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17. Februar 2009

The Wrestler

It didn’t feel like a mistake to me.

Jeder Mensch hat Dinge, die seine Jugend und Kindheit nicht nur aus- sondern ganz speziell machen. Ein altbekanntes Klischee ist die Faszination von Mädchen für Pferde und Puppen, während sich die Jungs für Dinosaurier und Autos interessieren. Ein entscheidender Faktor dürfte für jene Jungs auch eine Sportart sein, die im Grunde nicht wirklich eine solche ist. Wrestling dient weniger dem sportlichen Wettkampf, sondern zuvorderst der Unterhaltung. Ein Showkampf, vollkommen inszeniert und doch von den Fans frenetisch gefeiert. Und ihren Zweck haben diese Männer durchaus erfüllt, wenn auch Jahrzehnte später noch Namen wie Hulk Hogan, Bret ‘Hitman’ Hart, ‘Macho Man’ Randy Savage, Yokozuna, The Undertaker, Lex Luger, Mr. Perfect und all die anderen im Gedächtnis nun erwachsener Männer verankert sind. Doch welchen Preis dieser Beruf hat, bleibt unter Verschluss und wird vom Publikum kaum wahrgenommen.

Wrestling hat seinen Ursprung als Jahrmarktsattraktion des 19. Jahrhunderts, heute ist es ein Massen- und Merchandise-Unternehmen. Bis zu 400 Millionen Dollar setzt World Wrestling Entertainment (WWE) dadurch um. Die Akteure kümmern die WWE allerdings wenig. Keine Form von Rente oder Krankenversicherung gibt es für die professionellen Catcher. Der Job fordert seinen Tribut, auf die eine oder andere Art. Der bekannte Wrestler Owen Hart, Bruder des berühmteren Bret ‘Hitman’ Hart, starb 1999, als er von einem Gerüst in den Ring hinein sprang. In den letzten zehn Jahren verstarben 65 Wrestler durch jahrelange Anwendung von Steroiden, fast 40% von ihnen erlagen einem Herzinfarkt. Was die Zuschauer amüsiert, verlangt mehr körperliche Kraft, als das Publikum einzustehen bereit ist. Darren Aronofsky setzt diesem Sport nun im Allgemeinen und jenen Sportlern per se mit The Wrestler ein Denkmal.

In seinem vierten Kinofilm zelebriert Aronofsky einen solchen Kinderhelden. Zu rockig unterlegter Musik und in einem dementsprechend gestyltem Vorspann feiert er seinen Hauptprotagonisten Randy ‘The Ram’ Robinson (Mickey Rourke) und dessen legendären Kampf gegen Nemesis The Ajatollah. Nachdem der Vorspann zu Ende ist beginnt dann der eigentliche Film oder besser gesagt: die Demontage. Der Bildschirm ist schwarz, ein verschleimtes Husten bricht die Stille. Da sitzt er nun, der Held der Geschichte, auf einem Klappstuhl, den Rücken zur Kamera gewandt. Es ist offensichtlich, er ist fertig mit sich, mit der Welt. Randy ist müde und alt. Oder Randy ist müde, weil er alt ist. Es spielt keine Rolle. Er lässt sich bezahlen und schlürft mit seinem Trolli aus einer Schulsporthalle. Seine Winterjacke ist an mehreren Stellen mit Tapeband gekittet, im Radio läuft derweil Don't Know What You Got (Till It's Gone) von Cinderella.

Randy, der einst ‘The Ram’ war, hat den Absprung nicht geschafft. Vielmehr ist er ein Gefangener seiner Nostalgie. Von einem Kollegen lässt er sich mit Steroiden versorgen. Die Aufzählung aller Produkte erinnert in ihrer Ausführlichkeit an Raoul Dukes Drogenkollektion aus Fear and Loathing in Las Vegas. Um den Körper zurück in die achtziger Jahre zu katapultieren, werden dann noch die langen Haare blondiert und die Haut im Solarium gebräunt. In seinem Auto steht eine Live Action Figur von ihm selbst, zu Hause hat er sich extra einen alten Nintendo angeschafft, um damit sein einziges Spiel zocken zu können: ein Wrestling-Spiel. Gelegentlich kann er einen der Nachbarsjungen dazu bringen, sich zu ihm zu gesellen und dann spielen beide als ‘The Ram’ und The Ajatollah gegeneinander. Doch das alles sind nur Requisiten für Randys Show. Privat zeigt uns Aronofsky ihn dann mit Lesebrille, Hörgeräten und Arthritis.

Den Einschnitt bildet ein Herzinfarkt, den Randy nach einem Kampf erleidet. Nun nimmt ihm Aronofsky auch das Letzte, das ihm geblieben ist: seine Identität. “I don’t wanna be alone”, erklärt Randy gegenüber Stripperin Cassidy (Marisa Tomei). Sie ist so etwas wie seine Lebensgefährtin, bezahlt er sie doch hin und wieder, damit sie ihm zuhört, wenn er von seinem Leben berichtet. Cassidy, die eigentlich Pam heißt und für sich und ihren Sohn einen Lebenswandel anstrebt, ist Randys scheinbar einziger sozialer Kontakt abseits seiner Wrestling-Gemeinde. Zwar hat er in Stephanie (Evan Rachel Wood) eine Tochter, doch ist der Kontakt seit Jahren abgebrochen. Jetzt, wo Randy alleine und ohne sein Hobby ist, versucht er in den Alltag zurück zu finden. Es folgen zaghafte Versuche, eine Art Familiengerüst mit Pam und Stephanie aufzubauen, sowie die Akzeptanz eines undankbaren Jobs als Fleischwarenverkäufer.

“The only place where I can get hurt is out there”, resümiert Randy am Ende bezüglich der Realität. Die Akzeptanz seiner Fans ist zuverlässig, da sie darauf basiert, dass Randy so ist, wie er ist. Gegen die Ablehnung von Pam und Stephanie kann er sich nicht schützen. In diesen Momenten, wenn Randy zwischen Vergangenheit und Gegenwart pendelt, erinnert er ein wenig an Baby Jane Hudson oder Norma Desmond. Ein naiver Ex-Star, dazu verdammt, in seiner Erinnerung weiterzuleben. Eine gescheiterte Existenz, die nie gelernt hat, sich in die Realität einzugliedern. Etwas, das man nicht unbedingt in dieser Vollständigkeit von Hauptdarsteller Mickey Rourke sagen kann, der sich hier auf gewisse Weise selbst spielt. Rourkes Spiel beeindruckt, weniger wegen seiner Klasse, sondern weil man den Star der Achtziger so (gut) wohl noch nie hat spielen sehen. Seine überzeugende Darstellung wird ergänzt durch Tomei und Wood.

Formal hebt sich Aronofskys neuer Film deutlich von seinen Vorgängern ab. Keine visuellen Spielereien, keinerlei Effekte jeglicher Art. Im Gegenteil, für sein quasi Biopic von Randy ‘The Ram’ wechselte der Regisseur seinen Stammkameramann Matthew Libatique aus und ersetzte ihn durch Maryse Alberti, sonst eher Dokumentarfilmerin. So wirkt The Wrestler bisweilen aufgrund seiner blassen Bilder selbst wie ein Dokumentarporträt, wenn die Kamera als Verfolger die meiste Zeit den Rücken von Randy einfängt und diesen somit auf seinen Lebenswegen begleitet. Jener Lebensweg ist dabei nicht speziell innovativ oder auf das Wrestler-Milieu zugemünzt. Eine ähnliche Geschichte hat man in dieser oder ähnlicher Form schon gefühlte 20 Mal – besser und schlechter - gesehen und der Bezug zum Wrestling ließe sich hierbei natürlich auch durch Football oder andere aufreibende Sportarten ersetzen.

Bisweilen vermisst man dann die Seele des Films, der teils etwas steril wirkt. Zu persönlich für eine Dokumentation, zu unpersönlich als mitfühlendes Drama. Deshalb ist keineswegs schlecht, im Gegenteil. Angefangen vom Vorspann bis hin zum Finale, das durch Guns N’ Roses Sweet Child O’ Mine eingeleitet wird, erreicht der Film seinen Höhepunkt in jener Einstellung, in der Randy unter frenetischem Jubel durch die Gänge spaziert und sich letztlich darauf vorbereitet, seinen Job in der Fleischwarenabteilung anzutreten. Ohne The Wrestler schlechter reden zu wollen als er ist, bedeutet er dennoch einen leichten Rückschritt für Aronofsky, der hier seine kreative Individualität aufzugeben scheint, indem sein neuester Film sich in die Reihe der Indie-Dramen einreiht. Dass The Wrestler jedoch zu einem sehr guten Indie-Drama geworden ist, zeichnet dann letztlich aber doch wieder die Klasse von Darren Aronofsky aus.

8.5/10 – erschienen bei Wicked-Vision

10. Dezember 2010

Black Swan

The only person standing in your way is you.

Das Ballettstück „Schwanensee“ von Vladimir Begichev und Vasiliy Geltser erzählt die Geschichte der Schwanenkönigin Odette, einer verzauberten Prinzessin, die nur durch die Liebe von ihrem Fluch befreit werden kann. Das Ganze basiert auf einem Märchen, wie könnte es anders sein, trifft man derartige Versatzstücke (wie das Biest in La Belle et la Bête oder den Grimm’schen Froschkönig) doch durch die Jahrhunderte hindurch. Jene Liebe tritt im „Schwanensee“ in Gestalt von Prinz Siegfried auf, wird jedoch unterminiert, als der für den Fluch verantwortliche Zauberer Rotbart das Treffen von Siegfried und Odette überhört und beginnt, zu intervenieren. Rotbart gibt sich anschließend als Baron aus und erschafft eine Doppelgängerin für Odette namens Odile, der Siegfried daraufhin verfällt.

Das von Tschaikowski komponierte Ballettstück von 1875/1876 ist eines der bekanntesten seines Faches, die Figur der Schwanenkönigin aufgrund ihrer unterschiedlichen Choreographien für Odette und Odile zudem eine der anspruchsvollsten und anstrengendsten Rollen des klassischen Balletts. Eine aufreibende Welt also, in der sich die Darsteller zu Unterhaltungs- und Kunstzwecken körperlich verausgaben, was das Publikum jedoch nicht immer angemessen schätzt. Nicht unähnlich dem Wrestling, das als Schaukampf gilt, das jedoch der Authentizität wegen viele seiner Vertreter an die physische Belastungsgrenze treibt. Regisseur Darren Aronofsky widmete sich beiden Welten und liefert nun mit Black Swan einen Gegenentwurf zu seinem letztjährigen The Wrestler ab.

Im Mittelpunkt von Black Swan steht die junge Balletttänzerin Nina (Natalie Portman) - eine unsichere und zerbrechliche Perfektionistin, die von ihrer Mutter und Ex-Ballerina Erica (Barbara Hershey) dazu auserkoren wird, die Karriere zu haben, die Erica aufgrund ihrer Schwangerschaft einst versagt geblieben ist. Beide Frauen leben in einer kontrollierten Welt, abhängig von einander, die Mutter von der Tochter, die Tochter von der Mutter. Als in Ninas Ballettkompanie die Primaballerina Beth Macintyre (Winona Ryder) vom Chefchoreographen Thomas (Vincent Cassel) in die berufliche Wüste geschickt wird, setzt Nina alles daran, die Hauptrolle in Thomas’ Neuinszenierung von „Schwanensee“ zu erlangen. Ihre Versagensängste und Paranoia wiederum sorgen bald für eine mise en abyme.

Zwar tanzt das ewige Mädchen Nina den weißen Schwan perfekt, mit ihrer verführerischen Doppelgängerin Odile hat die psychisch angeknackste Bulimikerin jedoch Probleme. Da hilft es schon gar nicht, dass mit Lily (Mila Kunis) eine vor Extrovertiertheit und Sexappeal sprießende neue Tänzerin zum Ballett stößt. Mit fortschreitender Dauer steigt einerseits Ninas Stellung innerhalb der Kompanie, andererseits aber auch ihre Unsicherheit. In einer Szene dehnen und strecken sich alle Ballerinas, während Thomas durch ihre Reihen schreitet und einige von ihnen antippt - nur Nina nicht. Deren Anspannung springt fast von der Leinwand, ihre anschließende Erleichterung, als sie erfährt, dass diejenigen Vortanzen dürfen, die nicht angetippt wurden, bleibt dagegen nahezu unmerklich.

Ninas Verunsicherung hat Auswirkungen auf ihre Psyche. Sie fühlt sich verfolgt, zum einen von Lily und zum anderen weitaus prominenter von sich selbst. Die Folge: ein Ausschlag auf dem rechten Schulterblatt, Verletzungen am Nagelbett, Gewichtsverlust. Es sei ihr Moment, ihre Chance, flüstert Thomas seiner neuen Primaballerina in einer Szene ins Ohr. In einer anderen weist er sie an, ein wenig zu leben (“Live a little”). Ein Rat, den ihr später auch Lily gibt, aber den Nina nicht befolgen kann. Als Thomas ihr aufgibt, zur Entspannung zu masturbieren, scheitert das Unterfangen an dem plötzlichen Auftauchen von Erica. In dem für die Mutter gelebten Leben von Nina ist für eigene Erfahrungen kein Platz. Was letztlich bei beiden Frauen zu irreparablen Schäden an der Psyche führt.

War „Schwanensee“ ein stets neu interpretierbares Ballett, ist es dies auch bei Aronofsky. So spielt Siegfried in Black Swan gar keine Rolle, vielmehr fragt sich der Film, was wäre, wenn nicht der Prinz von Odile getäuscht würde, sondern Odette. Dementsprechend verschwimmen für Nina verstärkt ihre Wahrnehmungen von Lily und sich selbst, beziehungsweise ihrer eigenen, verführerischen Doppelgängerin - ihrem schwarzen Schwan. Was wahr ist und was nur eingebildet, darunter auch die im Vorfeld viel kolportierte Sexszene zwischen den beiden Darstellerinnen, verwischt dabei vielleicht für die Hauptfigur, nicht jedoch für das Publikum. Denn obschon sich Aronofskys fünfter Film als Psychodrama und/oder Balletthorror anbiedert, vermag er selten wirklich Spannung aufzubauen.

Damit das Filmgeschehen den Zuschauer fesselt, fehlt der Geschichte der Zugang zu ihren Figuren. So bleibt Lily durchweg eine Schimäre, die sie allerdings nicht ist, schwankt Thomas zwischen berechnendem Arsch und kaltherzigem Perfektionisten oder ist Beth im Grunde total verschenkt. Ein Verständnis für die Charaktere geht Black Swan gänzlich ab, was ihn wohl am meisten von The Wrestler, seinem Bruder im Geiste, unterscheidet. Hier wie da folgt die Kamera gerne der Hauptfigur im Rücken, schenkt ihr Hoffnung, nur um sie kurz darauf wieder ins Straucheln kommen zu lassen. Scheiterte Randy the Ram an der Vergänglichkeit seines Ruhmes (so gesehen ist ihm Beth hier noch am ähnlichsten), droht Nina an der von ihrer Mutter aufgelasteten Erwartungshaltung zu zerbrechen.

Nagte im Vorgänger sein Beruf an Randys Physis, zerfrisst ihre Chance hier an Ninas Psyche. Dieser vermeintliche Identitätsverlust als mise en abyme ist zwar über weite Strecken interessant, wenn Nina und Lily als charakterliche Gegenentwürfe zueinander - und was Nina angeht auch füreinander - entworfen werden. Doch Aronofsky verliert sich nach dem zweiten Akt zu sehr in der Aufeinanderfolge dieses Psychospieles sowie in seiner Intensität. Denn diese drückt sich primär durch den Einsatz von CGI-Spielereien aus, die nicht nur unnötig, sondern auch störend ausfallen. Von der geerdeten Etablierung der Handlung zu Beginn bleibt am Ende nicht mehr viel übrig, wenn Black Swan im dritten Akt die Transformation vom Psychodrama zum Balletthorror unternimmt.

Über allem erhaben ist dabei jedoch das Ensemble. Wie die Schwanenkönigin für die Primaballerina eine anspruchsvolle und anstrengende Rolle ist, verkommt sie auch für Natalie Portman zu einer solchen. Stärker als in Black Swan sah man sie wohl selten, weshalb sie beste Chancen haben sollte, im Februar ihre zweite Oscarnominierung zu erhalten. Spielen Mila Kunis und Vincent Cassel - Letzterer mit den besten Dialogzeilen ausgestattet - zwar überzeugend, aber weitestgehend unauffällig, vermag neben Portman noch Barbara Hershey besonders hervorzustechen. Hin- und hergerissen zwischen fürsorglicher Mutter und labilem Kontrollfreak, hinterlässt die 62-Jährige einen bleibenden Eindruck, der ebenfalls von der Academy gewürdigt werden könnte.

Dieses Jahr erhielt Black Swan stürmenden Beifall beim 67. Filmfestival in Venedig, jenem Ort, an dem vor vier Jahren noch Darren Aronofskys Meisterwerk The Fountain ausgebuht wurde. Ein Erlebnis, das beim New Yorker hängen geblieben und Wunden gerissen zu haben scheint. Von visuellen Spielereien verabschiedete er sich daraufhin in The Wrestler, der erstaunlich straight und konsequent daherkam. Zwar blieb damals die Anerkennung der Academy aus, für seinen allseits gelobten jüngsten Film könnte sie nun jedoch ins Haus stehen. Dass sich der 41-jährige Amerikaner seit The Wrestler weiterentwickelt hat, lässt sich dagegen nicht sagen, sind sich beide Filme doch zu ähnlich (Thrillerelemente ersetzen Charaktertiefe), um einen wirklichen Fortschritt erkennbar zu machen.

So ähneln sich Darren Aronofsky und die Schwanenkönigin vielleicht mehr als sie glauben, wenn die von den Kritikern zuletzt verehrten The Wrestler und Black Swan mit der verführerischen Doppelgängerin gleichgesetzt werden, die Aronofskys künstlerisch wertvolle, ambitionierte und oftmals unterschätzte Vorgänger in Vergessenheit geraten lassen. Doch die wahre Schönheit liegt unter der von außen bisweilen als hässlich erachteten Form, sodass es Aronofsky seinem Märchenvorreiter Prinz Siegfried gleich tun sollte, indem er der Verführung widersteht (für 2014 inszeniert er eine Bibel-Adaption um Noah) und zurück zu seiner ewigen und wahren Liebe kehrt. Einen entscheidenden Hinweis hat er sich dabei in Black Swan bereits selbst gegeben: The only person standing in your way is you.

6.5/10

30. Dezember 2009

Filmjahresrückblick 2009: Die Top Ten

The truth is that everybody leaves the cinema feeling a better person.
(Pedro Almodóvar)


Das Kalenderjahr 2009 neigt sich dem Ende entgegen. Zeit, zurück zu blicken, welche Filme dem Publikum dieses Jahr serviert wurden. Oder besser: die ich goutiert habe. Dieses Jahr will ich keine große Rücksicht darauf nehmen, welche Filme ich bereits 2008 gesehen habe, die dann erst dieses Jahr liefen oder die ich 2009 gesehen habe, obschon ihnen selbst für 2010 noch kein definitiver Kinostart zugesprochen wurde. Insofern waren es 134 Filme, in deren Genuss (mal mehr, mal weniger) ich dieses Jahr kam. Davon entfielen 83 auf Kinosichtungen und von diesen wiederum 36 auf Pressevorführungen. Hinzu kamen dann noch Festivalbesuche des Fantasy Filmfestes in Stuttgart sowie von Filmz in Mainz. Die restlichen 44 Filme wurden schließlich per DVD oder Blu-Ray gesichtet, womit sich alle Zahlen auf ebenjene 134 Sichtungen addieren sollten. Den Ungeduldigen unter meiner Leserschaft sei wie letztes Jahr geraten, direkt zur Top Ten zu scrollen. Die Übrigen dürfen sich ebenfalls wie letztes Jahr an einem ausführlicheren Rückblick erfreuen.

Die drei ertragsreichsten Filme des Jahres (wie im Filmstreifen zu erkennen) waren Avatar, sowie die beiden Fortsetzungen Harry Potter and the Half-Blood Prince und Ice Age: Dawn of the Dinosaurs. Damit hat sich gut eine Woche nach Verfassen des Posts bewahrheitet, dass Avatar mehr als ein entscheidendes Wort mitsprechen werden würde. Ähnlich wie Ice Age 3 ist es hier das Box Office außerhalb der USA, das entscheidenden Anteil am Erfolg dieser Filme hat. Das sechste Abenteuer von J.K. Rowlings Zauberlehrling kann man hierbei als größten gemeinsamen Nenner der Kinogänger ansehen. Denn während die Fortsetzung zu Transformers den amerikanischen Markt dominierte (und, Inflation außen vor gelassen, den neunten Film darstellt, der in den USA die 400-Millionen-Dollar-Marke durchbrechen konnte), einigten sich die Europäer weitestgehend darauf, sich vom dritten Ice Age-Abenteuer verzaubern zu lassen. Außerhalb der Vereinigten Staaten liefen sogar bisher nur Titanic und The Lord of the Rings: The Return of the King und eben Avatar erfolgreicher.

Wusste Ice Age 3 ganz Europa zu begeistern? Nein. Ein kleines südeuropäisches Land (Spanien) zählte gemeinsam mit den USA zu den wenigen Nationen, die Pixars Up vorzogen. Eine Besonderheit stellt zudem Polen dar, das wiederum Madagascar: Escape 2 Africa den Vorzug gab. Deutsche, Franzosen und Italiener einigten sich dagegen einvernehmlich darauf, Ice Age 3 zum meistbesuchten Film des Jahres zu machen. Die Briten zogen ganz patriotisch Harry Potter vor. Während in Deutschland und Frankreich auf Diego, Manny und Sid erst Harry Potter und dann ein nationaler Film (bei uns Michael Herbigs Wickie und die starken Männer) folgten, begeisterten sich die Italiener eher für den englischsprachigen Film. Die ersten sechs Plätze nimmt bei ihnen das Ausland ein. Wobei berücksichtigt werden sollte, dass Angels & Demons – der in Rom spielt und gedreht wurde – nach Ice Age 3 die meisten Italiener in die Lichtspielhäuser trieb. Und damit genug über den Tellerrand geblickt.

Erfolg und Beliebtheit gehen jedoch nicht immer unbedingt miteinander einher. Zwar liefen die drei bestbewerteten Filme des Jahres in der Internet Movie Database (IMDb) äußerst erfolgreich, spielten jedoch im Wettbewerb der Großen keine gewichtige Rolle. Bis auf James Camerons Avatar, der bereits nach drei Wochen zu den erfolgreichsten Filmen aller Zeiten zählt. Mit einer IMDb-Wertung von gegenwärtig (Stand: 29.12.2009) 8.8/10 war Avatar zugleich der beliebteste Film des Jahres. Gefolgt von Inglourious Basterds und Up mit jeweils 8.5/10. Im Vergleich zum Vorjahr finden sich 2009 unterschiedliche Gewinner. Einer von ihnen ist sicher Schauspieler Sam Worthington, der sich gerade im Action-Genre besonderer Beliebtheit erfreut. Aber auch Regisseur Todd Phillips kann als Gewinner angesehen werden, gelang es dem Regisseur von Werken wie Road Trip mit The Hangover allein in den USA das Achtfache seiner Kosten einzuspielen und damit die erfolgreichste Komödie 2009 abzuliefern.

Den Titel des vielversprechendsten Nachwuchstalentes verdient dieses Jahr am ehesten noch Catinca Untaru aus Tarsem Singhs The Fall. Bei ihren älteren Kollegen beeindruckte zum einen Sam Rockwell in seiner Doppelrolle in Moon. Viele Schauspieler sind daran gescheitert, mehrere Rollen zugleich zu übernehmen. Und wenn außer diesen Rollen niemand anderes im Film auftaucht, ist ein solches Unterfangen umso schwerer. Desto beachtlicher, wie gelungen Rockwell die Aufgabe meistert. Zum anderen spielte sich Evan Rachel Wood eindrucksvoll in den Vordergrund. War ihr in Darren Aronofskys The Wrestler nur eine Nebenrolle gewährt, so meisterte Wood diese jedoch bestens. Dem setzte sie mit ihrer Leistung in Woody Allens Whatever Works diesen Dezember jedoch noch die Krone auf. Bei den Animationsfilmen gefiel mir dieses Jahr Bolt am besten, während ich die zweite Staffel von The Big Bang Theory, die noch eine Schippe zum Vorgänger drauflegte, zur Serie des Jahres küre.

Was zeichnete das Filmjahr 2009 aus? Bestimmte im letzten Jahr das Thema High Definition und die Festlegung auf Blu-Ray das Business, so wurde spätestens mit diesem Jahr der Aufbruch der Branche in die dritte Dimension beschlossen. „I rather think the cinema will die“, soll die Legende Orson Welles einst gesagt haben. Doch entgegen dem obigen Bild aus The Final Destination dürfte 3-D wohl kaum den Tod im Kino des Kinos darstellen. Konnten Filme wie Coraline, ebenjener The Final Destination oder Up 3-D-technisch nicht sonderlich überzeugen, zeigte Avatar auf, wie man die Technik effektiv(er) nutzt. Dessen konnte ich mich zwei Mal im Kino überzeugen, mit einer dritten Sichtung in 2D als Vergleich. Genauso oft sah ich The Wrestler, wobei hier eine Sichtung auf die DVD entfiel. Ingesamt betrachtet war 2009 ein relativ enttäuschendes Jahr, auch wenn die Wertungen der Top 10-Filme ein anderes Bild sprechen. Kein Film, der für die Ewigkeit geschaffen scheint. Die nun folgende Liste (Flop Ten in den Kommentaren) präsentiert die für mich zehn besten Filme des Jahres:


10. Avatar (James Cameron, USA/UK 2009): Der unterhaltsamste Film des Jahres, der mit überwältigenden Spezialeffekten und einem bewegenden Soundtrack von James Horner aufwartet. Die Geschichte ist nicht neu, aber mitreißend erzählt. Hinzu kommt, dass ich wohl noch nie mit so niedrigen Erwartungen an einen Film herangegangen bin, um dann festzustellen, dass ich diesem von Anfang an Unrecht getan habe. Er wird vielleicht nicht allen Vorschußlorbeeren gerecht, aber Vielen von ihnen.

9. Bright Star (Jane Campion, AUS/UK/F 2009): Auch von Jane Campion habe ich mir seit The Piano nicht mehr viel versprochen. Umso erfreulicher, dass es der Neuseeländerin hier gelingt, nicht nur einen faszinierendes period piece abzuliefern, sondern auch den wohl ergreifendsten und authentischsten Liebesfilm des Jahres. Für wenig Geld gedreht, mit vielen liebevollen Details ausgestattet und neben der eigentlichen Geschichte noch John Keats huldigend. Totgesagte leben scheinbar in der Tat länger.

8. Moon (Duncan Jones, UK 2009): Man merkte es Jones’ Debütfilm nicht an, dass es sich um einen solchen handelt. Der Sohn von David Bowie bescherte uns dieses Jahr ein so simples wie atmosphärisches Science-Fiction-Drama, das angesichts seines Budgets wirklich beeindruckend ausgefallen ist. Zudem zeichnet das geschickt konstruierte Kammerspiel aus, dass es nie vorgibt, mehr zu sein als es ist. Abgerundet wird das Ganze von dem wie gewohnt stimmigen Soundtrack Clint Mansells.

7. Okuribito (Takita Yôjirô, J 2008): Wenn die Nominierten für den fremdsprachigen Film gelungener sind als ihre englischsprachigen Vertreter in der prestigeträchtigeren Kategorie, sagt dies so manches über Hollywood aus. Takitas besonnener und verdienter Preisträger gefällt durch seinen subtilen Humor, wie auch seine musikalische Untermalung und respektvolle Behandlung der Bestattungs-Thematik. Das Ende ist vielleicht etwas zu viel des Guten, der Film berührt dennoch ungemein.

6. (500) Days of Summer (Marc Webb, USA 2009): Auch Webb deutet nicht an, dass dies sein Debüt darstellt. Nicht unbedingt eine Revolution der romantischen Komödie, aber dank seiner kreativen Frische eine lang ersehnte und willkommene Abwechslung. Ähnlich wie Jones gaukelt Webb seinem Publikum nichts vor, wenn es um Beziehungen geht. Der formidable Soundtrack (der Beste des Jahres) um Hall & Oates’ You Make My Dreams (sowie sein Platzierung im Film) runden das Bild vollends ab.

5. The Limits of Control (Jim Jarmusch, USA/J 2009): Jarmuschs kryptischer Film ist sicherlich wenig zugänglich für den uninteressierten beziehungsweise gewöhnlichen Kinozuschauer. Gibt man sich jedoch vollends der Suggestion seiner Bilder hin, entführt einen das filmische Enfant terrible in eine Welt, deren Interpretation einem jeden Beobachter selbst überlassen ist. Selten wurde man von einem Werk eindeutiger eingeladen, in seiner Undeutlichkeit Mehrdeutigkeit auszumachen.

4. Ai no mukidashi (Sono Sion, J 2008): Sonos Mammutwerk vereint zugleich mehrere Genres in einem Film, dabei mühelos von einem ins andere wechselnd. Auch hier zeichnet sich die musikalische Untermalung besonders aus, steht jedoch hinter den humoristischen und mitunter bildgewaltigen Szenen zurück. Würde sich Sono speziell in der letzten Stunde nicht zu sehr in einem seiner eher unausgegorenen Handlungsstränge verlieren, wäre sein Film noch weitaus beeindruckender.

3. The Cove (Louie Psihoyos, USA 2009): Zwar geht Psihoyos nicht allen Fragen gebührend nach, dennoch verdient sich sein Film den Titel der besten Dokumentation des Jahres. Je mehr der Filmemacher die Heuchelei der japanischen Behörden und insbesondere des Dorfes Taiji aufdeckt, desto emotionaler und ergreifender gerät das Delfinschlachten in Japan. Ein Film, der geschaffen wurde, um Gräuel aufzudecken und ihnen Einhalt zu gebieten. Wohl wissend, dass ein Film allein dafür nicht ausreicht.

2. The Boy in the Striped Pyjamas (Mark Herman, UK/USA 2008): Mit seiner Romanadaption gelingt es Herman dem Holocaust ein Gesicht zu verleihen, ohne verklärend in dieses zu blicken. Vielmehr ist sein Film eine Geschichte über die (reine) Freundschaft zweier Kinder, die letztlich über den kalten Faschismus obsiegt. Ein warmherziger und zugleich bisweilen auch abstoßender Film, der nicht nur stets die richtige Stimmung trifft, sondern auch vom gesamten Ensemble exzellent präsentiert wird.

1. Synecdoche, New York (Charlie Kaufman, USA 2008): Kaufman erschafft mit seinem Regiedebüt weniger einen Film als Kunstwerk. Mit Dutzenden von Details und Symbolen ausgestattet, präsentiert Hollywoods talentiertester Autor etliche Ideen, Anekdoten, Interpretationen, Metaphern und Synekdochen. Eine cineastische Matrjoschkafigur. Ein Film, der je nach Blickwinkel und Betrachtung sein Aussehen verändern kann. Und der sich das Etikett des Kunst- und Meisterwerkes redlich verdient.

1. September 2012

Filmtagebuch: August 2012

AMERICAN DREAMZ
(USA 2006, Paul Weitz)
3/10

THE BOURNE IDENTITY
(USA/D/CZ 2002, Doug Liman)
6/10

THE BOURNE SUPREMACY
(USA/D 2004, Paul Greengrass)
6.5/10

THE BOURNE ULTIMATUM
(USA/D 2007, Paul Greengrass)
6/10

BROKEN ARROW
(USA 1996, John Woo)
7/10

CRAWL
(AUS 2012, Paul China)
4.5/10

THE EXPENDABLES
(USA 2010, Sylvester Stallone)
7/10

THE EXPENDABLES 2
(USA 2012, Simon West)
6.5/10

GRABBERS
(UK/IRL 2012, Jon Wright)
6.5/10

HALF NELSON
(USA 2006, Ryan Fleck)
7.5/10

HAYWIRE
(USA/IRL 2011, Steven Soderbergh)
4/10

HOT ROD
(USA 2007, Akiva Schaffer)
9/10

LOUIE - SEASON 1
(USA 2010, Louis C.K.)
7/10

MACHINE GUN PREACHER
(USA 2011, Marc Forster)
4/10

MEAN STREETS
(USA 1973, Martin Scorsese)
6.5/10

THE NEWSROOM - SEASON 1
(USA 2012, Greg Mottola u.a.)
8/10

MR. NOBODY
(CDN/F/B/D 2009, Jaco Van Dormael)
3.5/10

PARADISE LOST: THE CHILD MURDERS AT ROBIN HOOD HILLS
(USA 1996, Joe Berlinger/Bruce Sinofsky)
6/10

PARADISE LOST 2: REVELATIONS
(USA 1996, Joe Berlinger/Bruce Sinofsky)
5/10

PAWN STARS - SEASON 1
(USA 2009, Jairus Cobb)
7.5/10

PUMPING IRON
(USA 1977, George Butler/Robert Fiore)
5.5/10

THE RUM DIARY
(USA 2011, Bruce Robinson)
6.5/10

SAND SHARKS
(USA 2012, Mark Atkins)
6/10

THE SECRET LIFE OF WORDS
(E 2005, Isabel Coixet)
5.5/10

STARSHIP TROOPERS: INVASION
(USA/J 2012, Aramaki Shinji)
4/10

STEVIE
(USA 2002, Steve James)
7.5/10

TAPPED
(USA 2009, Stephanie Soechtig/Jason Lindsey)
3/10

TED
(USA 2012, Seth MacFarlane)
7.5/10

TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES
(USA/HK 1990, Steve Barron)
8/10

TRAINSPOTTING
(UK 1996, Danny Boyle)
7/10

TRUE BLOOD - SEASON 5
(USA 2012, Michael Lehman u.a.)
7.5/10

WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN
(USA/UK 2011, Lynne Ramsay)
8/10

WHORE’S GLORY
(D/A 2011, Michael Glawogger)
8.5/10

Werkschau: Darren Aronofsky


PI
(USA 1998, Darren Aronofsky)
6.5/10

REQUIEM FOR A DREAM
(USA 2000, Darren Aronofsky)
10/10

THE FOUNTAIN
(USA/CDN 2006, Darren Aronofsky)
9/10

THE WRESTLER
(USA/F 2008, Darren Aronofsky)
8.5/10

BLACK SWAN
(USA 2010, Darren Aronofsky)
5.5/10

8. Juni 2018

The Rider

We don’t talk about that.

Oscar Wilde vertrat die Ansicht, dass das Leben öfter die Kunst imitiere als umgekehrt. Und stand damit konträr zu Aristoteles’ Prinzip der Mimesis, in welcher die Kunst im Zuge einer kathartischen Aufarbeitung das Leben nachahmt. Dabei jedoch eine gewisse Distanz wahrt. So gesehen stellt Chloé Zhaos The Rider eine Art Mittelding aus Mimesis und Anti-Mimesis dar, ist der jüngste Film der Regisseurin doch einerseits vom wahren Leben inspiriert, entfernt sich jedoch nicht allzu sehr von den darin vertretenen Darstellern. Die wiederum mögen in dem Werk, das in seiner Form beinahe schon ein Doku-Drama ist, dennoch durchaus eine Katharsis für sich entdecken, indem sie vergangene persönliche Traumata durch den Film verarbeiten.

In The Rider spielt der junge Rodeo-Cowboy Brady Jandreau quasi eine fiktionalisierte Version seiner selbst. Als Brady Blackburn erleidet die Figur vorab im Off bei einem Rodeoabwurf eine schwere Kopfverletzung. Die folgende Genesung wird überschattet von Zweifeln an der möglichen Zukunft im Rodeo-Sport. Brady weist motorische Störungen auf, ist damit aber dennoch besser gestellt als sein Kumpel Lane (Lane Scott). Der ist inzwischen mit schweren Hirnschäden Patient in einer Vorsorge-Rehaklinik, die Brady wiederholt besucht. Zhao suggeriert dabei in ihrem Film, dass der hierfür verantwortliche Unfall ebenfalls dem Rodeo entstammt, während der echte Lane Scott seine Verletzungen bei einem Autocrash erlitten hat.

Für Brady soll Lane als warnendes und potentiell abschreckendes Beispiel fungieren. So schlimm wie dem Freund erging es ihm selbst nicht, und doch droht auch Bradys Kopftrauma, seiner Rodeo-Karriere ein jähes Ende zu bereiten. Über die potentielle Gefahr ihres Hobbys fachsimpeln eingangs der Geschichte auch Bradys Kumpels, als sie ihn eines Abends aus seinem Zuhause ins Freie locken. Von zehn erlittenen Gehirnerschütterungen berichtet da Bradys Kollege Cat (Cat Clifford). “By NFL standards I should be dead”, referiert er die im US-Football seither für viele Fälle von chronisch-traumatischer Enzephalopathie (kurz: CTE) verantwortlich gemachte Kopfverletzung. Dem Risiko zum Trotz üben sie alle weiter den Sport aus.

“You can’t be rodeoing forever, right?”, fragt da später ein Pfandleiher rhetorisch Brady, als dieser im Begriff ist, seinen Sattel zu verpfänden. Hierin findet sich für die Figur – und wohl auch den Darsteller selbst – die Krux des Problems. Was bleibt ihm schon, außer das Rodeo? Brady besitzt weder einen Schulabschluss, noch hat er eine Ausbildung zu Ende gebracht. Zwar verdingt er sich über weite Strecken als zähmender Pferdeflüsterer, doch ist dies nicht die berufliche Zukunft, die er sich erträumt hat. “I’m not gonna end up like you”, wirft er da seinem Vater Wayne (Tim Jandreau) an den Kopf, der mehr schlecht als recht eine Pferdefarm betreibt. “Sometimes dreams aren’t meant to be”, versucht der den Sohn derweil aufzuklären.

Die schwierige Akzeptanz seiner neuen Situation, die im Widerspruch zu seinem vormaligen Status sowie den eigenen Wünschen und Ansprüchen steht, markiert den Kern von Zhaos Geschichte. Diese wirkt oftmals wie eine gekonnte Mischung aus The Horse Whisperer und The Wrestler, wenn die Regisseurin zwischen den ruhigen, empathischen Momenten der Zähmung hinüber zu einem ungelenk im Leben stehenden Brady wechselt. Wie Mickey Rourkes Herzschwacher Wrestler Randy “The Ram” landet Brady letzten Endes als Aushilfe im lokalen Supermarkt. Das einzige, was von seiner vielversprechenden Karriere bleibt, sind hier und da Gedächtnis-Fotos mit jungen Fans und die Erinnerung an vergangene, bessere, schönere Zeiten.

Randy und Brady leb(t)en beide für ihren Sport. Und als ihre Gesundheit droht, ihnen diesen Sport zu nehmen, kann sie im Grunde auch gleich ihr ganzes Leben ergreifen. Beide Figuren widersetzen sich dabei dem ärztlichen Rat und gehen ihrem Hobby wieder nach. Im Fall von Darren Aronofskys Film am Ende vermutlich mit finalen, tödlichen Folgen. In The Rider muss der Rodeo-Cowboy für sich selbst entscheiden, ob sein Leben ohne seinen Sport nichts wert ist oder er ihm auch abseits davon eine Bedeutung zuteilwerden lassen kann. Dabei ist es bemerkenswert, mit welcher Ruhe die Figur ansonsten durch das Leben geht und ihrer Umwelt begegnet. Die sie jedoch angesichts ihrer eigenen neuen Umstände in sich selbst nicht findet.

So behutsam wie Brady mit dem aufreibenden Temperament der Pferde umgeht, so einfühlsam agiert er auch, wenn er sich mit Lane alte (reale) YouTube-Videos aus besseren Zeiten ansieht. Genauso im Umgang mit Lilly (Lilly Jandreau), seiner jüngeren autistischen Schwester. Auch wenn man hier mitunter in den direkten Szenen zwischen den drei Jandreau-Mitgliedern doch recht deutlich dem Film seine Laiendarsteller anmerkt, gelingt es Brady Jandreau ansonsten recht gut, die Zweifel und Ängste sowie Liebe der Figur zu ihrem Sport einzufangen. Insbesondere in den Momenten, wenn Brady und Lane im Krankenhaus aufeinander treffen und sich physisch wie psychologisch dabei im Verlauf mehr und mehr auf Augenhöhe begegnen.

Die sozialen Hintergründe der Badlands und seiner Bewohner, jener Welt in South Dakota, in der The Rider spielt, dröselt Chloé Zhao vielleicht etwas unzureichend auf. Wieso bleibt den jungen Männern hier nur das Rodeo als einziger Ausweg? Derart so, dass sie buchstäblich ihr Leben aufs Spiel setzen? Vielleicht hätte hier ein Einblick oder mehr Präsenz von Cat Clifford den Film noch etwas runder gemacht. Aber auch so stellt The Rider eine gelungene und schön fotografierte Nachahmung des Lebens seiner Darsteller dar. In einer Tragödie, so Aristoteles, gehe es weniger um die Nachahmung von Menschen, als um die einer Handlung und Lebenswirklichkeit. Insofern hat Chloé Zhao die aristotelische Mimesis dann wohl doch sehr gut getroffen.

7/10

28. August 2012

Pi

When I was a little kid, my mother told me not to stare into the sun.
So once, when I was 6, I did.


Der Mensch ist fasziniert von Zahlen, eignen sie sich doch gut für allerlei Spielereien. In der TV-Serie Lost mussten die Charaktere alle 108 Minuten die Zahlenfolge 4, 8, 15, 16, 23 und 42 in einen Computer eingeben, deren Summe wiederum ebenfalls 108 war. Die Zahl 23 faszinierte die jeweilige Hauptfigur in Filmen von Joel Schumacher und Hans-Christian Schmid, während Max Cohen (Sean Gullette) in Darren Aronofskys Debütfilm Pi besessen von der Kreiszahl π ist. “Mathematics is the language of nature”, ist dieser sich sicher. “There are patterns, everywhere in nature.” Und alles, was es bedarf, um die Natur – und damit die Welt – zu verstehen, ist eine entsprechende mathematische Formel. Hält π also alle Antworten?

Für $60.000 mit Unterstützung von Freunden und Familien teils illegal in New Yorker U-Bahn-Stationen gedreht, weist Pi bereits viele Merkmale von Aronofskys späterem Schaffen auf. Dabei können Pi und Requiem for a Dream sowie The Wrestler und Black Swan getrost als Pärchenfilme bezeichnet werden, mit dem Langzeitprojekt The Fountain als center piece. Was alle Filme miteinander eint, ist der von Obsessionen geplagte Hauptprotagonist, der sich mehr und mehr in seinem Streben zu verlieren scheint. Egal ob Ballerina Nina (Natalie Portman), Wrestler Randy (Mickey Rourke), Neurologe Tom (Hugh Jackman), die drogensüchtige Familie Goldfarb (Ellen Burstyn/Jared Leto) oder hier nun Gullettes Max Cohen.

Das vorherrschende Element der Paranoia eint Aronofskys Debüt wiederum mit seinem jüngsten Film. Sowohl Max als auch Nina fühlen sich von ihrer Umgebung verfolgt, doch nur im Falle von Max scheint diese Gefahr auch tatsächlich real. Seine Forschungen rufen Drittparteien auf den Plan, Vertreter von Kapitalismus und Religiosität. Max zufolge ist die Natur durchzogen von Mustern: “So what about the stock market?” Sein Bestreben, die Aktienkurse vorauszusagen, weckt das Interesse der Wall Street in Person von Marcy Dawson (Pamela Hart), während die Entdeckung einer 216-stelligen Zahlenfolge Lenny Meyer (Ben Shenkman) und seine chassidistische Sekte auf ihrer Suche nach Gott anlockt.

“Hebrew is all math”, gewinnt Lenny mittels Gematrie die Aufmerksamkeit von Max. Hin und hergerissen zwischen den beiden Parteien – die Banker bieten ihm einen Ersatzchip für seinen gewaltigen, durchgebrannten Rechner „Euklid“ – verliert Max mehr und mehr den Boden unter den Füßen als seine Migräneanfälle zunehmen. Mit Fortführung der Geschichte bewahrheitet sich, wovor Max von seinem Mentor und Freund Sol (Mark Margolis) gewarnt wurde: Er mutiert vom Mathematiker zum Numerologen. Von der 216-stelligen Zahlenfolge, π und ihren Zusammenhängen besessen, gleiten die Figuren immer mehr in den Abgrund hinab. “This is insanity”, sagt Sol an einer Stelle. “Maybe it’s genius”, erwidert Max.

Genie und Wahnsinn liegen oft dicht beieinander – so auch in Aronofskys Pi. Die Beziehung zwischen Sol und Max wird auch von Ersterem selbst in Relation gesetzt mit der Geschichte von Ikarus. “Life isn’t just mathematics”, versucht Sol, der selbst vier Jahrzehnte an π geforscht hat, seinen Schützling wieder in die Realität zurückzuholen. Doch im Regelfall sind Aronofskys Figuren zum Scheitern verurteilt und haben im Kampf mit ihrer Obsession das Nachsehen. Narrativ ist sein Debüt, welches Aronofsky im Audiokommentar als seinen – nur bedingt gelungenen – Versuch eines “cyberpunk movies” beschreibt, somit nicht weit weg von seinen späteren Arbeiten, sodass sich Pi am ehesten durch seine Inszenierung auszeichnet.

In Erinnerung bleibt Aronofskys Einsatz der SnorriCam, um den Zuschauer näher an Max’ Erlebnissen teilhaben zu lassen. Auch der Schnitt von Oren Sarch und die Musik von Clint Mansell stechen hervor und lassen teilweise Einflüsse von Danny Boyles Trainspotting erkennen. In allen Bereichen, von der Narration über die Verwendung der SnorriCam sowie Schnitt und Musik, wird Aronofskys zwei Jahre später erscheinender Requiem for a Dream eine Weiterentwicklung aufweisen können. Als erste Fingerübung und experimenteller Independent-Film geht Pi jedenfalls durchaus in Ordnung und hat einige interessante Ideen zu bieten. Und ein Einspiel von über $3 Millionen. Eine Zahl, mit der Aronofsky gut gelebt haben dürfte.

6.5/10

11. Februar 2009

Frost/Nixon

It’s like Paris without the French.

Ron Howard ist ja so ein Fall für sich. Ich mag Parenthood und The Paper (hauptsächlich wegen Keaton), ohne zugleich sagen zu wollen, dass sie gut sind. Bei How the Grinch Stole Christmas ist es eher so, dass ich aufgrund der Tatsache, dass ich Dr. Seuss Charakter vorher nicht kannte, Howards Arbeit schlecht einschätzen kann, obschon ich auch diesen Film mag. Über seine restlichen Filme – allen voran The Da Vinci Code – hülle ich lieber den Deckmantel des Schweigens. Was ich lustig finde, wo ich grad IMDb offen hab, ist, dass der gute Mr. Howard vor Frost/Nixon erst zweimal für einen Academy Award nominiert war (mit A Beautiful Mind). Dabei hatte ich eigentlich das Gefühl, dass das Ginger Kid so ein Kandidat ist, denn die depperte Academy jedes gefühlte zweite Jahr nominiert. So kann man sich irren.

Seinen neuesten Film findet jeder toll. So im Querschnitt pauschalisier ich jetzt mal und sag, dass er als 9/10 gehandelt wird. Und wenn ich so was hör, bin ich immer sehr skeptisch und meistens auch (siehe The Wrestler) auch zu Recht. Howard adaptiert Peter Morgans gleichnamiges Bühnenstück von 2006, welches wiederum die Ereignisse des Jahres 1977 adaptiert, in welchem der britische TV-Moderator David Frost in einem Fernsehinterview ein Quasi-Geständnis vom ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon bezüglich der Watergate-Affäre entlocken konnte. Das bedeutsamste Fernsehinterview in der Geschichte, unken manche über jenes Ereignis, dessen Inhalt sich mir selbst nicht sonderlich erschließen will. Dass Nixon etwas zugibt, von dem eh jeder weiß, dass er es getan hat, revolutioniert nun mal nicht mein Weltbild.

Frost/Nixon beginnt mit dem Rücktritt des 37. amerikanischen Präsidenten Richard Nixon (Frank Langella), verfolgt vom britischen Fernsehmoderator David Frost (Michael Sheen). Letzterer lässt sich die Quoten für Nixons Abschiedsrede geben und spürt, dass ein Interview mit dem großen Mann ein Hit werden könnte. Doch selbstverständlich will Tricky Dick nicht unbedingt über Watergate reden. Frost fragt also an und blitzt zuerst ab. Allerdings sind eine halbe Million Dollar immer noch eine halbe Million Dollar und in Anbetracht der Tatsache, dass Entertainer Frost nicht wirklich als Bedrohung empfunden wird, sagt Nixon letztlich zu. Dumm nur, dass Frost das Interview nicht an den Mann bringen konnte und nun auf den Ausgaben sitzen bleibt, während er sich mit seiner Freundin (Rebecca Hall) vergnügt und seine Experten (Sam Rockwell, Oliver Platt) sowie sein Produzent (Matthew Macfadyen) in der Zwischenzeit die Interviewrunden vorbereiten.

Die meiste Zeit des Filmes über bestätigt sich das Bild, welches Nixon und seine Berater (u.a. Kevin Bacon) von Frost hatten. Er ist ein stümperhafter Journalist, der sich unvorbereitet in die Interviews stürzt und dabei auch prompt auf die Nase fliegt. Für Frost zählt nicht der Inhalt des Interviews, sondern seine Quote. Da diese sich jedoch erst dadurch definieren lässt, dass das Interview an den Mann gebracht wird, was wiederum auf seinem Inhalt basiert, ist es relativ unverständlich, weshalb Frost erst kurz vor knapp anfängt sich mit der Materie vertraut zu machen. Howard selbst schenkt dem Publikum hierzu keinen wirklichen Einblick, sondern fokussiert sich eher darauf die klassische Underdog-Story zu propagieren. Frost, von vielen belächelt, rafft sich auf und zeigt allen was eine Harke ist. Und weil die letzte Interviewrunde so gut lief, erklärt er, spielt der Dilettantismus in den übrigen drei keine Rolle. Eine komische Einstellung, aber scheinbar hat sie funktioniert, wie die Rezeption in der Geschichte zeigt.

Historisch genau scheint die Portraitierung von Nixon nicht immer zu sein, wie einige seiner Biographen bemerkten. Aber es geht auch weniger um historical correctness, sondern darum eine Art Mediendrama zu inszenieren. Der Versuch von Howard, dem ganzen einen dokumentarischen Touch zu geben, misslingt dabei. Selbstverständlich wirken die gespielten Interviews der Beteiligten, welche die Ereignisse reflektieren, mehr als gestelzt. Sowieso eignet sich die Thematik des Filmes besser für einen Dokumentarfilm oder einen Essay, denn einen Abendfüllenden Spielfilm. Zu belanglos ist das Gesehene und zu uninteressant die Verpackung. Das bisweilen auftauchende Getue auf Thriller ist da nur die Spitze des Eisberges.

Getragen wird Frost/Nixon, der Titel sagt es schon, von den beiden historischen Persönlichkeiten Frost und Nixon. Sheen wiederum gibt den dauergrinsenden Stümper auch recht überzeugend und Langella wirkt zwar nicht unbedingt wie Nixon, aber spielt nichtsdestotrotz intensiv. Die belanglosen Nebenfiguren wie Bacon, Hall, Rockwell und Co. fallen nicht weiter auf, müssen sie ja aber auch nicht. Insgesamt betrachtet zählt der Film also innerhalb von Howards Biographie zu seinen besseren (oder wenn man will: guten) Werken. Allerdings hätte es hinsichtlich der Thematik nicht wirklich eines zweistündigen Kinofilmes bedurft, eine zweiseitige Retrospektive in einem größeren Magazin hätte denselben Effekt erzielen können. Oder die Sichtung des Originalinterviews. Wobei, da ist ja nur ein Teil interessant. Und der wiederum nicht unbedingt informativ. Somit dürfte Frost/Nixon ein Film sein, der keinem wirklich wehtut. Wo der Hype herkommt, frag ich mich trotzdem.

7/10

21. November 2012

Head Games

You’re playing Russian roulette with their future.

Es dürfte wohl für die meisten Menschen kein Schock sein, zu erfahren, dass man sich bei körperkontaktbetonten Sportarten verletzen kann. Womöglich sogar unwiderruflich. Insofern ist der Einstieg zu Steve James’ Dokumentation Head Games für Europäer etwas überraschend. “It’s been known for a long time that banging your head over and over again can be a bad thing”, sagt Alan Schwarz, Reporter der New York Times, zu Beginn. Was nicht gerade eine Offenbarung ist. Angesichts der Reaktionen und Entwicklungen, die James in den folgenden anderthalb Stunden zeigt, scheint dies in den USA jedoch durchaus eine solche gewesen zu sein.

In seinem jüngsten Film thematisiert James den Zusammenhang zwischen gewissen Sportarten wie Football, Basketball, Eishockey oder Fußball und dem Auftreten von chronisch traumatischer Enzephalopathie (CTE) nach erlittenen Gehirnerschütterungen. Im Mittelpunkt des Films steht dabei Chris Nowinski, ehemaliger College-Football-Spieler und WWE-Wrestler, der nach einer Gehirnerschütterung den Profi-Sport aufgab, ein Buch über die Risiken im Football schrieb und seither als Ansprechpartner für CTE-Gefahren gilt. “I loved the violence”, sagt er rückblickend über seine Zeit beim Football, den in den USA einer aus acht Jungen praktiziert.

Es sei “the closest thing of being a war hero without actually going to war”, sagt Nowinski. Seine Sportanalogie deckt sich mit Beschreibungen einiger anderer interviewter Sportler. Dies trifft aber auch auf ihre Krankenakte zu. Jeder zweite Spieler hat schon Symptome einer Gehirnerschütterung gehabt, in Head Games treffen wir auf Fußballerinnen, die von mehreren Gehirnerschütterungen berichten, genauso wie einen Teenager, der bisher drei davon erlitten hat. Auswechseln lassen wollen sich die meisten von ihnen während einer Partie jedoch nicht. Für Profis der NFL gehören Schädel-Hirn-Tramata (SHT) nach eigener Aussage sogar zum Sport dazu.

“In most other sports the chance of injury in incidental”, sagt der Sportjournalist Bob Costas. “In football, the chance of injury and long term serious effects is fundamental.” Und CTE sei dabei die größte Gefahr, die nicht nur zu früher Demenz führen kann, sondern viele Betroffene auch in den Selbstmord treibt. Steve James begleitet einen Ex-Football-Profi zum Neurologen, wo dieser nicht einmal mehr die Monate zwischen Januar und Juni aufzählen konnte. Ingesamt gaben 1,9 Prozent der Ex-Profis zwischen 30 und 49 Jahren an, mit einer Demenzerkrankung diagnostiziert worden zu sein. In der normalen Bevölkerung sind nur 0,1 Prozent betroffen.

Somit stellt sich die Frage, ob diese Sportarten im Allgemeinen und Football im Speziellen für Kinder geeignet sind. “You’re playing Russian roulette with their future”, findet Nowinski. Auch andere Eltern äußern Bedenken, stellen diese jedoch hinter die Liebe ihrer Kinder zu der jeweiligen Sportart zurück. So berichtet auch Chayse Primeau, Sohn von Ex-NHL-Spieler Keith Primeau, davon, einmal mehrere Minuten bewusstlos gewesen zu sein. Seinem Vater war einst nach seiner vierten Gehirnerschütterung von seinem Klub nahegelegt worden, seine Karriere zu beenden. “I was relieved”, gesteht Primeau seine erste Reaktion.

Was genau passiert, wenn wir eine Gehirnerschütterung erleiden, zeigt Steve James anfangs ebenso ausführlich wie die Neurologin Ann McKee ihre Forschung. Grandios gerät dabei eine Szene, in der sie ein Gehirn wie ein Laib Brot zerschneidet, um die Folgen von CTE zu zeigen. Wie gesagt ist es wenig überraschend, dass Profi-Sportarten mit viel Körperkontakt gesundheitliche Risiken bergen. Insofern vermag Head Games einen nicht vom Hocker zu hauen. Aber es gelingt Steve James gut, die Hintergründe etwas eingehender zu beleuchten und auf etwas aufmerksam zu machen, was zumindest in den USA weniger bekannt war als es hätte sein sollen.

7.5/10

3. März 2010

Crazy Heart

Letztes Jahr schlug sich Mickey Rourke als gefallener Held mit einer Frau herum, die zwar Gefühle für ihn hat, zu diesen jedoch nicht stehen will, und einem Kind, das stets vernachlässigt wurde und deshalb vom Vater nichts mehr wissen will. Mit seinem Regiedebüt Crazy Heart präsentiert Scott Cooper nun quasi The Wrestler Reloaded. So kann Coopers Geschichte über den alternden Country-Sänger Bad Blake zu keinem Zeitpunkt mit Originalität punkten, sondern verliert sich bisweilen in ihren nichtssagenden Bildern. Dass sich der Film dennoch allein wegen Jeff Bridges lohnt, kann man beim Manifest nachlesen.

6/10

2. August 2007

Ed Wood

Film-Making is not about the tiny details, it’s all about the big picture!

Im Jahr 1994 nahm sich Kultregisseur Tim Burton eines Themas an, welches ihn selber sehr berühren sollte: die Lebensgeschichte von Edward D. Wood Jr. In gewisser Hinsicht wies Wood's Leben sehr viel Ähnlichkeit mit Burtons eigenem auf. Beide wurden von Kritikern teilweise für ihre Filme verrissen und beide zeichnete die Freundschaft zu einem altgedienten Schauspieler aus, war es bei Wood Bela Lugosi steht demgegenüber die Beziehung zwischen Burton und Vincent Price. Zudem fanden beide Freundschaften ihren Ursprung in Kindheitserfahrungen, denn so wie Wood in Dracula auf seinen "Helden" Lugosi aufmerksam wurde, geschah es bei Burton mit House of Wax und Price. Für beide Regisseure war die Erfahrung mit den jeweiligen Filmen zugleich der Beginn für ihre Liebe zum Kino.

Als Burton das Drehbuch zu Ed Wood las, wusste er sofort, dass er bei diesem Film Regie führen musste und sagte sein Engagement zu dem Film Mary Reilly ab. Im Nachhinein lässt wohl sagen, dass kein anderer Regisseur eher für diese Rolle geeignet war, wie Burton, konnten sich doch nur wenige in diesem schwer kritisierten Mann hineinfinden. Hierbei legten die Autoren den Schwerpunkt des Filmes in der Freundschaft zwischen Wood und Lugosi an, konzentrierten sich also lediglich auf fünf Jahre in Woods Wirken und drei Filme, die er in diesem Zeitraum schoß: Glen or Glenda, Bride of the Monster und Plan 9 From Outer Space, welche interessanterweise in ihrer Produktion alle noch andere Namen trugen. Ed Wood zeigt den Kampf um und für diese Filme, sowie die Probleme, die bei ihrer Entstehung entstanden.

Die Macher hatten sehr viel Wert darauf gelegt, dass die gezeigten Personen nicht der Lächerlichkeit preisgegeben werden, obschon unverkennbar ist, dass es sich hart gesagt um eine Gruppe von skurrilen Losern handelt. Neben einem morphiumsüchtigen abgehalfterten ehemaligen Horrordarsteller findet sich ein naiver schwerfälliger Wrestler und eine barbusige Moderatorin ein. Unterstützt wird das ganze noch durch einen Homosexuellen, der sich eine Geschlechtsumwandlung wünscht und den Chiropraktiker des Regisseurs, sowie ebenjenem Regisseur, der um seine Leidenschaft als Transvestit keinen Hehl machte. Eine Gruppe von Außenseitern, verbunden durch ihre Liebe zum Film und dem Wunsch nach Ruhm und Reichtum. Dass diese Figuren im Film tatsächlich nicht der Lächerlichkeit preisgegeben werden, sondern die Symphatien der Zuschauer tragen ist vielleicht die größte Leistung von Burtons Film.

Allein die Eröffnungssequenz von Ed Wood soll mehr wie ein einzelner Wood-Film gekostet haben, Ed Wood war dementsprechend auch teurer, wie alle Filme von Wood zusammengenommen. Nichsdestotrotz hatte auch Burton mit Finanzierungsproblemen zu kämpfen und musste erstmal ein Studio finden, dass sich dieses delikaten Themas rund um Transvestiten annahm und später auch zustimmen sollte, dass der Film in s/w gedreht wird. Damit hatten selbst die Beteiligten ihre Probleme, befürchteten die Autoren doch, dass dadurch 90% des Publikums vergrault werde. Und tatsächlich spielte Ed Wood bei Produktionskosten von 18 Millionen Dollar in den USA nur 5 Millionen davon wieder ein. Ob dies jetzt tatsächlich ausschließlich an der s/w-Optik oder der Handlung per se gelegen hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.

Was Ed Wood besonders schön einfängt, ist der grundlegende Optimismus von Wood, welcher vor allem auf das Konto des brillianten Johnny Depp geht, der Wood beigeisternder dargestellt hat, wie dieser wohl selbst zu Lebzeiten gewesen sein wird. Burton zeigt jedoch sehr gut die Leidenschaft, welche jeden Film von Wood getragen hat und ihn aus der Masse emporhebt. Edward D. Wood Jr. war Regisseur von Herzen, dem es schon allein Spaß machte einfach nur am Set zu sein. Hier verlangte er nie Neuaufnahmen, keine zweite Einstellung. Zeit war bei ihm im wahrsten Sinne des Wortes Geld und so drehte er mitunter an einem Tag an die 25 (!) Szenen und schnitt belangloses Material ein, wenn es dem Endzweck des Filmes dienen konnte. Oftmals stehen Dinge (wie Spielzeug-UFOs) nur als Symbol für das, was er eigentlich ausdrücken wollte, wenn er denn das entsprechende Geld dafür gehabt hätte.

Um jedoch Woods Filme zu verstehen, muss man Wood selber verstehen und so zentriert sich der Film zum einen auf die Freundschaft zu Lugosi und zum anderen auf das Privatleben des Regisseurs. Dies wird durch die Akzeptanz seiner Freundin für sein Transvestitentum dargestellt und sehen wir zu Beginn noch eine unverständige Freundin, haben wir am Ende jemanden, der ihn einfach so akzeptiert, wie er eben ist und ihn dabei unterstützt. Ein Mann, der in seinem Leben so oft zu kämpfen hatte, nicht nur beruflich, sondern auch privat, hat am Ende des Filmes scheinbar alles was er immer wollte. Seine Freunde, eine Frau die ihn liebt, akzeptiert und versteht und einen Film, von dem er zum Schluss überzeugt ist, dass es derjenige ist, für den ihn die Welt in Erinnerung behalten wird (eine sehr schöne Szene mit Depp) und es auch getan hat. Ed Wood ist nicht nur mein Lieblingsfilm von meinem (noch lebenden) Lieblingsregisseur Tim Burton, sondern auch einer meiner Lieblingsfilme überhaupt, den ich deswegen liebe, weil er ist, was er sein will: ein Meisterwerk.

10/10