wenn man auch in einem Spiel glaubhaft Tauchen oder Fallschirmspringen kann? Im Gegensatz zu den Wachowskis oder Cameron zeichnet Cronenberg hierbei auch kein Bild einer sterilen, anarchischen Technik. Im Gegenteil, von wirklicher metallischer Technik kann kaum noch die Rede sein, werden Spielkonsolen oder Mobiltelefone bereits von organischem Material dargestellt. Die Game-Pods selbst sind dabei im Grunde sogar Lebewesen. Tiere, aufgezogen in befruchteten Amphibieneiern, ausgestattet mit synthetisierter DNS, wie Vinokur Ted während der Datenrettungsoperation an Allegras Pod erklärt.
Die Technik wird hierbei von Cronenberg sichtbar versexualisiert. Das Game-Pod, in seiner hautfarbenen Gestaltung, hat etwas von einem Genital, nicht zuletzt auch wegen seiner Nippelförmigen Auswüchse. Die UmbryCord erinnert zudem nicht von ungefähr an eine Nabelschnur, stellt sie doch die Verbindung zwischen Schöpfer und Schöpfung dar, speist das Produkt mit den eigenen Ressourcen. Deutlicher wird der Kanadier dann bezüglich der Bioports. „Körperöffnungen sind Computerschnittstellen und erogene Zonen zugleich“
[13], stellt Riepe fest. Nicht nur geschieht die Stimulanz der Sinne durch das Spiel über eine Einführung in die Körperöffnung des Bioports, sondern auch Ted selbst verfällt innerhalb des Spiels, als es darum geht ein Mini-Pod zu aktivieren, dem Verlangen, Allegras Bioport oral zu stimulieren. Kurz darauf beginnen beide sich schließlich zu Küssen, nachdem diese Art des Vorspiels abgehandelt wurde
[14]. Es findet also auch in
eXistenZ eine verstärkte sexuelle Assoziation zwischen den Protagonisten und ihrem „Suchtobjekten“ statt, wie es der Regisseur drei Jahre zuvor schon, wenn auch gewichtiger, in
Crash thematisierte. „In a way, you're seeing new sex, neo-sex, in this movie. Or do you even want to call it sex? It's obviously inducing some kind of pleasure the way sex does”
[15], beschrieb der 66-jähriger Kanadier den Vorgang selbst.
Nach dem Austausch von Teds Bioport und der Rettung von „eXistenZ“ können Allegra und Ted endlich das Spiel spielen. Was Ted zu der Frage veranlasst, was eigentlich der Sinn des Spiels sei. „You have to play the game to find out why you play the game“, umschreibt Allegra es philosophisch. Es offenbart sich Stück für Stück, dass sie selbst nicht wirklich weiß, um was es in dem Spiel, welches sie konzipiert hat, eigentlich geht. Verwundert reagiert sie auf die Mini-Pods, die ironischerweise von Antennas Konkurrenten Cortical Systematics produziert werden. Der Erklärung nach soll „eXistenZ“ wohl eher eine Idee, als ein richtiges Spiel sein, da an einer Stelle zumindest impliziert wird, dass das Spiel jedes Mal unterschiedlich aufgebaut ist/wird. Als eine Handlungspassage erfolgreich bewältigt wird, beginnen die beiden Protagonisten in der Simulation in eine weitere Simulation abzutauchen. Hier finden sich weitere Hinweise, dass Cronenbergs Geschichte vielschichtig konstruiert ist. Nachdem Ted in einer Pod-Fabrik Allegra aufsucht, zeigt diese selbst einen Hänger, während sie auf den nächsten Dialoginput wartet, um das Geschehen voranzutreiben. Im chinesischen Restaurant bastelt Ted aus der Mittagsspezialität schließlich ein Pendant jener Knorpelpistole, die für Allegras Attentat gedacht war und richtet diese anschließend auch auf selbe Art und Weise auf sein Gegenüber.
Das wird dann auch Ted deutlich, der „eXistenZ“ unterbricht. Für ihn ist es inzwischen „kein Spiel mehr, sondern nur noch Psychose“
[16]. Wo Allegra relativ gelassen reagiert, geradezu gelangweilt, hinterfragt Ted nicht nur das Spiel, sondern im Grunde auch den ganzen Film („I am not sure … here, where we are … is real at all“). Wenig später überschlagen sich dann die Ereignisse, die Grenzen verwischen und in der Handlung taucht wieder der Realist Underground auf. Es kommt zum doppelten Verrat, dem scheinbaren Filmtwist und endlich scheint Cronenberg den Zweck des Spieles zu offenbaren. „Did I win?“, fragt eine ekstatische Allegra, nachdem sie Ted erschossen hat. Cronenberg lüftet nun den Schleier und zieht quasi das UmbryCord aus dem Bioport. Erneut ist man in der kargen Kirche, erneut sind zwölf Freiwillige um einen Messias platziert. Hier, in der Realität, ist Yevgeny Nourish (Don McKellar) der brillante Spieldesigner, „eXistenZ“ heißt eigentlich „transCendenZ“ und Antenna Research wird ersetzt durch die Software-Firma PilgrImage. Allegra und Ted sind selbst nur zwei Spieler von vielen, auch wenn man gemerkt hat, wie Allegra hervorhebt, dass sie ein Paar sind. Nourish selbst, trotz freundlicher Fassade, bringt jedoch gegenüber einer Mitarbeiterin seine Sorgen zum Ausdruck. Die Anti-Spiel-Tendenz sei ihm zu hoch gewesen, kann er gerade noch erklären, als er einem Attentat von Allegra und Ted zum Opfer fällt, die sich als Realist Underground outen.
„Tell the truth. Are we still in the game?“, fragt einer der Mitspieler nervös, als das Paar ihn konfrontiert. Cronenberg hält einige Sekunden auf ihre Gesichter, die von Selbstzweifel gezeichnet sind. Sind sie noch im Spiel? Und wenn nicht, wie können sie sich sicher sein? Jetzt hat Cronenberg erreicht, was er bezwecken wollte: die Hinterfragung, was real ist und was nicht bzw. das man sich dessen nicht sicher sein kann. Hiermit beschreitet er einen ähnlichen Weg, wie Rusnak in
The Thirteenth Floor oder wie in einige Kritiker gerne in den
Matrix-Fortsetzungen gesehen hätten. Eine Simulation in einer Simulation in einer Simulation usw. Die Vorfälle, sowohl in „transCendenZ“ als auch in „eXistenZ“ haben beide bereits als Fiktion entlarvt. Allein die Tatsache, dass man sich in der angeblichen finalen Realität nur wenige Minuten aufhält, kann kein sicherer Hinweis darauf sein, dass dem auch so ist. Allegras Aufrüttelung an Ted in der Tankstelle lässt sich jetzt auch gegen den Film selbst wenden. „This is it, you see? This is the cage of your own making which keeps you trapped and pacing in the smallest possible space forever”, meinte sie bezüglich Teds Realität. Dass diese ohnehin eher verpönt ist, bringt auch Gas innerhalb der Simulation zum Ausdruck, wenn er über sein Dasein als Tankwart spricht („Only on the most pathetic level of reality“).
„Realität ist, was die Protagonisten als solche empfinden“
[17], resümierte Dreibrodt nicht nur für
eXistenZ, sondern für alle Cronenberg-Filme. Und in gewisser Weise trifft dies hierfür auch zu, sehen die Figuren doch stets das als real an, was sie als real empfinden. Wobei sich im Unterschied zu
The Matrix und
The Thirteenth Floor die Figuren bzw. Templates in den Simulationen nicht bewusst sind, dass sie nicht real sind. Mit sehr reduzierten Mitteln - im Vergleich zu den anderen beiden Hollywood-Filmen – gelingt es Cronenberg einen interessanten Diskurs über Realität und Existenzialismus ins Leben zu rufen. Die Einbettung in die Spiellandschaft ist hierbei besonders hilfreich und spricht zumindest subtil ein Suchtverhalten, wie man es in Bezug auf Spiele wie
World of Warcraft[18] schon gesehen hat, an. Allerdings bedarf es keines besonderen Game-Backgrounds, um an dem Film gefallen finden oder ihn verstehen zu können. In der sehr patriarchalischen Umgebung kann sich Jason Leigh relativ gut behaupten als einzige weibliche Figur, während auch Law, entgegen der Kritik
[19] an ihm, die Rolle des unsicheren, naiven Ted überzeugend zu transferieren weiß. Holm, McKellar und Daffoe spielen sprichwörtlich nur Nebenrollen, können jedoch Akzente setzen. Ein gelungener Film, der wie auch seine drei Genrekollegen einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen weiß. Letztlich stimmt es also, dass der Abgrund irgendwann zurück blickt, und auch das Spiel einen Einfluss auf den User haben kann. Vielleicht hatte die „Realität“ Cronenberg dieses Mal tatsächlich schon eingeholt gehabt.
8/10