31. August 2009

The Land Before Time


Yep, yep, yep.

Man sollte ja nicht in Klischees denken, aber welches Kind bzw. welcher Junge begeistert sich nicht in seiner Jugend für Dinosaurier? Die Riesenechsen, unserer Kultur nur aufgrund ihrer archäologischen Überreste bekannt, zählen zu den Klassikern der kindlichen Erfahrungswelt. Für meine Wenigkeit hatte das Kino den Status „Traumfabrik“ verdient, als ich 1993 Steven Spielbergs Jurassic Park sah. Wenn es möglich war, Dinosaurier glaubhaft auf die Leinwand zu bannen, dann – so beschloss ich mental – war im Kino alles möglich. Während Jurassic Park selbst noch zwei Fortsetzungen nach sich zog, finden sich die klassischen Dinosaurier dagegen in einer anderen Filmreihe: The Land Before Time. Produziert von George Lucas und Steven Spielberg war The Land Before Time 1988 als Konkurrent zu Disneys Oliver & Co. ins Rennen gegangen. Während dieser in den USA erfolgreicher lief, als das von Don Bluth inszenierte Dino-Abenteuer, gelang es den Riesenechsen dafür über das weltweite Einspiel an dem Zeichentrickgiganten vorbeizuziehen.

In einem Land, vor unserer Zeit, müssen sich die verschiedenen Dinosaurierherden wegen Futtermangels auf einen beschwerlichen Treck machen. Hier leben die Riesenechsen, abgesondert nach ihren unterschiedlichen Klassen. „Dreihörner spielen nicht mit Langhälsen“, kriegt der kleine Apatosaurier Littlefoot da von dem jungen Triceratops-Weibchen Cera an den Kopf geschmissen. Jeder kämpft hier für sich selbst, anstatt dass die Dinos in einer riesigen Herde gemeinsam wandern. Nun sind Kinder aber Kinder, und wie man aus Disneys The Fox and the Hound weiß, werden Vorurteile nicht vererbt, sondern erlernt. Aus einem unbekümmerten Spiel zwischen Littlefoot und Cera wird plötzlich ernst, als ihnen der Tyrannosaurier Scharfzahn auflauert. Zur selben Zeit tritt auch noch die Plattentektonik der Superkontinente ein. Zwar gelingt es Littlefoots Mutter die beiden Kleinen zu retten, doch bezahlt sie ihren Heldenmut mit ihrem Leben. Es obliegt den Beiden nun, sich ihren Weg in das ominöse Große Tal selbst zu bahnen. Dabei merken weder Littlefoot noch Cera, dass sie beginnen die Vorurteile ihrer Eltern blind zu übernehmen.

Die Moral von The Land Before Time ist fraglos die Überwindung von Klassenunterschieden. Unabhängig von ihrer Art, Größe und Anatomie müssen Littlefoot, Cera, sowie die Parasaurolophierin Ducky, der Pteranodon Petri und der Stegosaurier Spike lernen, miteinander und nicht gegeneinander zu arbeiten. Nicht nur, um sich mit Futter zu versorgen – die Saurier-Leiter ist hier natürlich die bildhafte Überwindung der Klassenkämpfe-, sondern auch, um wie im Finale zu sehen, einen gemeinsamen Feind Einhalt zu gebieten. Dies fällt jedoch gerade der bornierten Cera recht schwer, die glaubt, alles im Alleingang handhaben zu können. Generell wäre es interessant dieses Schema auf die politische Situation zu übertragen, haben die USA und Cera doch eine Menge gemein. Primär richtet sich der Film jedoch an den Zusammenhalt einer Gruppe von Freunden, die als Gruppe im Stande waren, jeder Situation auf ihrem steinigen Weg mit entsprechendem Kalkül zu begegnen. Damit erzählen Bluth, Spielberg und Lucas per se keine sonderlich neue Geschichte, aber immerhin ist es eine, die wahrscheinlich nie aussterben wird. Dass das Drehbuch dabei selbst den einen oder anderen Hänger hat, soll an dieser Stelle nicht unter den Tisch fallen. Jedoch verfügt der Film zumindest bei mir – und wohl den meisten, die mit ihm groß geworden sind – über derart viel Nostalgiebonus, dass man sie ihm gerne verzeiht.

Die Animation des Filmes erinnert sehr an frühere Werke von Bluth und hat ihren Höhepunkt sicherlich im großartig inszenierten Kampf zwischen Scharfzahn und Littlefoots Mutter. Auch die musikalische Untermalung mit dem hinreizenden Theme weiß zu gefallen. Zuvorderst lebt The Land Before Time – wie viele andere Filme – weniger von seinen beiden Hauptfiguren, sondern von der „zweiten Garde“. Allen voran glänzt hier Ducky, die mit ihrer optimistischen Art und ihrem freundlichen Wesen einfach nur unwiderstehlich ist. Im Team mit Petri und seiner grammatikalisch unsauberen Aussprache sind die beiden dann eigentlich unschlagbar. Spike dagegen ist ob seiner Stille irgendwie überflüssig, auch wenn er ebenso seine kleinen Momente hat (angefangen bei seiner Geburt). Schade ist es um Scharfzahns Unvermögen zu sprechen, was wohl daran liegt, dass er sonst zu „menschlich“ und weniger bösartig erschienen wäre.

Was mir bei der neuerlichen Sichtung – das letzte Mal sah ich den Film vor sicherlich über zehn Jahren – aufgefallen ist: ich erlebte eine Erinnerungswelle der besonderen Sorte. Dutzende der Bilder evozierten dutzende Déjà-vu-Erlebnisse. Sei es Littlefoots Geburt, seine Jagd mit Cera auf den Frosch, sein Spiel mit dem Blatt, Petris Einführung oder Duckys liebevoll-nervige Art. Es war ein wunderschönes Gefühl von … zu Hause … das diese Sichtung mit sich brachte. Und man bedauert es, dass Bluth auf Druck des Studios rund 15 Szenen schneiden musste, die den Film etwas düsterer und bedrohlicher gestaltet hätten. Denn mit einer Stunde Laufzeit – selbst wenn diese optimal genutzt wird – ist das Vergnügen dann doch viel zu schnell vorbei. Den Durst nach mehr wusste dann keine der elf Fortsetzungen zu stillen, die nicht nur weniger liebevoll animiert waren, sondern inhaltlich grundsätzlich wenig bis gar nichts hergaben. Letztlich verschafft es in gewissem Sinne Befriedigung, die DVD zu The Land Before Time im Regal stehen zu haben. Denn so muss ich diesmal nicht wieder über ein Jahrzehnt warten, ehe ich dieses herzliche nostalgische Kleinod erneut begutachten kann. Zwar ist der Film nicht perfekt oder herausragend, dennoch zählt er zu meinen Lieblingsfilmen. Und wird es immer tun.

8/10

28. August 2009

eXistenZ

If I want to be the game, the game will also want to be me.
(David Cronenberg)

Jenes Zitat von David Cronenberg[1] bezüglich seines Science-Fiction-Filmes eXistenZ ist im Grunde nur eine Variation von Nietzsches berühmter Anekdote aus Jenseits von Gut und Böse, umreißt jedoch ganz gut die Prämisse seines letzten Filmes des 20. Jahrhunderts. Dabei war 1999 ein recht existenzialistisches Filmjahr, das innerhalb weniger Monate neben Cronenbergs Beitrag auch noch The Matrix, Abre los ojos und The Thirteenth Floor produzierte. Im direkten Vergleich mit den ersten beiden bescheinigte der enttäuschte Filmkritiker James Berardinelli eXistenZ schließlich nur ein „wannabe“[2] zu sein, während Andere das Werk liebevoll als „Cronenberg Lite“[3] oder euphorisch als „Cyberspektakel“[4] ansahen. Letztlich ist man sich einig, dass man sich nicht einig ist. „Likely to appeal especially to computer game players“[5], vermutete Roger Ebert etwas engstirnig, wohingegen sein Kollege Manfred Riepe „alles andere als ein naturalistisches Abbild der Cyber-Welt”[6] auszumachen glaubt. Der Virgin Film Guide konstatierte, „reality is rapidly catching up with Cronenberg’s warped imagination“[7] und David Stratton sah in dem Film seiner Zeit in Variety primär „an outrageously over-the-top, at times blood-soaked, comedy“[8].

Im Nachhinein beherbergt Cronenbergs 15-Millionen-Dollar-Spektakel[9] sicherlich ein wenig (in manchen Fällen mehr) von allem, ist hierbei zugleich Mitschwimmer, auf einer damals kursierenden Existenzialismus-Welle und steht doch auch ganz in der Tradition des kanadischen Regisseurs. Sieht Dreibrodt in dessen früheren Filmen „eine Gratwanderung zwischen (…) Science-fiction und (..) Horror“[10], kategorisiert er seine späteren Werke dagegen als „körperbezogene[n] Horror“[11]. In gewisser Weise ist eXistenZ wohl beides, eine Mischung aus Science-Fiction und körperbezogenem Horror. Dass es dem Torontoner gelingt – wie auch Alejandro Amenabar, Josef Rusnak und den Wachowskis -, trotz der drei Genrekollegen desselben Kinohalbjahrs (s)eine Eigenständigkeit zu erhalten, lässt sich eXistenZ unter besonderer Berücksichtigung nähern. Zwar sieht Berardinelli in dem Film hauptsächlich „a warning about the addictive nature of games“[12] – was Cronenberg durchaus auch anspricht -, doch ist das übergeordnete Thema sicherlich die existenzialistische Fragestellung, die im Endeffekt in der finalen Ein- und Fragestellung kulminiert: „Are we still in the game?“

In einer kargen, verlassenen Kirche hält die Computerfirma Antenna Research einen Test-Run ihres neuen Spieles „eXistenZ“ ab. Als wären die eingeladenen SpielerInnen nicht schon wuschig genug, kündigt der Moderator (Christopher Ecclestone) auch noch an, dass die berühmte Programmiererin und Entwicklerin von „eXistenZ“, Allegra Geller (Jennifer Jason Leigh), nicht nur anwesend sei, sondern auch die Spielrunde selbst leiten würde. Zwölf Freiwillige werden ausgewählt, die sich wie ihre apostolischen Vertreter um ihren Messias, Allegra Geller, positionieren. Am Eingang der Kirche dient Marketing-Azubi Ted Pikul (Jude Law) heute als Türsteher. Einem verspäteten jungen Besucher versichert er, dass dieser sein eigenes Game-Pod nicht brauchen würde. Antenna Research stellt neben den notwendigen Metaflesh Game-Pods auch die dazugehörigen UmbryCords zur Verfügung. Doch der Abend läuft nicht wie geplant. Der Besucher stellt sich als Mitglied des terroristischen Realist Undergound heraus, tötet den Moderator und verwundet Gellar selbst mit einer Knorpelpistole, die menschliche Zähne abfeuert. Pikul kann Geller retten, reagiert jedoch überrascht, als diese eröffnet, dass er ihr von Antenna als Leibwächter zugeteilt worden sei und Geller selbst aus Misstrauen keinen Kontakt mit ihrer Firma aufnehmen will. Auch Teds organisches Pink-Fon muss dran glauben, was die beiden vollkommen abgeschottet von der Gesellschaft zurücklässt.

Unerwarteter Weise wurde Allegras eigene Spielankündigung („It’s going to be a wild ride“) zur Realität. Die plötzliche Unterbrechung – wohl gleichzusetzen mit einem Absturz eines Computers – könnte ihrem Pod und damit dem Spiel geschadet haben. Schließlich befindet sich die einzige Version von „eXistenZ“, immerhin in fünf Jahren Entwicklungszeit für 38 Millionen Dollar entstanden, in Allegras Pod. Doch um rauszufinden, ob das System noch funktioniert, muss sie das Spiel mit jemandem spielen. Hinsichtlich der vorangegangenen Ereignisse mit jemand, der ihr freundlich gesinnt ist. „Are you friendly?“, becirct sie Ted, der sich zuerst wehrt. Er habe keinen Bioport, der als Verbindungsstelle im Rücken mit der UmbryCord und dem Game-Pod als Spielkonsole fungiert. Der Gedanke, dass sein Körper penetriert wird, verschreckt ihn und führt bei Allegra selbst zu Spott. Wie kann jemand, der in der Game-Szene arbeiten will, keinen Bioport haben? Notgedrungen willigt Ted ein, doch woher kriegt man um Mitternacht noch einen Bioport? In einer der in der Gegend gelegenen ländlichen Tankstellen, entgegnet ihm die Programmiererin, die ihn daraufhin zu einer solchen Tankstelle bringt, die auch genauso heißt und von einem Wart betrieben wird, der der Einfachheit halber lediglich Gas (Willem Daffoe) genannt wird.

An dieser Stelle deutet sich bereits an, dass das, was Allegra und Ted für ihre Realität halten, nicht die Realität ist. Dabei ist der Ausflug zur Tankstelle nur ein Bindeglied für den weiteren Verlauf der Geschichte. Der infizierte Bioport sorgt für den Tod von Allegras Game-Pod und die Weiterreise zu ihrem Mentor und Materialexperte Kiri Vinokur (Ian Holm). Welchen Stellenwert die Computerspiele in der Gesellschaft haben, wird durch Teds Kommentar, dass Vinokurs Tarnung als Ski-Reparatur in einer schneefreien Waldgegend etwas naiv sei von Allegra gekontert. „Nobody physically skis any more“, meint sie amüsiert. Die vereinnahmende Spielkultur hat somit alle Freizeitaktivitäten absorbiert. Wieso wirklich Ski fahren, wenn man es virtuell machen kann? Warum sich einem realen Risiko aussetzen, wenn man auch in einem Spiel glaubhaft Tauchen oder Fallschirmspringen kann? Im Gegensatz zu den Wachowskis oder Cameron zeichnet Cronenberg hierbei auch kein Bild einer sterilen, anarchischen Technik. Im Gegenteil, von wirklicher metallischer Technik kann kaum noch die Rede sein, werden Spielkonsolen oder Mobiltelefone bereits von organischem Material dargestellt. Die Game-Pods selbst sind dabei im Grunde sogar Lebewesen. Tiere, aufgezogen in befruchteten Amphibieneiern, ausgestattet mit synthetisierter DNS, wie Vinokur Ted während der Datenrettungsoperation an Allegras Pod erklärt.

Die Technik wird hierbei von Cronenberg sichtbar versexualisiert. Das Game-Pod, in seiner hautfarbenen Gestaltung, hat etwas von einem Genital, nicht zuletzt auch wegen seiner Nippelförmigen Auswüchse. Die UmbryCord erinnert zudem nicht von ungefähr an eine Nabelschnur, stellt sie doch die Verbindung zwischen Schöpfer und Schöpfung dar, speist das Produkt mit den eigenen Ressourcen. Deutlicher wird der Kanadier dann bezüglich der Bioports. „Körperöffnungen sind Computerschnittstellen und erogene Zonen zugleich“[13], stellt Riepe fest. Nicht nur geschieht die Stimulanz der Sinne durch das Spiel über eine Einführung in die Körperöffnung des Bioports, sondern auch Ted selbst verfällt innerhalb des Spiels, als es darum geht ein Mini-Pod zu aktivieren, dem Verlangen, Allegras Bioport oral zu stimulieren. Kurz darauf beginnen beide sich schließlich zu Küssen, nachdem diese Art des Vorspiels abgehandelt wurde[14]. Es findet also auch in eXistenZ eine verstärkte sexuelle Assoziation zwischen den Protagonisten und ihrem „Suchtobjekten“ statt, wie es der Regisseur drei Jahre zuvor schon, wenn auch gewichtiger, in Crash thematisierte. „In a way, you're seeing new sex, neo-sex, in this movie. Or do you even want to call it sex? It's obviously inducing some kind of pleasure the way sex does”[15], beschrieb der 66-jähriger Kanadier den Vorgang selbst.

Nach dem Austausch von Teds Bioport und der Rettung von „eXistenZ“ können Allegra und Ted endlich das Spiel spielen. Was Ted zu der Frage veranlasst, was eigentlich der Sinn des Spiels sei. „You have to play the game to find out why you play the game“, umschreibt Allegra es philosophisch. Es offenbart sich Stück für Stück, dass sie selbst nicht wirklich weiß, um was es in dem Spiel, welches sie konzipiert hat, eigentlich geht. Verwundert reagiert sie auf die Mini-Pods, die ironischerweise von Antennas Konkurrenten Cortical Systematics produziert werden. Der Erklärung nach soll „eXistenZ“ wohl eher eine Idee, als ein richtiges Spiel sein, da an einer Stelle zumindest impliziert wird, dass das Spiel jedes Mal unterschiedlich aufgebaut ist/wird. Als eine Handlungspassage erfolgreich bewältigt wird, beginnen die beiden Protagonisten in der Simulation in eine weitere Simulation abzutauchen. Hier finden sich weitere Hinweise, dass Cronenbergs Geschichte vielschichtig konstruiert ist. Nachdem Ted in einer Pod-Fabrik Allegra aufsucht, zeigt diese selbst einen Hänger, während sie auf den nächsten Dialoginput wartet, um das Geschehen voranzutreiben. Im chinesischen Restaurant bastelt Ted aus der Mittagsspezialität schließlich ein Pendant jener Knorpelpistole, die für Allegras Attentat gedacht war und richtet diese anschließend auch auf selbe Art und Weise auf sein Gegenüber.

Das wird dann auch Ted deutlich, der „eXistenZ“ unterbricht. Für ihn ist es inzwischen „kein Spiel mehr, sondern nur noch Psychose“[16]. Wo Allegra relativ gelassen reagiert, geradezu gelangweilt, hinterfragt Ted nicht nur das Spiel, sondern im Grunde auch den ganzen Film („I am not sure … here, where we are … is real at all“). Wenig später überschlagen sich dann die Ereignisse, die Grenzen verwischen und in der Handlung taucht wieder der Realist Underground auf. Es kommt zum doppelten Verrat, dem scheinbaren Filmtwist und endlich scheint Cronenberg den Zweck des Spieles zu offenbaren. „Did I win?“, fragt eine ekstatische Allegra, nachdem sie Ted erschossen hat. Cronenberg lüftet nun den Schleier und zieht quasi das UmbryCord aus dem Bioport. Erneut ist man in der kargen Kirche, erneut sind zwölf Freiwillige um einen Messias platziert. Hier, in der Realität, ist Yevgeny Nourish (Don McKellar) der brillante Spieldesigner, „eXistenZ“ heißt eigentlich „transCendenZ“ und Antenna Research wird ersetzt durch die Software-Firma PilgrImage. Allegra und Ted sind selbst nur zwei Spieler von vielen, auch wenn man gemerkt hat, wie Allegra hervorhebt, dass sie ein Paar sind. Nourish selbst, trotz freundlicher Fassade, bringt jedoch gegenüber einer Mitarbeiterin seine Sorgen zum Ausdruck. Die Anti-Spiel-Tendenz sei ihm zu hoch gewesen, kann er gerade noch erklären, als er einem Attentat von Allegra und Ted zum Opfer fällt, die sich als Realist Underground outen.

„Tell the truth. Are we still in the game?“, fragt einer der Mitspieler nervös, als das Paar ihn konfrontiert. Cronenberg hält einige Sekunden auf ihre Gesichter, die von Selbstzweifel gezeichnet sind. Sind sie noch im Spiel? Und wenn nicht, wie können sie sich sicher sein? Jetzt hat Cronenberg erreicht, was er bezwecken wollte: die Hinterfragung, was real ist und was nicht bzw. das man sich dessen nicht sicher sein kann. Hiermit beschreitet er einen ähnlichen Weg, wie Rusnak in The Thirteenth Floor oder wie in einige Kritiker gerne in den Matrix-Fortsetzungen gesehen hätten. Eine Simulation in einer Simulation in einer Simulation usw. Die Vorfälle, sowohl in „transCendenZ“ als auch in „eXistenZ“ haben beide bereits als Fiktion entlarvt. Allein die Tatsache, dass man sich in der angeblichen finalen Realität nur wenige Minuten aufhält, kann kein sicherer Hinweis darauf sein, dass dem auch so ist. Allegras Aufrüttelung an Ted in der Tankstelle lässt sich jetzt auch gegen den Film selbst wenden. „This is it, you see? This is the cage of your own making which keeps you trapped and pacing in the smallest possible space forever”, meinte sie bezüglich Teds Realität. Dass diese ohnehin eher verpönt ist, bringt auch Gas innerhalb der Simulation zum Ausdruck, wenn er über sein Dasein als Tankwart spricht („Only on the most pathetic level of reality“).

„Realität ist, was die Protagonisten als solche empfinden“[17], resümierte Dreibrodt nicht nur für eXistenZ, sondern für alle Cronenberg-Filme. Und in gewisser Weise trifft dies hierfür auch zu, sehen die Figuren doch stets das als real an, was sie als real empfinden. Wobei sich im Unterschied zu The Matrix und The Thirteenth Floor die Figuren bzw. Templates in den Simulationen nicht bewusst sind, dass sie nicht real sind. Mit sehr reduzierten Mitteln - im Vergleich zu den anderen beiden Hollywood-Filmen – gelingt es Cronenberg einen interessanten Diskurs über Realität und Existenzialismus ins Leben zu rufen. Die Einbettung in die Spiellandschaft ist hierbei besonders hilfreich und spricht zumindest subtil ein Suchtverhalten, wie man es in Bezug auf Spiele wie World of Warcraft[18] schon gesehen hat, an. Allerdings bedarf es keines besonderen Game-Backgrounds, um an dem Film gefallen finden oder ihn verstehen zu können. In der sehr patriarchalischen Umgebung kann sich Jason Leigh relativ gut behaupten als einzige weibliche Figur, während auch Law, entgegen der Kritik[19] an ihm, die Rolle des unsicheren, naiven Ted überzeugend zu transferieren weiß. Holm, McKellar und Daffoe spielen sprichwörtlich nur Nebenrollen, können jedoch Akzente setzen. Ein gelungener Film, der wie auch seine drei Genrekollegen einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen weiß. Letztlich stimmt es also, dass der Abgrund irgendwann zurück blickt, und auch das Spiel einen Einfluss auf den User haben kann. Vielleicht hatte die „Realität“ Cronenberg dieses Mal tatsächlich schon eingeholt gehabt.

8/10


[1] Making Of, eXistenZ, Kinowelt Home Entertainment, 2000.
[2] Berardinelli, James: eXistenZ, in: Reelviews.net, o.j., http://www.reelviews.net/php_review_template.php?identifier=124 <24.07.2009>.
[3] Stratton, David: eXistenZ, in: Variety.com, 18. Februar 1999, http://www.variety.com/review/VE1117490696.html?categoryid=31&cs=1&p=0 <24.07.2009>.
[4] Pühler, Simon: Metaflesh. Cronenberg mit Lacan. Körpertechnologien in SHIVERS und eXistenZ, Berlin 2006, S. 102.
[5] Ebert, Roger: Existenz, in: Rogerebert.com, 23. April 1999, http://rogerebert.suntimes.com/apps/pbcs.dll/article?AID=/19990423/REVIEWS/904230301/1023 <24.07.2009>.
[6] Riepe, Manfred: Bildgeschwüre. Körper und Fremdkörper im Kino David Cronenbergs. Psychoanalytische Filmlektüren nach Freud und Lacan, Bielefeld 2002, S. 173.
[7] o. A.: Artikel “eXistenZ, in: The Eighth Virgin Film Guide, London 1999, S. 233.
[8] Stratton, Internet.
[9] Seltsamerweise führt Filmwissenschaftler Thomas Dreibrodt eXistenZ mit 40 Millionen Dollar Produktionskosten – was nicht mal Sinn machen würde, wenn man annimmt, er spräche von Kanadischen, denn US-amerikanischen Dollar - als Cronenbergs bisher teuersten Film (Dreibrodt, Thomas J.: Lang lebe das Neue Fleisch. Die Filme von David Cronenberg, Bochum ²2000, S. 25).
[10] Dreibrodt, S. 54.
[11] Ebd., S. 57.
[12] Berardinelli, Internet.
[13] Riepe, S. 175.
[14] Allegra begründet dies zwar mit einer Vorprogrammierung ihrer beiden Spielfiguren, nichtsdestotrotz ist der Effekt derselbe.
[15] Blackwelder, Rob: Metaphor Man. Controversial visionary David Cronenberg sees technology, mankind, sexuality merging in ‘eXistenZ’, in: Splicedwire.com, 14. April 1999, http://splicedwire.com/features/cronenberg.html <28.04.2009>.
[16] Pühler, S. 113.
[17] Dreibrodt, S. 74.
[18] siehe hierzu auch die gelungene South Park-Episode Make Love, Not Warcraft.
[19] Newman, Kim: eXistenZ, in: Empireonline.com, o.J., http://www.empireonline.com/reviews/reviewcomplete.asp?FID=4520 <24.07.2009> („[eXistenZ] suffers [like many Cronenberg films] from a weak male lead“).

25. August 2009

Haven

It’s just a pebble at a fucking window.

Seiner Zeit wurde Haven in der Kurzzusammenfassung der IMDb als Drama über zwei Briten angekündigt, die auf einer karibischen Insel Geld unterschlagen, während ein Fischer (gespielt von Orlando Bloom) dafür sorgt, dass das Chaos losbricht. Auf den ersten Blick erschien Frank E. Flowers’ Debütfilm im 18. oder wenn man so will auch 19. Jahrhundert angesiedelt zu sein. Zwei britische Handelsleute, die auf eine der Kolonialinseln das Königreich bestehlen und ein Seemann, der zum Szenario dazu stößt. Interessant klang das, was das Publikum 2005 in den Kinos erwarten sollte. Nur dass Haven nie in den deutschen Kinos lief und ohnehin eine weitaus andere Geschichte zu erzählen wusste, wie man nach der Kurzzusammenfassung von 2004 gemeint hätte. Nichts mit Kolonialreichen, britischen Handelsleuten und einem irrwitzigen Szenario um Orlando Bloom. Zumindest nicht so, wie es impliziert worden war. Stattdessen eine Art Episodenfilm, laut DVD-Hülle von den Produzenten (d.h. Bob Yari) von Crash. Aber immerhin spielte Orlando Bloom, der damals mit Return of the King und The Curse of the Black Pearl im Vorjahr den Höhepunkt seiner Karriere erreicht hatte, immer noch einen Fischer.

Haven erzählt nunmehr zwei eigenständige Geschichte, die jedoch parallel ablaufen und sich bisweilen auch kreuzen. Der erste Handlungsstrang dreht sich um die Finanzsituation auf den Cayman Islands. Die Banken, die bisher jedem Kunden Steuerfreiheit versprochen haben, schließen und werden Opfer von Ermittlungen. Dass ist zum einen schlecht für die Kunden, aber auch für deren Broker, wie Mr. Allen (Stephen Dillane). Um sich selbst vor einer Gefängnisstrafe zu bewahren, verkauft er einen seiner Kunden und Partner, Carl Ridley (Bill Paxton), an das FBI. Ridley verdankt es seiner Affäre mit Mr. Allens Sekretärin (Joy Bryant), dass diese ihn in Miami per Fax vor der Hausdurchsuchung vorwarnt. Mit einer Million Dollar Handgeld flieht der Amerikaner gemeinsam mit seiner Tochter Pippa (Agnes Bruckner) auf die Cayman Islands. Dort soll ihm Allen weiterhelfen. Dieser wittert jetzt seine Chance, mit Ridleys Geld selbst abzuhauen. Währenddessen versucht Pippa mit dem Einheimischen Fritz (Victor Rasuk) den Schock der Flucht zu verdauen, wobei dieser seine Schuld beim lokalen Untergrundboss dadurch abarbeiten will, dass er diesem von Ridleys Vermögen erzählt. Obschon es ein zusammenhängender Erzählstrang ist, verlaufen die Handlungen um Ridley und Allen, sowie Pippa und Fritz separat, sodass man im Grunde auch von insgesamt drei Geschichten sprechen könnte.

Des Weiteren erzählt Flowers eine Liebesgeschichte im Stile von Shakespeares Romeo and Juliet. Der Fischer Shy (Orlando Bloom) und die wohlhabende Andrea (Zoe Saldana) sind verliebt, doch wird die Romanze aufgrund des Klassenunterschieds nicht von Andreas Bruder Hammer (Anthony Mackie) gebilligt. Als dieser Shy eines Morgens im Zimmer seiner Schwester erwischt, inszeniert Andreas Vater (Robert Wisdom) um ihres Rufes willen ein Szenario der Vergewaltigung. Wutentbrannt entsinnt Hammer auf Rache und lässt sich zu einer unüberlegten Tat hinreißen, die sowohl sein Leben, als auch das von Andrea und Shy für immer verändern soll. Im Gegensatz zur restlichen Handlung spielen sich diese Ereignisse vier Monate früher ab, wobei jenes Segment der Vergangenheit in die Mitte des Filmes zwischen die gegenwärtigen Geschehnisse rund um Shy und Hammer eingeordnet ist. Das Bindeglied zwischen der Liebesgeschichte von Shy und Andrea sowie der Gierfabel um Pippa, Fritz, Ridley und Allen stellt der Gangster Richie Rich (Razaaq Adoti) dar, der selbst jedoch keine besonders wichtige Rolle spielt. Und im direkten Vergleich ist es die, wenn auch ziemlich konstruierte, dramatische Romanze zwischen Shy und Andrea, die dem Film seine Seele verleiht.

Es wird kurz eingeschoben, dass Shys Vater von Gangstern ermordet wurde, und der Junge wegen dieses Traumas seinen Spitznamen erhalten hat. Nur ist Shy im Grunde nicht wirklich schüchtern, redet munter mit seinem Vorgesetzten, Andreas Vater, seinen Arbeitskollegen und ist auch mit den „Angestellten“ von Richie Rich bekannt. Genauso erhält man nie eine Antwort auf die Frage, warum Shy eigentlich nicht wie seine Altersgenossen zur Schule geht, wo doch seine Mutter (Caroline Godall) sogar als eine der Lehrerinnen unterrichtet. Oder wieso Shy, der auf den Caymans geboren wurde und aufwuchs, im Gegensatz zu seinem besten Freund Kimo (Mpho Koaho) keinen einheimischen Slang beherrscht, sondern sich stets mit britischem Englisch durchschlägt. Sieht man einmal davon ab, dass er Kimo unentwegt mit „dawg“ anspricht, was vielleicht zur Figur, nicht aber zu Blooms Darstellung passen will. So verkommt der Engländer im Grunde zum bloßen hübschen Gesicht, das allerdings jegliche Authentizität der Rolle vermissen lässt. Wie auch schon in Elizabethtown konstatiert, bleibt Bloom weiterhin den Nachweis schuldig, dass er sich innerhalb der Branche zu Recht als „Schauspieler“ bezeichnet, weist er doch wenig mehr Talent als Shia LaBeouf und Co. auf. So ist seine Besetzung am ehesten noch hinsichtlich des Aufmerksamkeitsfaktors nachvollziehbar, der Haven nach Blooms Erfolgen zu Beginn des Jahrzehnts zuteil wurde.

Dabei bleibt Flowers, selbst gebürtiger Kaimaner, generell einige Erklärungen in seinem Debütfilm (dem seither auch kein Zweiter folgen sollte) schuldig. Zum Beispiel wieso Andreas Vater ihr eine Vergewaltigung andichten möchte und weshalb diese – immerhin ist er der angesehene und Shy der nichtswürdige Bürger – dem jungen Fischer nicht angelastet wurde? Oder weshalb sich Andrea nach dem Vorfall zwischen Hammer und Shy dazu entschließt, drogenabhängig zu werden und sich zu prostituieren? Und warum Ridley selbst auf den Cayman Islands scheinbar noch im Ermittlungsgebiet des Federal Bureau of Investigation ist? Bedenkt man, dass es sich im übergeordneten Sinn um einen Episodenfilm handelt, wäre eventuell eine größere Schnittstelle als Richie Richs Geburtstagsparty sinnvoller gewesen. Ohnehin ist gerade die Pippa-Fritz-Nebenhandlung für das große Ganze eher weniger wichtig, selbst wenn ihre Bekanntschaft ausschlaggebend für das Fortführen des Plots um Allen und Ridley sein mag. Grundsätzlich lässt den Zuschauer jedoch sowohl das Schicksal von Ridley (und Pippa) als auch das von Allen relativ kalt. Ähnlich verhält es sich mit Fritz, der als charmanter thug zwar halbwegs sympathisch rüberkommt, aber nicht genug, als dass man um sein Wohl besorgt wäre. So ist, wie bereits angedeutet, die tragische Affäre zwischen Shy und Andrea der Leim, der Haven zusammenhält.

Hätte sich Flowers auf diesen Erzählstrang fokussiert und ihn besser ausgearbeitet, wäre der Film sicherlich etwas runder geworden. Denn die Musik ist relativ stimmig und die Bilder passend gewählt, erwecken sie doch ein träumerisch-schönes Gefühl von den Kaimaninseln. Abgesehen von Bloom kann das übrige Ensemble relativ überzeugen. Sei es Bruckner, Rasuk, Paxton, Dillane, Saldana oder Mackie – sie spielen ihre Parts gemäß ihrer Anwesenheit und Einstellung glaubwürdig. Während das Finale der Ridley-Handlung nachvollziehbar erscheint, reiht sich die Geschichte um Shy und Andrea erneut in die Ansammlung der offenen Fragen ein. Hinsichtlich des Zeitfensters ließ sich vielleicht nicht mehr erzählen, als letztlich erzählt wird, was aber nur einen Grund mehr darstellt, wieso sich Flowers ausschließlich auf die Romanze und ihre Konsequenzen hätte konzentrieren sollen. Im Nachhinein ist Haven ein netter, annehmbarer Film, der eigentlich in Ordnung geht, ohne zu irgendeinem Zeitpunkt wirklich spektakulär zu sein. Es bleibt eine Mutmaßung, doch eventuell wäre ein Drehbuch, wie es dereinst der IMDb-Eintrag vor fünf Jahren zumindest implizierte (ein abenteuerliches Spektakel in der Kolonialzeit), reiz- und eindrucksvoller gewesen, als es Flowers’ Debüt im Nachhinein wurde. Nicht nur für den Zuschauer, sondern auch für seine seither leere Vita.

6.5/10

22. August 2009

The Chronicles of Riddick - Director’s Cut

Now what would be the odds of that?

In der Besprechung zu Pitch Black wurde es bereits angesprochen: zu Beginn des Jahrzehnts galt Vin Diesel als der legitime Nachfolger von Arnold Schwarzenegger im Actiongenre. Nachdem er durch die Rolle des Richard B. Riddick zu erstem Ruhm gelangt war, gelang es ihm in den darauf folgenden beiden Jahren mit The Fast and the Furious und xXx jeweils die 200-Millionen-Dollar-Marke zu sprengen. Als dem New Yorker Fortsetzungsangebote zu allen drei Filmreihen vorlagen, entschied sich der ehemalige Türsteher gegen 2 Fast 2 Furious und xXx: State of the Union. Die Entscheidung für The Chronicles of Riddick – und zugegeben, die interessanteste der drei Figuren rund um Riddick, Dominic Toretto und Xander Cage – sollte ihm die nächsten Jahre einen Strich durch die Rechnung machen. Finanziell gesehen war der Auftakt einer potentiellen Trilogie ein Flop und Diesel konnte sich erst dieses Jahr mit Fast and Furious (seinem bisher erfolgreichsten Film) rehabilitieren. Dabei hatte Regisseur David Twohy alles richtig gemacht und sich gar nicht erst an einer stumpfen Orientierung an dem Vorgänger – wie es im Grunde alle Fortsetzungen tun – versucht. Keine Rückkehr zu Hades, kein neuerliches Bekämpfen von geflügelten Monstern im Dunkeln. Stattdessen der Auftakt einer Saga, der im Director’s Cut weitaus besser ist als ihr Ruf.

Die Brücke zwischen den beiden Filmen schlägt Peter Cheungs Animations-Kurzfilm Dark Fury. Dieser ist inhaltlich etwas mau (Riddick, Imam und Jack werden von einem Kopfgeldjäger-Schiff aufgesammelt und Riddick muss sich erwehren, nicht zum Kunstobjekt zu verkommen), widerspricht sich manches mit dem in Chronicles Geäußerten. Während hier der Imam (Keith David) Riddick vorwirft, Jack fünf Jahre zuvor allein gelassen zu haben, äußert der Muslim zum Ende von Dark Fury indirekt den Wunsch, dass Riddick doch die Jugendliche zum Wohle ihrer eigenen Beziehung lieber allein lassen soll. Weshalb sich die Waise, die vor Pitch Black schon auf sich allein gestellt gut klar kam, nun nicht behaupten können sollte, bleibt Twohy schuldig zu erklären. Immerhin schlägt der Kurzfilm die Brücke zur Anwesenheit von Toombs (Nick Chinlund) im Film, der zu Beginn mit seiner Kopfgeldjäger-Crew auf UV-6 Riddick endlich aufgespürt zu haben scheint, nachdem dieser ihm in Dark Fury noch entwischt war. Die Verkündung, dass sein Kopfgeld auf Helion Prime ausgesetzt wurde, treibt Riddick (Vin Diesel) zu seinem alten Bekannten, den Imam, nach New Mecca. Damit gerät er jedoch mitten in eine intergalaktische Invasion der Necromonger um ihren Anführer Lord Marshal (Colm Feore) und eine Prophezeiung, die auch Riddicks Herkunft als Furyaner miteinbezieht.

Animationskurzfilm Dark Fury als Bindeglied zwischen den Teilen (oben)...
...und eine kleine Referenz an Pitch Black: Slam City (unten).
Eigentlich erzählt Twohy mit The Chronicles of Riddick zwei Geschichten in einer. Auf der einen Seite bildet die Prophezeiung um Riddick und den Lord Marshal die Prämisse des Films, der sich der Regisseur im ersten und dritten Akt widmet. Auf der anderen Seite schiebt er jedoch in die Mitte der Handlung einen Subplot um Riddicks Ausbruch aus der Gefängnisanstalt von Crematoria. Jener Ausflug ist es, der am ehesten in der Tradition zu Pitch Black steht, muss doch erneut Jack, die jetzt Kyra (Alexa Davalos) heißt, beschützt und viel gerannt werden. Im Nachhinein wäre es wahrscheinlich empfehlenswerter gewesen, wenn sich Twohy auf eine der beiden Handlungsstränge beschränkt bzw. dem der Flucht von Crematoria den Vorzug gegeben hätte. Hier erschafft Twohy eine stringente kleine Geschichte, die sogar etwas von Riddicks großartigem Ausbruchsflair zu erschaffen weiß, die ihm in Pitch Black so vorausgeeilt war. Zudem präsentiert sich Jack hier als weitaus tougherer Sidekick und mit Toombs hat man einen charmant-diabolischen Gegenspieler. Des Weiteren haben die Macher sogar eine liebevolle kleine Referenz an ihr Pitch Black: Slam City-Segment eingebaut. Dass sich Twohy hier freizügig bei Genrekollegen wie Stuart Gordons Fortress oder Martin Campbells No Escape bedient, fällt ebenfalls auf. Ohnehin wird sein ganzer Film von einer Vielzahl an Versatzstücken anderer Filme oder Geschichten durchzogen.

Während die Crematoria-Sequenz sich als Ausbruchs-Story versteht und durch den zynischen Humor zwischen Riddick und Toombs sowie Kyra auszeichnet, schlägt die Haupthandlung um die necromongische Invasion eine andere Richtung ein. Die Prophezeiung an den Lord Marshal, selbst nach einem Besuch im Parallel-Universum Underverse „half alive and half something else“, dass ein furyanischer Krieger seinen Untergang bringen würde, erinnert stark an die vieldeutigen Orakelsprüche von Delphi. Denn letztlich ist es allein die Prophezeiung, die den Lord Marshal überhaupt auf die Idee bringt, Furya zu zerstören. Des Weiteren erinnert die Passage um den potentiellen Umstürzler und den präventiven Knaben- bzw. Völkermord an das zweite Kapitel des Matthäus-Evangeliums und Herodes’ Mordversuch am König der Juden. Die Gestaltung der Necromonger selbst ähnelt zumindest indirekt jener der Harkonnen aus David Lynchs Dune und selbst eine Hommage an die Fernsehserie Roswell findet sich wieder (wenn auch nur im Director’s Cut). Derweil stellt die Darstellung von Kommandant Vaaku (Karl Urban) und seiner Gemahlin (Thandiwe Newton) eine mehr als offensichtliche Anspielung an Shakespeares Drama Macbeth dar. Von seiner machtgeilen Frau angetrieben, plant Vaaku etwas widerwillig den „Königsmord“ am Lord Marshal. Dank des Necromonger-Mottos („You keep what you kill“) würde er so der neue Herrscher.

Bedenkt man wie vielfältig sich Twohy im Potpourri der Filmgeschichte bedient, wirkt sein fertiges Resultat erstaunlich kohärent. Sicherlich, Figuren wie der Elementalin Aereon (Judi Dench) hätte es als Ersatz-Orakel nicht unbedingt bedurft und auch das Auftreten des Imam ist wohl eher Verbindung zum Vorgänger (die Twohy speziell im ersten Akt noch durch Riddicks Erzählstimme zu Beginn und einige übernommene Zitate erreicht), als von inhaltlicher Bedeutung. Wie angesprochen hätte es The Chronicles of Riddick noch etwas stimmiger gemacht, wenn man sich auf eine der beiden Handlungsstränge gesondert konzentriert hätte. Einige störende Merkmale sind jedoch vorhanden. So werden die Figuren von Lord Marshal – speziell seine Vergangenheit, aber generell seine ganze Motivation und die Ursprünge der Necromonger – oder dem Reiniger (Linus Roache) nicht sonderlich ausführlich dargestellt, was zwar auch auf Aereon zutrifft, allerdings nicht sonderlich schade ist. Auch die klimatische Entscheidung, Kyra einen Opfertod sterben zu lassen, passt nicht wirklich zum „Karma“ der Filmreihe, wobei hier die potentielle Handlung im Underverse in den geplanten Fortsetzungen eine Revidierung bringen könnte. In welche Richtung sich die beiden angekündigten Sequels, an denen Twohy bisher noch schreibt, bewegen, ist bei einer Reihe, die sich lediglich nach den Chroniken einer Figur ausrichtet, nicht absehbar.

Resümierend kann gesagt werden, dass Diesels Entscheidung seiner Zeit wohl gut getroffen war. Denn der Anti-Held Riddick, den Twohy selbst als „bad guy“ und Aereon als „another kind of evil“ bezeichnet, bietet sicherlich am meisten Potential von Diesels damaligen Figuren. Zwar will die Erzählstimme zu Beginn nicht so gut funktionieren wie in Pitch Black, aber die Coolness wohnt dem Charakter weiterhin unbestreitbar inne. Da die Tapetum-Sicht dieses Mal von keiner besonderen Bedeutung ist, wirkt sie gerade im finalen Kampf, aber auch in den New-Mecca-Szenen wenn Riddick seine Sonnenbrille nicht aufhaut eher befremdlich. Davalos schlägt sich gut als abgehärtete Kyra, wobei der Alterswandel etwas radikal erscheint und die Abwesenheit von Griffiths umso bedauerlicher. Dench ist nicht mehr als eine namentliche Aufwertung und die Necromonger selbst (Feore, Urban, Newton) schlagen sich relativ ordentlich. Sie leiden zwar allesamt unter der geringen Aufmerksamkeit für ihre Figuren, wissen jedoch hier und da ihre Akzente zu setzen. Die Effekte sind wie schon im Vorgänger solide und erfüllen ihren Zweck, schön ist die mehrfache Einarbeitung des Pitch Black-Themes von Graeme Revell, das auch hier wieder an das von Brad Fiedels zu The Terminator erinnert. Insgesamt geht die Entscheidung den kultigen Riddick in eine neues, anderes Abenteuer zu platzieren sicherlich auf und The Chronicles of Riddick weiß über die meiste Zeit zu gefallen. Eventuell war der Schock der neuen Umwelt seiner Zeit doch etwas zu groß, insofern Twohy für die Fortsetzungen nicht wieder FSK-Kürzungen vornehmen muss, ist den kommenden Nachfolgern jedoch erwartungsvoll entgegen zu blicken.

7/10

19. August 2009

Pitch Black - Director’s Cut

You’re not afraid of the dark, are you?

Als Überraschungserfolg oder im englischen sleeper hit qualifiziert sich etwas, in der Kinolandschaft ein Film, der unerwarteten Erfolg mit sich bringt, sei es in finanzieller oder kultureller Hinsicht. Ein Beispiel wäre Kevin Smiths Clerks, Nia Vardolos’ My Big Fat Greek Wedding oder auch Gus Van Sants Good Will Hunting. Überraschungserfolge sind somit eigentlich eine Win-Win-Situation, weil der Künstler selbst zu unerwarteten Ruhm gelangt und das Studio bzw. die Produzenten selbst weitaus mehr Gewinn abgeworfen bekommen, als erhofft. Nun gibt es auch bei Überraschungshits solche und solche, denn während The Hangover in den USA gerade die 300-Millionen-Dollar-Grenze überschreitet, spielte David Twohys Pitch Black vor neun Jahren lediglich ein Zehntel dessen in den USA ein. Dennoch wurde der Sci-Fi-Horror zum Erfolg und stieß die Tür zu Hollywood für Vin Diesel auf. Diesel sollte seinen neugewonnen Ruhm in den kommenden beiden Jahren mit den Kassenknüllern The Fast and the Furious sowie xXx nochmals ausbauen. Da war es durchaus blanke Ironie, dass ausgerechnet die Fortsetzung zu Pitch Black seiner Karriere vier Jahre später einen Sturz verleihen sollte, von dem sich der markige New Yorker auch fünf Jahre danach noch nicht vollends erholt hat.

Eine Variation von Murphys Gesetz lautet: „Früher oder später wird die schlimmstmögliche Verkettung von Umständen eintreten“. Da mag man es als zurückblickende Erzählstimme ansehen oder als vorausschauende Ahnung, wenn zu Beginn von Pitch Black der geflüchtete Strafgefangene Richard B. Riddick (Vin Diesel) erklärt, dass das ihn beherbergenden Raumschiff eine größere Strecke ohne Zwischenstopp zurücklegen muss. „A long time for something to go wrong...“, meint er süffisant und entlässt den Zuschauer damit in die Handlung, die anschließend durch einen Meteoriteneinschlag startet. Der Kapitän des Schiffes stirbt, die Außenhülle ist beschädigt. Co-Pilotin Carolyn Fry (Radha Mitchell) versucht frisch aus dem Tiefschlaf den Absturz abzuwenden. Doch das Schiff ist zu schwer und nachdem sie die Ladungskabinen abgeworfen hat, will sie auch die Passagierkabine loslösen. Mehr schlecht als recht gelingt es dem Schiff zu landen und 13 Menschen, darunter auch Fry und Riddick, überleben. Doch mit der Notlandung auf dem verlassenen Planeten Hades und der Flucht Riddicks aus den Fängen des Kopfgeldjägers Johns (Cole Hauser) beginnt die Geschichte von Pitch Black erst. Als ein Planet eine Sonnenfinsternis herbeiführt, erwachen tausende von todbringenden Kreaturen.

Im Grunde handelt es sich bei der ersten Hälfte – nahezu punktgenau – des Filmes um die Exposition, die im Nachhinein mit fünfzig Minuten sicherlich etwas lang geraten ist. Twohy nutzt die Zeit, um die unterschiedlichen Charaktere aufeinander prallen zu lassen und insbesondere, um Riddick als ambivalente Figur einzuführen. Obschon auf der Flucht, hält sich dieser dennoch die ganze Zeit in der Gegenwart der Gruppe auf. Nach dem Vorwurf, einen der Überlebenden umgebracht zu haben, muss sich Riddick erst einmal wieder rehabilitieren. Während dieser Zeit wird er beinahe ausschließlich als stille Bedrohung charakterisiert. Als kräftiger Esel in den Augen von Johns und als hilfreiche Unterstützung nach Meinung von Fry. Riddick selbst zeichnet sich im Grunde den ganzen Film lang durch seine Coolness aus (die, bezieht man Chronicles of Riddick mit ein, angeboren zu sein scheint). Dadurch verteilt Twohy schon früh die Seiten für Johns und Riddick, kommt Ersterer unentwegt als Arschloch daher (auch die Erklärung für die Morphiumsucht will keine Sympathien aufkommen lassen). Der Regisseur unterstützt das positive Bild von Riddick nochmals, wenn er die junge Jack (Rhiana Griffith) den glatzköpfigen Muskelprotz unentwegt anhimmeln lässt.

Nachdem schließlich in die Handlung eingeführt wurde, beginnt nach 50 Minuten die eigentliche Prämisse des Filmes einzusetzen. Die Sonnenfinsternis naht, die geflügelten Kreaturen kommen nachts heraus und das rettende Raumschiff ist mehrere Kilometer entfernt, während der Solarbuggy naturgemäß den Geist aufgegeben hat. Die Konstruktion der Geschichte, dass ausgerechnet im Jahr der Sonnenfinsternis der Absturz erfolgt und praktischerweise mit Riddick jemand an Bord ist, der aufgrund einer Tapetum-Operation über Nachtsicht verfügt, verleiht Pitch Black seinen ungemeinen Charme. Während schon in der Mitte der Exposition das Zehn-Kleine-Jägermeister-Prinzip begonnen wurde, zieht Twohy das Tempo nun nochmals an. Erst sterben die beiden Geologen, dann müssen die Islam-Schüler des Imam (Keith David) dran glauben, während unentwegt das schützende Licht- und Feuermaterial zur Neige zu gehen droht. Das Schema ist von Natur aus nicht sonderlich spannend, da vorhersehbar, aber Twohy weiß sehr geschickt mit der Dunkelheit und der darin lauernden Gefahr zu spielen. Ohnehin ist es der Einsatz von Licht und Dunkel, auch in ihren Facetten, der den Film auszeichnet. Verwendete Twohy in der Exposition aufgrund der drei Sonnen mal einen hellen, mal einen blauen Farbfilter, kommt in der zweiten Hälfte nun noch Riddicks Tapetum-Sicht und die Sonarbilder der Kreaturen hinzu.

Bedenkt man, dass Twohy für seinen Sci-Fi Horror lediglich 20g Millionen Dollar zur Verfügung hatte, wissen die Spezialeffekte durchaus zu überzeugen. Mitunter sieht man den Kreaturen in der einen oder anderen Einstellung an, dass sie grobschlächtig am PC entstanden sind, doch weitestgehend funktioniert das Szenario. Mehr als gelungen dagegen ist die kosmische Hintergrundgestaltung, die ihren Höhepunkt in der wunderschönen Sonnenfinsternis-Szene hat. Generell weiß also der Look von Pitch Black zu gefallen, seien es die Effekte oder auch die Porträtierung der Figuren. Neben der funktionierenden Story sind es auch besonders die Dialoge und ihr meist trockener Humor, der zusätzlich den Film sehr sympathisch gestaltet. Schon allein der „looks clear“-Moment zwischen Riddick und Johns dürfte wohl nie alt werden. Es sind hierbei eigentlich ausschließlich die beiden zynischsten Figuren, Riddick und Johns, die mit ihren smarten Einzeilern die Stimmung aufzulockern wissen. So kommt Pitch Black in der Tat eigentlich durchweg als sehr cooler Horrorfilm daher, dem nicht nur seine Charaktere – allen voran natürlich der einprägsame Riddick – sondern neben seinen Effekten auch seine Handlung ausgesprochen gut zu Gesicht stehen. Da ist dann letztlich auch das Ende nur konsequent, insbesondere in Hinblick auf den Filmbeginn. Ingesamt ist Pitch Black daher ein durchaus gelungenener Genrefilm.

7.5/10

17. August 2009

Fear and Loathing in Las Vegas

You won’t need much. Just a tiny taste. 

“We were somewhere around Barstow, on the edge of the desert, when the drugs began to take hold” – so beginnt die Odyssee von Raoul Duke (Johnny Depp) und seinem Anwalt Dr. Gonzo (Benicio Del Toro), basierend auf Hunter S. Thompsons Roman Fear and Loathing in Las Vegas. Terry Gilliam, durch Werke wie 12 Monkeys als Regisseur abgedrehter Geschichten etabliert, versuchte zurecht gar nicht, Thompsons Handlung in einen rationalen Rahmen zu verordnen. Auf welche Reise man sich mit den beiden Hauptfiguren begibt, machen die gleich zu Beginn deutlich. Ausgerüstet mit zwei Beuteln Gras, 75 Kügelchen Meskalin, fünf Löschblättern mit extra starkem Acid, einem Salzstreuer halb voll mit Kokain, einem ganzen Spektrum vielfarbiger Uppers, Downers, Heuler und Lacher, zwei Dutzend Poppers, sowie jeweils einer Flasche Rum und Tequila, einer Kiste Bier und einem halben Liter Äther machen sie sich auf nach Las Vegas.

Dort soll Duke formal als Journalist das MINT 400 zu dokumentieren, das „höchstdotierte Wüstenrennen für Motorräder und Strandbuggys“ – im Grunde will er aber einfach nur raus aus Los Angeles. Gonzo rät ihm zur Übernahme des redaktionellen Auftrags, begleitet seinen Mandaten zugleich gen Sin City. Die Drogen, die sie unterwegs bereits zu sich nehmen, wirken nicht nur, sie nehmen alsbald überhand – verstärkt verliert das Duo immer mehr die Kontrolle über sein Verhalten sowie seine Gefühle. So gerät Fear and Loathing in Las Vegas zu einer kruden Mischung aus Alice im Wunderland und Dantes Inferno, markiert zugleich einem gelungenen Anti-Kriegsfilm, der die US-Einsätze in Vietnam anprangert. Unterstrichen dadurch, dass Duke immer wieder den Krieg im Fernsehen verfolgt, dieser aber auch nun Einzug in sein eigenes Leben erhält, via wahnhaften Erscheinungen oder der ständigen Präsenz des Star-Spangled Banners.

In der Mitte des Filmes platziert Gilliam einen sehr subtilen Dialog zwischen Duke und Gonzo, der die Anti-Kriegs-Thematik gekonnt akzentuiert. “I hate to say this, but this place is getting to me. I think I’m getting the fear”, erklärt ein aufgelöster Dr. Gonzo. “Nonsense”, wischt Duke dessen Ängste beiseite. “We came here to find the American Dream, and now we’re right in the vortex you want to quit. You must realize that we’ve found the main nerve.” Doch Gonzo lässt sich nicht überzeugen: “That’s what gives me the fear.” Ein Jahr vor dem Roman hatten sich die Kent-State-Vorkommnisse ereignet, als vier Studenten bei einer friedlichen Demonstration gegen den Krieg von den eigenen Soldaten erschossen wurden. Wenn Duke an anderer Stelle Sätze spricht wie “had we deteriorated to the level of dumb beasts?”, ist das weniger Ausdruck seines Rausches, als eine Momentaufnahme der US-amerikanischen Gesellschaft zu Beginn der 1970er Jahre.

In der zweiten Filmhälfte rück die subtile Kritik an der US-Politik in den Hintergrund, weichen den Drogeneskapaden. Zum Beispiel wenn sich Duke um eine gesetzliche Verfolgung wegen Verführung Minderjähriger in Person der jungen Lucy (Christina Ricci) sorgt. Letztlich ist der Film jedoch ein wunderbares Bild von zwei Männern, die erfolglos versuchen, dem heimatlichen Wahnsinn durch Drogen zu entfliehen und dabei grandios scheitern. Im Grund ist überall “bat country”, was Duke am Ende schließlich einsieht, wenn er sich selbst nur als “just another freak in the freak kingdom” bezeichnet. Dass es Thompson und Gilliam gelingt, die politische Kritik in ihre ansonsten durchgeknallte Odyssee derart gelungen einzubetten, macht Fear and Loathing in Las Vegas zu einem der unerwartet überzeugenden Beitrag des Anti-Kriegsfilm-Genres, auch wenn man dies dem Film wohl wegen seiner Inszenierung nicht unbedingt ansehen möchte. 

Seine Ursprünge fand die Geschichte, zuerst im Oktober 1971 als Titelgeschichte im Rolling Stone Magazin erschienen, ein halbes Jahr zuvor, als sich Hunter S. Thompson und sein Anwalt Oscar Zeta Acosta nach Las Vegas aufgemacht, wo Thompson das MINT 400 dokumentieren sollte. Herausgekommen war ein weiteres Gonzo-Werk des Journalisten, das durch Satire und Überspitzung die tatsächlichen Ereignisse zu verweben versuchte. Entstanden nach William Faulkners Zitat, dass Fiktion meist realer sei als die Wirklichkeit, begründete Thompson den Gonzo-Journalismus damals mit der Erklärung, er könne den Redaktionsschluss zeitlich nicht einhalten, weshalb er nur seine Notizen abdrucken ließ. Während Thompsons Roman zeitnah auf den Fuß folgte, kam Terry Gilliams Film sicherlich 20 Jahre zu spät, wenn man alleine von seiner politischen Botschaft ausgeht, in die man sich Ende der 1990er Jahre historisch wieder zurückversetzen musste. 

Was den Film abseits seiner Gesellschafts- und Politikkritik hervorhebt, sind einerseits seine schrulligen Gastauftritte (darunter Tobey Maguire, Cameron Diaz und Ellen Barkin), aber vor allem der durch die Drogen evozierte Humor. Allein Del Toros Dr. Gonzo ist ein kleines Kunstwerk für sich, wenn er mit seiner ausufernden Paranoia überall Verschwörer wittert und mit seinem Kultzitat (“As your attorney, I advise you”) einen amüsanten Running Gag erschafft. Aber auch Depp spielt wunderbar auf, als schrulliges Alter Ego von Thompson, dessen Originalkleider er aufträgt und den er monatelang vor den Dreharbeiten studiert hat. Somit ist Fear and Loathing in Las Vegas zu Recht ein Kultfilm, der auch Jahrzehnte nach Kinostart noch zu gefallen weiß und, bedenkt man die Bush-Politik im Irak und ihre Folgen Anfang des Jahrtausends, vielleicht doch aktueller ist, als man denken möchte. In diesem Sinne bleibt also nur eines: “Buy the ticket, take the ride.”

8.5/10

16. August 2009

Kurz & Knackig: US-Serien - Teil II

Parks and Recreation - Season One

Would you say that you are enjoying yourself?

Was kann man groß zu Greg Daniels neuer Show Parks and Recreation sagen? Es ist doch etwas verwunderlich, dass Daniels mit keinem eigenständigen Konzept aufzuwarten weiß. Denn im Kern ist seine neue Sitcom nichts anderes als eine Neuinterpretation von Ricky Gervais’ The Office. Im mockumentary style wird ein exzentrischer Mensch in hoher Position verfolgt, unterlegt mit Interviews von der betreffenden Person selbst, sowie deren MitarbeiterInnen. Die Ähnlichkeiten zwischen Michael Scott und Leslie Knope (Amy Poehler) sind nicht von der Hand zu weisen. Mit Tom Haverford (Aziz Ansari) findet sich dann auch ein Mitarbeiter, der wie Jim Halpert gerne mal zu Streichen aufgelegt ist. Auch wenn Tom in seinem Humor sehr viel bösartiger ist. Leslie Knope ist Vize-Direktorin des Stadtplanungsamtes von Pawnee. Als der Lebensgefährte von Krankenschwester Ann (Rashida Jones) in eine offene Baustelle fällt, setzt sich Leslie zum Ziel, diese in einen Park zu verwandeln. Architektonische Unterstützung verspricht sie sich von ihrem ehemaligen One-Night-Stand und Frauenheld Marc (Paul Schneider), der zugleich im Stadtbauamt tätig ist.

Genauso wie The Office lief die erste Staffel von Parks and Recreation in ihrer ersten Ausführung lediglich sechs Folgen. Ein wirkliches Urteil will sich hier schwer fällen lassen. Der Humor der Show ist ohne Frage charmant, wenn auch etwas weniger auf Fremdschämen fokussiert, wie im Office-Original. Poehlers Leslie ist etwas anstrengender als Carrels Michael Scott, scheint allerdings auch etwas auffassungsschneller zu sein. Die Nebenfiguren sind durchweg sympathisch, allen voran natürlich sexy Rashida Jones. Heimlicher Star ist jedoch Leslies phlegmatischer Vorgesetzter, Ron Swanson (Nick Offerman), für den Bürokratie darin besteht, am besten gar nichts zu machen. Die gelungenste Folge markiert The Reporter, während sich die Serie sonst auf einem leicht überdurchschnittlichen Niveau bewegt. Im Gegensatz zu The Office kann man jedoch mit dem Pärchen der Show, Jones’ Ann und Chris Pratts Andy, nicht wirklich mitfühlen. Dafür werden die Beiden als Paar zu selten fokussiert. Die Reaktionen auf die Show, die sich primär um Leslies ekelhaften Optimismus dreht, waren verhalten. Nichtsdestotrotz wurde sie von NBC für eine zweite Staffel verlängert. Grundsätzlich empfand ich Parks and Recreation somit als gelungen, auch wenn Daniels mehr eigenständige Kreativität gut getan hätte. Wird im Herbst weiterverfolgt.

7.5/10

Southland - Season One

Things aren’t always what they seem.

Bedenkt man, dass Polizisten in Amerika nicht gerade den besten Ruf haben – schon gar nicht die in Los Angeles -, verwundert es doch, dass die Amerikaner sich ihre Cop-Serien nicht nehmen lassen (s. unten auch The Unusuals). Eine Expertin auf dem Gebiet scheint Ann Biderman zu sein, die für ihre Arbeit an NYPD Blue mit einem Emmy ausgezeichnet wurde. Nach zwölf Jahren Abstinenz seit ihrem Drehbuch zu Smilla’s Sense of Snow kehrt Biderman nun ins Business zurück. Ihr erstes Fernsehdrama Southland folgt der Arbeit und dem Privatleben von sechs Polizeibeamten des LAPD. Die Serie orientiert sich hierbei einerlei an Genrebeiträgen wie Colors und Training Day, andererseits aber auch den Reality-TV-Serien wie dem in den USA beliebten Cops-Format. Dies äußerst sich nicht nur in dem semi-dokumentarischen Stil der Handkamera und den ausgebleichten Bildern, sondern auch in der Tatsache, dass Schimpfwörter zensiert werden. Die Handlung selbst folgt einerseits den Straßenpolizisten John Cooper (Michael Cudlitz) und dem Anfänger Ben Sherman (Ben McKenzie), andererseits den Ermittlern Nate Moretta (Kevin Alejandro) und Sammy Bryant (Shawn Hatosy) vom Morddezernat sowie ihren Kollegen Lydia Adams (Regina King) und Russell Clarke (Tom Everett Scott).

Neben einigen Nebenfiguren, wie dem von C. Thomas Howell dargestellten Officer Dewey, fokussiert sich die Serie primär auf diese sechs Cops. Während nicht zwingend stets alle sechs in einer Episode auftauchen müssen, kommt es jedoch des Öfteren vor, dass sich ihre Wege innerhalb einer Episode kreuzen. Grundsätzlich am Überzeugendsten agiert hier die Pilotfolge Unknown Trouble, an die lediglich See a Woman heranzureichen vermag. Die anderen Folgen sind an sich durchschnittlich. Wobei dies dadurch geschuldet ist, dass auch Southland zu jenen Serien zählt, deren Qualität abhängig ist, von dem Fall, der in der jeweiligen Episode behandelt wird. Ein roter Faden findet sich hier abgesehen von Janila, einer Jugendlichen, die als Zeugin gegen eine Latinobande fungieren soll, nicht. Die Serie weiß daher zuvorderst wegen ihrer sympathischen Figuren, allen voran der idealistische Sherman, zu gefallen. Die Darstellung des LAPD wirkt dann, bedenkt man die Geschichte des Dezernats, mitunter recht verblendend. Dennoch kann man Bidermans Serie eine gewisse grundsätzliche Qualität nicht absprechen. Ansätze für die bereits bestätigte zweite Staffel sind vorhanden. So zum Beispiel das Schicksal von Janila oder wieso Sherman ein Polizist wurde (seine Figur wirkt grob einem Mike Lowry aus Bad Boys entlehnt). Auch wenn Southland im Kern etwas zäh zu konsumieren ist, wird die zweite Staffel von mir wohl weiterverfolgt.

7/10

The Unusuals

You don’t deserve to wear a mustache.

Eigentlich paradox, dass es derart viele Cop-Serien gibt, wo Polizeibeamte in den USA ja nicht gerade sonderlich populär sind (s. Anm. oben) . Wahrscheinlich schauen die Amis Cops lieber bei der Arbeit zu, als selbst mit ihnen konfrontiert zu werden. Was The Unusuals jetzt im Vergleich zu Southland oder dergleichen unterscheiden soll, erklärte Produzent ABC über eine Pressemitteilung. „Like a modern-day M*A*S*H“, meint der Sender und setzte dadurch die Meßlatte ziemlich hoch. Vorausgreifend lässt sich sagen, dass die Cop-Serie nicht wirklich irgendwie mit M*A*S*H vergleich bar ist, selbst wenn mitunter einige Szenen durchaus dem Humor der Kriegssatire gerecht werden. Viel eher lässt sich The Unusuals tatsächlich mit seinem Pendant Southland vergleichen. Auch hier finden sich mehrere Cops, denen meist einzeln Paarweise gefolgt wird, auch wenn sich ihre Fälle oft überschneiden. Dies erklärt sich auch dadurch, da sie alle aus demselben Dezernat stammen. Dabei sind es die Charaktere, die herausstechen. Sei es der narzisstische Solo-Ermittler Eddie Alvarez (Kai Lennox), der von sich selbst in der dritten Person spricht, oder der übervorsichtige Leo Banks (Harold Perrineau), der zur Sicherheit stets seine kugelsichere Weste trägt.

Was die Serie allerdings vermissen lässt, ist ein roter Faden. Zwar beginnt sie mit der Versetzung von Casey Shraeger (Amber Tamblyn), die ihren neuen Partner Jason Walsh (Jeremy Renner) ausspitzeln soll, doch läuft dies eher nebenbei. Auch die anderen Figuren, wie Henry Cole (Joshua Close) oder Eric Delahoy (Adam Goldberg) haben ihre kleinen Süppchen zu kochen (letzterer ist sich sicher, einen Gehirntumor zu haben, aber zu feige zum Arzt zu gehen). Somit verkommt The Unusuals zur case-of-the-week-Serie, die lediglich in 42 wirklich ihr Potential abrufen kann, auch wenn Boreland Day und The Tape Delay ebenfalls zu den besseren Folgen zählen. Generell lässt sich sagen, dass die Serie stets dann punktet, wenn sie tatsächlich die konventionelle Schiene verlässt und sich mehr an M*A*S*H und ähnlichen Satiren orientiert. Seltsam ist auch, dass hier ebenfalls wie in Southland mittels Tamblyns Figur das Mike-Lowry-Syndrom auftaucht. Reiche Menschen die als Cops lieber wenig Geld verdienen scheinen zum Genreklischee zu verkommen. Wenig überraschend wurde The Unusuals nicht für eine zweite Staffel erneuert. Schade ist das nicht unbedingt.

6.5/10

Dirty Sexy Money - Season Two

Now it’s family night.

„Raum für die 2. Staffel ist vorhanden“, schrieb ich vor mehr als einem Jahr bezüglich der ersten Staffel von Dirty Sexy Money. Die Serie schwankte zwischen humoriger Persiflage auf die Schönen und Reichen und einem spannenden Drama-Format, das sich mit dem Tod eines abwesenden Protagonisten beschäftigte. Dass durch den Autorenstreik damals die ursprünglich doppelt so vielen Episoden auf zehn Folgen beschränkt wurden und im Dezember des vergangenen Jahres die Ausstrahlung der zweiten Staffel diesmal ausgesetzt wurde, ehe nunmehr ein halbes Jahr später die verbliebenen drei Episoden (eine wurde gar ganz gestrichen) ausgestrahlt wurden, spricht wohl Bände über die Resonanz von Dirty Sexy Money. Dass das Konzept für keine dritte Staffel verlängert wurde, ergibt sich da von selbst. Inhaltlich entfernte sich DSM nochmals vom Vorjahr. Der Mord an Dutch spielt nur noch eine untergeordnete bzw. kaum noch existente Rolle. Stattdessen müssen sich Tripp Darling (Donald Sutherland) und sein Anwalt Nick George (Peter Krause) hautsächlich mit ihrem Konkurrenten Simon Elder (Blair Underwood) auseinandersetzen. Währenddessen hat Nick mit seiner Ehe zu kämpfen und auch die anderen Figuren, von Patrick (William Baldwin) bis hin zu Brian (Glenn Fitzgerald), haben mit ihrem Liebesleben zu kämpfen. Im Vergleich zur ersten Staffel verliert die Serie dieses Mal noch mehr ihre (überhaupt vorhandene?) Prämisse aus dem Blick.

Ensemble-Ergänzungen wie Nola (Lucy Liu) fallen da aufgrund ihrer konstruierten Einbindung mit gleich mehreren Figuren etwas unter den Tisch, während Samaire Armstrongs Charakter der Juliet gleich ganz gestrichen (und von den anderen Figuren auch nicht mehr erwähnt) wird. Simon Elder ist nun das große Thema, erst als finanzielle, dann als Karens (Natalie Zea) Liebhaber auch als interne Bedrohung. Das ist in der ersten Hälfte der zweiten Staffel – die ohnehin erstaunlich gut ist, allgemein, aber insbesondere im Vergleich zur zweiten Hälfte – noch eher das Thema, als in der weitestgehend themenlosen anderen Hälfte. Etwas plump gerät es dann mit dem – zugegeben, ungeplanten – Serienfinale, wenn auf einmal wieder die Frage nach Dutch George aufkommt. Eigentlich kann sich Dirty Sexy Money nicht entscheiden, was genau es sein will. Sicherlich manche Szenen sind komisch, was dieses Mal eher an Fitzgerald liegt, als an Seth Gabels Jeremy oder einer anderen Figur. Dennoch leidet die Serie nun unter ihrer Einbindung von Genreklischees (wer schläft mit wem und wieso und sowieso, am Ende schließt sich der Kreis). Das Staffel- und Serienfinale The Bad Guy ist dabei besonders enttäuschend, wobei auch die vorzeitige Klimax The Organ Donar recht schwach ist. Überzeugen können speziell The Family Lawyer und The Injured Party. Alles in allem verschenkt Craig Wright mit seiner neuen Serie gehörig Potential, weshalb es nicht schade ist, dass diese nun ihr Ende findet.

7/10

Better Off Ted - Season One

I’m Batman. And Robin.

Inzwischen wirkt der amerikanische Serienmarkt auf mich wie ein riesiges Buffet. Unglaubliche viele leckere Sachen, manche optisch ansprechender, als sie es wohl sind und dafür einige Geheimtipps, die irgendwo hinter einer Bowle oder ähnlichem etwas verdeckt werden. Wie bei einem Buffet kann man aber nicht alles Essen, schon allein logistisch nicht und auch nicht hinsichtlich der eigenen Verdauung. „Leichtere“ Kost wie die 20-Minuten-Sitcoms haben es da von Natur aus einfacher. Und hier hat auch die humorvollere Variante meist die Nase vor eher „dramatischer“ Konkurrenz (z.B. Nurse Jackie) vorn. Mit Better Off Ted kam im vergangenen Jahr eine Serie heraus, die irgendwie weder Fisch noch Fleisch ist. Erst liefen die Quoten nicht entsprechend und die letzten Folgen wurden nur stotternd veröffentlicht, dann allerdings erhielt man doch grünes Licht für eine zweite Staffel. Die Show selbst ist dabei ungemein originell und spritzig, das kann man ihr nicht absprechen. Allerdings verliert sie sich bisweilen und speziell in der zweiten Hälfte immer öfter in ihrer monotonen Spitzfindigkeit. Das stagniert, bewegt sich eher zäh vorwärts und entwickelt zu langsam, am besten verdeutlicht an der zarten Büro-Romanze zwischen Abteilungsleiter Ted (Jay Harrington) und seiner Angestellten Lina (Andrea Anders). Somit präsentiert sich Better Off Ted über 13 Folgen lang mit Stoff, der im Grunde in der Hälfte der Episoden ausreichend hätte erzählt werden können.

Beide arbeiten nun bei der Firma Veridian Dynamics, einer Entwicklungsfirma für allerlei industriellen Quatsch wie kuhfleischfreies Fleisch, einer dritten Hand oder ganz einfach nur Jabberwocky („You do know about Jabberwocky, don’t you?“). Das Team wird komplettiert durch Teds Vorgesetzte, Veronica (Portia de Rossi), sowie den beiden Wissenschaftlern Phil (Jonathan Slavin) und Lem (Malcolm Barrett). Die Serie bezieht ihren Humor allen voran aus Veronicas unterkühlter Art mit ihren Untergebenen umzugehen, sowie bisweilen auch aus dem charmanten Trio Ted, Phil und Lem. Der einzige rote Faden der Show ist Teds und Lindas gegenseitiges Interesse aneinander, welchem Ted jedoch aus abwechselnden Gründen (zuerst sein Motto nur eine Büro-Affäre zu haben, dann seine Tochter Rose, die er alleine erzieht) nicht nachgeben möchte. Dabei besticht Victor Frescos Sitcom durch ihre teils brillanten Dialoge und ihre mitunter beeindruckende Situationskomik. Wie in so vielen Fällen (The Big Bang Theory/Sheldon, How I Met Your Mother/Barney) lebt Better Off Ted allerdings mit der großartigen Portia de Rossi zuvorderst von einer kultigen Figur. Während die erste Hälfte der Staffel mit Through Rose-Colored HAZMAT Suits und allen voran Racial Sensitivity zu beeindrucken weiß, baut die zweite Hälfte jedoch stark ab. Dies liegt auch daran, dass statt sich weiterhin neu zu erfinden, auf vorherigen – wie gesagt: stagnierenden – Entwicklungen herumgeritten wird (und dabei hab ich nicht einmal mitbekommen, wie Phil seinen kryonischen Schock überwunden hat). Dennoch ist die Serie so charmant, dass sie im Herbst weitergeschaut wird.

7.5/10

13. August 2009

Lucas

Hey, I'm a party animal.

Im Idealfall ist ein Klassentreffen ein Wiedersehen alter Schulkameraden und Freunde. Somit als positives Ereignis zu sehen und von vielen Menschen auch so empfunden. Mit US-komödien aus den achtziger Jahren verhielt es sich in gewissem Sinne ähnlich. Auch sie stellen ein Wiedersehen mit alten Gesichtern dar. So blödelte sich einst ein John Cusack durch Better Off Dead... und The Sure Thing, während Oscarpreisträger wie Sean Penn und Forest Whitaker in Fast Times at Ridgemont High ihre Ursprünge feierten. Die High School Komödie ist ein festetabliertes Genre in Hollywood und dient naturgemäß zuvorderst den Jungdarstellern als Sprungbrett ihrer Karriere. Doch an den Charme und Esprit der 80er-Komödien kamen schon die Kollegen ein Jahrzehnt später nicht mehr heran, sieht man von Versuchen wie She's All That oder 10 Things I Hate About You ab. Ohnehin geht der Komödientrend - wachsend mit seinem Klientel - immer mehr in die Richtung Vulgär-Humorismus, was sich neben den American Pie-Filmen auch an der momentanen avent garde rund um Seth Rogen und Judd Apatow zeigt.

Nun soll dies nicht heißen, dass die Werke von Hughes und Heckerling prüde und frei von jeglicher Sexualität gewesen sind, doch wurden ihre Filme nicht von Anal-, Oral- oder sonstigen Sexvariationen dominiert. Stattdessen wohnten vielen Filmen, selbst – oder gerade – den scheinbar expliziteren, eine liebenswerte Naivität inne. Dass sich jene Werke in der heutigen Kinolandschaft durchsetzen könnten, ist zu Bezweifeln, sieht man sich den Erfolg heutiger Genrekollegen an. Teilweise gilt hier das Motto von Hit & Miss, indem eine Vielzahl von Gags losgefeuert wird und auf eine möglichst hohe Trefferquote gehofft wird. Wirkliche coming-of-age-Geschichten erlebt der Zuschauer hier nur noch selten und dagegen in den 80er-Komödien nahezu unentwegt. Doch Leben heißt Weiterentwickeln und somit ist der Wandel des Komödiengenres im Nachhinein nachvollziehbar. Wer will sich schon nach zwei Jahrzehnten noch im selben Entwicklungsstand wiederfinden? Auch wenn die Kinolandschaft hier charakterlich (ruhig, naiv – wild, vulgär) im Vergleich zur natürlichen Entwicklung ironischerweise eher ins Gegenteil verkehrt wird.

Das Grundschema steht allerdings und dies auch schon mehr als zwei Jahrzehnte. Es ist ein amerikanisches Phänomen, diese High School Landschaft. Die Cliquenwirtschaft, vertreten durch ihre drei prominentesten Lager: den Nerds, dem Football-Team und den Cheerleadern. Sie finden sich im Grunde in allen High School Komödien in den zentralen Positionen wieder und werden bisweilen – bestes Beispiel ist Hughes’ The Breakfast Club – noch von generellen Außenseitern ergänzt. Es ist daher nur logisch, dass auch David Seltzers Lucas hier keine Ausnahme bildet. Der Protagonist und Held muss natürlich der Nerd sein. Eine unterdrückte Figur, die im Verlaufe des Filmes Raum zum Wachstum hat. In diesem Falle ist es Lucas (Corey Haim), ein hochintelligenter 14-jähriger Hobby-Entomologe. Als dieser in den Sommerferien die hinzugezogene 16-jährige Maggie (Kerri Green) kennenlernt, ist es ziemlich schnell um ihn geschehen. Vielleicht zuerst etwas notgedrungen freundet sich Maggie schließlich mit Lucas an und entdeckt alsbald seinen überaus sympathischen Charakter. Doch Sommer ist Sommer und speziell unter den Gesetzen der Schule gehen Jugendliche schnell wieder ihre eigenen Wege. Und schon der erste Schultag verläuft in Lucas’ Augen schon mal gar nicht so, wie er sich das vorgestellt hat.

Die innerschulischen Streitigkeiten oder das Nerd-Dasein beschäftigen Seltzer nun nicht sonderlich. Stattdessen fokussiert er sich auf die pubertären Gefühle seiner Protagonisten. Am deutlichsten wird dies in einer sehr gelungen Chorszene, in welcher Seltzer zuerst der jungen Rina (Winona Ryder) folgt, die Lucas beobachtet, während dessen Augen auf Maggie liegen, die wiederum den Football-Schönling Cappie (Charlie Sheen) anhimmelt – was allerdings von dessen Freundin Alise (Courtney Thorne-Smith) eifersüchtig beobachtet wird. Eine Einstellung, die im Grunde den ganzen Film zusammenfasst. Lucas beschäftigt sich mit amourösen Gefühlen, die zum einen nicht bemerkt und zum anderen nicht erwidert werden. Abgesehen von Maggie und Cappie, doch es ist deren Romanze, die die Emotionen aller anderen Figuren spaltet. Während Maggie allerdings zumindest zu ahnen scheint, dass Lucas mehr als nur freundschaftliche Gefühle für sie zu hegen scheint (allein das Konzertbesuch zu Beginn verrät ihn bereits), muss sich Rina gegenüber Lucas wie Luft fühlen. Mehrfach versetzt er sie, stets zu Gunsten eines Treffens mit Maggie.

Letztlich gibt Seltzers Film viele bekannte Begebenheiten der Schulphase wieder. Von den verschiedenen Schwärmereien, bis hin zu den Entwicklungen. Relativ behutsam wird hier die Romanze zwischen Maggie und Cappie aufgebaut, die trotz ihrer leichten Heuchelei im Grunde doch unschuldig ist. Zudem wird das klassische Motiv präsentiert, dass der Protagonist vor lauter Eifersucht nicht das richtige Mädchen vor seinen Augen sieht. Von besonderem Interesse ist hierbei ein Dialog, den Lucas und Rina in der Mitte des Filmes führen. „Can you imagine that? Turning from something ugly into something beautiful?“ fragt Lucas Rina und spielt damit bewusst auf sich selbst und seine Beziehung zu Maggie an. Aber auch indirekt und unwissentlich auf Rina und ihr Konkurrenz-Dasein gegenüber Greens Figur. Interessant ist weniger Lucas’ Frage, als Rinas Antwort. „No. Frankly I can’t“ drückt ihr fehlendes Selbstbewusstsein aus und ihre Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit hinsichtlich ihrer Bemühungen um Lucas. Im Vergleich zur ersten Hälfte, wo sie ihn zwei Mal fragt, ob er etwas unternehmen will, scheint sie zu diesem Zeitpunkt bereits resigniert zu haben, denn eine weitere Einladung folgt nicht im restlichen Verlauf des Filmes.

Im Vergleich zu seinen Genrekollegen bemüht sich Seltzer ein sehr realitätsnahes Bild seiner Geschichte wiederzugeben. Beispielhaft an der klimatischen Football-Szene, in der Lucas wider Erwarten zum Einsatz kommt und einen – zumindest für die Prämisse – entscheidenden Pass zugespielt bekommt. Lucas, ohne Sporterfahrung, kann den Football nicht fangen und wird im Zuge der Szene von mehren Spielern getackled, was ihn anschließend ins Krankenhaus bringt. Seltzer schenkt seinem Nerd nicht den Ruhm und auch nicht das Mädchen und doch endet der Film auf einer positiven Note. Es ist Lucas’ besonderes Charaktermerkmal, dass er stets freundlich und offen ist und sich auch nicht scheut, seinen Unterdrückern eine zweite Chance zu geben. Nur diesem Verhalten war es zu verdanken, dass sich Cappie selbst wandelte, vom Rumschubser zum Beschützer. Am Ende des Filmes ist es Lucas, der eine zweite Chance erhält und zugleich sind es alle anderen Figuren, die ebenfalls eine neue Chance erhalten. So versieht Lucas letztlich weniger Lucas mit einer Katharsis, als alle seine Mitschüler, die sich über ihn lustig gemacht haben. Jenes kathartische Moment bildet das Finale des Filmes, der dem Jungen nicht einmal eine potentielle Romanze mit Rina in Aussicht stellen will (obschon seine Realisierung ihrer Präsenz Raum für Implizierungen lässt).

Dennoch hapert es Seltzer etwas an Überzeugungskraft im Wendepunkt. Nachdem Lucas erneut erniedrigt wird – Seltzer spart aus, wieso sich Spike (Jeremy Piven) einerseits freundlich gegenüber Lucas zeigt (auch wenn dies stets in Cappies Gegenwart ist) und anderseits mit Bruno diesen quält -, kulminieren die Gefühle. Plötzlich nimmt Maggie ihren Freund wieder wahr, dieser versteckt sich und wird anschließend von ihr gefunden. Zum einen spart der Film Maggies Kenntnis über Lucas’ Versteck aus, zum anderen ist der Wechsel jenes Dialogs (Lucas versucht sich an einer Annäherung, wird aber abgewiesen und bricht scheinbar mit Maggie) hinüber zur klimatischen Football-Szene recht hart. Wieso Lucas glaubt, sich durch Beteiligung am Spiel doch noch Chancen bei Maggie auszurechnen, nachdem sie ihm diese im Streit zuvor abgesprochen hat, wird nicht deutlich. Gegebenenfalls wollte sich der Nerd auch nur vor versammelter Schule beweisen. Seltzer wird an dieser Stelle nicht genauer und offenbart hier einen etwas unstimmigen Schwachpunkt.

Grundsätzlich weiß Lucas aber dennoch zu überzeugen und wie angesprochen speziell durch seinen Bruch mit dem Klischee im Finale zu gefallen. Was den Film des Weiteren auszeichnet, ist seine überaus ansprechende Besetzung. Neben einigen Darstellern des Brat Pack zählte Corey Haim sicherlich zu den Stars des achtziger Jahre Jugendkinos. Haim gibt Lucas im Grunde durchweg sehr sympathisch und glaubwürdig und untermauert seinen Standpunkt als einer der Jungstars der damaligen Zeit. Auch Green spielt sehr gut und scheint wie die übrigen Darsteller von Sheen über Thornton-Smith zu Ryder eigentlich punktgenau besetzt worden zu sein. Dies ist ein weiteres Merkmal dafür, dass Lucas zu jenen 80er-Komödien zählt, die sich wie ein Klassentreffen anfühlen, wenn auch in umgekehrter Form. Im Vorwissen, wer diese Schauspieler sind, wirken ihre jugendlichen Antlitze sicherlich noch sympathischer, als zur damaligen Zeit. Wenn man auch von Kerri Green und Corey Haim später nicht mehr viel zu sehen bekam und Thornton-Smith lediglich in Melrose Place auftauchte, so macht es nicht weniger Spaß ihnen zuzusehen, wie ihren drei berühmteren Kollegen. Eine hinreizende Winona Ryder sollte hier mit ihrem Spielfilmdebüt ihre Karriere beginnen, die sie im Verlaufe der nächsten Jahre weiterhin (Edward Scissorhands, Heathers) als schulische Außenseiterin geißeln würde. Sheen gelangte im selben Jahr mit Platoon der Durchbruch und Jeremy Piven ist – wenn auch spät – dank Entourage zu seinem verdienten Ruhm gekommen. Schlussendlich ist Lucas einer der vielen hervorragenden Genrevertreter und doch individuell nicht minder beeindruckend.

8/10